Lars Hofmann Seemoz Büro2 © Pit Wuhrer

„Da war ein Aufruhr, viele heulten“

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Lars Hofmann Seemoz Büro2 © Pit Wuhrer

Schafft die Linke wieder den Einzug in den Bundestag? So manches spricht dafür – beispielsweise die vielen Beitritte vor allem junger Bürger:innen. Einer, der selber noch nicht lange dabei ist, erklärt den Grund dafür. Und erzählt, weshalb er für den Bundestag kandidiert.

Das Gespräch im Konstanzer seemoz-Büro geht deutlich länger als gedacht: Lars Hofmann, 35 Jahre, hat viel zu berichten. Wie er in Konstanz aufgewachsen ist, warum er so spät der Linken beitrat, weshalb ihm die Gewerkschaft wichtig ist. Und dann muss er ja auch noch fotografiert werden. Leider hat er diesmal nicht das T-Shirt an, das er bei der Podiumsdiskussion der Bundestagskandidat:innen Mitte Januar in Hegne trug, an der auch der AfD-Kandidat teilnahm: „Liberté, Egalité, FCK AfD“. 

Hat sich die Linke schon bei Friedrich Merz bedankt?

Wir haben darüber schon gesprochen, dass wir aufgrund der Zusammenarbeit von Friedrich Merz mit der AfD viel Zulauf bekommen. Wir haben jetzt im linken Kreisverband jede Menge neue Leute. Das wäre vermutlich auch ohne Merz passiert, weil vor einer Bundestagswahl immer Menschen beitreten. 

Aber nicht immer 11.000 innerhalb von zwei Wochen.

Die Linke hat in Baden-Württemberg 1600 neue Mitglieder gewonnen, da passiert also einiges. Dahinter steckt aber auch viel Social-Media-Arbeit, was gerade junge Leute anspricht – Heidi Reichinnek zum Beispiel engagiert sich da besonders.

Spielt der allgemeine Rechtsruck eine Rolle?

Auf jeden Fall. Der Rechtsruck, der durch die ganze Parteienlandschaft geht, bringt die Leute tatsächlich zur Linken, weil sie wahrscheinlich merken: Okay, egal wie es die Grünen oder die SPD verpacken – am Ende bleibt nur die Linke, die konsequent ihre Linie verfolgt.

Wenn man Olaf Scholz im Gespräch mit Merz sagen hört: Wir machen eigentlich das Gleiche, nur im rechtsstaatlichen Rahmen und konform mit der EU, dann ist das kein anderer Weg. Er sagt: Wir tun doch das, was ihr von uns fordert.

Und da ist die Empörung dann irgendwie kleiner oder gar nicht da. Das ist, was ich nicht verstehe.

Und das merken die Jungen? Du triffst ja vielleicht ab und zu welche beim Wahlkampf.

Titelbild Spiegel 43 2023 Scholz Abschieben
Spiegel-Titel Nr. 43/2023

Teilweise. Klar, jeder Mensch hat da irgendwie eine andere Einstellung dazu. Wenn ich jetzt hier zum Beispiel auf eine Gegen-rechts-Demo gehe und dann, wie jetzt am Samstag, Andreas Jung mitläuft und eine SPD mitvertreten ist … Das Problem hatten wir letztes Jahr schon bei diesen großen Gegen-rechts-Demonstrationen, da war im Herbst zuvor Scholz auf dem Spiegel-Cover mit seinen konsequenten Abschiebereien gewesen, und das erste, was ich sah, war ein Meer aus Fahnen aus der SPD und Jusos. Da dachte ich mir: So, das ist schon ein bisschen heuchlerisch, was sucht ihr hier? 

Glaubst du, dass die Demos gegen rechts was bewirken?

Erst einmal muss man ja das Positive sehen. Wir Linke haben noch mal eine andere Einstellung gegen rechts als die anderen. Die sehen ja rechts als legitime Form der Politik, wobei ich natürlich rechts komplett ablehne – wobei, wir reden hier nicht von rechts, sondern von rechtsextrem. Gut ist: Die Leute gehen raus, sie gehen gegen die AfD auf die Straße. Und dann, wenn man dann tiefer reinschaut, kann man natürlich sagen: Okay, SPD, CDU, FDP sind in der Abschiebedebatte auch nicht unbedingt die Unschuldslämmer, auch wenn sie manches anders verpacken. Wobei FDP und CDU es nicht mal anders verpacken.

Kommen wir nochmal zu den Jungen und zu dir zurück. Du bist doch auch erst vor einem Jahr eingetreten. Warum? Was hat dich bewogen? 

Ich war von Jugend auf links eingestellt, das liegt vermutlich an meiner Kindheit. Und dann bin ich jetzt auch nicht in einem Job, in dem ich Parteien wählen könnte, die mir absolut gar nichts bringen. Was sollte ich bei der FDP, bei der CDU oder was weiß ich?

Das gilt aber nicht für alle Einzelhandelsangestellten, oder?

Leider nein. Teilweise sind sogar unter ver.di-Mitgliedern und Streikenden AfD-Wähler. Bei den Bauernprotesten vor einem Jahr war es ganz schlimm.

Aber was hat dich in deiner Jugend dazu gebracht? Waren es die Eltern, war es etwas, das du auf der Straße erlebt hast?

Meine Eltern auf jeden Fall: Meine Mutter hat viele Freunde aus aller Welt, ist mit einer Familie aus Trinidad und Tobago wirklich richtig gut befreundet und wir hatten immer viele Menschen aus aller Herren Ländern bei uns zu Hause. In der Gebhardschule, die ich besucht habe, war meine Klasse bunt gemischt, da hattest du natürlich auch Freunde aus allen Ländern.

Und mit denen warst du unterwegs?

Nicht nur. Ich habe auch viel Zeit bei denen zu Hause verbracht, so wie man das halt so macht: Kommst du zu mir nach Hause oder gehen wir zu dir? Ich hatte auch Freunde in der Flüchtlingsunterkunft, die damals in der Gustav-Schwab-Straße war. Da habe ich gesehen, wie es ist, wenn man dort wohnt. Als ich Freunde besuchte, habe ich gesehen, wie in einem Raum fünf Geschwister auf einer Matratze schlafen mussten. Oder mitbekommen, dass Familien abgeschoben wurden. Am Vorabend waren wir noch beim Fußballtraining, und als ich am nächsten Tag zur Schule kam, war einer von den Jungs einfach abgeschoben.

So hautnah hast du das erlebt?

Ja. Du kamst morgens zur Schule, da war ein Aufruhr, viele heulten, und dann hörst du, dass der Staat bei Nacht und Nebel sechs Kinder in den Kosovo abgeschoben hatte. Die älteste Schwester war in der Abschlussklasse und stand kurz vor dem Schulabschluss. So Sachen prägen natürlich. Schon damals ist man auf diese Weise mit den Leuten umgesprungen, daran hat sich absolut nichts geändert, es ist noch schlimmer geworden. Deshalb habe ich mich auch immer vor die Leute gestellt, wenn es mal wieder hieß: Scheiß Ausländer oder so. Das konnte ich nicht ab. Es waren meine Freunde, und die habe ich verteidigt. Im Endeffekt hat mich das irgendwann zur Linken hingeschoben.

Es war also eine Kombination der Faktoren Zuwanderung, Menschenrechte, Lohnabhängigkeit?

Als Lohnabhängiger sieht man, welche Partei die Beschäftigten und deren Gewerkschaften unterstützt, Tarifverträge stärkt und überhaupt Arbeitsthemen anpackt. Das macht nur die Linke. Wer hat sich denn bei den letzten großen Streiks gezeigt? Von der Sozialdemokratie war niemand da. In Singen fand vor drei Wochen eine ver.di-Kundgebung zum Tarifvertrag des öffentlichen Diensts statt, am selben Tag gab es einen Empfang der IHK. Da haben wir uns zu den Beschäftigten gestellt, sonst war da niemand.

Kaufland hat als einer der wenigen Einzelhandelsbetriebe im Landkreis einen Betriebsrat. Bist du da Mitglied?

Nein. Es gab in letzter Zeit immer wieder Austritte aus der Gewerkschaft; Leute sagen, der Betriebsrat sei bloß der verlängerte Arm der Geschäftsleitung. Und da haben einige ihre Probleme damit.

Das ist verständlich.

Vor ein paar Jahren wollte der Kaufland-Regionalverkaufsleiter mit dem Hausleiter durchsetzen, dass wir bis Mitternacht offen haben. Das musste natürlich durch den Betriebsrat – und der hat unentschieden abgestimmt. Eine Enthaltung hat dann dafür gesorgt, dass der Antrag nicht durchkam. Das Krasse daran: Ich habe danach gehört, dass alle Betriebsräte, die für die Verlängerung stimmten, gar nicht in der Spätschicht arbeiten.

Auch ver.di-Mitglieder?

Ja. 

Nochmals zu den Jungen, die jetzt der Linken beitreten. Was bewegt die?

Hauptsächlich, dass sich die Parteilandschaft nach rechts bewegt. Und die AfD. Und wie gesagt: Es gibt einige, die haben schon auf dem Schirm, dass SPD, Grüne und so weiter keine Unschuldslämmer sind. Aber es ist hauptsächlich die AfD.

Sind es vor allem Studierende? 

Ich würde sagen: gemischt.

Du bist einer der wenigen in der Politik, der keine Uni besucht oder ein Studium absolviert hat. Macht das für dich einen Unterschied?

Es ist zum Teil schwierig, weil man manches Wissen nicht hat. Andererseits kann ich als jemand, der in einem Betrieb Lohnarbeit leistet und ackern muss, über Dinge sprechen, von denen andere keine Ahnung haben. Dafür haben einige von ihnen Einblicke, die mir bisher verwehrt waren – durch ihre Tätigkeit in Ausschüssen zum Beispiel. Ich muss einen großen Aufwand betreiben, wenn ich an entsprechende Informationen kommen will.

Die Kandidatur zur Bundestagswahl ist deine erste politische Funktion. EIne steile Karriere …

Auf jeden Fall. Letztes Jahr, als ich eingetreten bin, ging es am Anfang erstmal darum, die Listen für die Kommunal- und Kreistagswahlen zu füllen. Da war ich auf einem der hinteren Plätze. Von Platz 15 auf der Kreistagswahlliste zur Bundestagskandidatur ist schon ein steiler Anstieg …

Kannst du dir vorstellen, mal in den Kreistag oder in den Gemeinderat zu gehen?

Ja, es ist ja noch mal ein bisschen Zeit, bis es wieder an die Kommunalwahlen geht. Aber rein theoretisch ja – ich könnte es mir eher vorstellen, hier im Kleineren mitzuwirken als auf der ganz großen Bühne. 

Lars Hofmann Kaufland Konstanz © Pit Wuhrer
Am Arbeitsplatz

Auf welchem Platz stehst du auf der Landesliste der Linken?

Die Landeslistenwahl fand an einem Samstag, drei Tage vor Heiligabend, statt, und ich arbeite im Handel. Ich habe versucht, mir für diesen Tag frei zu nehmen, aber uns steht nur ein freier Samstag im Monat zu. Diesen hatte ich im Dezember bereits für meine Wahl zum Kandidaten genutzt. Deshalb konnte ich leider nicht persönlich an der Landeslistenwahl teilnehmen und mich vor Ort bewerben beziehungsweise selbst vorstellen. Das mindert natürlich die Chancen enorm. Vermutlich habe ich es auch deshalb nicht auf die Landesliste geschafft.

Es gibt für sowas keine Freistellung?

Nein. Ich hab’s versucht, auch über den Betriebsrat. Aber das gilt nur für Mandatsträger.

Behindert dich das jetzt im Wahlkampf? Bei der Konstanzer Gegen-rechts-Demo konntest du auch nicht dabei sein, weil du arbeiten musstest …

Es macht den Wahlkampf schwierig. Je nachdem, wie ich arbeiten muss, stehe ich morgens auf, checke meine E-Mails schnell zwischen Tür und Angel, schreibe vielleicht Mails, die weg müssen, und düse dann zur Arbeit. Während der Arbeit kann ich natürlich gar nichts machen – und abends muss ich schauen, dass ich noch irgendwie was hinbekomme. Lohnarbeit und Wahlkampf, das ist schon eine Hausnummer.

Vor allem, wenn man bedenkt, wie viele Reden du in letzter Zeit auf Kundgebungen gegen rechts gehalten hast. Und jetzt bespielst du auch noch täglich Instagram. Machst du das selber? 

Ich habe das Format „14 Tage – 14 Gründe“ zwei Wochen vor der Wahl gestartet und mache es alleine. Ansonsten haben wir in der Partei einen sehr fleißigen Menschen, der hauptsächlich die restliche Social-Media-Arbeit übernimmt.

Dir stehen also nicht ein Kameramann, zwei Texterinnen und ein Sekretär zur Seite?

Meine Freundin möchte mir helfen. Aber irgendwie dachte ich: in Ruhe mit mir allein ist das irgendwie einfacher.

Du schreibst auch deine Reden selbst?

Die entwerfen wir teilweise zusammen: Jemand schreibt einen Entwurf, die anderen gucken drüber. Die Kundgebung Ende Januar im Pfalzgarten war ja sehr kurzfristig anberaumt. Ich war eigentlich schon auf dem Weg ins Bett, als es hieß: Setz dich hin, schreib eine Rede. Es war schon 23 Uhr, ich musste am nächsten Morgen um 6 Uhr aufstehen, und da dachte ich: Jetzt irgendwie so eine Rede da hinhauen, uff. Aber wir haben das zusammen hinbekommen. Ich bin dann morgens zur Arbeit, danach zurück nach Hause, hatte eine halbe Stunde, dann wieder los zum Münster, um dort die Rede halten. Es war schon ein paar Mal so: rauf aufs Fahrrad, nach Hause, einen Kaffee trinken, die Zähne putzen, das Gesicht waschen und los geht’s.

Wow.

Und je nachdem, wann die Rede geschrieben wurde, noch schnell den Drucker rauskramen, die Rede ausdrucken, noch drei-, viermal durchlesen, dass es auch ein bissle sitzt. Und dann geht’s wieder los. Ja, es ist intensiv.

Interview: Ralph-Raymond Braun, Pit Wuhrer
Foto Mahnwache Pfalzgarten: Harald Borges / alle anderen Fotos: Pit Wuhrer

Im zweiten Teil des Gesprächs lesen Sie morgen, welche politischen Positionen der Linken-Kandidat Lars Hofmann vertritt, was ihm am Wahlkampf wichtig ist und warum er auf Klimademos geht.

2 Kommentare

  1. Norbert Faulhaber

    // am:

    Wer so alles ab Montag den Garten genießen kann, werden wir ja sehen. Olaf Scholz z.B. wohl eher nicht – für den ist ja bestimmt noch irgendwo ein Aufsichtsratsplätzchen frei – vielleicht bei Rheinmetall?

  2. Gisela Hermann

    // am:

    Ich drücke der Linken die Daumen. Auch wenn ich sie nicht wählen werde, freue ich mich über deren Aufschwung kurz vor der Wahl. Eine linke Stimme im Bundestag ist unbedingt erforderlich.
    Das BSW bleibt nun hoffentlich draußen und Sarah Wagenknecht kann dann mit ihrem Gatten den Garten genießen.

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