Curt Weller © Usch Barthelmeß-Weller

Curt Weller: Verleger mit ambitionierten Plänen

Curt Weller © Usch Barthelmeß-Weller
Curt Weller © Usch Barthelmeß-Weller

In „Konstanz literarisch“ ist Manfred Bosch der kulturellen Tradition der Stadt über fünf Jahrhunderte hinweg nachgegangen. seemoz porträtiert in lockerer Folge einige der dort vorgestellten Personen. Im Vordergrund stehen freiheitliche, demokratische und antifaschistische Traditionslinien im 19. und 20. Jahrhundert. Curt Weller war einer der ersten Verleger nach 1945 in der französischen Besatzungszone.

Curt Weller (1895–1955), Sohn einer schwäbischen Hoteliersfamilie, wurde in Montreux geboren und besuchte in Stuttgart das Gymnasium, um anschließend in Berlin Dramaturgie und Regie zu studieren. 1917 meldete sich der begeisterte Flieger freiwillig zur Luftwaffe, jedoch noch während der Ausbildung stürzte er mit seiner Maschine ab. Die als Folge erforderliche Amputation eines Beines setzte seinen Berufsplänen ein jähes Ende. Zudem blieb er wochenlang ohne Bewusstsein. Schließlich schien sein Zustand so aussichtslos, dass seine Familie bereits eine Todesanzeige drucken ließ. Gegen alle Erwartung überlebte Weller – laut seiner Tochter Usch hing die Todesanzeige zeitlebens über seinem Bett.

Wellers erster Verlag

Statt seines Traumberufs als Schauspieler und Regisseur entschied sich Weller für eine Ausbildung zum Verlagsbuchhändler und gründete bereits 1922 in Leipzig einen eigenen belletristischen Verlag. Auffälligstes Merkmal war dessen ausgesprochen europäisches und pazifistisches Programm: Neben zahlreichen französischsprachigen Autoren wie Honoré de Balzac, Henri Barbusse, Colette und Charles F. Ramuz brachte Weller auch Übersetzungen spanischer und englischer Autoren heraus; zu seinen deutschen Autoren gehörten u.a. Theodor Plievier und Erich Kästner. Letzteren hatte Weller sogar entdeckt, waren doch Kästners neusachliche Großstadtgedichte zuvor nur verstreut in Zeitschriften zu lesen, bis „mir Curt Weller, ein grasgrüner Verleger, nicht viel älter als ich selbst, ein Kriegsflieger mit Beinprothese, im Café Merkur […] vorschlug, die verstreuten Beiträge zu sammeln und bei Curt Weller & Co. als Buch zu veröffentlichen“.(1) So erinnerte sich Kästner des Zustandekommens seines ersten Buches Herz auf Taille (1928); die Illustrationen steuerte Erich Ohser bei, der sich 1944 in Gestapohaft das Leben nahm. Weller verlegte auch Kästners zweiten Gedichtband Lärm im Spiegel (1929); das Erscheinen einer dritten Lyriksammlung fiel einer Branchenkrise zum Opfer. Diese zwang Weller, seinen Verlag ruhen zu lassen und eine Stelle als Lektor und Prokurist bei der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart (DVA) anzunehmen, wohin er neben anderen Autoren auch Erich Kästner „mitnahm“. Hier bewies sich Weller auch als erfolgreicher Anreger: Er überzeugte den kommenden Kinderbuchautor, sich auch an einem Roman für Erwachsene zu versuchen. Das Buch erschien 1931 unter dem Titel Fabian. Die Geschichte eines Moralisten.

Am Bodensee

Doch Wellers Zeit bei der DVA dauerte nur kurz. Ende 1933 trennte sich die DVA von ihm, weil er sich weigerte, die Gleichschaltung des Verlags mitzutragen und sich von missliebigen Autoren zu trennen. In seinem Entlassungszeugnis bezeichnete ihn Verlagschef Gustav Kilpper gleichwohl als „ungewöhnlich kenntnisreiche, zuverlässige und charaktervolle Persönlichkeit mit sicherem Urteil“.(2) Wellers Versuche, seinen eigenen Verlag zu reaktivieren, blieben weitgehend erfolglos – sieht man von seiner Beteiligung an der Herausgabe der Irisbücher für Natur und Kunst, von Wilhelm Waiblingers Briten in Rom und einer Einführung in den ZEN-Buddhismus ab. 1936 zog sich Weller mit seiner Frau Gertrud auf die Insel Reichenau zurück; 1938 siedelten sie nach Horn über. Auf der Höri freundete sich Weller, der sich nicht nur für Kunst interessierte, sondern auch selbst mit einiger Begabung malte, mit Max Ackermann, Walter Kaesbach und Curth Georg Becker an; außerdem verkehrte er mit Willi Baumeister und dem Kritiker Will Grohmann, die ihn bei Oskar Schlemmer und Paul Klee einführten. Als Weller 1937 in München die Ausstellung „Entartete Kunst“ besuchte, schrieb er an Baumeister: „[…] die Wirkung wird ungeheuer sein. Was mit soviel Haß gezeigt ist, wird sich tief ins Unbewußte eingraben. In einigen Jahrzehnten werden auch die Augen der Deutschen reif geworden sein für die moderne Kunst […]. Noch immer wurden Zukunftsweisende verbrannt. Und je neurotischer die Henkersknechte sind, je näher steht die Zukunft“.(3)

„Wer wen überlebt …“

Curt Weller (li.) und Max Ackermann in Horn © Usch Barthelmeß-Weller
Curt Weller (li.) und Max Ackermann in Horn © Usch Barthelmeß-Weller

Seine verlegerische Tätigkeit war inzwischen so weit zurückgegangen, dass sich Weller 1940 gezwungen sah, eine Stelle beim Konstanzer Unterrichtsinstitut Christiani anzunehmen, wo er den Vertrieb einer technischen Monatszeitschrift organisierte und die Betreuung von Fernschülern übernahm. Nachdem er bereits 1937 vom Landgericht Konstanz wegen Beleidigung des Reichenauer Bürgermeisters und Verweigerung des deutschen Grußes zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, wurde Weller im Herbst 1940 denunziert. Die Anklageschrift warf ihm vor, „Regierung, Führer und Partei als Verbrecher“ und die „Norwegenaktion“ als „Überfall auf einen wehrlosen Staat“ bezeichnet zu haben; außerdem habe er den Krieg verurteilt und seinen Ausgang negativ beurteilt.(4)

Weller – inzwischen Vater zweier Kinder – versuchte seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, indem er sich auf labile Stimmungslagen als Folge seiner Kriegsverletzung herausredete. Doch das Sondergericht Freiburg verurteilte ihn 1941 wegen „Wehrkraftzersetzung“ zu einem Jahr Zuchthaus. So sehr Weller auch vom Unbestand des „Dritten Reiches“ überzeugt war, bezeichnete er nach 1945 seine Haftzeit in Rottenburg am Neckar als „ein Rennen darum, wer wen überlebt, das Dritte Reich mich oder ich das Dritte Reich, denn immerhin bestand ja die Gefahr, nach verbüßter Gefängnisstrafe in ein KZ zu kommen, von wo die Gewissheit meiner Wiederkehr gering gewesen wäre“.(5)

Vorbereitungen für einen neuen Verlag

Nach Kriegsende engagierte sich Weller im „Widerstandsblock Höri“ und in der Reorganisation des Börsenvereins in der französischen Zone, widmete sich jedoch vorrangig der Neugründung seines Verlags, für die er schon nach seiner Haftentlassung erste Vorbereitungen hatte treffen können. Aufgrund seiner politischen Unbelastetheit erhielt er als einer der ersten Verleger der französischen Zone eine Lizenz, ausgestellt auf die Programmbereiche „Schöne Literatur, Bildende Kunst, Philosophie und Religionswissenschaften“ – die beiden Letzteren bezogen sich auf den Buddhismus, der Weller geholfen hatte, die Jahre des „inneren Exils“ zu bestehen. Nach ersten Interimsadressen lautete die Verlagsadresse Bahnhofstraße 12 (Ecke Sigismundstraße); von hier aus verfolgte Weller seine ambitionierten Ziele, die sich weniger nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten bemaßen als an den ehrgeizigen Plänen, die sich so lange aufgestaut hatten.

Das Programm

Für das Belletristik-Programm standen Werke des Exils im Vordergrund. Dauerndes Verdienst erwarb sich Weller mit der deutschen Erstausgabe von Anna Seghers’ Transit, diesem „Archetypus aller Emigrationsliteratur“ (Walter Jens). Weller hatte die Autorin, die im Herbst 1947 auch zu Gast in Horn weilte, Mitte der 30er Jahre in Paris kennengelernt. Auch zu Robert Neumann und Theodor Plievier bestanden alte Verbindungen, von Letzterem verlegte Weller die Erzählbände Das gefrorene Herz, Im letzten Winkel der Erde und Haifische. Weitere Titel waren Friedrich Mundings Erzählung Der Sargmacher und Paul Alverdes’ Die Pfeiferstube.

Erstausgabe von Anna Seghers Exilroman Transit (1948), den Einband gestaltete Curth Georg Becker
Erstausgabe von Anna Seghers Exilroman Transit (1948), den Einband gestaltete Curth Georg Becker

Einen inhaltlich anderen Schwerpunkt bildeten die Reihe Asoka mit einem halben Dutzend Titel zum Buddhismus und die Oberland-Bücher, die sich den historischen und kulturellen Belangen des südwestdeutschen Raumes verpflichtet sahen. Otto Fegers Kampfschrift Schwäbisch-alemannische Demokratie gehörte zu den höchstaufgelegten und umstrittensten Titeln in der französischen Zone. Für Fegers Autonomie-Ideen, die zunächst auch die Billigung der französischen Besatzung fanden, plante Weller gar einen weiteren Verlag. Doch weder die Wochenschrift Oberland noch die Zeitschrift für Schwäbische Geschichte kam über das Planungsstadium hinaus. Trotz bereits vorliegender Probenummern versagten ihm die Besatzungsbehörden in Baden-Baden die Lizenz – die französische Deutschlandpolitik hatte mittlerweile auf eine Wiederherstellung der alten Länder umgeschwenkt.

Frühes Ende

Wie die meisten Konstanzer Nachkriegsverlage überlebte auch der Verlag Curt Weller nicht. Boten Bücher als einzige markenfreie Artikel zunächst noch eine Art „geschützten Marktes“, war dies mit dem Tag der Währungsreform schlagartig vorbei. Mit ihr änderten sich die Kaufgewohnheiten grundlegend, und ohne ausreichende Finanzdecke war es Weller unmöglich, die entstandenen Absatzeinbrüche aufzufangen. 1950 musste Weller Konkurs anmelden; ein Vergleichsverfahren kam mangels Masse nicht zustande. 1953 – im Todesjahr seiner Frau – kandidierte Weller bei der Wahl zum Deutschen Bundestag auf der gemeinsamen Liste „Gesamtdeutsche Volkspartei/Bund der Deutschen“. Nur zwei Jahre später starb er im Singener Krankenhaus an Krebs. Zum Vormund seiner beiden halbwüchsigen Kinder Hans und Usch wurde die befreundete Antifaschistin Käte Weick bestellt. Vom Verlagsarchiv hat sich nur ein sehr kleiner Teilbestand erhalten.(6)

Anmerkungen

  1. Erich Kästner, Vorwort zu „Herz auf Taille“, Berlin o. J. [um 1960], S. 6.
  2. Schreiben im Nachlass Curt Weller, Usch Barthelmeß-Weller, Berlin.
  3. Brief vom 22. August 1937, Archiv Willi Baumeister, Stuttgart.
  4. Nach der Wiedergutmachungsakte im Staatsarchiv Freiburg, F 196/1 Nr. 1827/1-2.
  5. Brief an Jacob Picard vom 22. September 1946 im Nachlass Picard, Leo Baeck Institute (New York).
  6. Im Besitz der Tochter Usch Barthelmeß-Weller, Berlin.

Hinweis: Im Hesse Museum Gaienhofen, das 2004 eine Ausstellung zu Curt Weller zeigte, ist ihm in der ständigen Ausstellung „Literaturlandschaft Höri“ eine Vitrine gewidmet.

Text: Manfred Bosch, Fotos Curt Weller © Usch Barthelmeß-Weller

Die Serie wird fortgesetzt. Zuletzt erschienen die Porträts
Karl Hüetlin
Joseph Fickler
Ignaz Vanotti
Karl Zogelmann
Hans und Hermann Venedey
Friedrich Munding
Alice Berend
Erich Bloch
Fritz Picard
Heiner Wollheim
Felix Guggenheim

Weitere Informationen

Zum Autor

Manfred Bosch lebt als Schriftsteller, Literaturhistoriker und Herausgeber in Konstanz. Neben zahlreichen Darstellungen zur südwestdeutschen Zeit- und Literaturgeschichte widmet er sich in Darstellungen (u.a. Bohème am Bodensee. Leben am See von 1900 bis 1950, Lengwil 1997), Herausgaben und Anthologien der neueren Literaturgeschichte des Bodenseeraums.

Zum Buch

Manfred Bosch, Konstanz literarisch. Versuch einer Topografie, UVK Verlag 2019, 351 Seiten, €22,00.

Manfred Boschs literarischer Streifzug durch Konstanz vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ist nicht wie bei Darstellungen dieser Art üblich chronologisch oder nach sachbestimmten Aspekten angeordnet. Sein Stadtrundgang beginnt alphabetisch in der „Alfred Wachtel-Straße“ und endet „Zur Friedrichshöhe“. Er nimmt Straßen, Plätze und Gebäude in den Blick, erzählt welche LiteratInnen, PublizistInnen, VerlegerInnen, Kulturschaffende hier gelebt haben oder als Reisende – sei es als Gast oder auf dem Weg ins Exil – die Stadt passiert haben. Er beschreibt geschichtsträchtige Orte wie das ehemalige Dominikanerkloster (Inselhotel), den Kreuzlinger Zoll, die in den 1960er-Jahren gegründete Universität und bietet einen Überblick über Verlage, Bibliotheken, Lesegesellschaften, Theater und Pressewesen der Stadt. Über 600 Namen umfasst allein das Personenregister.

Erschienen ist das Buch in der von Jürgen Klöckler herausgegebenen „Kleinen Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz“.

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