Die feministische Soldatin
„Wenn ihr ein Kind bekommen würdet, hättet ihr lieber einen Jungen oder ein Mädchen?“ Sie fand die Frage, die gerade in die Runde geworfen worden war, reichlich naiv. Die Reaktion verblüffte sie dann aber doch, denn die angesprochenen Frauen gingen gar nicht auf das Wunschgeschlecht eventueller Kinder ein, sondern erzählten von denen, die sie nicht bekommen hatten. Diese offenen Bekenntnisse waren für die Dreiunddreißigjährige eine Sensation: Abtreibung war illegal, und dass sie sich selbst bereits dreimal dem heiklen Eingriff unterzogen hatte, wusste nicht einmal ihre beste Freundin. In jenem Herbst 1968 trat sie umgehend der faszinierend radikalen neuen Frauenbewegung bei und wurde eine engagierte „Soldatin des Feminismus“.
Die 1935 in Brooklyn geborene Tochter einer Sekretärin und eines Verkäufers wollte eigentlich Schauspielerin werden, reüssierte dann jedoch im Journalismus. Sie schrieb unter anderem für die „Vogue“, „The Nation“ und die „New York Times“, recherchierte für den Fernsehsender ABC. Politisch schlug ihr Herz links, sie unterstützte die schwarze Bürgerrechtsbewegung, demonstrierte gegen den Vietnamkrieg. Dass sie in einer Gesellschaft lebte, in der Frauen geringgeschätzt und systematisch kleingehalten wurden, ging ihr erst bei den Selbsterfahrungstreffen der New York Radical Women auf.
Von da an war sie mit dabei, wenn die Frauen Konferenzen organisierten oder sich lautstark Gehör verschafften – etwa, indem sie Zeitschriftenredaktionen besetzten, die dem klassischen Frauenbild huldigten, Kosmetikfirmen wegen ihrer weiblichen Schönheitsstandards attackierten, Bars belagerten, in denen keine „unbegleiteten Frauen“ bedient wurden, oder indem sie, chauvinistisches Verhalten nachahmend, Wall-Street-Banker belästigten.
1975 veröffentlichte die Journalistin dann eine bahnbrechende Studie, in der sie erstmals systematisch Ausmaß und Funktion von Vergewaltigung dokumentierte und analysierte. Das Buch wurde international begeistert aufgenommen: Hotlines und Begleitdienste für vergewaltigte Frauen entstanden, Gesetze wurden überarbeitet, und allmählich gelangten auch die Themen „Vergewaltigung in der Ehe“ und „Vergewaltigung als Waffe im Krieg“ ins öffentliche Bewusstsein.
Wer ist die siebenundachtzigjährige Anti-Porno-Aktivistin, deren Exponiertheit als Autorin ihr in der hierarchiekritischen Frauenbewegung gelegentlich Misstrauen eintrug und die bis vor kurzem noch an der New Yorker Pace University Women’s and Gender Studies lehrte?
Text: Brigitte Matern
Auflösung des Rätsels
Wir fragten nach der US-amerikanischen Feministin und Publizistin Susan Warhaftig, die unter ihrem Künstlernamen Susan Brownmiller bekannt wurde (*15. Februar 1935). 1970 veröffentlichte sie eine Biografie über die erste afroamerikanische Kongressabgeordnete (und spätere US-Präsidentschaftskandidatin) Shirley Chisholm. Ihre 1975 erschienene Studie trägt den Titel „Against Our Will – Men, Women, and Rape“ („Gegen unseren Willen – Vergewaltigung und Männerherrschaft“, 1978). Das Buch gilt heute als Klassiker des Feminismus. Brownmiller war Mitgründerin der umtriebigen Gruppe Women Against Pornography. Aufgrund ihrer Expertise äußerte sie sich ab 1993 auch zum Bosnienkrieg, unter anderem mit dem Essay „Making Female Bodies the Battlefield“. Die Geschichte der US-amerikanischen radikalen Frauenbewegung erzählt sie in der Autobiografie „In Our Time. Memoir of a Revolution“ (1999). brm
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