Symbolbild Fahrradparken, aufgenommen am 5. Oktober 2019 am Münster in Konstanz © Harald Borges

Das Rad wieder mal neu erfinden

Fahrradparken am Münster im Nebel (c) O. Pugliese

In dieser Woche nimmt die Lokalpolitik in Baden-Württemberg langsam wieder Fahrt auf. In Konstanz tagen mit dem Technischen und Umweltausschuss (TUA) sowie dem Haupt-, Finanz- und Klimaausschuss (HFKA) gleich zwei besonders wichtige Ausschüsse. Dabei sind auch für den innerstädtischen Radverkehr bedeutsame Beschlüsse zu erwarten.

Seit der Einrichtung der Fahrradstraße in Petershausen ist in den Augen der meisten Radfahrer*innen wenig Aufsehenerregendes geschehen. Allerdings zeigen abgesenkte Bordsteinkanten, bessere Wegweiser und großartige Fahrradabstellanlagen im Paradies, dass es vorangeht mit der Radstadt. Insbesondere 400 Räder, die an den 200 neuen Bügeln nachts sicher angekettet werden können, dürften jetzt ruhiger schlafen und selig von den Pyrenäen-Etappen der Tour de France träumen, statt angstvoll dem Moment ihrer Entführung und Zerlegung oder gar ihres Verkaufs in die Sklaverei unter einem fremden Hintern entgegenzuzittern.

Und doch, das alles hat eher etwas von verkehrspolitischen Trippelschritten als von Siebenmeilenstiefeln an sich, wenn man nur an die ungelösten Probleme etwa am Zähringerplatz denkt, wo Radfahrer*innen und Fußgänger*innen noch immer demütigend schlecht gestellt sind, während hämisch grinsende Automobilist*innen auf breiter Spur bei Dauergrün an ihnen vorbeirauschen.

Das Manna der Verkehrspolitik

Allerdings steht jetzt die Teilnahme am nächsten Durchgang der Aktion RadKultur des Landesverkehrsministeriums an, und dann sollen einige neue Maßnahmen ergriffen werden, denn RadKultur heißt Geld von anderen, und da unternimmt jede öffentliche Verwaltung etliche Kopfstände, um an das alleinseligmachende Manna zu gelangen, auf das alles Verwaltungstrachten gerichtet ist: Die Fördermittel aus fremden Töpfen. Recht so, mag der Konstanzer in uns hinzufügen, denn fremdes Geld ist doppelt so viel wert wie eigenes und damit schon beinahe so begehrt wie Schwarzgeld – auch wenn solche Ausgaben für die RadKultur (nieder mit der Binnen-Majuskel, diesem lächerlichen Geschöpf des Marketing-Neusprechs!) den Baden-Württemberger in mir natürlich schwer aufseufzen lässt.

Die Stadtverwaltung hat nach eigenen Angaben jedenfalls hehre Absichten: „Mit der Bewerbung für das Förderprogramm RadKultur verfolgt die Stadt Konstanz das Ziel, durch den Ausbau an Radservice-Angeboten im Stadtgebiet und die Intensivierung der Kommunikationsmaßnahmen mehr KonstanzerInnen dazu zu motivieren, im Alltag auf das Fahrrad umzusteigen.“

Fahrradparken am Münster (c) O. Pugliese

Auf, auf!

Die verschärften „Kommunikationsmaßnahmen“ hören sich für passionierte Radler*innen eher wie eine Drohung an, ja, sogar wie eine echte Radweg-Ersatzleistung. Es müsste sich eigentlich längst bis in die Verkehrsplanungsbüros herumgesprochen haben, dass die Leute nicht aufs Rad steigen, weil ihnen die Radverkehrsinfrastruktur nicht gut und sicher genug ist und sie ihr billiges Leben, von dem sie schließlich nur eins haben, nicht unter einem LKW verlieren oder sich „nur“ auf einem viel zu schmalen Radweg den Arm brechen und die Zähne ausschlagen wollen. Die ausgelatschten Kampagnen fürs Radfahren dürften also niemanden aus dem Autositz in den Fahrradsessel locken. Aber in Zeiten des „optimierten Selbstmarketings“ (vor wenigen Jahren noch unter dem Etikett „billiges Eigenlob“ für seinen Gestank berüchtigt) schreckt niemand mehr davor zurück, mit aller Kraft die Werbetrommel zu rühren – auch wenn es sich beim Fahrrad um ein Produkt handelt, das nahezu 100% der Weltbevölkerung bestens bekannt ist und das selbst in Deutschland in praktisch jedem Haushalt herumsteht. Wo Rauch ist, sollen wir offenkundig denken, müsse auch das große Feuer herrlichster Fahrradinfrastruktur lodern.

Bereits 2022 bis 2023 nahm die Stadt an diesem Förderprojekt teil, zu dem sie auch selbst etwas beitrug, denn neben den 75.000 Euro, die das Land spendierte, betrug ihr Eigenanteil 27.361,94 Euro. Insgesamt wurden in diesen beiden Jahren also 100.000 Euro im Rahmen dieses Programms investiert, und das gab es für dieses Geld:

  • 17 Radservice Stationen an den wichtigsten Radverkehrsachsen (eine pro Stadtteil und Teilort).
  • Monatliche, kostenlose RadChecks, immer am 22. Tag des Monats im Herosépark (höchst beliebt bei Jung und Alt).
  • Mitmachaktionen wie RadSchnitzeljagd und RadBonusaktion in den Sommerferien.

Also eine ganze Menge, und dafür lohnt es sich schon, Förderantragsstapel auszufüllen, auch wenn nur fünf Finger die Feder führen, aber der ganze Antragsteller mitleidet. (Natürlich gibt es auch zahlreiche Vorhaben, die nichts mit der RadKultur zu tun haben, etwa das Fahrradparkhaus am Bahnhof und überhaupt das Fahrradparken.)

Radservice an Schulen

Nach diesen guten Erfahrungen aus de Vergangenheit will Konstanz jetzt am gleichen Programm für die Jahre 2024-2025 teilnehmen, im Amt glühen die Wangen vor Arbeitseifer, und beabsichtigt ist in den nächsten beiden Jahren eine Fortsetzung der bisherigen RadKultur (bei ebenfalls wieder 75.000 Euro vom Land und 27.500 Euro aus eigener Tasche):

Sollte die Stadt Konstanz das große Förderpaket 2024/2025 erhalten, sollen folgende Produkte aus dem Katalog der Initiative RadKultur in Anspruch genommen werden:

  • Ca. 19 RadService-Stationen an Schulen. So steht jeder Schule eine RadService-Station zur Verfügung.
  • Ca. 28 RadChecks. So finden weiterhin monatliche RadChecks, inkl. RadCheck zum Beginn des Stadtradelns und LichterCheck im Dezember, jährlich statt.

„Weitere Aktionen, insbesondere zum Thema Rücksichtnahme, entwickelt die Projektgruppe gemeinsam mit der Initiative RadKultur sowie in Abstimmung mit den Stadtwerken Konstanz, Marketing und Tourismus Konstanz und Trägern öffentlicher Belange.“ Diese Rücksichtnahme-Aktionen sind tatsächlich dringend nötig, denn der schmale Fahrradstreifen auf der Alten Rheinbrücke verkommt immer mehr zu einem Fußweg, auf dem ganze Klumpen notorisch Zu-Fuß-Latschender rücksichtslos den Radverkehr verhindern. Es bleibe unerwähnt, dass diese Irren zudem Selfies mit der Abendsonne schießen, welche sie, wenn es in der Welt gerecht zuginge, nie wieder aufgehen sähen, weil sie nämlich als modriges Fischfutter den Rhein hinabtrieben.

Aber auch die Radstationen an Schulen (an denen während der Unterrichtsstunden tatsächlich wahre Herden von Stahlrössern umherstehen) sind eine hervorragende Idee, nicht allein unter praktischen, sondern auch unter pädagogischen Gesichtspunkten. Dann müssen in Zukunft die Schüler*innen nämlich nicht mehr wie wir anno dunnemals ihren Lehrern ein munteres „Non vitae sed scholae discimus“ vorlügen, sondern können ihren Lehrern befreit ein grundehrliches „Nicht fürs Lernen kommen wir in die Schule, sondern um an unseren Rädern zu schrauben“ entgegenzwitschern.

Text & Bild: O. Pugliese

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