Flugzeug Landshut © Jens Volle

Die Landshut: Ein deutsches Wrack

Flugzeug Landshut 3 Jens Volle

Seit 2017 steht die Landshut, die vierzig Jahre zuvor von einer palästinensischen Terrorgruppe entführt wurde, in Friedrichshafen in einem Hangar. Nach Jahren des Streits wird die ehemalige Lufthansa-Maschine diesen Sommer ein letztes Mal umziehen. Ein Ortstermin.

Das berühmteste Flugzeug der Welt steht ganz links an der Wand. Zerkratzt, kaputt, verlebt, entbeint. An den Flanken klaffen große Wunden, die Flügel der Landshut sind abmontiert und werden an der Hallenwand gegenüber aufbewahrt, Kabel hängen heraus und metallische Leitungen wie offengelegte Arterien. „Alles doppelt“, sagt der Mann von der Flughafensicherheit und zeigt auf das Leitungsgewirr. Falls der eine Kreislauf während des Flugs ausfällt, können Flugzeuge den zweiten aktivieren und weiterfliegen. Er erinnere sich noch gut an die Zeit damals, 1977, sagt der Mann. Da sei er noch Schüler gewesen und in seiner Schule habe es Plakate gegeben, auf denen zu sehen war, welcher Block – ob Ost oder West – gerade mehr Panzer und Waffen zur Verfügung hatte.

Am 13. Oktober 1977 ist die Landshut als Flug LH 181 mit 87 Tourist:innen und fünf Crew-Mitgliedern im Dienst der Lufthansa unterwegs, soll eigentlich nur von Mallorca nach Frankfurt am Main fliegen. Kurz nach dem Start wird das Flugzeug von vier palästinensischen Terrorist:innen entführt, die so die Köpfe der ersten RAF-Generation aus dem Stammheimer Hochsicherheitsgefängnis freipressen wollen. Nach fünf Tagen Irrflug – in Aden (Jemen) erschießt ein Entführer den Piloten Jürgen Schumann – landet die Maschine in Mogadischu, Somalia. Die Geiseln werden vom GSG 9 befreit, drei der Geiselnehmer:innen erschossen. Für die Bundesregierung ist das damals ein Sieg über den linken Terror. Am Tag nach dem Einsatz werden die RAF-Mitglieder Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin und Andreas Baader tot in ihren Gefängniszellen aufgefunden. Wiederum einen Tag später gibt die RAF die Ermordung des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer bekannt.

Die Landshut wurde nach der Entführung repariert und flog weitere sechs Jahre als Ferienflieger für die Lufthansa. Sie wurde später mehrfach verkauft und stand ab Januar 2008, nach 60.000 Flügen, stillgelegt auf einem gesperrten Flugfeld im brasilianischen Fortaleza und gammelte vor sich hin.

Nur die Seriennummer ist noch original

„Neun Jahre im Dschungel“, sagt Steffen Krautzig. Er zeigt auf die schwarzen Schlieren, die sich wie schmutziger Zuckerguss über das Flugzeug ergießen. Krautzig kommt von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), die mittlerweile die Hoheit hat über dieses seit vielen Jahren umstrittene Wrack. Er führt zwar zum Fototermin um und durch die Maschine, legt aber allen Wert darauf, nur ein einziger von einem interdisziplinären Team zu sein, das konzipiert, was mit der Landshut in Zukunft passiert.

Von der ursprünglichen Lufthansa-Lackierung ist nichts mehr zu sehen, das Flugzeug ist weiß überstrichen worden. Krautzig steht am Rumpf und zeigt eine Stelle, an der jemand die oberste Lackschicht abgekratzt und rot-blaue Farbe freigelegt hat. Die Stelle mag er nicht so sehr, weil sie manipuliert ist und nicht mehr original. „Man sucht an der Landshut nach Spuren, die man nicht findet“, sagt er. Nichts ist mehr so wie 1977, nur die Seriennummer am Rahmen der Tür.

Flugzeug Landshut Jens Volle

Anfangs hatte es Überlegungen gegeben, das Flugzeug in Brasilien zu zerlegen und die Teile an die für deren Geschichte relevante Orten zu vergeben. Sigmar Gabriel, damals SPD-Außenminister, setzte letztlich durch, dass es als Ganzes nach Deutschland geholt wurde. Drei Millionen Euro kostete der Transport mit einer riesigen russischen Militärmaschine, die die Landshut in Friedrichshafen spektakulär aus ihrem Bauch lud.

Eine zweite Maschine brachte die Einzelteile hinterher. Heute lagern Triebwerke und Kleinteile der Landshut in zwei Containern vor der Friedrichshafener Halle. In ihrem Bauch liegt noch eine der Matratzen, die um den Rumpf geschnallt wurden, um ihn beim Transport zu schützen.

Eigentlich hätte die Landshut im örtlichen Dornier Museum ausgestellt werden sollen, als begehbares Zeitdokument. Doch das Kulturstaatsministerium, das nach Gabriels Ausscheiden aus der Bundesregierung zuständig war, befand das Museum als nicht kompetent genug und zu teuer. Die Stadt Friedrichshafen wollte sich auch nicht an den Kosten beteiligen, ebensowenig das Land Baden-Württemberg. Das ganze Flugzeug am Stück wollte sonst auch keiner haben, allein des Platzes wegen – 30 Meter lang, elf Meter hoch, 40 Tonnen schwer. Diverse Flughäfen lehnten ebenfalls ab. Das Militärmuseum in Berlin-Gatow kam zwar in die Auswahl, dann aber auch nicht mehr in Frage, weil mit der GSG 9 die Polizei die Geiseln befreit hatte und nicht die Bundeswehr. Nun steht sie also hier, im Hangar.

Auf der Suche nach einem Konzept

Seit Ende 2020 ist die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) mit der Gestaltung des Flugzeugs zum zentralen Ausstellungsobjekt eines „Lernorts“ beauftragt. Das Flugzeug bleibt, wie es ist, es wird nicht restauriert auf seinen Ursprungszustand, wie einige der damaligen Geiseln es sich wünschen würden. Präsentiert werden soll die Landshut so neutral wie möglich und dennoch mit all ihren Kontroversen, den Streitereien, den historisch-aktuellen Verweisen bis in die Gegenwart. Die RAF, sagt später in einem Zoom-Gespräch eine der Historikerinnen aus der konzipierenden Projektgruppe, sei noch immer präsent in den Köpfen. Das sehe man allein schon daran, dass die Aktivist:innen der Letzten Generation gerne als Klima-RAF bezeichnet würden, das sei ein unzulässiger Vergleich.

Genau darum soll es gehen, wenn die Landshut in Zukunft für Schulklassen zugänglich sein wird. Um das Gestern im Heute, sozusagen. Steht dieses Flugzeug für eine Idee von Demokratie? Welche Perspektiven gibt es auf die Geschichte von damals, nur eine Westdeutsche? Und wie funktioniert Radikalisierung? Wo fängt Protest an und ab wann gerät er zum Terror? Was beispielsweise ist aus der Landshut zu lernen über das rechte Terrornetzwerk NSU, über die Bedrohung der Demokratie von rechts, die heute viel relevanter ist? Wie ist die Rolle von Politik und Medien damals gewesen? Und wie wäre sie heute, im Zeitalter der Sozialen Medien?

Flugzeug Landshut 2 Jens Volle

Deutsche Regierungen und der Terror

Am Flughafen von Frankfurt wurden im Jahre 1977 Tribünen für Fotograf:innen und Filmende aufgebaut. Massen von Journalist:innen umlagerten die gerade zurückgekehrten Befreiten, noch auf dem Nachhauseweg wurden sie mit Mikrofonen verfolgt. Die Geiseln, sie wurden vorgeführt, um den Sieg der Bundesregierung und vor allem des damaligen Kanzlers Helmut Schmidt (SPD) über den linken Terror zu inszenieren. In einer „Kontrovers“-Dokumentation aus dem Jahr 2023 kann der damalige Co-Pilot Jürgen Vietor noch immer nicht fassen, dass der Bundeskanzler ihn und alle anderen Insassen einfach hätte sterben lassen, statt den Entführern nachzugeben. Auch der Journalist und Buchautor Martin Rupps kommt in der Doku zu Wort: „Das Verhalten der Bundesregierung war ein Totalversagen“, sagt er.

Ein Totalversagen, wie auch Jahrzehnte später der Umgang mit den Hinterbliebenen der Opfer des NSU. Auch die Landshut-Geiseln wurden alleingelassen mit sich und ihrem Schmerz, sie bekamen keine psychologische Betreuung, lange keine Entschädigung, keine Anerkennung des eigenen Traumas. Manche, wie die zum Zeitpunkt der Entführung 19-jährige Diana Müll, kämpfen noch immer um staatliche Unterstützung.

All diese Facetten will die BpB in ihrem Projekt darstellen. Mehrere Workshops fanden bereits zur Konzeption des Ausstellungsorts statt. Eine Schulklasse arbeitete mit Zeitzeug:innen an der Frage, wie und welche Ereignisse zu Geschichte werden. Auch einen Lehrer:innenworkshop gab es bereits. Anfang des Jahres hat die BpB die Konzeption eines Computerspiels ausgeschrieben.

„Die Landshut ist eine Projektionsfläche“, sagt Steffen Krautzig. Für jeden eine andere. Nur eines weiß er sicher: Es sollen keine Einschusslöcher gezeigt werden, denn die Landshut soll kein Ort für Katastrophentouristen sein. Sondern einer, der Demokratie lehrt.

Text: Anna Hunger. Der Beitrag ist zuerst erschienen auf www.kontextwochenzeitung.de; Bilder: Jens Volle

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