Mahnwache Die Brandmauer Darf Nicht Fallen 2025 01 30 144 Kompr © Harald Borges

Die Brandmauer steht, nur haben manche die Seiten gewechselt

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Mahnwache Die Brandmauer Darf Nicht Fallen 2025 01 30 144 Kompr © Harald Borges

Einem Aufruf von Grünen, SPD und der Linken Konstanz folgend, kamen am 30. Januar hunderte Menschen im Konstanzer Pfalzgarten zusammen, um dagegen zu protestieren, dass der Unionsantrag über eine Verschärfung der Migrationspolitik einen Tag zuvor mit den Stimmen der AfD verabschiedet worden war. Ihre Botschaft, die sich auch explizit an die Wahlkreis-Abgeordneten Andreas Jung und Ann-Veruschka Jurisch richtete, war klar: Mit der AfD macht man keine gemeinsame Sache.

Die Linke Konstanz schreibt dazu in einer Pressemitteilung:

Es gibt Tage in der Geschichte, die etwas verändern. Der 29. Januar 2025 könnte so eine Zäsur gewesen sein. Union und FDP haben zusammen mit der AfD Politik gemacht, willentlich und ohne Scham. Viele Menschen in diesem Land sind nun tief verunsichert, Juden und Jüdinnen ebenso wie Muslime und Muslima, Migrant:innen ebenso wie Menschen mit einem Namen, der „irgendwie anders“ klingt. Die Volte der Union hinterlässt schon jetzt ihre Spuren – es besteht die berechtigte Sorge, dass dies nur der Anfang einer unsäglichen Entwicklung ist.

Sicher lässt sich streiten, ob sich am Mittwoch tatsächlich etwas geändert hat, oder ob nur eine Verschiebung offensichtlich wurde, die schon lange anhält. Wichtiger ist aber, dass am 30. Januar. viele Menschen zusammenkamen, um ein Zeichen zu setzen und sich dieser Entwicklung entgegenzustellen. Gegen den Menschenhass, gegen den Rechtsruck, gegen das Vergessen. Sie versammelten sich, um zu mahnen: An die deutsche Geschichte, ihre Irrwege und ihre Barbarei.

Vor ein paar Tagen erst erinnerten wir uns an die Befreiung von Ausschwitz vor achtzig Jahren. Keine Worte, keine Bilder oder Geschichten können dem unendlichen Grauen dieser Stätte des Todes Ausdruck verleihen. Und an dem Tag, an dem der Bundestag der Schrecken der Shoa gedachte, nur wenige Stunden nach einer Rede eines der letzten Überlebenden und Zeitzeugen der industriellen Massenmorde, paktieren die Christsozialen und Liberalen offen mit den Kräften, für die Teile der deutschen Geschichte nur ein „Vogelschiss“ sind. Nein, beides geht nicht. Die Normalisierung rechtsradikaler Parteien und ihrer politischen Inhalte steht jeder ernstgemeinten Erinnerungskultur entgegen. Die Toten mahnen uns: Das ist kein leerer Auftrag der deutschen Geschichte. Nie wieder!

Der Rechtsruck in Politik, Medien und Öffentlichkeit ist seit geraumer Zeit unübersehbar. Verunsicherung und Ausgrenzung nehmen zu: von den Diffamierungskampagnen gegenüber Bürgergeldempfänger:innen und Arbeitslosen bis hin zu den unsäglichen Vorwürfen an Migrant:innen. Das Gift rechtspopulistischer Stigmatisierungen und Pauschalisierungen ist bis weit in die bürgerliche Mitte vorgedrungen. Die Suche nach vermeintlichen Schuldigen, nach Schmarotzern und Menschen, die aus irgendwelchen Gründen nicht hierher passen, führt immer weiter in eine sich selbst verstärkende Dynamik der Mechanismen von Revanchismus, Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Saat der Missgunst, der Häme und Verachtung ging langsam auf und nun haben wir ihre erste Blüte vor uns.

Das Abstimmungsergebnis am 29. 1. war kein „Unfall“: Die Union wusste um das Abstimmungsverhalten und hat bewusst mit der AfD gestimmt – und will es bei der Verabschiedung des „Zustrombegrenzungsgesetzes“ wieder tun. Auch Andreas Jung und Ann-Veruschka Jurisch tragen diesen Kurs mit. Wenn sich Jung damit verteidigt, dass aus seiner Sicht eine innere Brandmauer noch Bestand hätte, fragt man sich, wen diese Mauer zu schützen vermag. Wenn schon einmal mit der AfD Mehrheiten für „pragmatische“ Lösungen gesucht und gefunden wurden, was sollte die Union noch daran hindern, mit den Rechtsextremen gar zu koalieren? Die Brandmauer, schon vorher eine Ruine, ist nun vollständig weg. Und Jung und Jurisch waren und sind ein Teil davon.

Aber es geht nicht nur um die Kooperation mit den Rechtspopulist:innen, sondern auch um die rechte Politik, die Union und FDP hier zusammen mit der AfD umsetzen. Vor einem Jahr demonstrierten Massen von Menschen gegen den Rechtsruck und die Remigrationspläne. CDU und FDP waren damals bei den Protesten dabei. Lippenbekenntnisse. Heute stehen diese Parteien für Positionen, die sich kaum von denen der AfD unterscheiden. Mehr Abschiebungen, Haftlager und die Aushebelung grundlegender Menschenrechte: Nur wenige Punkte einer Politik, die sich noch in der Mitte wähnt. Sie laden die Schuld für verschiedene Miseren bei den Schwächsten ab – das ist gefährlich und hilft rechten Narrativen weiter vorzudringen.

Die Linke Konstanz ist der Überzeugung, dass dem Rechtsruck nur mit einer konsequenten Politik sozialer Gerechtigkeit und Solidarität begegnet werden kann. Wir müssen den Menschen die Angst nehmen – vor dem Fall in Armut, vor der Zukunft, vor den „anderen“. Das geht nur, indem die tatsächlichen Probleme – und davon gibt es wahrlich genug – endlich politisch angegangen werden. Es ist das Gefühl der Ohnmacht und des Kontrollverlustes, das viele Menschen in die Arme der Rechtspopulist:innen treibt und deren Sündenbock-Politik attraktiv erscheinen lässt. Dagegen helfen Protest und Zusammenhalt. Aber es ist ebenso notwendig, politisch zu liefern.

Wir brauchen soziale Sicherheit für alle, funktionierende Schulen und Infrastruktur, ausfinanzierte Kommunen, eine zukunftssichere Wirtschaft, für die der Klimawandel eine Chance und keine Bedrohung ist, und Mieten, die man sich leisten kann. Kurz: Wir brauchen eine andere, eine bessere Politik. Die Linke steht dafür bereit!

(Der Text beruht in weiten Teilen auf der Rede von Linke-Bundestagskandidat Lars Hofmann, die er am 30. Januar bei der Mahnwache hielt).

MM/Bild: ©Harald Borges

Siehe auch: https://www.seemoz.de/mahnwache-heute-nachmittag-die-brandmauer-darf-nicht-fallen

9 Kommentare

  1. Robert Becker

    // am:

    @ PEER MENNECKE

    Ich versuche Sie zu verstehen, deswegen die Frage, was an der Benennung von materiellen Grenzen und Möglichkeiten und anderen Sachzwängen in dem Zusammenhang menschenunfreundlich ist. Wenn man Asylbewerber mit gutem Willen als Gäste betrachtet, muß das Haus doch so bestellt sein, dass der Gast sich wohl fühlen kann, abgesehen von der schwierigen Bewertung, dass er es in seinem Herkunftsland möglicherweise besser oder schlechter hat. Das heißt, die Ressourcen müssen bereit gestellt werden.

    Und dann stelle ich die These auf, dass sich ein „guter“ Gast tatsächlich auch wohl fühlt, genauso wie die heimische Bevölkerung im Umfeld mit der notwendigen Akzeptanz.

  2. Peer Mennecke

    // am:

    @Robert Becker
    „Halbe Welt aufnehmen“, Tischlein deck dich“, Mit welchem Geld“.
    Das meinte ich eigentlich mit Klappstuhl.

  3. Dr. Peter Krause

    // am:

    Ein kleiner Nachtrag:
    Ich habe mir den „10-Punkte-Plan“ von Robert Habeck, in dem er eine „Sicherheitsoffensive für Deutschland“ fordert, durchgelesen.
    Ein interessantes Papier mit dem einen oder anderen bemerkens- und bedenkenswerten Vorschlag. So z.B. Punkt 7: „Wirksame Eindämmung irregulärer Migration an den EU-Außengrenzen“ mit der Forderung, das Europäische Asylsystem GEAS umzusetzen, was die nahezu vollständige Verlagerung der Asylverfahren und der Verfahren zur Beurteilung des Flüchtlingsanspruches an die EU-Außengrenze beinhaltet; inkl. der Festsetzung der überwiegenden Anzahl der einreisenden Antragssteller in Lagern an der EU-Außengrenze bis zur Entscheidung über die Anträge durch die dann zuständige (europäische?) „Asylbehörde“.
    Nun gehe ich davon aus, dass z.B. ProAsyl und die Grüne Jugend vor dem Büro vor Herrn Habeck demonstrieren werden.
    Auch die von Herrn Habeck geforderte Vollstreckung von ausstehenden Haftbefehlen, d.h. die Umsetzung der richterlich angeordnete Inhaftierung von Personen (Punkt 1), und die Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitsbehördern (Punkt 2 und 3) sind bemerkenswert; wobei dies insbesondere im Hinblick auf die Bereitstellung der benötigen Haftanstalten durch die hierfür zuständigen Bundesländer mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sein dürfte.

  4. Robert Becker

    // am:

    @PEER MENNECKE

    Zwangsläufig muss das aber so sein. Auch das Grundgesetz beispielsweise spricht von Menschen recht abstrakt und emotionslos und keiner würde sich ernsthaft als „Klappstuhl“ angesprochen fühlen.

    Das ganze Asylrecht und seine praktische Anwendung dürfte den meisten Bürgern rechtlich kaum zugänglich sein. Aber das Gefühl, dass irgendwas falsch läuft und die Debatten darüber wissentlich oder unwissentlich in die falsche Richtung geführt werden und die Gründe dafür nicht immer ehrbar sein dürften, hat wohl die Mehrheit.

    Wir können doch nicht aus emotionalen Gründen -überspitzt- die halbe Welt bei uns aufnehmen und die Grundversorgung finanzieren. Die Möglichkeiten der sozialen Integration mal völlig außen vor gelassen. Mit welchem Geld denn bitte schön. Tischlein deck dich ist leider nur ein Märchen.

  5. Peer Mennecke

    // am:

    Gestern bei „Hart aber fair“ wurde es von der Journalistin Isabel Schayani auf den Punkt gebracht:
    „Was ist das eigentlich für eine menschenfeindliche Debatte? Wir sprechen über Menschen wie über Klappstühle.“

  6. Robert Becker

    // am:

    @ KNUT SIEBENEINER

    Ich stimme Ihnen im wesentlichen zu. Das Problem ist aber meiner Meinung nach die Realität, mit der Flüchtlinge hier konfrontiert sind. Über die Art der Unterkünfte kann man ja ewig diskutieren, die individuelle Betreuung, insbesondere psychischer Leiden, dürfte aber mangelhaft und Hauptursache für die Bluttaten, zuletzt in Aschaffenburg, gegen die heimische Bevölkerung sein. Darüber hinaus natürlich bürokratische Fehler bei der Abschiebung. Die Frage ist, ob das bei der Masse an Flüchtlingen überhaupt besser machbar ist oder das dann irgendwo im Bereich des allgemeinen Lebensrisikos schwebt und zu dulden ist.

    Dass auch große Teile der Bevölkerung entsetzt sind und bei solchen Tragödien wie Aschaffenburg nicht differenziert in Ursache und Wirkung unterscheiden, sollte nicht verwundern.

  7. Franz Zeller

    // am:

    Sehr geehrter Herr Krause,

    ich bin am 30. Januar freiwillig einem Aufruf, ohne Ausrufezeichen, gefolgt. Den letzten Aufmarsch, den ich erlebt habe, war 1975 bei der Bundeswehr als Wehrpfichtiger.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Aufmarsch

  8. Knut Siebeneiner

    // am:

    @Peter Krause: Nicht jedeR, die oder der für die „Begrenzung und strengere Reglementierung der Einwanderung“ sei, sagen Sie, sei ein Nazi. Das sagt niemand. Aber alle, die mit dem Framing der Migration nach „der Mutter aller Probleme“ den Braunen nach dem Mund reden und ohne Not deren Feld bestellen, sollten sich dies einmal genau überlegen. Wer „ausreisepflichtig“ ist oder nicht, ist im Wesentlichen eine politische Kategorie, heute ist Afghanistan und Syrien ein sicheres Drittland, morgen vielleicht die Ukraine?!
    Die Behandlung von Flüchtlingen an den Außengrenzen, in den Lagern und Abschiebegefängnissen inner- und außerhalb von Europa verstößt gegen geltendes Recht. Nur interessiert das leider nur eine politische Minderheit. Dem Rest ist das eigene Hemd, und möge es noch so löchrig sein, näher als der fremde Kittel.
    Ihrer Formulierung, dass das Dublin-Verfahren gescheitert sei (passivische Formulierung), lässt außer acht, dass es jahrelang u. a. von der BRD gezielt untergraben wurde, um unliebsame Migrant*innen in den Grenzstaaten des Südens von unseren Fleischtöpfen fernzuhalten.
    Ich würde auch gerne von Ihnen wissen, wie man dem gar nicht mal so schleichenden Rechtsruck, manche sagen Faschisierung, denn bitte sonst entgegen treten sollte, als mit Entschlossenheit. Eine Demokratie, die keinen lauten Dissens duldet, ist keine. Aber vielleicht halten es manche auch mit dem Tucholsky-Wort „Küsst die Faschisten, wo Ihr sie trefft“?

  9. Dr. Peter Krause

    // am:

    Ich finde es sehr befremdlich, dass drei Parteien bzw. deren Kandidaten für den Bundestag zu einer Demonstration vor dem Wahlkreisbüro eines Bundestagsabgeordneten einer anderen Partei aufrufen bzw. sich an einer derartigen Kundgebung beteiligen. Wollen diese Parteien bzw. Kandidaten auf diesem Wege – also mit dem „Aufmarsch“ von vielen Menschen vor der Tür eines Abgeordneten – Druck auf einen freigewählten Parlamentarier ausüben?

    Dies scheint mir der Fall zu sein. Sehr bedauerlich.

    Und dann noch eine Frage: Wie wollen die Abgeordneten, die an dieser Kundgebung teilgenommen haben, die Zuwanderung begrenzen und ausreisepflichtige Personen in deren Heimatländer bzw. in die sicheren Erstaufnahmeländer zurückführen? Was sind deren konkreten Vorschläge?

    Und mit Verlaub: Ein Verweis auf einen alten oder neuen europäischen Verteilungsschlüssel oder „Mechanismus“ erschiene mir zu dürftig, ist doch das sogenannte „Dublin-Verfahren“ bereits seit Jahren vollkommen gescheitert und ich sehe nicht, dass irgendein Land der EU bereit wäre, mehr Flüchtlinge bzw. Einwanderer aufzunehmen.

    Nicht jeder, der für eine Begrenzung und strengere Reglementierung der Einwanderung ist, ist ein „Rechter“ oder gar ein „Nazi“.

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