Der Anteil der älteren Menschen an unserer Bevölkerung wird auch in den nächsten Jahren ständig weiter zunehmen. Doch die Gesellschaft ist darauf schlecht vorbereitet. Im Gespräch mit Harry Fuchs und Thomas Sturm vom Konstanzer Stadtseniorenrat geht es um Chancen und Herausforderungen für ältere Menschen in einer Umgebung, in der für sie weniger Platz als für frühere Generationen ist.
Teil 4, Teil 1 finden Sie hier
seemoz: Sie stellen die Nachbarschaftshilfe, also die Mitmenschlichkeit, in den Mittelpunkt. Andererseits aber geht es aber oft nicht ohne Pflege- und Haushaltsdienste.
Harry Fuchs: Es ist sehr, sehr wichtig, dass die Nachbarschaft genau hinschaut, was geschieht. Es geht um Aufmerksamkeit dafür, in welcher Situation jemand ist. Sieht man ihn schlampig rumlaufen, macht er den Eindruck, dass er überhaupt noch mit jemandem Kontakt hat? Es ist sehr wichtig, dass man da einfach genauer hinschaut.
Thomas Sturm: Paare, die im Alter noch zusammen sind, bleiben viel länger zu Hause. Wir haben aber zunehmend Einzelpersonen, also Single-Haushalte, die in die Jahre kommen und Unterstützung benötigen. Die werden natürlich, weil sie niemanden haben, schneller Fremdunterstützung benötigen als Paare. Das heißt nicht unbedingt Pflegeheim, sondern tätige Hilfe, auch durch einschlägige Dienste, weil die Unterstützung durch den Partner oder die Partnerin daheim fehlt.
Jeder muss einfach daran denken, wie er später leben kann und will, wenn er schlecht hört, schlecht sieht, wenn vielleicht auch noch Alzheimer hinzukommt. Man muss sich auch als wesentlich jüngerer Mensch bereits mit diesen Themen vertraut machen. Nicht aus Angst vor dem Alter, denn wie wir Alten wissen, bietet das Alter auch schöne Zeiten.
Harry Fuchs: Ein ganz zentrales Thema ist die Einsamkeit, denn viele ältere Menschen sind komplett allein. Manche sind dies aus freien Stücken, aber die meisten würden gern Kontakte haben, wissen aber nicht, wie sie das anstellen sollen.
seemoz: Man spricht ja auch vom „sozialen Tod“ und meint damit die Isolation, die gerade im Alter eintritt, wenn Freunde und Partner weggestorben sind und es fast unmöglich ist, neue Kontakte zu knüpfen. Dazu kommt dann die erdrückende Langeweile, wenn man den ganzen Tag allein zu Hause sitzt, denn man kann ja nicht rund um die Uhr immer nur fernsehen oder lesen. Man merkt Menschen, die viele Jahre lang sehr wenig Außenweltkontakte hatten, oft an, dass sie langsam verblöden oder zumindest wunderlich werden.
Thomas Sturm: So ist es. Viele Menschen sterben ja schon lange, bevor der physische Tod eintritt, weil sie sich geistig zurücknehmen und nichts mehr zutrauen oder nichts mehr machen wollen.
Harry Fuchs: Das Altwerden ist für viele Menschen eine radikale Umstellung. Gerade Männer haben sich ihr Leben lang über ihre Arbeit definiert und sind jetzt plötzlich ohne Arbeit. Frauen hingegen haben sich meist den Kindern gewidmet und daneben noch, oft über ihr ganzes Leben hinweg, ein soziales Umfeld aufgebaut und gepflegt. Deshalb stehen die Männer oft ziemlich ratlos da. Handwerksberufe haben es noch leidlich gut, die können auch in der Rente zu Hause noch weiterwerkeln, und ihre Frau freut sich vielleicht, dass sie nicht den ganzen Tag in der Wohnung rumsitzen, sondern im Keller einen neuen Küchenschrank bauen. Männer aber, die etwa eine Führungsposition im Büro hatten, fallen oft in ein Loch, wenn sie nicht aufgefangen werden. Gerade für diese Menschen wäre es sehr naheliegend, sich im Ehrenamt zu betätigen. Und eine solche Überlegung sollten Sie sehr früh anstellen und rechtzeitig damit anfangen.
Thomas Sturm: Es gibt Untersuchungen, dass regelmäßige soziale Betätigungen gut gegen Demenz sind und eventuell sogar das Leben verlängern können. Der Austausch mit anderen und gemeinsame Unternehmungen mit ihnen können die gute gesunde Phase im Alter wohl zumindest ein wenig verlängern. Abgesehen davon, dass sie ganz einfach mehr Spaß machen, als allein zu Hause rumzusitzen.
Harry Fuchs: Überlegt euch, was ihr gegen Einsamkeit tun könnt! Wir als Stadtseniorenrat sind keine große Institution, wir können nur Informationen geben und Anregungen. Wir sind vor allem Interessenvertreter für die Senioren. Wobei uns der Begriff „Senioren“ wehtut, weil wir zunehmend merken, dass sich kaum jemand ab 60 als Senior fühlt, zumal viele Leute in dem Alter ja auch noch etliche Jahre arbeiten müssen. Es gibt auch immer noch diskriminierende Darstellungen von Senioren, zum Beispiel in einem Infoblatt von Smart Green City, in dem Senioren als alt und ein bisschen gaga dargestellt werden, als zu wenig flexibel und nicht mehr lernfähig.
Unsere Altersgruppe jenseits der 60 ist in Wirklichkeit sehr inhomogen. Es gibt sehr fitte Leute, es gibt kranke Menschen und solche mit mentalen Einschränkungen, es gibt Menschen, die genug Geld haben, endlich ausgiebig zu reisen, und andere mit sozialen Problemen. Es gibt einfach alles. Daher finde ich das Operieren mit solchen klischeebeladenen Vorurteilen sehr gefährlich, weil sie sich nur auf einen kleinen Teil der älteren Menschen beziehen. Wir sprechen lieber von „älteren Menschen“.
Thomas Sturm: Wir verstehen uns vor allem als Impuls- und Ratgeber. Für mehr sind wir mit zehn Leuten zu schwach und, ehrlich gesagt, auch zu alt.
seemoz: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führte Harald Borges, die Fotos stellte der Stadtseniorenrat zur Verfügung.
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