Notstand Der Menschlichkeit Kundgebung Konstanz 2024 09 28 © Anna Blank

Die wirklich größte Gefahr

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Notstand Der Menschlichkeit Kundgebung Konstanz 2024 09 28 © Anna Blank


Seit den großen Demos und Kundgebungen im Frühjahr ist der gesellschaftliche Protest gegen rechtsextreme Pläne zur „Remigration“ von Flüchtlingen abgeebbt. Vielleicht auch deswegen, weil mittlerweile fast alle Parteien ihre eigenen Remigrations-Vorschläge haben und teilweise auch umsetzen. Doch noch gibt es Widerspruch – zum Beispiel am Samstag in Konstanz.

Möglicherweise hat das Wetter dazu beigetragen. Jedenfalls regnete es aus einem kaltgrauen Himmel, als sich am Samstag um fünf nach zwölf Uhr nur knapp hundert Menschen auf der Marktstätte versammelten. Aufgerufen zur Kundgebung mit dem Titel „Notstand der Menschlichkeit“ hatten unter anderem Amnesty International, die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, die lokalen Flüchtlingshelfer:innen von Sea-Eye, Save me, Seebrücke und Cafè Mondial sowie eine Reihe weiterer Organisationen und Initiativen.

Mit federführend war das Bündnis „Konstanz für Demokratie – Klare Kante gegen rechts in Stadt und Landkreis“, dessen Sprecher Anselm Venedey eine Rede hielt, die seemoz hier veröffentlicht:

Ein unverrückbares Menschenrecht

„Die Entwicklungen der letzten Monate habe uns alle entsetzt. Plötzlich werden Themen kontrovers diskutiert, bei denen über Jahre zumindest unter einem Großteil der demokratischen Parteien Konsens herrschte. 

Inzwischen haben sich Politiker beinahe jeder Couleur vom Paulus zum Saulus zurückverwandelt. 

Entscheidungen, die auch hier in Konstanz einstimmig oder mit grosser Mehrheit getroffen wurden, wie zum Beispiel der Gemeinderatsbeschluss 2018, dass sich Konstanz als „Sicherer Hafen“ gegen die Kriminalisierung der Bootsflüchtlinge positioniert und für deren Aufnahme ausspricht, wären vermutlich heute nicht mehr durchsetzbar. 

Wir versammeln uns deshalb heute hier, um unmissverständlich klarzustellen, dass für uns das Recht auf Asyl ein unverrückbares Menschenrecht ist und bleiben wird. 

Aufrüstung für die AfD

Wir schliessen uns dem hysterischen Geschrei grosser Teile der Politik, die den rechten Hetzern der AFD nachlaufen und diese in der Diskussion um Migration teilweise noch überbieten wollen, nicht an. Niemals.

Wir fordern deshalb laut und unüberhörbar alle Parteien auf, zu einer Sprache und vor allem zu einer Politik der Menschlichkeit zurückzukehren und nicht der billigen Rhetorik der Rechten auf den Leim zu gehen. Es wird sich für die etablierten Parteien nämlich definitiv nicht auszahlen, die AfD-Rhetorik zu übernehmen. Denn im Zweifel werden die Wählerinnen und Wähler eben doch das Original wählen und nicht die Kopie. Die Landtagswahlen der vergangenen Wochen haben das eindrücklich bewiesen. Die rhetorische und inzwischen auch politische Aufrüstung der sogenannten Mitte hat die AfD nicht geschwächt – sondern sie noch stärker gemacht.

Wir, die wir uns hier zusammengefunden haben, widerstehen dieser Rhetorik, dieser Politik und dem dahinterstehenden Versuch, das Asylrecht zu beschneiden. 

Wir widerstehen …

Wir widerstehen, weil wir es nicht nur sagen, sondern wissen, dass jedes Menschenleben den gleichen Wert hat. 

Wir widerstehen, weil wir um die Umstände wissen, die dazu führen, dass Menschen ihre Heimat auf teilweise lebensgefährlichen Routen verlassen, um bei uns Schutz zu suchen. Und wir sind uns bewusst, dass wir einen wesentlichen Anteil am Leid dieser Menschen haben. Es sind meist Menschen, die aus der Dritten Welt zu uns kommen, aus Bürgerkriegsländern und als politisch oder religiös Verfolgte. 

Wir widerstehen, weil wir wissen, dass mit der Aushöhlung der unveräusserlichen Menschenrechte an den Außengrenzen der EU auch die Menschenrechte in unserem eigenen Land schwinden werden. 

Wir widerstehen, weil wir wissen, dass wir mit der Ausgrenzung von Schutzbedürftigen den Rassismus nicht bekämpfen, sondern ihn im Gegenteil erst salonfähig im Inneren machen. 

Wir widerstehen, weil wir die Verrohung der Sprache mit der daraus folgenden Verrohung des menschlichen Miteinanders nicht akzeptieren können. Es gibt keine Menschen erster und zweiter Klasse! 

Wir widerstehen, weil wir wissen, dass viele der Probleme, die die misslungene Integration tatsächlich mit sich bringen kann und die selbstverständlich mit den Mitteln des Rechtsstaates bekämpft werden müssen, hausgemacht sind. Wahre Integration fand in den letzten Jahrzehnten kaum statt, blieb Stückwerk. Unsere Gesellschaft blieb ein geschlossener Zirkel, den nur wenige Geflüchtete erfolgreich durchbrechen konnten. Sprachangebote und Integrationskurse fielen immer häufiger der angeblichen Finanzknappheit zum Opfer. Gesellschaftliche Teilhabe wurde so zu einer Schimäre. 

Ungenutztes Potenzial

Natürlich sprechen alle Politiker, die nicht zur AfD gehören, davon, dass wir Facharbeiter wie Pflegekräfte oder Ingenieure dringend brauchen. Das ist richtig: Ohne diese würde als erstes unser Kranken- und Pflegesystem sofort zusammenbrechen. Doch anstatt das enorme Potenzial zu nutzen, das die allermeisten Geflohenen in unser Land bringen, bauen wir bürokratische Hürden auf, müssen zum Beispiel ausgebildete Handwerker aus Afrika erneut eine Lehre machen, muss medizinisches Personal mühsam seine Qualifikation nachweisen. 

Natürlich träumen auch wir von einer Welt, in der die Flüchtlingsströme verebben. Aber wir wollen diese Flüchtlingsströme nicht auf dem Meer im Tod enden lassen. Wir wollen, dass die Menschen sich erst gar nicht auf den gefährlichen Weg zu uns machen müssen. 

Wir wollen, dass sie und ihre Familien in ihrer Heimat ein Leben in Freiheit, Frieden und angemessenem Wohlstand leben können. 

Nur dort, in den Heimatländern, können wir das sogenannte „Migrationsproblem“ lösen. Und wir alle können dazu beitragen, indem wir uns der Ausbeutung verweigern, indem wir dort helfen, demokratische Strukturen aufzubauen, indem wir faire Preise bezahlen und auf fairen Handel setzen und indem wir eine Politik der Mitmenschlichkeit einfordern. 

Was Probleme löst

Ein Kotau vor den Potentaten am Persischen Golf und anderswo in der Welt wird diese Probleme nicht lösen.

Doch inzwischen müssen und werden wir weiterhin den Menschen, die vor Gewalt, Repression und Armut keinen anderen Ausweg sehen, als ihr Leben zu riskieren und zu uns zu kommen, unsere Hand reichen und nehmen sie wohlwollend bei uns auf. Denn sie haben denselben Umgang verdient, den wir unseren Nächsten zuteil werden lassen.

Liebe Freundinnen und Freunde, lassen Sie uns nicht damit aufhören, unsere Meinung zum Asylrecht, zu den unveräußerlichen Menschenrechten zu sagen, nur weil wir befürchten, dass es ohnehin zu spät sein könnte. 

Wie wichtig unsere Stimme ist und wie dringend ein Kurswechsel der Politik nötig ist, zeigen nicht zuletzt die unerträglichen Angriffe auf die Demokratie seitens der AfD bei der konstituierenden Sitzung des Landtags in Thüringen. Doch das war leider nur Anfang.

Lassen Sie uns den Politikerinnen und Politikern zeigen, dass wir viele sind und dass wir hartnäckig sind. 

Und lassen Sie uns deutlich aussprechen, dass es sich auch lohnen kann, um uns Wählerinnen und Wähler zu kämpfen, die die größte Gefahr für unsere Gesellschaft nicht in der Zuwanderung, sondern in den aktuellen Entwicklungen im Inneren selbst sehen.“ 

Text: Anselm Venedey / pw
Fotos: Anna Blank und Daniela Frey

2 Antworten

  1. Werner Volk

    // am:

    Ich staune nicht schlecht. Worte, die vor den Wahlen gut gepasst hätten. Aber es ist ja nicht zu spät. Decken wir die Sprache der Parteien auf, die im AfD-Jargon unterwegs sind, und beweisen wollen, wie Abschottung kreiert werden kann.

  2. Christina Herbert-Fischer

    // am:

    danke für diesen Artikel. Wir sollten niemals aufgeben für die Menschenrechte, die Würde des Menschen und unsere christlichen Werte zu kämpfen.

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