Al Tabieen Schulmassaker 2024 08 10 Cc By Sa 4.0 Wikimedia Commons

Die Schere im Kopf

12 Kommentare

Al Tabieen Schulmassaker 2024 08 10 Cc By Sa 4.0 Wikimedia Commons
Folgen eines israelischen Angriffs auf die Al-Tabieen-Schule am 10. August 2024


Die deutsche Diskussionskultur krankt an der ihr selbst auferlegten Selbstzensur, wenn es um den Konflikt Israel und Palästina geht. Ein TV-Talk bei Markus Lanz illustriert dies eindrücklich.

Das Sprechen über Israel fällt vielen Deutschen schwer. Im Diskurs schwingt immer die Last der Vergangenheit mit: Aufgrund des millionenfachen Mordens von Jüdinnen und Juden lässt das viele einen Bogen schlagen, Israel zu kritisieren – besonders nach dem schrecklichen Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023. Der israelische Philosoph Omri Boehm, der auch eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, brachte diese verquälten und zögerlichen Positionsbezüge der deutschen Politikerinnen und Intellektuellen einmal auf folgende Formel: Die Haltung der Deutschen sei „eine unachtsame Art der Achtsamkeit“.

Sensibilisiert durch den Historikerstreit

Als Geburtsdatum des achtsamen deutschen Diskurses, zumindest in der politischen Elite, kann der „Historikerstreit“ von 1986 gelten. Damals hat Jürgen Habermas eine Debatte ausgelöst, um dem apologetischen Umgang mit dem Holocaust einiger deutscher Historiker entgegenzutreten. Überraschenderweise schaffte es diese sehr intellektuell geführte Diskussion, die massenmediale Erinnerungskultur in Deutschland zu prägen und einen Konsens darüber herzustellen, dass in der Mehrheitsgesellschaft revisionistische Geschichtsbilder nicht mehr salonfähig waren. 

Damit war, wenn auch spät, auch das Erinnern an den Holocaust in der breiten Öffentlichkeit verankert. Zum Glück! Aber es hatte auch Konsequenzen, wie nun Deutsche über Judentum und Israel sprechen. Von den späten 1980er Jahren an bis zum Aufstieg der geschichtsrevisionistischen AfD galt der kommunikative Grundsatz der «Achtsamkeit» in allen Bezügen, wenn es um Jüdinnen oder Juden sowie Israel geht.

Die Achtsamkeitsregel hatte etwas Befreiendes. Aber sie brachte auch viele deutsche Intellektuelle, so Böhm, dazu, sich einer Selbstzensur zu unterwerfen. Wenn es um Fragen der israelischen Politik gehe, so kritisiert Boehm im Vorwort zur deutschen Ausgabe seines Buches „Israel – eine Utopie“, weichen die Deutschen aus.

Verräterisches Schweigen

Als Beispiel führt er den Philosophen der Diskursethik Jürgen Habermas an. Bei seinem Besuch in Israel 2012 wollte er gegenüber den Interviewern der Zeitung Haaretz keine Position zur israelischen Politik beziehen. Habermas begründete sein Schweigen damit, dass es nicht die „Sache eines privaten deutschen Bürgers meiner Generation“ sein könne, Urteile über Israel zu fällen. 

Boehm sagt dann über die Flucht eines öffentlichen Intellektuellen in die Privatsphäre: „Schweigen ist hier selbst ein Sprechakt, und zwar ein höchst öffentlicher.“

Auch ich selbst kannte lange dieses beklemmende Unbehagen. Lieber über die Shoah sprechen als über Israel. Alles ist zu komplex, zu undurchschaubar, zu stark mit der deutschen Vergangenheit verknüpft.

Unhinterfragte Nibelungentreue

Immerhin war es bei mir und vielen anderen mehr eine Scheu, ein Urteil zu fällen, als sich ganz eindeutig auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Dies hat sich seit dem 7. Oktober 2023 geändert. 

Wenn auch in den ersten Tagen noch die Abscheu gegenüber dem Hamas-Terror in allen Teilen der deutschen Öffentlichkeit vorherrschte und unisono das brutale Morden, Vergewaltigen von Frauen, Verschleppen von Geiseln unisono verurteilt wurde, änderte sich rasch die Situation. Während sich die Weltöffentlichkeit immer mehr über die Art der israelischen Kriegsführung in Gaza empörte, zeichnet sich bis heute Deutschland mehrheitlich durch seine unhinterfragte Nibelungentreue zu Israel aus. Statt zu schweigen, wurden nun Glaubensbekenntnisse für Israel abgelegt, wurde die bedingungslose Loyalität zum Eintrittsbillett, um den politischen Salon betreten zu dürfen.

Seither befällt ein Dauer-Alarmismus die politische Öffentlichkeit in Deutschland. Die „unachtsame Achtsamkeit“ prägt nunmehr die Diskussionskultur. Im Vergleich zur internationalen Berichterstattung, wie beispielsweise der New York Times oder der israelischen Zeitung Haaretz, erscheint es mir so: Große Teile der deutschen Medienlandschaft übernehmen unrecherchiert die Pressemitteilungen der israelischen Armee. In politischen Talk- und Informationssendungen, selbst im Bundestag, wird kritiklos nacherzählt, was israelische Militärs und Politiker für ihre gegen die Genfer Konventionen verstossende Kriegsführung als Rechtfertigung vorbringen. Es ist nun deutsche Staatsraison, sich bedingungslos hinter die Politik von Benjamin Netanjahu zu stellen.

Damit verlässt Deutschland den Pfad der früher stark betonten Menschenrechtspolitik. Ausgerechnet Deutschland muss man hinzufügen, das bei der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs ein maßgeblicher Treiber war. Als außenstehender Beobachter hätte die Bundesrepublik die Chance, den polarisierenden Diskurs zwischen Palästinensern und Israelis abzumildern.

Stattdessen sind hier schwarz-weiß-malende Meinungsmacher und Scheuklappen tragende Nahostexpertinnen in der Öffentlichkeit omnipräsent. Selten wird zwischen Juden und Israel unterschieden, zwischen dem Gemeinwesen Israel und seiner rechtsextremen Regierung, zwischen der islamistischen Hamas und den Palästinensern.

Ohne Wischi-Waschi

Gutes Beispiel dafür lieferte die Sendung bei Markus Lanz am 9. Oktober. Gegen drei Diskutanten und den Moderator, allesamt Vertreter deutscher Staatsraison, versuchte die ausgewiesene Nahostexpertin Kristin Helberg ihre Gegenposition darzulegen. Eine Frau, die nicht nur faktenreich argumentierte, sondern auch ohne Wischi-Waschi-Position überzeugte. 

Sie sprach Israel das Recht zu, sich gegen die terroristische Hisbollah zu verteidigen, sie identifizierte die Hamas als Terroristenbande, anerkannte das Selbstbestimmungsrecht Israels, bejahte deutsche Lieferung von Luftabwehrsystemen, stellte sich aber gegen deutsche Exporte von Offensivwaffen. Wenn die deutsche Staatsraison vor allem einschließt, dass die Sicherheit Israels einen unhintergehbaren Stellenwert in der deutschen Politik besitzt, ist Kristin Helberg voll auf dieser Linie. 

Aber nach ihrer Meinung darf sie nicht nur von der Seitenlinie zuschauen, wenn die militärischen Reaktionen unter dem Oberkommando einer „rechtsradikalen, zum Teil faschistischen Regierung“ völlig unverhältnismässig werden. Dabei erinnerte sie an die Zerstörung der zivilen Infrastruktur im Gaza und wies auf den Report US-amerikanischer Medizinerinnen und Ärzte hin, welche die Opferzahlen wesentlich höher als die von dem Hamas-geführten Gesundheitsministerium einschätzen. 

In einem Ärzte-Brief an Präsident Joe Biden wird auch erwähnt, wie immer mehr unterernährte Frauen aufgrund der fehlenden Muttermilch dem langsamen Tod ihrer Säuglinge zusehen müssen.

Reizwort Genozid

So umsichtig Helberg auch argumentierte, schreckte sie mit dem Tabuwort „Genozid“ die Talk-Runde auf. Dabei erwähnte sie nur, dass dieser kriegsrechtliche Straftatbestand international diskutiert wird. Moderator Lanz auferlegte indes der Nahost-Expertin eine Selbstzensur: „Den Begriff des Genozids machen wir uns hier nicht zu eigen.“ Was Helberg nicht tat, die ausdrücklich nur die international geführte Diskussion erwähnte. Allein das Benennen dieser Wahrheit genügte, um auf dem News-Channel Focus online einen Artikel mit dem Titel aufzuschalten: „Nahostexpertin schockt mit Genozid-Vorwurf“.

Die verkorkste deutsche Diskussionskultur wirft viele Fragen auf: Wäre es nicht an der Zeit, eine Vermittlerposition einzunehmen – sicher immer im Einvernehmen auch mit der deutschen Verantwortung gegenüber den Nachfahren des Holocausts? Sollten wir uns nicht über die Gräben hinweg solidarisch zeigen mit den Getöteten, Gefolterten und Vertriebenen auf beiden Seiten? Sollten wir nicht als Mindeststandard unserer Haltung zu Israel und zu Palästina eines gelten lassen: die Wahrung des humanitären Völkerrechts. Kristin Helberg hat dies getan.

Text: Delf Bucher, der die Nachveröffentlichung seines zuerst im Blog Zeitenwende publizierten Beitrags freundlicherweise genehmigte.

Bilder: Folgen eines israelischen Angriffs auf eine Schule im Gazastreifen am 10. August 2024: CC BY-SA 4.0_wikimedia commons / Talkrunde Lanz am 9. Oktober 2024: Screenshot.

12 Kommentare

  1. Helmut Reinhardt

    // am:

    Aufgezeichnete heutige Pressekonferenz von Wissenschaftlern, Juristen und Kulturvertretern zur geplanten Antisemitismus Resolution zum „Schutz jüdischen Lebens“, die schon morgen im Bundestag verabschiedet werden soll, mit Barbara Stollberg-Rilinger, Susan Neiman, Matthias Goldmann und Wolfgang Kaleck. Die vorliegende Resolution weckt Bedenken..
    https://www.youtube.com/watch?v=TkM4-g5bKr8

    Prominente Vertreter:innen der Zivilgesellschaft unterstützen Alternativen zur Resolution:
    „Als Reaktion auf den Resolutionsentwurf „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ und das intransparente und undemokratische Verfahren seiner Entstehung ist eine breit getragene zivilgesellschaftliche Initiative entstanden. Ihr Offener Brief mit konkreten Vorschlägen für einen inklusiven Minderheitenschutz kann hier unterstützt werden.

    Die seit Monaten geäußerte Kritik von Jurist:innen, Jüd:innen und Juden sowie israelischen Menschenrechtsorganisationen, Wissenschaft und Kultur wurde in konkrete Alternativvorschläge übersetzt, die nun breite Unterstützung erfahren. Diese sprechen sich für inklusive Wege, Jüdinnen und Juden zu schützen, aus und fordern eine öffentliche Debatte über den richtigen Umgang mit dem wichtigen Thema, anstelle einer schnellen und intransparenten Abstimmung..“
    https://www.medico.de/fuer-alternativen-zur-resolution
    https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLScyErqrcDRrzrZ1EPuk6iX9x10g8JrwishN2rlnAhRyYZQwPg/viewform

  2. Dr. Peter Krause

    // am:

    @Helmut Reinhardt
    Ich habe nicht in Frage gestellt, dass es eine Diskussion gibt über die Fragen, was „Antisemitismus“ sei und wie man sich gegenüber Israel und der Hamas verhalten solle. Ich habe auch nicht in Frage gestellt, dass in dieser Diskussion engagiert gestritten wird und es harte Gegensätze gibt.
    Ich habe meinen Eindruck geschildert, dass ich nicht erkennen kann, dass in der Bundesrepublik Deutschland „Pro-Palästina“-Stimmen und Israel-kritische Stimmen unterdrückt werden.
    Und die von Ihnen verlinkten Artikel bestätigen doch genau meinen Eindruck: Hier kommen diese Stimmen doch umfänglich zu Wort!
    Und auch in meinem alltäglichen Leben höre und lese und sehe ich diese Stimmen permanent und niemand wird „unterdrückt“. Im Gegenteil: Entsprechende Gruppen und Einzelpersonen finden zahlreiche Foren – auch an den Universitäten und in den Medien und auf den Straßen und Plätzen des Landes – um sich zu äußern und ihre Positionen darzulegen. In einzelnen Fällen werden diese Positionen auch durchaus etwas „überengagiert“ und grenzüberschreitend formuliert und dargeboten, sodass es mir schwer fällt, diese Art der Aktivitäten noch als legale „Meinungsäußerung“ anzusehen (Stichwort: z.B. die Attacken auf Polizisten, Journalisten und auf den Berliner Kultursenator, die wiederholte Besetzung von Universitätsgebäuden u.ä.)
    Unterdrückung ist dass, was z.B. in Russland, China und im Iran tagtäglich zu beobachten ist. Wir sollten mit derartigen Begriffen vorsichtig umgehen, um nicht die Maßstäbe zu verlieren. Wenn nahezu tagtäglich Pro-Palästina-Demos auf den Straßen zu sehen sind und es z.B. auch entsprechende, offiziell anerkannte Hochschulgruppen gibt, würde ich nicht von „Unterdrückung“ sprechen.

  3. Helmut Reinhardt

    // am:

    Dr. Peter Krause 24. Oktober 2024
    „Ich kann auch nicht erkennen, dass Stimmen, die sich kritisch zur aktuellen israelischen Regierung und zur Art und Weise der israelischen Kriegsführung äußern, unterdrückt werden.“
    Ein gewisser Druck lässt sich offensichtlich nicht leugnen – ein Beispiel von vielen:
    „Die Antisemitismus-Resolution, auf die sich Ampelkoalition und Union verständigt haben, ist für zahlreiche Israelis ein Hohn. Politisch begründete Kritik am Handeln der israelischen Regierung soll als antisemitisch gebrandmarkt werden…
    Statt den grundsätzlichen Konsens zu formulieren, versuchen Ampelkoalition und Union seitdem, sich auf einen detaillierten Maßnahmenkatalog zu verständigen und die notwendige Diskussion über eine Abgrenzung von Antisemitismus und Kritik an israelischer Politik abzuschneiden. Das sorgt – nicht überraschend – für Streit.

    Die Spitzen der Fraktionen sind einer offenen Debatte aus dem Weg gegangen, indem sie ihre Verhandlungen über die Resolution in kleinstem Kreis hinter verschlossenen Türen abgeschottet haben. Gerade aber wenn es um ein Thema wie den Antisemitismus geht, ist politische Geheimniskrämerei ein fatales Signal.

    Hinter vorgehaltener Hand klagen Abgeordnete, Minister und Parteispitzen darüber, welchem Druck sie in den letzten Monaten von verschiedenen Seiten ausgesetzt waren: von proisraelischen Lobbyorganisationen, der israelischen Botschaft, dem Zentralrat der Juden auf der einen, von Juristen, Wissenschaftlern, Künstlern auf der anderen Seite. Die Debatte ist längst toxisch. Auch die Angst, von der Bild-Zeitung als Antisemit und Israelhasser diffamiert zu werden, wirkt in der Politik bis in die höchsten Ränge...“
    https://www.deutschlandfunk.de/antisemitismus-resolution-bundestag-israel-meinung-100.html

    Gegen diese Antisemitismus-Resolution hat sich eine Opposition gebildet und einen Gegenentwurf vorgelegt:
    „So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
    Die Kritik an der Resolution von Ampel und Union wird seit Monaten lauter. Über 600 Unterzeichner machen sich jetzt für einen Gegenentwurf stark.
    ..Ein Kreis von jüdischen und nichtjüdischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern formulierte deshalb jüngst einen Gegenentwurf zu der Resolution, auf die sich die Fraktionsspitzen von Regierung und Union nun am Freitagabend geeinigt haben..“
    https://taz.de/Kritik-an-Antisemitismus-Resolution/!6046478/

  4. Roland Becker

    // am:

    @Janosch Tillmann

    Mein bescheidenes Statement zielte darauf ab, dass das Thema Nahost durchaus diskutierbar ist, aber kein Thema ist, dass man fernab des Konfliktherdes auf der Straße mit Gegröle, Spruchbändern und Gewalt austragen sollte. Genau diese Szenarien erinnern doch eher an ein Gelage nach einer Fußballschlacht. Das Thema ist viel zu komplex und die Polarisierungen durch breite Bevölkerungsschichten ist kontraproduktiv.

    Konflikt ist ein Thema der Wissenschaft, deswegen sollten Konfliktforscher mit Konfliktlösungen die Oberhand haben. Natürlich Wunschdenken.

  5. Janosch Tillmann

    // am:

    @M. Oelschläger und Roland Becker,

    diese Haltung muss man sich leisten können. Sie wollen es sich leisten und da wird Ihnen niemand im Weg stehen.

    Aber viele können das nicht, weil die antisemitischen Straftaten explodieren und dieser Konflikt die politische Situation in Deutschland infiziert – wie es übrigens auch der Krieg in der Ukraine tut. Das Russland, Iran und Nordkorea in beide Konflikte involviert sind, ist keine Überraschung, denn es handelt sich, in meiner Wahrnehmung, um mehr als um eine regionale Auseinandersetzung – es ist auch ein Konflikt um die Frage in was für einer Gesellschaft wir leben wollen.

    Für mich ist das weder ein Fussballspiel, noch etwas, was ich vom warmen Sofa aus betrachte.

    Vielleicht lesen Sie sich mal diesen kurzen Bericht, über die Besetzung der FU, durch. Dann können sie vielleicht besser nachvollziehen, wovon ich spreche: https://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2024/fup_24_206-versuchte-besetzung/index.html

    Und wenn Ihnen beiden das Thema nicht taugt, dann müssen Sie ja auch dazu nichts sagen.

    @Helmut Reinhardt,

    mir fallen, aus dem Kopf, Beispiele ein, die in die andere Richtung liefen. Wie immer werden Sie aber Links wollen und die kommen dann noch. Dann haben sie die Bestätigung dessen, was ich bereits in Hinblick auf die ÖR-Medien angemerkt hatte: ich sehe da keine Einseitigkeit.

  6. Roland Becker

    // am:

    @M.Oehlschläger

    Volle Zustimmung.

    Die Tragik ist auch, diese Polarisierung in der Bevölkerung, wie auch beim Angriffskrieg von Russland, die eher an ein Fußballspiel der Bundesliga am Wochenende erinnert, wo es meist einen Gewinner und Verlierer gibt und jeder „seine“ Mannschaft hat.

    Das Bewusstsein, dass das Krieg ist, mit übelsten Konsequenzen für weite Teile der Bevölkerung auf beiden Seiten scheint vielen völlig abhanden zu sein. Ziel sollte sein diese Konflikte zu befrieden, dazu braucht es aber eine Führung, die das auch sichtbar verfolgt und nicht mit Parolen wie „Vernichtung, Unterwerfung etc.“ operiert.

  7. Dr. Peter Krause

    // am:

    Ich kann nicht erkennen, dass in der deutschen Öffentlichkeit „Pro-Palästina“-Stimmen unterdrückt werden. Ich kann auch nicht erkennen, dass Stimmen, die sich kritisch zur aktuellen israelischen Regierung und zur Art und Weise der israelischen Kriegsführung äußern, unterdrückt werden.
    Ich lese vielmehr jeden Tag in der deutschen Presse Berichte und Meinungsbeiträge, die sowohl über Aktivitäten von Pro-Palästina-Gruppen berichten, als auch die israelische Regierung kritisieren. Und sicher verkaufen sich die Bücher von Herrn Boehm nicht schlecht – was doch für ihn erfreulich und nicht verwerfllich ist.
    Und ich lese aber auch Berichte über gewalttätige Ausschreitungen bei Pro-Palästina-Demos und Besetzungen von Universitätsgebäuden sowie von gezielten Angriffen auf „jüdisch gelesene“ Menschen. Auch dürfte unstrittig sein, dass es mehr Pro-Palästina-Demos gibt, als Demonstrationen, die die israelische Regierung bzw. Israel unterstützen; auch die Zahl der Teilnehmer bei den nahezu täglich Pro-Palästina-Demos ist größer.
    Ich frage mich in diesem Zusammenhang aber auch, ob diese „Pro-Palästina“-Demos und Aktivisten wirklich für die Palästinenser auf die Straße gehen, oder ob sie nicht vor allem gegen Israel – vielleicht auch gegen Juden? – demonstrieren. Denn wenn man für die Palästinenser eintreten würde, müsste man doch auch und vielleicht sogar zuerst gegen Hamas und Hisbollah und das iranische Regime demonstrieren, also gegen jene Kräfte, die das „eigene Volk“ ins Elend führen und geführt haben.

  8. Peer Mennecke

    // am:

    Hallo Herr Reinhardt,

    wir wissen natürlich alle, wie auch Sie, dass die Tagesschau dem deutschen Propagandaministerium (ARD-Rundfunkrat) untersteht. Was soll also die Aufregung. Die haben sogar behauptet, dass die Hamas im Gazastreifen und die Hisbollah im Libanon Terrororganisationen wären, die sich bewusst in öffentlichen Gebäuden wie Schulen und Krankenhäusern verschanzen, weil sie auf Opfer aus der Bevölkerung scheißen, indem sie die als Schutzschild missbrauchen.

    Tatsächlich wären das somit kriminelle Feiglinge (wie Putin, Kim, Xi, Chamenei etc.), die alles tun, um Israel zu vernichten und „ihr“ Volk weiter zu unterdrücken.

    Kann ja gar nicht stimmen, wenn’s um Israel als Gegner geht, oder? Wollten Sie uns das sagen? Ich meine ja.

  9. Christina Herbert-Fischer

    // am:

    Nun, die Schere im Kopf, ich erlebe sie immer wieder. Es findet eine gesellschaftliche Polarisierung statt, pro Israel oder pro Palästina. Es gibt immer wieder Menschen, die versuchen das aufzubrechen im öffentlichen Raum und privat. Das ist gut so. Nur leider lässt sich die Polarisierung bisher nicht wirklich aufbrechen. Deshalb finde ich diesen Artikel nicht sinnlos, eher eine Feststellung des Ist-Zustandes.
    Gut, wir sitzen hier alle auf dem warmen Sofa und die Menschen in Israel, im Gazastreifen und im Libanon leiden. Ist das ein Grund sich nicht damit auseinander zu setzten?
    Ich kannte den Artikel schon vom Block Zeitenwende und ich finde es super, dass seemoz ihn mit Erlaubnis veröffentlicht hat.

  10. M. Oehlschläger

    // am:

    Wieder mal ein Artikel über den Nahostkonflikt und Israel der nichts aussagt.

    Die wenigsten von uns waren schon in Israel oder dem Nahen Osten. Wir kennen die Lebensrealität der Menschen dort nicht, diskutieren aber vom sicheren warmen Sofa aus fleißig mit.

    Man ist es einfach nur noch leide diese Diskussionen, die zu nichts führen.

  11. Helmut Reinhardt

    // am:

    @Janosch Tillmann
    „Ich wüsste auch wirklich gerne, wer diese „großen Teile der deutschen Medienlandschaft“ sind die „unrecherchiert die Pressemitteilungen der israelischen Armee“ übernehmen. Wegen mir Springer und die NZZ. Das sind aber nicht die „großen Teile“..“

    Starke Schlagseite in der Berichterstattung gibt es auch z.B. bei der Tagesschau, wie hier von
    Fabian Goldmann dokumentiert (und dafür könnte man eine ganze Reihe von Beispielen anführen):
    „Angriffe wie hier auf die Hisbollah im Libanon“. So kommentiert die @tagesschau ein Video der israelischen Armee, das mehrere große Sprengungen zeigt. Ich habe mal gemacht, was eigentlich der Job der Tagesschau gewesen wäre, und recherchiert, was da wirklich in die Luft fliegt.

    Was die Tagesschau verschweigt: Es ist nicht „die Hisbollah“ die da gesprengt wird, sondern eine Schule.
    Das im Netz leicht zu findende Originalvideo der IDF beginnt ein paar Sekunden vor dem Ausschnitt der Tagesschau. Dort sieht man den Ort noch vor der Sprengung. Mit durchschnittlichen Geo-Guesser-Skills findet man relativ schnell heraus, dass es sich um einen Hügel ein paar hundert Meter westlich der südlibanesischen Stadt Mais Al-Jabal handelt.

    Ein Gebäudekomplex lässt sich aufgrund der Anordnung der Teilgebäude und der charakteristischen roten Spitzdächer besonders leicht identifizieren: die Muhammad-Falha-Oberschule (ثانوية المربي محمد فلحة). Im Tagesschau-Video verschwindet sie hinter der rechten Explosionswolke.

    Sucht man im Netz nach der Schule findet man auch Bilder vor und nach dem israelischen Angriff. Auch sie passen zu dem Gebäudekomplex im Video der israelischen Armee. Die Bilder zeigen eine Schule für wahrscheinlich mehrere hundert Schüler – und eine komplett zerstörte Ruine.

    Von all dem erfährt man in der Tagesschau nichts. Dort ist lediglich von einem „Angriff auf Hisbollah“ die Rede, die Zerstörung einer Schule wird einfach verschwiegen. Und das obwohl jeder Tagesschau-Redakteur dieselbe Recherche wie ich hätte machen können – und machen müssen…“
    https://x.com/goldi/status/1848474280360874001

  12. Janosch Tillmann

    // am:

    Interessant, wie der Autor das empfindet. In meinem Umfeld hatte/hat jeder eine Meinung zu Israel. Das war auch schon immer so. Bei Familie, Freunden, bei politischen Weggefährten und politischen Feinden, den Leuten in der Berufsschule oder denen auf der Arbeit – alle hatten und haben eine Meinung zum Thema, wenn man sie gefragt hat (oder auch einfach so). Die Kritiker übrigens deutlicher als die Verteidiger oder Unterstützer Israels. Die einzige Einschränkung war, dass vor der Kritik ausführlich dargelegt wurde, wie schwierig es ist, Kritik zu üben: „Weil, wegen, naja, dem Verdacht… dem bösen Verdacht und der Mhmhm-Keule, die dann kommt…“

    Was die Veränderung nach dem Historikerstreit angeht: Vielleicht ist es nicht verkehrt, dass die (west-)deutsche Öffentlichkeit ein bisschen auf die Bremse getreten ist, Ende der 1980er. Wenn man an die Studentenbewegung nach 1967 oder Kunzelmanns „Briefe aus Amman“ denkt, an die Dämonisierung Israels während der Libanonkampagne Anfang der 1980er etc.

    Und Ja, das Thema Israel ist halt mit der deutschen Vergangenheit verknüpft. Nicht nur wegen der Shoa, sondern auch, weil das Judenbild der Islamisten von Hamas und Co. sich eben hauptsächlich aus NS-Rasseantisemitismus speist. Das wurde ja durch deutsche Stellen mit herbeigeführt.

    „Statt zu schweigen, wurden nun Glaubensbekenntnisse für Israel abgelegt, wurde die bedingungslose Loyalität zum Eintrittsbillett, um den politischen Salon betreten zu dürfen.“ Sarah Wagenknechts Partei soll in zwei Bundesländern mitregieren. Sie ist sicher nicht Loyal zu Israel. Die Frau bleibt auch mal sitzen, wenn sie die Shoa mit Israel verknüpfen kann.

    Ich wüsste auch wirklich gerne, wer diese „großen Teile der deutschen Medienlandschaft“ sind die „unrecherchiert die Pressemitteilungen der israelischen Armee“ übernehmen. Wegen mir Springer und die NZZ. Das sind aber nicht die „großen Teile“

    Zu anderen Medien:
    Was die Zeit zum Thema schreibt, kann man hier gut nachvollziehen: https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-12/news-israel-gaza-krieg-live. Das liest sich schon anders, als es Herr Bucher propagiert. Hier ist wenig von einer „Schere im Kopf“ erkennbar.

    Am 26. September hat Spiegel online getitelt: „USA, Frankreich und Deutschland ringen um Waffenruhe im Libanon – Israel bombardiert weiter.“ An diesem Tag hat die Hisbollah, wie eigentlich jeden Tag seit dem 08.10.2023, den Norden Israels mit Raketen beschossen. Gregor Gysi und Deborah Feldman kriegen ein gemeinsames Interview im Talkshow-Format, auch bei Spiegel online… Schere im Kopf? Wenn ja, scheint die aber in die andere Richtung zu gehen.

    Ich kann fast jeden Tag auf taz.de Artikel von Daniel Bax lesen, die die Staatsräson verdammen. Julia Neumann erklärt mir, in derselben Zeitung, dass Deutschland sich der Komplizenschaft an einem Völkermord schuldig macht…

    Über die „Israel als Kraken“-Karikaturen der SZ und das, was diese Zeitung zum Nahostkonflikt zu sagen hat, müssen wir uns wohl nicht ernsthaft streiten, hoffe ich zumindest.

    Dass die deutschen Medien sich nicht ganz auf die Ebene von Haaretz oder NYT begeben – vom BBC ganz zu schweigen – ist wohl mehr Ausdruck eines inneren Stoppschilds, als einer „Schere im Kopf“. Sich nicht komplett an dieser medialen Enthemmung zu beteiligen, die Israel noch jede Schweinerei unterjubeln will, ist eben das mindeste, was man tun kann. Mehr machen deutsche Medien ja auch nicht.

    Das haben amerikanische Ärzte nicht nötig die eben, ganz unbelastet vom Schatten der Shoah, Gräuelmärchen über den völkermordenden jüdischen Staat verbreiten können. Denn woher diese Leute genauere Informationen haben wollen, als die Gesundheitsbehörde vor Ort (die ja von der Hamas kontrolliert wird und vermutlich von sich aus höhere Zahlen angibt), würde man bei jedem anderen Konflikt genauer wissen wollen. Hier findet man sowas unhinterfragt erwähnenswert.

    Da sich der ganze Text auf einen Auftritt bei Lanz verdichtet, dazu noch eine Anmerkung: Dort sitzen auch Deborah Feldman, Abed Hassan, Amira Mohamed Ali und viele mehr. Ich sehe da keine Einseitigkeit.

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