Im Zeppelin Museum ist noch bis zum 27. April 2025 die Ausstellung „Choose your Player. Spielwelten von Würfel bis Pixel“ zu sehen. Unser Autor hat sie besucht.
Das Zeppelin Museum hat sich viel vorgenommen. Auf der Website findet man eine fettgedruckte, ziemlich akademisch klingende Ankündigung der Spieleausstellung: „Eskapismus, Erfolgsstreben, Exploration: Warum, wie oder in welchen Kontexten spielt der Mensch, wie wird er gespielt und wie werden Protagonist*innen in Spielen dargestellt? Die Ausstellung Choose your Player. Spielwelten von Würfel bis Pixel befasst sich im Zeppelin Museum Friedrichshafen mit dem Phänomen des Spiels als Kulturmedium zur Gegenwartsflucht und Immersion. Sie erforscht Spielräume von Identität, untersucht, wie Spiele Machtverhältnisse zwischen Propaganda, Krieg und Widerstand widerspiegeln sowie deren Beitrag zur Zukunftsgestaltung und Entstehung neuer Gemeinschaften.“
Diesem theoretisch vollmundigen Text ist eine knallige Visualisierung gegenübergestellt: schrill neongrün gerahmt, sieht man in einem knallbunten, wenngleich von Pink und Violett dominierten Raum einen ordentlich gescheitelten Mann mit Brille in weißem Hemd, Weste, Jeans und dicksohligen Designerschuhen sitzen. Mitten auf dem Bild fordert ein neongrün pulsierendes Schildchen die Betrachtenden auf: „Ready? Choose your player!“ Ganz so, als sei das die einzige Möglichkeit, mit diesem Bild umzugehen.
Gut, tun wir dem Museum den Gefallen und befriedigen gleichzeitig unsere Neugierde. Mit einem Klick lande ich auf einer Seite, die mich einem endlosen Fragekatalog aussetzt. Ob ich im Museum sei, was ich spielen möchte, wieviel Zeit ich mitgebracht habe, über welche Skills ich verfüge … und so weiter und so fort. Ich steige aus. Nein, Zeit, mich mit einer Webapplikation zu unterhalten, habe ich gar keine. Ich wollte einfach mal gucken und entscheide, dass ich das ja auch tun kann, ohne zuvor Fragen zu beantworten. Außerdem dachte ich mir, dass diese Ausstellung idealerweise zwei grundverschiedene Bedürfnisse befriedigen könnte: die Notwendigkeit, meinen Kollegen von der Karlsuniversität, einen Spezialisten für das, was sich ‘serious gaming’ nennt, und meine beiden Kinder im beginnenden Lökelalter – sagt man das auch hier, im Südwesten der Republik so? Keine Ahnung, aber ich nehme an, Sie wissen, was ich meine – gleichzeitig unterhalten zu müssen.
Eine quietschbunte Welt
Also nichts wie hinein ins bonbonbunte Vergnügen. Am Eingang fragt man mich „Sie kennen sich aus?“ Hmm, was soll man auf diese Frage antworten. Ich nehme sie als Angebot zur Orientierungshilfe im Raum und antworte deshalb „Ja“. Scheint richtig gewesen zu sein. Der Eingang wird freigegeben. Links geht’s in die Dauerausstellung, die merkwürdige Verknüpfung von Zepplinhistorie und Kunstsammlung, die das Zeppelin Museum immer schon tragen oder vermitteln musste, und rechts dann in die Sonderausstellung, in diesem Fall „Choose your player“. Ich muss die Kinder zügeln, nicht gleich hineinzurasen ins pixelige Vergnügen.
Am Eingang kann man gegen eine kleine Gebühr von 1 Euro ein Heft kaufen, das ein spielerisches Rundgangangebot macht. Nach dem Modell eines Textadventures stellt mir der Text eine Situation in kleinen Abschnitten vor, am Ende (fast) jeden Abschnittes steht eine Frage, deren Antwort vorgibt, wo es im Text und im Ausstellungsraum weitergeht – von Abschnitt 1 zu 2 zu 34 und zurück zu 15 und immer so weiter, bis das Spiel irgendwo endet.
Man kann in fünf Modi spielen: ein Wissenschaftler:in, Entdecker:in, Hacker:in, Journalist:in und schließlich als ‚Kind‘. Letzteres ist, recht besehen, eher eine Altersangabe als ein Typus ist und soll wohl eine pädagogische Handreichung eher für Eltern als für Kinder sein. Ebenso stehen am Eingang drei Warnungen: man empfiehlt die Altersvorgabe „ab 12“, weist vorsorglich auf die elterliche Haftung hin und schließlich auf die hie und da zum Einsatz kommenden Stroboskopeffekte.
Während ich noch lese, sind die Kinder längst weg – Kinder wollen ohnehin keine ‚Kinder‘ spielen – und auch mein tschechischer Kollege ist nicht mehr zu sehen. Nach einem rasend schnellen Rundgang durch die Ausstellung stehen beide Kinder wieder vor mir, beschweren sich, dass Mario Cart gerade besetzt sei und viele Eingabemedien nicht funktionierten – ein grundsätzliches Problem elektronischer Medien in Museen. All in all scheint diese Ausstellung in meinen Augen aber gut gewartet – ich finde eher, dass das Meiste wohl doch funktioniert.
Japanische Cyberhöllen
Die Warnungen für Eltern sind dennoch angemessen – man könnte sie allerdings auch an die Kurator:inn:en zurückgeben: Zentral ist eine quietschbunte Welt aufgebaut mit teils physikalischen Interfaces – Motorrädern zum Beispiel, auf denen man mittels Körperbewegung das digitale Erscheinungsbild steuert. Aber eben auch veritable japanische Cyberhöllen mit unbekleideten, geschlechtslosen Avataren, die man, wie mir mein tschechischer Kollege erläutert, einfach umbringen kann, will man schneller vorankommen. Einen Einfluss auf das Spiel habe dieses mörderische Tun jedoch nicht. Ich schaue ihm über die Schulter, sehe surreale Welten in wiederum kaum erträglichen Knallfarben. Darunter dann auch gefolterte, zerstückelte Körper – zu spät bemerke ich meinen Sohn, der hinter mir steht und „ekelig“ murmelt. Ich verbiete den Kindern den mittleren Teil.
Diese Art der Visualität ins Zentrum zu stellen, hat natürlich einerseits den inszenatorischen Effekt, einen zentralen Blickfang zu haben, den Propagandabrettspiele aus dem Ersten Weltkrieg, die ebenfalls in Vitrinen zu sehen sind, nicht haben. Andererseits scheint mir hier die Zwiespältigkeit der ganzen Ausstellung deutlich zu werden: einerseits verkauft man die Ausstellung bereits im Werbetext mit allerhand akademischen Vokabeln und ein paar flotten englischen Sprüchen als Reflexion über Spiele und, wie ich, wohl fälschlicherweise, meinte, die eigene Rolle, die man in diesen einnimmt via irgendeiner spielerischen Repräsentanz. Andererseits gibt man sich mit großer – und durchaus nachvollziehbarer – Begeisterung dem Jahrmarktversprechen von Blitzen und Blinken, Schrillheit auf jeder Ebene, hin. Und natürlich kann kein Text gegen Blinkblink anstinken.
Meine Kinder blicken empört, als ich ihnen vorschlage, doch mal das Textadventure, das die kleinen Heftchen anbieten, gemeinsam zu spielen: zuviel Text, bescheiden sie mich. Und mein tschechischer Freund und Kollege versinkt regungslos im japanischen Cyberjenseits, ohne weiter adressierbar zu sein.
Besucher:innen lesen eh nichts im Museum
Was habe ich erwartet? „Choose your player. Spielwelten von Würfel bis Pixel“ – darunter hatte ich mir tatsächlich hauptsächlich eine Thematisierung der Frage, wie Spielende ins Spiel kommen, vorgestellt: als Holzfigürchen oder Avatar. Welche Spielmechanismen spielen Schicksal, Zufall oder Gott und bringen so das Spielgeschehen in Gang und vorwärts? Würfel? Binäre Entscheidungen? Motorische Geschicklichkeit? Wieviel hängt von einem selbst ab?
Diese Fragen blieben, zumindest in unserer Gruppe, offen. Ich finde die Ausstellung sehr problematisch. Ihre reflexiven Angebote scheinen mir vorgeschoben – mir zumindest erschließen sie sich nicht. Wer sich in diese Höhle begibt, zockt eine Weile und geht wieder, so meine Vermutung.
Ich habe versucht, das Textadventure zu spielen und fand es eine gute Idee, dass mit seiner Hilfe auch die nur in Vitrinen zu sehenden Objekte zu Spielobjekten wurden – „Suchen sie in der Ausstellung die Brettspielschachtel ‚Der Luftkrieg‘ im Erdgeschoss. Zählen Sie […] auf dem Cover die Explosionen in der Luft und lesen Sie bei dieser Zahl weiter.“ Aber einerseits war es an den meisten Orten viel zu dunkel, um den Text zu lesen, andererseits hat Text immer schon verloren, wenn er direkt gegen schrille Bildschirmwelten antreten muss. Besucher:innen lesen eh nichts im Museum. Wie oft habe ich Studierenden beim Vorbereiten von Ausstellungen gepredigt, dass ihre textuellen Angebote kurz und prägnant zu sein hatten und möglichst so einladend, dass eventuell doch noch jemand ein tieferes Interesse entwickelt. Viel Text funktioniert einfach nicht.
Eventuell hätte es funktionieren können, wenn die Antworten irgendwie relevant gewesen wären für den Museumsbesuch: nur die Lösung dieser Aufgabe führt Dich in den nächsten Raum. Oder sie gibt Dir den Code, um das folgende Spiel freischalten zu können. Oder so. Zweitens fand ich es schwierig, dass die hauseigene Sammlung gewissermaßen von ihren propagandistisch-kriegstreiberischen, klar, beim Zeppelin, Themen abgelöst wurde, indem ihnen in dieser Ausstellung zugemutet wurde, auch Brettspiele als Genre zu vertreten. Da fehlte mir dann doch das eine oder andere klassische Spiel wie „Mensch-ärgere-Dich-nicht“. Oder aber umgekehrt eine bewusste Fokussierung auf Krieg. Das wäre dann aber eine andere Ausstellung gewesen.
Wo wir grad beim Krieg sind: Strategiespiele fehlten völlig, also jener Spieltypus, der es den Spielenden am ehesten ermöglicht, mittels eigener Fähigkeiten den Spielausgang zu beeinflussen. Ein Würfel hingegen fällt halt, wie er fällt. Jaja, ich weiß schon, zum Ausstellungsende gab es ein paar Computerspiele, die Umweltschutz thematisierten, wo man etwa Regen steuern und ähnliches tun konnte. Nur spielte das, während ich da war, niemand – und abgesehen davon ist unsere Alltagserfahrung mit dem Klimawandel ja wohl eher nicht die, dass Menschen genau diese Vorgänge steuern können.
Später stelle ich beim Betrachten der Ausstellungsbilder in der Pressemappe fest, dass mir wohl ein Teil der Ausstellung entgangen ist. Im Stockwerk oberhalb der Technikausstellung muss es noch Bällebadpools, aber auch Brettspieltische geben. Wir waren zu erschöpft, diesen Teil zu besuchen. Und auch den Zeppelin Escape Room haben wir nicht geschafft, aber dafür muss man sich eh anmelden.
Mann, zwischen zwei Bergen gefangen
Ich verliebte mich in ein Spiel, das auf einem Bildschirm einen nackten Mann zeigte, der halb in einem Kessel steckte, mit diesem ganz und gar verbunden schien. Fortbewegen konnte er sich, indem er sich mit einem Hammer mit überlangem Stiel abstieß oder den Hammerkopf dazu nutzte, sich an irgendetwas Vorkragendem festzuhaken. Der Mann war zwischen zwei Bergen gefangen. Ich habe es nie geschafft zu sehen, was sich auf der Spitze der Berge oder gar hinter ihnen befindet. Der Text zu dem Spiel informierte mich, dass dieses Spiel zum Nachdenken über das Spielen anregen sollte. Ja. Mag sein. Mich nicht.
Die Kinder arbeiteten sich begeistert durch viele Runden Mario Cart und kärcherten einen mittels Datenbrille betretbaren virtuellen Spielplatz, der vor Schmutz starrte. Könnte ich sie dazu nur im realen Leben bewegen! „Gib mir so einen coolen Hochdruckreiniger“, war die schlichte Auskunft auf mein, zugegeben sehr pädagogisch-mahnerisches Ansinnen.
Choose your player – während uns der Katamaran nach Konstanz zurückschaukelt, geht mir dieser prägnante Slogan nicht aus dem Sinn. Die Repräsentation ist ja in vielen Bereichen unserer Gesellschaft ins Hintertreffen geraten. Man sucht Immersion und Authentizität. Man will sich nicht vertreten lassen – von „denen da oben“ nicht, wer immer das sein mag, von „der Wissenschaft“ will man sich nichts vorschreiben, von „den Mainstreammedien“ nichts filtern lassen.
Mir kommt der Gedanke, dass die Frage der Stellvertreterschaft eine ganz schön politische ist. Politik kommt zwar in der Ausstellung vor – genügend ganz reale Kriege genauso wie ein wenig Umweltschutz, – aber diese Grundfrage, die fehlt mir dann doch: Wen wollen Sie für sich spielen lassen? Wählen Sie jetzt!
Wann: Bis 27.4.2025
Wo: Zeppelin Museum Friedrichshafen GmbH, Seestraße 22, Friedrichshafen, Wechselausstellungsflächen im Erd- und 2. Obergeschoss
Wie: Eintrittskarten online
Text: Albert Kümmel-Schnur, Bilder: Zeppelin Museum. Von oben nach unten
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