Elser6

Ein Vorbild für alle. Immer noch. Und vielleicht immer mehr

Ein Kommentar

Elser6

Heute vor 80 Jahren wurde im KZ Dachau ein überaus kühner, phantasievoller und beharrlicher Antifaschist ermordet. Ihm wäre es auf einen Schlag fast gelungen, die gesamte Naziführung zu enthaupten. Sein letzter Gang in Freiheit führte ihn durch die Konstanzer Innenstadt von der Marktstätte durch die Rosgarten- und die Hüetlinstraße zur Schwedenschanze.

Die Tage des von der deutschen Bevölkerung weitgehend mitgetragenen nationalsozialistischen Terrorregimes schienen gezählt an jenem Montag, den 9. April 1945: Die alliierten Truppen waren weit vorgerückt, Adolf Hitler hatte sich längst in den „Führerbunker“ zurückgezogen, die Zahl der zerbombten Städte wuchs, vielerorts hatten NS-Schergen die KZs verlassen und Häftlinge zu Todesmärschen gezwungen. War also Hoffnung angesagt?

Im KZ Dachau eher nicht. Viele ahnten zwar, dass sich das NS-System in Auflösung befand, man hörte zuweilen auch die US-amerikanische Artillerie, aber noch war das Morden nicht zu Ende. Das wußte auch der 42 Jahre alte Häftling, der Anfang Februar 1945 als Sondergefangener vom KZ Sachsenhausen nach Dachau überführt und in eine dauernd bewachte Einzelzelle des Kommandaturarrests gesteckt worden war. „Äußerlich unscheinbar“ sei er gewesen, „heruntergekommen, abgemergelt, ein Wrack“, so zitiert Hellmut G. Haasis in seinem Buch „Den Hitler jage ich in die Luft“ einen SS-Mann, der für den Häftling zuständig war. 

Der Inhaftierte sollte Recht behalten. Dass er am Kriegsende umgebracht werden würde, hatte er schon vorher befürchtet: „Wenn es auch meinen Tod bedeutet, aber ich weiß, dass Hitler mich nicht lange überleben wird“, soll er in Sachsenhausen einem SS-Wärter gesagt haben. Und so kam es auch.

Hinrichtung der Sonderhäftlinge

Am 5. April 1945 erteilte Gestapo-Chef Heinrich Müller nach einem Treffen von Heinrich Himmler und Hitler – auf Anweisung der NS-Führungsspitze also – den Befehl, die politischen Sonderhäftlinge des Regimes zu exekutieren. Darunter befanden sich Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 wie Hans von Dohnanyi (KZ Sachsenhausen), Wilhelm Canaris, Hans Oster, Ludwig Gehre, Karl Sack sowie der Theologe Dietrich Bonhoeffer (alle KZ Flossenbürg). Sie wurden am Morgen des 9. April 1945 zum Galgen geführt und gehängt. 

Am Abend desselben Tags erreichte um 21 Uhr abends der SS-Mann Wilhelm Gogalla mit dem Hinrichtungsbefehl das KZ Dachau. Er übergab das Schreiben dem Kommandanten, der es weiterreichte. Kurz danach holte ein SS-Aufseher den Mann, der in den fünf Jahren und fünf Monaten seiner Inhaftierung nie Post oder Besuch erhalten hatte, an einem Magengeschwür litt und in der Haft zum Kettenraucher wurde, aus der Zelle. Der zog sich den Mantel über, wurde von zwei SSlern durch das Tor aus dem Lager zum Krematorium geführt, wo ab März 1943 oft Häftlinge per Genickschuss getötet worden waren und der SS-Oberscharführer Theodor Heinrich Bongartz wartete. Es war schon längst stockfinster, als Mitglieder des kleinen Kommandos so gegen 23 Uhr ein, zwei Schüsse hörten und einer von ihnen von Bongartz herbeigerufen wurde, um eine Leiche zu holen.

Sie sei sofort zu verbrennen und zwar – anders als sonst – samt Kleidung, habe der Oberscharführer angeordnet. Der Tote war klein, so erinnerten sich ein Häftlingskapo und ein Mitglied des Verbrennungskommandos  später, vielleicht 1,69 Meter groß, schmächtig, glatt rasiert. Und wurde am nächsten Tag verbrannt. Zwanzig Tage später befreiten US-Truppen das KZ.

Von 1925 bis 1932 in Konstanz

So endete vor genau 80 Jahren das Leben von Johann Georg Elser, geboren 1901 in Hermatingen, aufgewachsen in Königsbronn auf der Schwäbischen Alb, Kunstschreiner, Wanderarbeiter und Antifaschist, dem beinahe das schier Unmögliche gelungen wäre: ein Attentat auf die gesamte Führungsspitze der NSDAP.  

Über ihn, seine Tat (den Bombenanschlag am 8. November 1938 in München, der Hitler und Konsorten nur um Minuten verfehlte), seine Beweggründe und sein Leben ist viel geschrieben worden (auch auf seemoz): Seine Jugend war durch große Armut geprägt gewesen, also begab sich der Schreinergeselle auf Wanderschaft, kam an den Bodensee, lebte sieben Jahre in Konstanz (wo er politisiert wurde und immer wieder den Arbeitsplatz verlor – Näheres siehe das Kapitel zu Elser im Buch „Druck. Machen – Eine etwas andere Stadtgeschichte von Konstanz“), bevor er einem Hilferuf seiner Mutter folgend auf die Alb zurückkehrte. Und darüber nachzudenken begann, „wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden könnte“ (so ein Zitat aus dem Gestapo-Verhörprotokoll).

Seine Antwort auf diese Fragen führte ihn zu einer sorgfältig vorbereiteten und über Monate hinweg umgesetzten Wühlarbeit in einer Säule des Bürgerbräukellers. Dort hatte Hitler am 9. November 1923 einen Putsch ausgerufen, und dort – pünktlich zur Jubiläumsveranstaltung der NSDAP am 8. November 1938 – platzierte Elser Sprengstoff und Zünder. 

Und heute?

Kurz danach war der gesellige, der linke und stur geradlinige Arbeiter auf dem Weg nach Konstanz, wo er sich auskannte: Er kam mit dem Schiff am Hafen an und ging Richtung Grenze. Was kurz vor dem Grenzzaun geschah, wo Elser verhaftet wurde, wohin ihn Zöllner brachten – das ist auch Thema der diesjährigen 1.-Mai-Demonstration, die um 10 Uhr am Hauptzoll beginnt und an der Schwedenschanze vorbeiführt. Es informiert Markus Sonnenschein vom Hauptzollamt Singen.

Fast so spannend wie Elsers Geschichte ist das, was nach 1945 passierte: Seine heroische Tat geriet in Vergessenheit. Im öffentlichen Bewusstsein der BRD gab es damals nur zwei Widerstandshandlungen – die Flugblattaktion der Geschwister Scholl 1943 und das Attentat vom 20. Juli 1944, ausgeführt von Leuten, die sich erst allmählich der NS-Diktatur widersetzten. Elsers frühe und mutige Tat wurde hingegen auch nach der Veröffentlichung der Verhörprotokolle Ende der 1960er Jahre nicht ernst genommen: Er habe im Auftrag des britischen Geheimdiensts gehandelt, kolportierten noch viele die Nazi-Legende; andere (wie Martin Niemöller) behaupten weiterhin, er sei mit der SS verbandelt gewesen.

Dass ein Arbeiter allein und auf sich gestellt mit so großer Weitsicht handeln und die richtige Entscheidung treffen kann – undenkbar! Ist ein provinzieller Handwerker intellektuell überhaupt zu Widerstand fähig? Eher nein. Diese arrogante Klassenhaltung prägte über Jahrzehnte hinweg die Wahrnehmung eines Großteils des Bürgertums.

Magere Erinnerung

Inzwischen hat sich das geändert. Georg Elser und seine Tat sind mittlerweile vielfach präsent. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin erinnert an ihn schon länger, in seinem Heimatort Königsbronn gibt es Initiativen und einen sehenswerten Gedenkort, zu seiner Geschichte sind mehrere Bücher erschienen (darunter das von Haasis, aus dem einige Infos zu diesem Text stammen), der Georg-Elser-Arbeitskreis informiert weiterhin en detail über alles Wissenswerte …

Es fehlt also nicht mehr an Fakten. Und doch bleiben Fragen: Warum versteckt eine Stadt wie Konstanz, die eigentlich stolz auf einen solchen ehemaligen Mitbürger sein müsste, die Erinnerung an Elser mit einer Büste in einem meist zugesperrten Gelände an der Schwedenschanze? Und warum gibt es – abgesehen vom Elser-Platz in der eher abgelegenen ehemaligen Klosterkaserne – keinen öffentlichen Hinweis auf seine Präsenz in der Stadt?

Orte dafür gäbe es: Elser wohnte beispielsweise längere Zeit im Hinterhaus der Inselgasse 15, zog 1930 in die Gebhardtstraße 4 um und fand am Schluss noch in der Fürstenbergstraße 1 (inzwischen abgerissen) Unterkunft. Er hat in der Fischenzstraße gearbeitet – zuerst in der Uhrenfabrik Constatia, dann für das Uhrenunternehmen Schuckmann & Co. Und dann ist da noch sein letzter Weg vom Hafen zur Schweizer Grenze: Marktstätte, Rosgartenstraße, Bodanplatz, Hüetlinstraße, Kreuzlinger Straße, Schwedenschanze – so viele Möglichkeiten für Gedenkstelen oder Tafeln. 

Ob sich die Verantwortlichen in Verwaltung und Gemeinderat wohl jemals zu einer wirklich öffentlichen, allseits präsenten, also auch für auswärtige Besucher:innen erkennbaren Erinnerung an den antifaschistischen Handwerker durchringen werden?

Text: Pit Wuhrer
Foto Elser: Schweizerisches Bundersarchiv / Foto Hinweis auf Elsers Unterkunft während seiner Attentatsvorbereitung in München: Pit Wuhrer

Ein Kommentar

  1. Thomas Willauer

    // am:

    Gabriele Krone-Schmalz darf in Konstanz nicht über Wege zum Frieden reden. Dunja Hayali, die Mainstreamjournalistin, schon lange im Lager der Kriegstüchtigkeitsbefürworter (Kriegstüchtigkeit ist Staatsraison und kein Schimpfwort), bekommt in Konstanz einen Preis. Und der ist auch noch nach Georg Elser benannt. Schlimmer geht immer.

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