In ihrem Kampf gegen die auf dem Chroobach vorgesehenen Windräder musste die Gemeinde Hemishofen kürzlich vor Gericht eine herbe Niederlage einstecken. Doch nun bekommt sie unerwarteten Beistand: Nur wenige hundert Meter von den geplanten Turbinen entfernt befindet sich Deutschlands vermutlich größter Winterschlafplatz von Rotmilanen. Über 200 Vögel sollen es sein.
Der Chroobach ist kein Bach, sondern die westliche Verlängerung des Schienerbergs. Als kaum 500 Meter breiter und 1500 Meter langer Finger des Kantons Schaffhausen schiebt er sich östlich von Ramsen in deutsches Gebiet. Die nächsten Dörfer sind der Öhninger Ortsteil Schienen und der Rielasinger Ortsteil Worblingen.
In seinem Richtplan, vergleichbar dem deutschen Regionalplan, bestimmt der Kanton Schaffhausen den Chroobach als Windenergiegebiet. Mit umfangreichen Untersuchungen und Abwägungen, die bis ins Jahr 2009 zurückreichen, hatte man im Kanton drei potenzielle Standorte für Windkraftanlagen ermittelt. Davon liegt allein der Chroobach nicht in einem Naturschutzgebiet und wurde auch deshalb als Pilotprojekt ausgewählt.
Die Projektgemeinschaft Chroobach Windenergie, bestehend aus dem Elektrizitätswerk des Kantons Schaffhausen (EKS) und den Schaffhauser Stadtwerken SH Power plant vier Windanlagen mit einer Nabenhöhe von jeweils 131 Meter, einem Rotordurchmesser von 138 Meter und einer maximalen Leistung von 4,2 Megawatt pro Turbine. Die Windräder sollen alle in einem Wald oberhalb des Hofguts Oberwald errichtet werden, der zwar auf dem Gemeindegebiet von Hemishofen liegt, jedoch im Eigentum der Stadt Stein am Rhein steht. Diese würde dafür dann auch Pacht bekommen.
Das Projekt auf dem Chroobach
Mit dem Stromertrag dieser Windkraftanlage, so rechnet die Projektgemeinschaft, könnten rechnerisch rund 9000 Haushalte versorgt werden. Das entspreche in etwa der Strommenge, die aktuell im gesamten Kanton durch Solaranlagen produziert werde, weiß Thomas Fischer, Geschäftsführer des EKS. Zwei Millionen Franken habe man bereits in das Vorhaben investiert.
Mit dem Verkauf von „Windaktien“, also Beteiligungen, versucht die Projektgemeinschaft, Bürger:innen in das Projekt einzubinden. 370 Personen hätten bereits ihr Interesse bekundet, schreibt Projektleiter Patrick Schenk. Ob diese allerdings in der Umgebung des Chroobach wohnen oder sonst irgendwo, will Schenk „aus datenschutzrechtlichen Gründen“ nicht verraten.
Nicht einverstanden mit den Chroobach-Windrädern sind aus unterschiedlichen Gründen die benachbarten deutschen Kommunen von Singen bis Öhningen. Der Landkreis Konstanz begründete in der Anhörung zum Richtplan seine Kritik mit dem Landschafts- und Artenschutz. Vogelbrutplätze auf deutscher Seite seien in der Bewertung des Standorts nur unzureichend berücksichtigt. „Im unmittelbaren Umfeld der Anlagen sind Brutplätze von Rot- und Schwarzmilan bekannt.“ Und bemerkt weiter: „Eine von den geplanten Anlagen ausgehende erhebliche Beeinträchtigung der Brutvögel kann demzufolge nicht ausgeschlossen werden, so dass nach den Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes Großwindanlagen an dem geplanten Standort grundsätzlich nicht zulässig wären.“
Hemishofen wehrt sich
Das könnte der Projektgesellschaft egal sein, wäre nicht auch die Gemeinde Hemishofen gegen den Windpark auf dem Höhenrücken über ihrem Dorf. Vor dem Schaffhauser Obergericht klagte das Dorf auf Zuständigkeit für die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) des Vorhabens, die stattdessen der Kanton vornehmen will. Dieser stehe in einem Interessenkonflikt, insofern ihm das maßgeblich am Projekt beteiligte EKS gehöre und ihm so die Erträge aus dem Windpark zufielen. Das Gericht wies die Klage ab. Nicht die Gemeinde, sondern das kantonale Baudepartement sei für die UVP und die Baubewilligung zuständig.
Die Projektgesellschaft hat inzwischen ihren Bauantrag eingereicht. Flankierend dazu gründeten Energiefachmänner und Lokalpolitiker der sozialdemokratischen Partei SP und der Grünliberalen den Lobbyverein „Pro Wind“, der die Öffentlichkeitsarbeit für das Projekt übernommen hat. Ihm gegenüber stehen die Windkraftgegner von „Gegenwind“.
Dem widerborstigen Hemishofen bleiben nach der Niederlage vor dem Obergericht noch zwei Trumpfkarten. Da ist zum einen die notwendige Änderung des Zonenplans, dem Äquivalent des deutschen Flächennutzungsplans. Dies bleibt weiterhin Sache der Gemeinde. Was bislang als Wald ausgewiesen ist, muss in Flächen für Windkraftanlagen umgewidmet werden. Erst auf massiven Druck des Kantons hat die Gemeinde das Änderungsverfahren überhaupt nur angestoßen.
Das Ergebnis, noch ist es offen, muss von der Gemeindeversammlung, eventuell gar von einer kommunalen Volksabstimmung abgesegnet werden. Schon damit ist klar, dass die Umzonung auf demokratischem Weg nicht durchkommen wird. Das Obergericht droht allerdings, die Gemeinde sei verpflichtet, ihre Zonenordnung an den kantonalen Richtplan anzupassen und die dort vorgesehene Windenergiezone auszuweisen. Man darf gespannt sein, wie dieser Konflikt ausgehen wird.
„Pro Wind“ contra „Gegenwind“
Zweiter Trumpf der Windkraftgegner:innen ist ein Winterschlafplatz der Rotmilane. Dieser sei nur wenige hundert Meter von einer geplanten Windturbine entfernt. Rotmilane und Windräder sind quasi Todfeinde. Der Rotmilan sucht mit seinen scharfen Augen gern die Brachflächen zu Füßen eines Windrads nach Beute ab, gerät dabei in den Rotor – und stirbt. Zusammen mit dem weitaus häufigeren Mäusebussard führt er die Liste der von Windenergieanlagen getöteten Vögel an und ist so zu einem Symbol für den Konflikt zwischen erneuerbaren Energien und Artenschutz geworden.
So wie das Windrad den Rotmilan tötet, ist dieser oft genug auch ein Knock-out-Argument für ansonsten geeignete Standorte von Windturbinen. Windenergieprojekte müssen für eine Genehmigung nachweisen, dass die Rotmilane nicht durch den Bau des Windrads früher oder später mit diesem kollidieren und zu Tode kommen würden.
„An der letzten Zählung vom 30. November 2024 war ich persönlich vor Ort und konnte mich von der eindrücklichen Zahl Rotmilane überzeugen“, schreibt Gemeindepräsident Giorgio Calligaro (parteilos) in einer Medienmitteilung. Die Projektgesellschaft, so der Vorwurf der Gemeinde, haben in ihrem Umweltverträglichkeitsgutachten den Schlafplatz nicht berücksichtigt. Dieser sei aber ein Ausschlusskriterium für den Windpark.
„Pro Wind“ kontert in einem offenen Brief an den Hemishofer Gemeinderat: Der Schlafplatz sei eine neue Entwicklung und 2021, als das Umweltverträglichkeitsgutachten erstellt worden sei, noch nicht vorhanden gewesen.
Vieles spricht allerdings dafür, dass die Milane damals, ob versehentlich oder gewollt, einfach übersehen wurden. Denn bereits 2017 schrieb der Landkreis Konstanz in der Anhörung: „Im unmittelbaren Umfeld der Anlagen sind an der ca. 500 Meter entfernten Nordflanke des Schienerbergs gemäß der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) Kartierungen aus dem Jahr 2014 zu Vorkommen und Brutplätzen von Rot- und Schwarzmilan bekannt.“
Die Windkraftbefürworter:innen argumentieren dann weiter, die Winterschlafplätze seien „volatil“ und im nächsten Jahr vielleicht ganz wo anders. Man wisse auch nicht, aus welcher Richtung die Vögel ihr Nachtquartier anflögen; sowieso sei die Hauptgefahr für den Milan nicht das Windrad, sondern der Verlust geeigneten Lebensraums.
Wie sich Rotmilan und Windrad vertragen können
Tatsächlich ist die häufigste menschengemachte Todesursache für den Rotmilan eine Vergiftung. Das Gift wird aufgenommen, wenn sich der Raubvogel über Ratten oder Mäuse hermacht, die ihrerseits durch Giftköder geschwächt oder schon verendet sind. An Todesursachen weit oben rangieren auch der Schienen- und Straßenverkehr.
Die Kollision mit Windturbinen scheint demgegenüber eher nachrangig. Allerdings, so erste Veröffentlichungen einer umfangreichen Studie, verendet immerhin noch jeder zwölfte Rotmilan durch den Zusammenstoß mit einem Windrad. Abhilfe könnten Antikollisionssysteme (AKS) schaffen, die anfliegende Vögel frühzeitig erkennen und daraufhin den Rotor abbremsen oder ganz anhalten.
Mit Knowhow aus dem Bereich der Flugabwehr und in Zusammenarbeit mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall hat das Husumer Unternehmen ProTecBird ein solches System auf den Markt gebracht. Parallel dazu und gefördert durch das Umweltministerium Baden-Württemberg arbeiten auch schwäbische Ingenieur:innen an einem AKS für Windanlagen. Sie entwickeln den „Birdrecorder“.
Möglich also, dass es auf den Chroobach dereinst zu einer friedlichen Koexistenz von Rotmilan und Windkraft kommt, und der Klimaschutz einmal nicht zulasten des Artenschutzes geht. Doch werden sich die Hemishofer:innen damit abfinden?
Text: Ralph-Raymond Braun
Bilder: Visualisierungen des Projekts: https://chroobach.ch/visualisierungen / Rotmilan: RoyBuri, pixabay / Karte: Screenshot der Landeskarte Schweiz, rot eingezeichnet ist das Chroobachgebiet (geo.admin.ch)
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