Soldaten im Gefecht Symbolbild: pixabay

„Deutschland kriegstauglich machen”

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Soldaten im Gefecht Symbolbild: pixabay
Soldaten bei Gefechtsübungen. Symbolbild: pixabay

Verteidigungsminister Boris Pistorius will die deutsche Gesellschaft „kriegstüchtig“ machen und fordert einen „Mentalitätswechsel“. Außerdem erklärt er Kritik an NATO oder EU zur Gefährdung der nationalen „Sicherheit“. „Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte“, äußerte Pistorius Ende Oktober.

In einer Rede an der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr vor rund 300 Offizieren hat Pistorius erklärt, die 100 Milliarden Euro Sonderschulden („Sondervermögen“), die Kanzler Olaf Scholz unmittelbar nach Beginn des Ukraine-Kriegs zur Aufrüstung der Bundeswehr bereitgestellt hatte, reichten allenfalls bis 2027 oder 2028 aus.

Vizekanzler Robert Habeck spricht sich bereits heute ausdrücklich für ein zweites Schuldenprogramm zur Finanzierung der weiteren Waffenbeschaffung aus. Weil Deutschland militärisch auf Bündnisse angewiesen sei, erklärt Pistorius Kritik an NATO und EU zur Gefährdung der „Sicherheit Deutschlands“; er engt damit die Bandbreite öffentlich akzeptierter Meinungen weiter ein. Darüber hinaus dringt er auf einen „Mentalitätswechsel“ in der Bevölkerung hin zu größerer „Wehrhaftigkeit“.

„Krieg in Europa“

Verteidigungsminister Boris Pistorius hat damit die deutsche Bevölkerung erneut auf einen möglichen Krieg einzuschwören versucht. Bereits in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ hatte der Minister erklärt: „Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte.“ [1] Dem fügte er kurz darauf in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk im Hinblick auf den Ukraine-Krieg hinzu, es gebe aktuell „eine Kriegsgefahr in Europa … durch einen Aggressor“; darauf sei die Bevölkerung „mental nicht eingestellt“. Das müsse sich jetzt ändern. [2] „Wir müssen in der Lage sein“, betonte Pistorius, „einen Krieg … führen zu können“. Dabei schränkte er seine Forderung noch auf „einen Abwehrkrieg, einen Verteidigungskrieg“ ein.

Neue Sonderschulden

Pistorius hatte sich zudem zur Aufrüstung der Bundeswehr geäußert. Demnach sind zwei Drittel des sogenannten Sondervermögens von 100 Milliarden Euro, das Bundeskanzler Olaf Scholz sofort nach dem Beginn des Ukraine-Krieges bereitgestellt hatte, bereits in konkreten Projekten vertraglich gebunden. Damit sei bis etwa 2027/28 genügend Geld da. Danach aber werde „das Sondervermögen verbraucht sein“, hatte Pistorius in einer Rede an der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr betont. Wolle man dann weiterhin umfassend aufrüsten – in einem Rahmen, wie ihn das Zwei-Prozent-Ziel der NATO stecke –, dann bedeute dies, das Volumen des Militärhaushalts müsse von da an „summa summarum 20 Prozent mehr“ beinhalten „als heute“. [3] Das wären, da sich der aktuelle Bundeswehrhaushalt auf etwas über 50 Milliarden Euro beläuft und 2024 auf 51,8 Milliarden Euro anwachsen soll, rund zehn Milliarden Euro pro Jahr. Wirtschaftsminister Robert Habeck plädiert dafür, statt einer regulären Erhöhung des offiziellen Wehretats erneut ein „Sondervermögen“ für die Bundeswehr zu schaffen. [4] Den Begriff Sondervermögen hat inzwischen sogar der Bundesrechnungshof gerügt und darauf hingewiesen, es handle sich faktisch um „Sonderschulden“. [5]

„Führung übernehmen“

Daran, dass die Bundeswehr lediglich zur Landesverteidigung aufrüsten soll, hat Pistorius selbst Zweifel geweckt. So erklärte er vor der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr, die sogenannte regelbasierte internationale Ordnung werde „weltweit“ immer stärker in Frage gestellt: „Krisenhafte Entwicklungen erfolgen in engerer Taktung und oft nicht vorhersehbar, Schlag auf Schlag“. [6] Deshalb müsse Deutschland „international Führung übernehmen“. Dies sei „nicht als Führungsmacht, sondern als Führungspartner“ zu tun; schließlich bildeten mehr denn je „unsere Bündnisse den Rahmen für unser Handeln“. Aktuell etwa bringt sich die Bundeswehr im östlichen Mittelmeer in Stellung. Zwar heißt es, dies geschehe lediglich, um etwaige Evakuierungsmaßnahmen durchführen zu können. [7] Doch haben Berliner Politiker bereits angedeutet, Deutschland werde nicht fernbleiben, falls Israel militärische Unterstützungsleistungen benötige. [8] Die Beteiligung an einem Krieg im Nahen Osten, womöglich im EU- oder im NATO-Rahmen, hätte mit Landesverteidigung nichts mehr zu tun. Dasselbe gilt zudem für die kontinuierliche Beteiligung der Bundeswehr an gegen China gerichteten Bündnismanövern in der Asien-Pazifik-Region. [9]

Das akzeptierte Meinungsspektrum

Dabei lässt die Bedeutung der Bündnisse für Deutschland laut Pistorius Kritik an EU oder NATO nicht mehr zu. Der Minister erklärte dazu: „Parteien, die jetzt fordern, die EU müsse sterben und Deutschland müsse die NATO verlassen …, gefährden die Sicherheit Deutschlands.“ [10] Welche Folgen sich aus einer angeblichen Gefährdung der „Sicherheit Deutschlands“ für diejenigen ergeben, die die „Gefährdung“ mit Kritik an NATO oder EU vermeintlich verursachen, ließ Pistorius offen. Jedenfalls engt sich damit das Spektrum der öffentlich akzeptierten Meinungen in der Bundesrepublik noch ein weiteres Stück ein. Spätestens seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs werden Äußerungen zu Russland, die noch anderes als eine schroffe Ablehnung beinhalten, systematisch ausgegrenzt. [11] Ähnlich verhält es sich mit Ansichten zu China. Seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober und dem Beginn des israelischen Kriegs im Gazastreifen werden nun auch palästinensische Positionen konsequent aus der deutschen Öffentlichkeit verdrängt. [12] Das Pistorius’sche Verdikt gegen Kritik an NATO und EU fügt der Tabuzone, bei deren Bruch man in der Öffentlichkeit informelle Sanktionen befürchten muss, weitere Elemente hinzu.

„Die Gesellschaft neu aufstellen“

Pistorius verlangte, seine Forderungen zusammenfassend: „Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“ [13] Die deutsche Gesellschaft habe seit 1990 weder Krieg noch echte Kriegsgefahr im eigenen Lande erlebt. Daran aber müsse man sich jetzt gewöhnen: „Das ist ein echter Mentalitätswechsel.“ Dem schloss sich im ARD-Interview Christian Mölling, Sicherheitsexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), an. Erforderlich sei „das Verständnis der Bevölkerung, einen möglichen Krieg tatsächlich mitzutragen“, erklärte Mölling: „Das ist, glaube ich, das Schwerste.“ Schließlich sei die Bundesrepublik seit 1990 „vom Krieg entwöhnt worden“. [14] Um sie nun wieder daran zu gewöhnen, sei „eine große Anstrengung“ erforderlich. Mölling schlägt daher die Ausrufung einer „sicherheitspolitische[n] Dekade“ vor. In deren Rahmen gelte es, fordert der Experte, „nicht nur die Bundeswehr, sondern die Bundesrepublik insgesamt kriegstauglich zu machen“.

[1] Dominik Rzepka: Pistorius sieht Gefahr eines Kriegs in Europa. zdf.de 29.10.2023.

[2] Pistorius: Bundeswehr muss Abwehrkrieg führen können. deutschlandfunk.de 31.10.2023.

[3] Pistorius betont Deutschlands Rolle als „Führungspartner“. sueddeutsche.de 27.10.2023.

[4] Habeck fordert mehr Geld für Bundeswehr nach dem Sondervermögen. zeit.de 28.10.2023.

[5] Sondervermögen: Anzahl und finanziellen Umfang reduzieren. bundesrechnungshof.de.

[6] Pistorius betont Deutschlands Rolle als „Führungspartner“. sueddeutsche.de 27.10.2023.

[7] S. dazu Einsatz im östlichen Mittelmeer.

[8] S. dazu Der Westen im Zielkonflikt.

[9] S. dazu Kriegsübungen in Südostasien (II).

[10] Pistorius betont Deutschlands Rolle als „Führungspartner“. sueddeutsche.de 27.10.2023.

[11] S. dazu Die dritte Front.

[12] S. dazu „Zum Schweigen gebracht“.

[13] Dominik Rzepka: Pistorius sieht Gefahr eines Kriegs in Europa. zdf.de 29.10.2023.

[14] Gefahr eines Kriegs in Europa? Sicherheitsexperte stimmt Pistorius zu. tagesschau.de 30.10.2023.

Text: Der Beitrag erschien zuerst auf www.german-foreign-policy.com
Symbolbild: Pixabay

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  1. Helmut Reinhardt

    // am:

    Aus längst vergangenen Zeiten: „Frieden machen: Lehren des Zweiten Weltkriegs“ – eine Aufzeichnung einer Podiumsdiskussion der Körber-Stiftung von 2017.
    Ein Dokument zur „Zeitenwende“ gefunden und kommentiert von Prof. Marcel Schütz:
    https://www.youtube.com/watch?v=PuIih9PQflQ
    „In dieser Sequenz (ab Minute 41.10) eines Podiums mit Top-Diplomat Wolfgang Ischinger von 2017 führt dieser detailliert aus, wie die NATO russische Interessen inkl. Ukraine, nach der Entspannungsphase der 90er, nicht beachtet habe. Eine heute so gute wie diskreditierte Position. Ansehen lohnt.

    Ischinger betont, man habe von europäischer und deutscher Seite die Pläne der USA auf eine angebahnte Mitgliedschaft der Ukraine und Georgien in der NATO „leider erst in letzter Minute“ abwenden können. Inzwischen, sechs Jahre später, wird hochoffiziell NATO- und EU-Mitgliedschaft diskutiert.

    Es geht mir hier nicht ums kleinkarierte Festnageln auf Statements. Schon gar nicht ums Vorführen von Herrn Ischinger, der in seinem Metier mit allen Wassern gewaschen ist, die Welt kennt und die Perzeptionen aller möglichen Staaten und Regierungen. Das Ganze ist doch etwas größer, von einzelnen Stimmen (und es gab ihrer sehr viele) losgelöst zu sehen. Als Soziologe interessiert mich der Wandel der Wahrnehmung, wie Zeit und Ereignis alles vergessen und nichtig machen. Unter dem Eindruck gerade jener Krise, deren Zuspitzung man doch eigentlich zu verhindern suchte. Und obwohl sich die Risiken im Grunde gar nicht geändert haben, allenfalls nur erhöhen oder unabsehbarer werden.

    Sechs Jahre Differenz bei einem nun gegenüber 2017 noch viel größeren Konflikt. Die Politik der Krise kann sich offenbar nur begrenzt Gedächtnis leisten und sie hat noch begrenzter kognitive Kapazität oder Sinn für kritische Folgenabschätzung. Wie wird man mit weiteren sechs Jahren auf diese Phase heute schauen? Gefangene der Zeit. Wir alle.

    Ironie der Geschichte: Es fällt in Ischingers Ausführung das Wort „Zeitenwende“. Hier ist es allerdings genau umgekehrt gemeint gewesen, als der Versuch des Näherrückens der NATO an Russland. Das ganze Gespräch vom 02.05.2017 in der Körber-Stiftung ist sehenswert. Zeitdokument, buchstäblich.“
    https://twitter.com/schuetz_marcel/status/1723447406258160003

  2. Claus Kittsteiner

    // am:

    „Wir müssen kriegstüchtig werden!“
    So die Forderung des deutschen Verteidigungsministers Pistorius. Wo bleibt der Aufschrei?
    Äußerungen wie diese sind ein drastisches Beispiel dafür, wie es klingt, wenn die Forderung nach einer vordringlich am Frieden statt der Kriegslogik ausgerichteten Politik als naiv, schwächlich und ‚kampfesunwillig‘ diffamiert wird. Gleichzeitig auch, dem Geist der ‚Zeitenwende‘ folgend, versucht wird, der Bevölkerung Aufrüstung, Kriege und das Töten als ’normale‘, immer schon da gewesene Mittel der Politik und als (angeblichen) Weg zur Sicherheit zu verkaufen.
    Was tun? Der Ideologie vom „Ausbrechen von Kriegen“ im luftleeren Raum muss die Analyse und offene Darlegung der interessengesteuerten, medial kaum erwähnten Entstehungshintergründe und der angestrebten Kriegsziele aller Beteiligten entgegengestellt werden. Der historisch gescheiterte Widerspruch „Aufrüsten für den Frieden“ sollte mehr als bisher durch das Aufzeigen der Folgen bewusst gemacht werden.
    Statt also „Kriegstüchtigkeit“ einzufordern, muss es heißen:
    – Friedensorientierung als oberstes Gebot der Politik! Gewalt akzeptierendes Denken und Handeln aufdecken und ächten! Die einseitige Ideologie „Wir sind die Guten“ mit Fakten entlarven.
    – Intensivste Diplomatie als Mittel zum Frieden statt Gewalt und Krieg, Interessenlagen beidseitig offenlegen, Kompromisse suchen und aushandeln – statt schießen!
    – Gewalt fordernde Verbündete zurückweisen mit Berufung auf die Verfassungsverpflichtung Deutschlands, „dem Frieden der Welt zu dienen“.
    Nur fromme Wünsche? Wo doch der aktuell bellizistische ‚Zeitgeist‘ es offensichtlich schafft, den Begriff ‚wehrhaft‘ zu ersetzen durch „kriegstüchtig“. Vorsicht beim zustimmenden Kopfnicken, der Stahlhelm könnte ins Gesicht rutschen und den Blick versperren. Die Folgen sind bekannt, die Geschichtsbücher sind voll damit.
    Claus Kittsteiner, Historiker

  3. Lothar Hussong

    // am:

    Im grundsätzlich gut zusammengefassten Beitrag zu Pistorius‘ Ausführungen gehen mir dann doch einige Punkte zu weit.
    Zunächst einmal teile ich nicht die Feststellung, es gäbe ein „Verdikt“, das kontroverse Diskussionen und Haltungen zu Nato, dem Israel/Gaza-Konflikt, Russland/Ukraine, China/Taiwan usw. in Deutschland verbiete. Pistorius hat in unserer Demokratie dank ihrer im Grundgesetz verankerten Meinungsfreiheit weder die Legitimation noch irgendeine Autorität, die „Bandbreite des akzeptierten Meinungsspektrums“ einzuschränken, wie behauptet. Als Demokrat hat er seine Haltung auch sicher so nicht verstanden. Pistorius‘ Meinung ist nicht gleichzusetzen mit einem Maulkorb für „anders“ Denkende. Das behauptete „Verdikt“ erinnert mich leider an das empörte Gejammer aus der rechten Ecke und der Querdenker- Szene, die gleich „Zensur“ schreien, wenn man nicht ihre Meinung teilt, oder abgemildert: „das wird man wohl noch sagen dürfen…“ (so auch Friedrich Merz) Ja, man darf, aber man darf auch andere Einstellungen vertreten, und man muss (!) sogar Kritik und abweichende öffentlich geäußerte Meinungen akzeptieren.
    Weiterhin scheint mir die anklingende Kritik an Pistorius zu sehr aus der nationalen Sicht betrachtet und auf die Bundeswehr beschränkt zu sein. Die derzeitigen und leider auch zukünftigen Konflikte sind nicht nur auf die betroffenen Regionen oder Staaten beschränkt, wie uns der Überfall auf die Ukraine so schmerzlich gezeigt hat. Insofern kommen wir mit alten Rezepten, die noch aus dem Kalten Krieg und der Einsortierung der Welt-Sicherheitslage in zwei Machtblöcke resultieren, nicht weiter. Deutschland als Nato-Mitglied, und damit die Bundeswehr, sieht sich anderen, weitaus aggressiveren und komplizierteren Konflikten gegenüber, die sich nicht mehr nur mit passiven friedenssichernden Maßnahmen oder einer „das geht uns nichts an“ – Haltung aus dem nationalen Blickwinkel heraus eindämmen lassen. „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ (zum Beispiel Deutschland) – diese Einstellung entspricht leider nur der Mentalität einer kleinen idealisierten Minderheit der Menschheit. Sie funktioniert nicht, insbesondere nicht gegenüber aggressiven diktatorischen autokratischen Regimen, die das Völkerrecht verhöhnen. Es funktioniert auch nicht in islamistisch geprägten Gesellschaften, nicht im Israel-Gaza-Krieg, in dem diese auch noch ultra-orthodoxen israelischen Hardlinern – unversöhnlich und hasserfüllt auf beiden Seiten – gegenüberstehen. Es gibt nichts, das das massenhafte Töten Unschuldiger rechtfertigt, und doch wird es praktiziert. Niemand darf wegschauen oder sich enthalten. Vor der derzeitigen Weltlage sind Pistorius‘ Ausführungen, militärisch „kriegsfähig“ zu werden, leider möglicherweise konsequent. Andere realistische Lösungen, die weniger Blutvergießen bedeuten, sind begrüßenswert und diskussionswürdig, dabei auf keinen Fall per „Verdikt“ verboten, sondern höchst willkommen.

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