Die turbulent Einsame
Drei Jahre hatte sie auf die Einbürgerung gewartet, jetzt wollte sie nicht mehr. In diesem Land, das ihr einst so vorbildlich demokratisch erschien, war sie bespitzelt und als „Agentin Stalins“ diffamiert worden, bis sie beruflich keinen Fuß mehr auf den Boden bekam. Freiraum für unabhängiges Denken gab es in dieser hysterischen Atmosphäre nicht. Was sollte sie da noch mit dem US-amerikanischen Pass?
1905 in München geboren, war die radikale Liberale als ältestes von sechs Kindern in einem großbürgerlichen Haushalt aufgewachsen. Sie galt als blitzgescheit, aber verzogen, konnte perfekt Menschen nachahmen, log und klaute, wann immer es Spaß versprach. Schule fand sie öde, und das „Sau Sau Sau Kotz-Abitur“ bestand sie nur knapp. Doch dann zog sie ins brodelnde Berlin und machte sich – mit einer Vorliebe für skandalöse Stücke – als Schauspielerin einen Namen. Bis sie 1932 auf einer Kundgebung der Internationalen Frauenliga ein Antikriegsgedicht rezitierte. Von den Nazis attackiert, bekam die „plattfüßige Friedenshyäne“ (so der „Völkische Beobachter“) noch vor Hitlers Machtübernahme keine Engagements mehr.
Natürlich gab sie nicht klein bei. Anfang 1933 präsentierte sie einem begeisterten Münchner Publikum antifaschistisches Kabarett – gegen Lüge, Dummheit und Lethargie. Wenige Wochen später musste sie sich mit dem Ensemble nach Zürich in Sicherheit bringen, von wo aus sie gemeinsam durch Europa tourten. „Eine Patrouille der Menschlichkeit entlang der Front der Bestialität“ nannte jemand die Truppe, und Joseph Roth meinte, sie mache „zehnmal mehr gegen die Barbarei als wir alle Schriftsteller zusammen“. Ein ums andere Land jedoch beugte sich dem Druck der NS-Botschafter. Bis 1936 nach 1034 Vorstellungen endgültig der Vorhang fiel.
Der kabarettistische Neuanfang in den USA misslang, 1937 löste sich das Ensemble auf. Für sie selbst begann dort eine Zeit rastloser Aufklärungsarbeit. Landauf, landab hielt sie Reden über Hitler-Deutschland, publizierte Bücher, arbeitete kurze Zeit in London für den deutschen Sender der BBC und berichtete schließlich im Rang einer US-Offizierin von diversen Weltkriegsschauplätzen. Als sie nach 1945 registrierte, dass die USA die Ost-West-Konfrontation anheizten und KritikerInnen mundtot machten, zog sie sich enttäuscht und ausgebrannt in die Schweiz zurück, um sich bis zu ihrem Tod 1969 dem Werk ihres weltberühmten Vaters zu widmen.
Wie heißt die Urenkelin der Feministin Hedwig Dohm, die, bereits schwerkrank, so gern noch mit der Jugend gegen den Vietnamkrieg auf die Straße gegangen wäre?
Text und Bildcollage: Brigitte Matern
Auflösung des Rätsels
Diesmal fragten wir nach der Schauspielerin, Publizistin und Kinderbuchautorin Erika Mann (1905–1969). Ab 1. Januar 1933 war sie Texterin, Darstellerin und Managerin des Kabarett-Ensembles „Die Pfeffermühle“, das für einige Zeit im Zürcher Hotel Hirschen auftrat. 1935 wurde Erika Mann die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen, zu diesem Zeitpunkt besaß sie aber dank einer Scheinheirat bereits einen britischen Pass. Ihr Vater war der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann, den sie 1936 dazu nötigte, sich endlich öffentlich gegen Hitlerdeutschland auszusprechen.
Sie schrieb unter anderem das Buch „School for Barbarians. Education under the Nazis“ („Zehn Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich“), das 1938 in den USA zum Bestseller wurde. Bis zu ihrem Tod lebte sie im Haus der Eltern in Kilchberg am Zürichsee. brm
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