Bomben oder kitas foto von simon infanger auf unsplash

Bomben oder Kitas (1): Eine unmögliche Alternative?

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Bomben oder kitas foto von simon infanger auf unsplash

Es gibt scheinbar kein Halten mehr: Fast alle Parteien setzen sich vehement für eine umfassende Aufrüstung ein. Doch die anvisierte militärische „Zeitenwende“ erfordert Opfer – irgendwer muss ja dafür aufkommen. Folgt also auf den militärischen ein sozialstaatlicher Kurswechsel?

„Die Zeiten des Paradieses sind vorbei“, so bereitet Friedrich Merz die Gesellschaft in der Debatte um die milliardenschwere Aufstockung des Militäretats auf harte Kürzungen vor. Es war immer schon eine neoliberale Grundüberzeugung, dass die Menschen über ihre Verhältnisse leben und deshalb den Gürtel enger schnallen müssten. Die neueste Version dieser Doktrin lautet, dass die Sozialausgaben im Rüstungswettlauf gegen Putin gekürzt werden sollten. 

Dass der militärischen Zeitenwende von Bundeskanzler Olaf Scholz mit ihrem Sondervermögen in der Höhe von 100 Milliarden Euro eine fundamentale fiskalpolitische Zeitenwende folgen würde, kann niemand geahnt. Denn ein Abrücken vom Dogma der Schuldenbremse schien undenkbar. Umso größer die Wucht, mit der Union und SPD noch vor Regierungsantritt die Schuldenbremse ausgesetzt haben – jedoch nur für Militärausgaben. Der Weg ist also frei für eine Aufrüstung ohne finanzielle und zeitliche Grenzen. 

Der Überbietungswettbewerb um Militärausgaben scheint keine Grenzen mehr zu kennen. Auch die Kommissionspräsidentin der EU, Ursula von der Leyen, hat ein Geldvolumen in der Höhe von 800 Milliarden Euro mobilisiert. Es ist ein gigantischer Betrag, der etwa 1600 Euro pro Bürger:in Europas bedeutet – unabhängig von Alter und Einkommen. Schon der Titel „ReArm Europe“ („Europa wieder bewaffnen“) versucht schon gar nicht, die Aufrüstung verschleiern zu wollen. Dabei käme es darauf an, mit aller Kraft die Klimakrise und in einem reichen Land wie Deutschland die Spaltung zwischen Arm und Reich zu bekämpfen. Doch eine Logik der gesteigerten Kriegstüchtigkeit beherrscht das Denken völlig.  

Vor einer harten Budgetentscheidung?

In diesem Hype gibt es ein Tabu. Es steht wie ein Elefant im Raum. Es ist die Frage: Wer zahlt für die militärische Aufrüstung? Wer profitiert von ihr?

Zum Autor unseres Beitrags

Franz Segbers, Prof. em. für Sozialethik an der Universität Marburg, war Referatsleiter Arbeit, Ethik und Sozialpolitik im Diakonischen Werk in Hessen und Nassau. Bei der baden-württembergischen Landtagswahl 2021 kandidierte er für die Partei Die Linke im Wahlkreis Singen. Franz Segbers lebt in Konstanz.

Zu seinen letzten Veröffentlichungen gehören:

Michael Ramminger/Franz Segbers (Hrsg.): „Alle Verhältnisse umzuwerfen und die Mächtigen vom Thron zu stürzen.“ Das gemeinsame Erbe von Christen und Marx.
Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung. VSA-Verlag, Hamburg 2018

Cornelia Hildebrandt / Jürgen Klute / Helge Meves / Franz Segbers (Hg.): „Die Linke und die Religion“. Geschichte, Konflikte und Konturen. Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, VSA-Verlag, Hamburg, 2019

Franz Segbers: Neuausrichtung der Finanzierung von Religionsgemeinschaften im säkularen Staat. Eine Studie erstellt für die Rosa Luxemburg Stiftung, 2020. 

Markus Schlagnitweit, Franz Segbers, Ina Praetorius, Silke Niemeyer, Ferdinand Kaineder, Paul Ettl (Hrsg.):„Wie christlich ist ein Bedingungsloses Grundeinkommen?“ 2023

„Unzeitgemäße Erinnerung zur Zeitenwende“ – Essay in der Neuausgabe: Adolf von Harnack, MILITIA CHRISTI. Die christliche Religion und der Soldatenstand in den ersten drei Jahrhunderten, edition pace, Norderstedt, 2024, 7-24.

„Die Gewalt der Armut und das Recht der Armen“, in: Rainer Kessler / Dirk Sager (Hg.), Von Gott reden in einer Welt der Gewalt. Biblische und heutige Perspektiven, Stuttgart 2024, 209-229.

„Am Ende der Armutsbekämpfung?“ Eine menschenrechtliche Kritik der Mitleidsökonomie. In: Fabian Kessl/ Holger Schooneville (Hrsg.), Mitleidsökonomie. Spendenbasierte Armutshilfe – Suppenküche, Kleiderkammern, Tafeln, Weinheim 2024, 129-164.

Ökonomen sprechen kühl von einem Finanzierungsalternative zwischen „Kanonen oder Butter“. Schon bald nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz die Zeitenwende mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ausgerufen hatte, stellte der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Clemens Fuest die alte ökonomische Entscheidungsfrage: „Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht. Sondern Kanonen ohne Butter.“ 

Dieser klaren Ansage des Ökonomen folgte umgehend der damalige Bundesfinanzminister Christian Lindner und forderte, die Renten und Sozialleistungen für zunächst drei Jahre einzufrieren. Auch der Chef des renommierten Instituts für Weltwirtschaft in Kiel Moritz Schularick sprach einem Kommentar mit dem bezeichnenden Titel „Aufrüsten für den Wohlstand“ von harten Einschnitten: „Mittelfristig wird kein Weg daran vorbeiführen, harte Budgetentscheidungen zwischen ‚Kanonen und Butter‘ zu treffen.“ 

Mehr als Bildung, Gesundheit, Klima und Wohnen

Die Forderungen nach massiver Aufrüstung sind für die Neoliberalen ein guter Vorwand für einen Angriff auf den ungeliebten Sozialstaat. Die Aufrüstung wird mit dem Verweis auf die militärische Übermacht Russlands begründet. Auffallend ist, wie wenig die Daten und Fakten dabei die öffentliche Meinung bestimmen. So heißt es, die Bundeswehr sei heruntergewirtschaftet.

Cover greenpeace studie

Tatsache ist aber, dass der Militärhaushalt von 37 Milliarden im Jahr 2012 auf über 90 Milliarden im Jahr 2024 erhöht worden ist. Nach einer Studie von Greenpeace mit Daten des Forschungsinstituts SIPRI in Stockholm geben die NATO-Staaten preisbereinigt rund zehnmal so viel Geld für das Militär aus wie Russland. Die Fakten zeigen, dass selbst die NATO-Staaten ohne die USA kaufkraftbereinigt ein Übergewicht von 420 Milliarden zu 300 Milliarden US-Dollar gegenüber Russland haben. 

Der NATO-Gipfel in Vilnius hatte 2023 aus dem Richtwert für Militärausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) eine verpflichtende Untergrenze gesetzt. 2024 hatte die Bundesrepublik erstmals das NATO-Ziel erfüllt. Das Zwei-Prozent-Ziel des BIP klingt zunächst harmlos. Doch jeder Prozentpunkt bedeutet für den Haushalt 43 Milliarden Euro. Der offizielle Verteidigungshaushalt macht knapp zwanzig Prozent des Haushalts aus und übersteigt die Gesamtsumme der Bundeshaushalte für Bildung (20,3 Milliarden), Gesundheit (16,8), Entwicklung (11,5), Klima (10,9), Wohnen (6,9), Auswärtiges (6,1) und Umwelt (2,4) um etwa 10 Milliarden Euro.

Kürzungen im Sozialsektor

Die NATO beabsichtigt, auf ihrem Gipfelreffen im Juni 2025 eine weitere Erhöhung des bisherigen Mindestausgabeziels von 2 Prozent des BIP auf 3 bis 3,5 Prozent zu beschließen. 3,5 Prozent des BIP wären 150 Milliarden Euro – rund 32 Prozent des gesamten Haushalts. Für das Jahr 2025 sieht der Entwurf für den Bundeshaushalt bislang 95,2 Milliarden Euro vor. Um aber das NATO-Ziel von 3 Prozent erreichen zu können, entstünde eine Finanzierungslücke von circa 40 Milliarden Euro.

Entwicklung rüstungshaushalt

Weil die Ampelregierung an der Schuldenbremse festgehalten hatte, mussten im Haushalt 2024 soziale Leistungen in Höhe von 16 Milliarden Euro gekürzt werden. In der Folge wurde bei nahezu allen Ressorts kräftig der Rotstift angesetzt: Bundesfreiwilligendienste minus 26 Prozent, Wohngeld minus 16 Prozent, Freie Jugendhilfe minus 19 Prozent, psychosoziale Zentren minus 60 Prozent, Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer minus 30 Prozent, Asylverfahrensberatung sowie besondere Rechtsberatung für Geflüchtete minus 50 Prozent. 

Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sank auf 10,3 Milliarden Euro. Die humanitäre Hilfe im Etat des Auswärtigen Amtes (AA) schrumpfte um rund 500 Millionen Euro auf 2,23 Milliarden Euro. Von den Kürzungen um 16 Milliarden Euro waren alle Etats betroffen – mit Ausnahme des Militärhaushalt, der erneut Zuwächse verzeichnen konnte. 

Für das Zwei-Prozent-Ziel musste die Kindergrundsicherung, der Pflegezuschuss und die Sicherung vieler sozialen Dienste geopfert werden. Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbands Eva Maria Welskop-Deffaa sprach von einer „Zeitenwende“ und kritisierte: „Nicht, dass gespart wird, sondern wie gespart werden soll, ist schockierend.“ 

Die Alten haben „die Friedensdividende konsumiert“

Der einstimmig verabschiedete Kabinettsentwurf zum Haushaltsplan 2025 sieht vor, den Sozialbereich um weitere 25 Prozent zu kürzen. Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU, machte den Vorschlag, eine neue Grundsicherung einzuführen und damit zehn Milliarden Euro einzusparen: 100.000 Bürgergeldbezieher:innen sollen die Sozialleistung zur Gänze gestrichen werden sollen. Die erwartete Einsparsumme entspricht im Übrigen den von der CDU geplanten Steuersenkungen für Unternehmen. Die Arbeitslosen sollen also für geringere Firmensteuern aufkommen. 

Ole Henckel, Der Chefredakteur des Militärjournals Europäische Sicherheit & Technik, sah bereits beim Zwei-Prozent-Ziel harte Folgen voraus und skizzierte die kommende „harte Debatte“ so: „entweder die Kürzung sozialer Leistungen oder das Scheitern der Zeitenwende für die Bundeswehr.“ Einsparpotenzial gäbe es nur im Sozialhaushalt. „Dann wird sich zeigen, wie nachhaltig die viel zitierte Zeitenwende ist.“ 

Dabei zeichnen sich drastische Sozialkürzungen jedoch jetzt ab. So wurde die Kindergrundsicherung um 85 Prozent zu einer Ruine gekürzt und wird wohl nicht mehr kommen. Der Ökonom Michael Schularick greift die Rente direkt an. In einem Spiegel-Interview forderte er, dass die Rentner:innen ihren Beitrag für höhere Verteidigungsausgaben zahlen sollten: „Länger arbeiten, Kapitaldeckung hochfahren und den Lebensstandard der Ruheständler durch einen Inflationsausgleich einfrieren.“ Und weiter: „Man wird auch an den Rentenzuschuss des Bundes von über 100 Milliarden herangehen müssen. Es war die ältere Generation, die es versäumt hat, in den vergangenen Jahrzehnten ausreichend in unsere Sicherheit zu investieren. Stattdessen hat sie die Friedensdividende konsumiert.“ (Der Spiegel, Nr. 3/2025)

Wohlstand durch Rüstung?

Schularick kann sich bei diesen Forderungen auf den aktuellen Sachverständigenbericht der Wirtschaftsweisen 2024/2025 beziehen. Sie fordern eine Überprüfung der Sozialausgaben. Dort heißt es: „Nur wenn der Anstieg der Sozialausgaben gedämpft wird, kann erreicht werden, dass Mindestquoten (etwa für Bildungs- oder Verteidigungsausgaben) auch langfristig eingehalten werden können. (Hervorhebung im Original)“ Es scheint kein Halten zu geben. Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz (Bündnis90 / Die Grünen) fordert die Abschaffung eines Feiertags, einen Verteidigungs-Soli und mehr Arbeitsanreize bei den sozialen Sicherungssystemen. 

Während sich das öffentliche Meinungsspektrum auf die unumgänglich geforderte Aufrüstung verengt, zeigt eine Studie der Körber-Stiftung, dass die Bevölkerung keineswegs bereit ist, für die höhere Verteidigungsausgaben Einschnitte in ihren Lebensstandard zu akzeptieren. Gefragt, ob sie Kürzung von Sozial-, Umwelt-, Kultur- und Entwicklungsbudgets zur Erhöhung von Verteidigungsausgaben in Deutschland befürworten würden, antworteten 56 Prozent mit „Nein“. 

Derweil schoss der Kurs der Aktie der Rüstungsschmiede Rheinmetall von 45 auf derzeit 1300 Euro in die Höhe. Um der steigenden Nachfrage nachkommen zu können, plant der Rüstungskonzern, seine Produktion in Berlin und Neuss von Autoteilen auf Munition umzustellen. Der Aufbau eines militärisch-industriellen Komplexes wird von Ökonomen wie Schularick als ein gutes ökonomisches Mittel für Wohlstand und Wirtschaftswachstum empfohlen. 

In Görlitz hat der Rüstungskonzern KNDS bereits ein Eisenbahnwerk übernommen. Die Arbeitsplätze für 350 bis 400 der rund 700 Beschäftigten bleiben erhalten. Statt der dringenden sozial-ökologischen Transformation wird ein militärisch-industrieller Komplex aufgebaut, der Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand verheißt. Heißt es, statt „Schwerter zu Pflugscharen“ nun „Pflugscharen zu Schwertern“? 

Der Lebensstandard von vielen hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Nach dem Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2021 besitzt die reichere Hälfte der deutschen Bevölkerung 99,5 Prozent aller Vermögen, während die ärmere Hälfte lediglich einen Anteil von 0,5 Prozent am Gesamtvermögen hat. 

Anders gesagt: Die zwei reichsten Familien haben ein größeres Vermögen als die 42 Millionen Menschen der ärmeren Hälfte der deutschen Bevölkerung. Diese Ungleichheit ist kein Naturereignis, sondern wurde politisch in besonderem Maße durch die Steuerpolitik gemacht und gefördert. Seit der neoliberalen Wende haben die maßgeblichen Parteien erhebliche Steuersenkungen durchgesetzt und Steuerprivilegien für die Vermögenden geschaffen. Sie senkten die Steuersätze auf Erbschaften, Vermögen, Kapitalerträge, Unternehmensgewinne und räumten sogar teils verfassungswidrige Ausnahmen ein. 

Allein die Steuerprivilegien für Vermögende kosten nach Berechnungen der Bürger:innenbewegung „Finanzwende“ die Gesellschaft 80 Milliarden Euro jährlich.

Text: Franz Segbers
Foto: Simon Infanger auf Unsplash / Grafik: Bundesregierung

Der zweite Teil des Beitrags erscheint morgen. Darin: Akzeptiert die Gesellschaft die Alternative Bomben oder Kitas? Welche Spielräume bestehen? Gibt es einen Ausweg?

3 Kommentare

  1. Robert Becker

    // am:

    „Verteidigungsminister Pete Hegseth stimmte Vance zu. „Ich teile voll und ganz deine Abscheu vor den europäischen Schnorren. Es ist jämmerlich“, so der Ex-Fox-News-Moderator in der Chat-Gruppe mit insgesamt 18 Mitgliedern.“Quelle: ntv

    Das ist eigentlich das beste Kompliment was man als Vertragspartner bekommen kann.

  2. Tobias Kröll

    // am:

    Die „gutmeinenden“ Neoliberalen gehören offensichtlich zu jenen, die in Bertolt Brechts Gedicht die Köpfe schütteln über die jeweils anderen, die an den Ästen sägen, auf denen wir sitzen und sie rufen sich gegenseitig zu, wie man besser sägen kann … und sägen weiter …
    Damit schaffen sie noch mehr Angst-Rohstoff (Oskar Negt), der Menschen – (und Natur-) feindlichen Extremisten* Tür und Tor öffnet und entziehen der eigenen (liberalen) Theorie die Funktionsgrundlage: angstfreie Menschen, die unabhängig und frei handeln können und deren Lebensunterhalt gesichert ist…

  3. Robert Becker

    // am:

    Der Artikel zeigt leider nicht auf, wie die Verteidigungsmöglichkeit von NATO ohne die USA aussieht, wenn es um Krieg in Europa gehen würde. Das ist mittlerweile Zeitenwende Nummer 2. Leider.

    Wie es um das politische Personal im Weißen Haus bestellt ist, zeigt ja der aktuelle Chat-Skandal um den Verteidigungsminister. In dem Zusammenhang auch sichtbar, die antieuropäische Haltung des Vice-Präsidenten Vance.

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