Gemeinderat Kn 23 07 13 © Pit Wuhrer

Der Konstanzer Gemeinderat: zu einem Drittel neu. Aber auch besser?

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Gemeinderat Kn 23 07 13 © Pit Wuhrer
Der alte Gemeinderat vor einer Sitzung

Am heutigen Donnerstag trifft sich der frisch gewählte Gemeinderat zu seiner konstituierenden Sitzung. Das neue Gremium steht dabei – wahrscheinlich zur Freude der Verwaltungsspitze – politisch weiter rechts. Doch wer sind nun die Neuen?

Knapp ein Drittel der Stadträt:innen sind zum ersten Mal dabei, manches Urgestein wurde abgewählt. Gewinne verzeichnete das konservative Lager, namentlich CDU und Freie Wähler. Entgegen dem Bundestrend konnte auch die SPD zulegen. Die Grünen haben drei Mandate verloren, bleiben aber stärkste Fraktion. Draußen blieben die rechtsextreme AfD, die gar nicht erst antrat, und die rechtslastige Liste „KN Kommt“.

Erstmals traten Freien Grüne Liste und der neu gegründete Ortsverein der grünen Bundespartei mit einer gemeinsamen Liste an. Hat’s was gebracht? Oder hat es die hiesigen kommunalen Grünen enger mit dem Abwärtstrend der Bundespartei verwoben? Schwer zu sagen. 

Beim Aufstellen der Liste sind die Grünen dem Prinzip gefolgt, die ersten Plätze mit jungen Erstkandidat:innen zu besetzen. Denn die Altgedienten und Bekannten würden, so die Erfahrung, auch auf hinteren Listenplätzen genug Stimmen einsammeln. Doch die Wähler:innen hielten sich diesmal nicht an die alte Regel. 

Die Grünen werden jünger

Abgewählt wurde beispielsweise Till Seiler, im Hauptberuf Lehrer und kurzzeitig Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen, der im Gemeinderat durch seine Sachkenntnis in Sachen Bildung und Haushaltspolitik auffiel. Abgewählt wurde mit Peter Müller-Neff auch ein Urgestein des Konstanzer Gemeinderats, dem er mehr als vier Jahrzehnte angehörte. Bis 2004 für die CDU, dann für die FGL, war Müller-Neff ein engagierter Kämpfer für den Natur- und Artenschutz und engagierte sich etwa gegen die Überbauung von Grünflächen wie den Christiani-Wiesen (Baugebiet „Am Horn“) oder dem Acker am Rande der Jungerhalde.

Erst 28 Jahre jung, neu in den Rat gewählt und doch auch schon ein grünes Urgestein: Niklas Becker, Lehramtsstudent, ehemals Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung und bekannt als ein Gesicht der Konstanzer Fridays for Future. Während die grüne Fraktion für die wichtigen Gemeinderatsausschüsse weitgehend ihre altgedienten Rät:innen nominiert hat, schickt sie Becker in den auch fürs Personal und die Finanzen zuständigen Haupt-, Finanz- und Klimaausschuss (HFK).

Stimmenkönigin der nurmehr mit zehn statt bislang dreizehn Sitzen vertretenen Grünen wurde Lisa Kreitmeier, Tochter der FGL-Stadträtin Christiane Kreitmeier. Auf ihr politisches Profil dürfen wir gespannt sein. Die FGL zeigt hier einmal mehr, dass sie nach vier Jahrzehnten Kommunalpolitik bei den etablierten Parteien angekommen ist und wie diese auch Erbhöfe zu  bilden vermag: Die Leiners, die Heißens, die Leipolds, die Venedeys, Großhans-Leonhardts und wie die Familien alle heißen und hießen: Konstanzer Wähler:innen der Linken wie der Rechten vertrauen dem Nachwuchs bewährter Stadträt:innen.

Geheimmission Wohnungsbau

Die beiden anderen grünen Neulinge im Rat haben bislang wenig politisches Profil gezeigt. Die Sportwissenschaftlerin und Gewichtheberin Cosima Cornelius hat den (Schwer-)Athletikclub Konstanz aufgebaut und über Jahre geleitet. Mit ihr bekommen also die Sportvereine eine gewichtige Stimme im Rat.

Ein außerhalb der Grünen, in deren Kreisvorstand er lange tätig war, gänzlich unbeschriebenes Blatt ist Samuel Hofer. Gemäß seinem Wahlkampfmotto „Mehr Freiräume für junge Menschen – ohne Konsumzwang“ darf der Lehramtsanwärter seine Fraktion künftig im Jugendhilfe-, im Bildungs-, im Präventions-,  im Sport- und im Sozialausschuss vertreten. Auffällig ist Hofers Nominierung für den Aufsichtsrat der städtischen Wohnungsbaugesellschaft WOBAK, denn er ist nie mit einem wohnungspolitischen Statement hervorgetreten. 

Seine Nominierung kann heißen: Die WOBAK-Geschäftsführung macht sowieso, was sie will; der Aufsichtsrat hat da eh keinen Einfluss darauf. Oder, für FGL/Die Grünen ist Wohnungspolitik eher nachrangig. Wir werden es nie erfahren, denn der Aufsichtsrat tagt geheim.

Die Metzgerin und der Karrierist

Die CDU dürfte mit dem Gewinn eines Sitzes zufrieden sein. Sie ist nun mit acht Rät:innen vertreten, darunter drei Frauen: Heike Rawitzer, Professorin für Marketing an der Fachhochschule ZHAW in Winterthur; dann die Wiedereinsteigerin Sabine Feist, die bereits bis 2019 dem Rat angehörte. Sie ist im katholischen Milieu engagiert, als Architektin auf ihrem Fachgebiet aber progressiven Ideen gegenüber durchaus aufgeschlossen.

Neu dabei ist Katharina Müller, vom vorletzten Listenplatz auf Rang 8 und damit in den Rat hochgewählt. Kommunalpolitisch ein völlig unbeschríebenes Blatt, leitet Frau Müller zusammen mit ihrer Schwester Sonja die ererbte Metzgerei und steht im Hauptgeschäft Rosgartenstraße oft selbst an der Kasse. Bekanntheit zahlt sich aus, Kommunalwahlen sind eben auch Persönlichkeitswahlen.

Wieder dabei ist der 2019 abgewählte Joachim Filleböck, Vorsitzender des CDU-Ortsverbands und wie Feist in der katholischen Altstadtgemeinde engagiert. Im Hauptberuf Wirtschaftsprüfer, wird er die CDU im Haupt-, Finanz- und Klimaausschuss HFK vertreten. 

Als echten Neuzugang schicken die CDU-Wähler:innen Levin Eisenmann in den Rat. Der 27-jährige Jurist, der sich gern adrett im weißem Hemd und Jackett zeigt, trat schon als Schüler in die Partei ein. Bei der letzten Landtagswahl als CDU-Kandidat von den Plakaten lächelnd, hat er es schon bis in den Landesvorstand geschafft und ist auf dem besten Weg zum Berufspolitiker. Die Alt-Stadträte Heinrich Fuchs und Kurt Demmler standen nicht mehr zur Wahl, auch Stadtführer Daniel Groß, mit blauer Brille und blondem Zopf zumindest äußerlich ein Exot in seiner Fraktion, trat nicht mehr an.

SPD: Abschied von Dettingen

Nicht mehr wiedergewählt wurde mit dem Dettinger Alfred Reichle der Rechtsaußen der ja insgesamt eher konservativen Konstanzer SPD. Lange war Dettingen-Wallhausen eine Hochburg der Sozialdemokraten, doch bei den letzten Wahlen landeten sie dort nur noch auf dem viertem Platz. Fritz Weißhaupt, Helmut Gloger, Roland Schöner, Albert Griesmeier (um nur ein paar zu nennen), vertraten ihren Ort in der Konstanzer Kommunalpolitik. Mit Reichles Abgang endet vorerst die Präsenz der Dettinger SPD im Gemeinderat.

Ungeachtet populistischer (oder gerechtfertigter) Ampelschelte und entgegen dem Bundestrend hat die SPD bei der Gemeinderatswahl etwas zugelegt und ist künftig mit sechs statt bisher fünf Menschen im Rat vertreten. Der aufwendige Wahlkampf mit den gut gemachten Flyern hat sicher zum Erfolg beigetragen. 

Neu dabei ist Andreas Hennemann, Rechtsanwalt und dereinst OB-Kandidat. Überhaupt scheint der Einsatz in eigentlich aussichtslosen Wahlkämpfen von den Sozis honoriert zu werden, denn mit Petra Rietzler bekam auch eine 2021 erfolglose Landtagskandidatin einen sicheren Listenplatz und damit ein Gemeinderatsmandat. Rietzler hat sich über ihre Elternbeiratsarbeit bisher vor allem als Bildungspolitikerin profiliert.

Jung und migrantisch

Für die SPD gewählt wurde auch der Abiturient und künftige HTWG-Student Khaled Badawi. Badawi, nicht verwandt mit dem früheren FGL-Stadtrat Mohamed Badawi, ist bisher schon in der Jugendvertretung engagiert, jobbte auf dem Wochenmarkt und als Pizzakurier und war sich nicht zu schade für einen mühseligen Haustürwahlkampf. 

2016 mit seiner Familie aus Syrien geflohen, möchte er sein neues Amt nutzen, um vor allem Migrant:innen und der Jugend eine Stimme zu geben. Das klingt noch ziemlich vage, Migrant:innen wie Jugendliche sind große Gruppen mit vielfältigen, oft widersprüchlichen Interessen. Man wird sehen, ob der junge Mann hier für die SPD neue Akzente setzen kann oder nach ein paar Jahren, von den Fraktionskolleg:innen und den Machtstrukturen ausgebremst, enttäuscht dass Handtuch wirft.

Für viele überraschend nicht gewählt wurde Winfried Kropp, der als Chef des örtlichen Mieterbunds und lautstarke Stimme des sozialen Wohnungsbaus ja eigentlich eine starke Hausmacht hinter sich hätte haben müssen. Anders als Katharina Müller schaffte er es nicht, von einem schlechten Listenplatz nach oben gewählt zu werden. Als ob eine bezahlbare Wohnung nicht wichtiger wäre als ein gutes Steak.

Gewerbler und Weißkittel

Die Freien Wähler mussten diesmal auf ihr langjähriges Zugpferd Dr. Ewald Weisschedel verzichten, der altershalber nicht mehr zur Wahl antrat. So wären sie wohl zufrieden gewesen, die fünf Sitze der letzten Legislaturperiode zu halten – und gewannen dann gar noch einen Sitz dazu. Statt Weisschedel sitzen künftig mit die Doktores Roland Ballier und Simone Brunner im Rat. Letztere tritt damit auch das politische Erbe ihres Vaters Ulrich an, der bis 2006 Gemeinderat war. Auch den Apotheker Daniel Hölzle darf man im weiteren Sinn den Weißkitteln zurechnen, womit die Fraktion der Freien Wähler zur einen Hälfte aus Heilkundigen, zur anderen Hälfte aus Handwerkern (Christian Koßmehl, Jürgen Faden) und anderen Gewerblern (Susanne Heiß) besteht.

Die FDP konnte ihre drei Sitze halten. Frauen haben dort aber weiterhin keine Chance. An der Fraktionsspitze steht mit dem Blechner Achim Schächtle (Eigenlob: „Ich bin der Grünste von allen“, zitiert im Südkurier vom 19.12.2019) ein lupenreiner Neoliberaler. Mit dabei der im Rat bisher eher blasse HNO-Arzt Frank Hoffmann und als Neuling der pensionierte Berufsschulleiter Manfred Hensler, also ein Bildungserfahrener.

Von hinten nach vorn

Bei weiterhin vier Sitzen für das Junge Forum Konstanz (JFK) haben die Wähler:innen tüchtig am Personalkarussell gedreht. Während Alt-Stadträtin Verena Vögt mit ihrem 38. Listenplatz klar kundgab, dem neuen Rat nicht mehr angehören zu wollen, hatten sich Christine Finke (Platz 3) und Matthias Schäfer (Platz 7) wohl den Wiedereinzug erhofft.

Pustekuchen. Nur Gabriele Weiner konnte ihren Sitz halten. Ansonsten wollte das Wahlvolk beim JFK neue Gesichter. Frisch dabei künftig die Architektin und Elternbeirätin Svetlana Wiedenbeck, die, so mein Eindruck auf einer Podiumsdiskussion, mit manchen kommunalpolitischen Themen aber noch wenig vertraut ist. In einem Südkurier-Interview nennt sie Handwerkermangel, fehlende Erzieher:innen und zu teuren Wohnraum als zentrale Probleme der Stadt, will sich zudem für Optimierung und Digitalisierung einsetzen.

Für das JFK neu in den Rat einziehen wird auch der Erlebnispädagoge Moritz Schneider. Er vertritt seine Gruppierung im Haupt-, Finanz- und Klimaausschuss. Schneider, Generation Startup, war Mitgründer des Karla-Magazins und initiierte den Kulturkiosk am Bahnübergang Petershauser Straße. Seine politische Priorität: Mehr Beteiligung, etwa mittels Nachbarschaftsräten. Seine Vision: Eine Großküche, die Konstanzer Schul- und Kitakinder mit aus regionalen Lebensmitteln zubereitetem Essen versorgt.

Als dritter Neuzugang bereichert Alex Tasdelen die JFK-Fraktion. Der Grundschullehrer und Musiker hat bislang nicht mit politischen Statements auf sich aufmerksam gemacht. Auf der Website des JFK setzt er sich für eine nachhaltige, grüne und menschenfreundliche Stadt für alle ein. Wer wollte dem widersprechen? Immerhin: Bei der Wahlorientierung von BUND, NABU und Fridays erreichte er unter den JFK-Kandidat:innen nach Verena Vögt die zweithöchste Punktzahl.

Alles beim Alten?

Bleibt die Linke Liste Konstanz (LLK). Sie darf aufatmen und ist noch einmal davongekommen, insofern sie trotz Stimmenverlusten ihre drei Sitze halten konnte. Als einzige Fraktion bleibt sie unverändert. Schon anhand der Wahlliste zeichnete sich ab, dass die alten Stadt:rätinnen auch die neuen sein werden. Offenbar fehlte es an neuen jungen Köpfen, die sich das Amt zutrauten und denen es auch zugetraut wurde.

Also weiter standhaft gegen das Bodenseeforum, gegen Privatisierungen, für sozialen Wohnungsbau und generell für die sozial Schwachen. Man wird sehen, ob die brennendsten Fragen unserer Zeit, nämlich Klima- und Artenschutz, das Abstimmungsverhalten der linken Räte in der neuen Legislaturperiode stärker beeinflussen werden.

Text: Ralph-Raymond Braun
Fotos: Holger Reile, Pit Wuhrer

2 Antworten

  1. Tobias Braun

    // am:

    Ein Hallöchen,
    alles nett zu lesen, gleichwohl einer Ergänzung wert: So ganz unbeschrieben ist das Blatt Herrn Hofers nicht, war er doch zum Beispiel Teil des Wahlkampfteams von Luigi Pantisano. Hier könnte man also etwas argumentativ abrüsten…
    Cheerio

  2. Dr. Peter Krause

    // am:

    Vielen Dank für diesen anregenden Überblick!

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