Blog Lesen+schreiben Symbolbild Sanna Dietrich © Schwarze Geiß

„Die vorletzte Frau“

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Sie war jahrelang Buchhändlerin in der Schwarzen Geiß – und nimmt weiterhin Bücher in die Hand. Manche bespricht Sanna Dietrich sogar. Weil sie „es liebt, Entdeckungen mit anderen zu teilen“. Zum Beispiel das neue Buch von Katja Oskamp.

„Wir wissen, dass alles, was kommt, auch wieder geht / warum tut es dann immer wieder und immer mehr weh?“ Diese Liedzeile von Gundermann habe ich im Ohr, wenn ich über das Buch von Katja Oskamp nachdenke.

„Die vorletzte Frau“, so heisst das Buch, ist die Geschichte einer großen Liebe, die zwischen einer unglücklich verheirateten Frau mit Putzzwang und ihrem fast zwanzig Jahre älterem Literaturdozenten, dem erfolgreichen Schweizer Schriftsteller, ausbricht.

Ausbrechen und aufbrechen wird dann auch die nächsten Jahre das grosse Thema der beiden, erotisch, emotional und in einem endlosen Gespräch über Literatur und Philosophie. 

„Sex und Text“ – unter diese Überschrift stellen die beiden das gemeinsame Leben, das auch immer ein getrenntes Leben bleiben sollte. Die Erzählerin hat eine Tochter, sie ist Geliebte, angehende Schriftstellerin, aber auch hingebungsvolle Mutter. Die verschiedenen Rollen, die sie spielt lassen sich mit Tosch, dem Geliebten, nur bedingt unter einen Hut bringen. 

Allein sein können, ohne einsam zu sein – so beschreibt die Erzählerin das in ihrer Psychoanalyse erlernte. Es wird eine Grundvoraussetzung für ihre Beziehung zu Tosch.

„Tosch liebte meine Texte und meinen Hintern. Ich liebte Toschs Pranken und sein Lektorat.“ Und etwas anderes verbindet die Liebenden: das unbedingte Verlangen, sich nicht zu schonen, die Hörgeräte und erotischen Fantasien auf den Tisch zu legen, sich auszuliefern in dem Bewusstsein, gehalten zu sein. „Dies, dachte ich damals, dachte ich später, denke ich heute, findest Du nie wieder.“

Flirt ums Leben

Die Jahre zwischen dreissig und vierzig, so reflektiert die Frau, waren gute Jahre, in denen sie im Vollbesitz ihrer Kräfte zwischen den Rollen der Mutter, Geliebten und Schriftstellerin pendelt, in Erwartung einer Steigerung.

Doch ein zufällig entdeckter Krebs des Mannes wirft das gewachsene Gleichgewicht über den Haufen. Prostata. Operation, Strahlentherapie – die Geliebte wird zur Pflegerin, der so sehr auf seine Ungebundenheit pochende Tosch zum Patienten, der in der Onkologie mit den Krankenschwestern um sein Leben flirtet.

Das Pendeln wird von einer freiwilligen, lustvollen Angelegenheit zu einer Qual. Sobald die Tochter in der Schule ist, muss der kranke Mann in seiner Wohnung versorgt werden. Eine Reha kommt für den Freigeist nicht in Frage, die Geliebte, später seine Schwester haben die Aufgabe, ihn aufzufangen. Pendeln zwischen Berlin und Zürich, Krankenhäuser, Operationen. Die Tochter in Berlin in der Pubertät. Der Mann in Zürich im Krankenhaus, immer neue Probleme, Behandlungen. Die Frau flüchtet in ein eigenes Leben, weit ab von der glamourösen Existenz als Vorzeigefrau des Großschriftstellers erobert sie sich ein Stück ihrer Ost-Identität zurück, als Fußpflegerin in Marzahn. 

Viele Versuche

Aus ihren Erlebnissen mit den Menschen, mit denen sie arbeitet, wird ihr  viertes  Buch, und ihr erster Erfolg als Schriftstellerin werden: „Marzahn, mon amour“.

Jahrelang bemühen sich die Liebenden, sich nicht zu verlieren, aber Toschs Umzug zurück in die Schweiz, um dem deutschen Finanzamt zu entkommen, setzt eine Zäsur. Die Abschiede häufen sich, die Tochter geht aus dem Haus, der geliebte Kater, der in der kleinen Familie der Mann, der Macker war und oft das Bindeglied zwischen Mutter und Tochter, stirbt. 

„Tosch, trennen wir uns gerade? Klammheimlich und schleichend?“ – „Aber nein“ sagte Tosch. 

Die Liebe ist noch da. Die Zuversicht wächst mit dem gemeinsamen Lachen, mit absurden Plänen für die Zukunft, eine Hochzeit, einen Umzug in die Schweiz … bei genauerer Betrachtung eine Hölle für zwei Menschen, die keine gute Erfahrung mit ihren Ehen gemacht hatten. Doch sie wollen es schaffen. 

Daz4ed

Sie schaffen es nicht. – Tosch wird der Mann ihres Lebens bleiben. – Und bald eine neue, jüngere Frau an seiner Seite haben. 

Beide kommen zurecht. 

Womit ich nicht zurecht komme ist eine Rezension in der NZZ, die Katja Oskamp eine Abrechnung  mit ihrem Ex-Partner unterstellt. Für mich ist es eine nachgetragene, mal rotzige, mal zärtliche Liebeserklärung. 

Text: Sanna Dietrich / Foto: Symbolbild íhres Blogs Lesen+Schreiben

Katja Oskamp: „Die vorletzte Frau“. park x ullstein. 208 Seiten. 22 Euro

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