Für den 9. November laden mehrere Vereinigungen – darunter die Deutsch-Israelische Gesellschaft Bodensee und die Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Konstanz – zu einer Lesung ins Überlinger Augustinum ein. Die Frage dieses Abends am 85. Jahrestag der Nazi-Novemberpogrome 1938: Was ist eigentlich jüdisch? Dazu hat die Referentin kürzlich ein Buch veröffentlicht. Hier eine Rezension.
Die Journalistin Andrea von Treuenfeld hat 26 in der Öffentlichkeit stehende („deutsche”) Juden und Jüdinnen im Alter von zwischen Mitte zwanzig und Anfang vierzig befragt und ihre Ergebnisse als kurze Porträts in einem Buch veröffentlicht. Sie fragte vor allem danach, wie die Porträtierten sich heute fühlen und was „Jüdisch-sein“ für sie bedeutet.
Befragt wurden Schauspieler*innen und Musiker*innen, Schriftsteller*innen, aber auch Politiker*innen und Aktivist*innen jüdischer NGOs und des Politikbetriebs. Sie geben einen Einblick in ihr Leben und ihre Biografien, berichten von der sehr unterschiedlichen Bedeutung, die Traditionen (darunter in erster Linie die jüdische) für sie haben. Es wird deutlich, dass die jüdische Tradition eine ist, die von ihnen sehr unterschiedlich verstanden wird. Pluralität zeigt sich auch im Umgang mit Israel, das für einige das Land ihrer Staatsbürgerschaft, für andere aber – im realen wie übertragenen Sinne – weit entfernt ist.
Mehr als eine Antwort
Das Buch zeigt, dass es auf die Frage nach dem „Jüdisch-sein” vielleicht nicht die eine Antwort gibt; ist es für die einen „Tradition”, sagen andere „Kultur”, „Religion” oder gar (individuelles) Lebensgefühl. Bei der Definition spielt zum einen die Familie und damit die Herkunft eine große Rolle, sind doch einige in Deutschland geboren, andere aus Israel, den Staaten der ehemaligen Sowjetunion oder den USA hierher gekommen. Zum anderen zeigen die Antworten eine gewisse Vielfalt, etwa im Umgang mit Sprache oder im Verständnis von „Heimat”. Diese Vielfalt, und damit auch die Differenzen und die Diversität, prägen heute moderne Gesellschaften – und zeigen sich auch in der jüdischen Community.
Antisemitismus haben die meisten erfahren. Die Herausgeberin wollte aber, wie sie schreibt, in ihrem Vorhaben „jene drei Begriffe [vermeiden], mit denen Juden und Jüdinnen immer noch in Verbindung gebracht werden: Shoa, Antisemitismus und Nahostkonflikt”. Das blendet zwar sehr viel aus, ermöglicht es aber auch, einen Ausschnitt aus der Vielfalt des zeitgenössischen jüdischen Lebens in Deutschland zu zeigen.
Ein umfangreiches und nützliches Glossar mit Begriffen aus dem Judentum schließt den stellenweise sehr persönlichen und nicht nur deswegen wertvollen Band ab.
Text: Bernd Hüttner
Foto: Pixabay
Mehr Informationen zum Überlinger Abend mit Andrea von Teuernfeld stehen im seemoz-Veranstaltungskalender.
Andrea von Treuenfeld: „Jüdisch jetzt. Junge Jüdinnen und Juden über ihr Leben in Deutschland“; Gütersloher Verlagshaus, München 2023, 254 Seiten, 22 Euro
Schreiben Sie einen Kommentar