Saiten Website Screenshot

Bis heute im Aufbruch 

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Das St. Galler Kulturmagazin Saiten feiert derzeit seinen 30. Geburtstag. Welche Bedeutung hat Kulturjournalismus heute in einer Zeit, da die Mainstreammedien zunehmend abbauen? Gegen diesen Trend investiert das von einem Verein herausgegebene Magazin in neue Angebote.

Ende der siebziger Jahre rottete das mit Brettern vernagelte Kunstmuseum St. Gallen vor sich hin. Es stand als Sinnbild dafür, was die bürgerlich dominierte Stadt von Kultur hielt. Anfang der Achtziger nahm die Stadtregierung fünf Millionen Franken in die Hand, um den Schandfleck zu beseitigen und die Museumsschätze ihren Bürger:innen wieder zugänglich zu machen. 

Gleichzeitig erlebte die zuvor kulturell scheintote Stadt einen politkulturellen Aufbruch, der bis heute nachwirkt und neue Kulturstätten ermöglichte, etwa das Veranstaltungslokal Palace oder das punkige Rümpeltum.

Aufgemischte Stadt

Zunächst mischte eine linksalternative Bewegung die Stadt auf und erkämpfte sich die Grabenhalle als Freiraum, eine alte Turnhalle, die abgerissen und einer Parkgarage weichen sollte. Von der öffentlichen Hand gab es – widerwillig – gerade einmal 200.000 Franken. Sie eröffnete 1984. 

Ein Jahr später gründeten Künstler:innen die Kunsthalle und Filmenthusiast:innen das Kinok, heute das grösste Programmkino der Ostschweiz. Ab 1986 etablierten Feministinnen die Frauenbibliothek Wyborada – und 1994, als Nachzüglerin dieser kulturellen Gründerzeit, initiierte der Musiker Roman Riklin Saiten.

Dreissig Jahre später ist das Kulturmagazin fester Bestandteil des St. Galler Polit- und Kulturlebens. Neben einer breiten Kulturberichterstattung zu Theater, Kunst, Musik oder Architektur erscheinen im Magazin auch Recherchen zur lokalen und regionalen Politik. Der umfangreiche Veranstaltungskalender strahlt in die ganze Ostschweiz aus. Sieben Leute arbeiten als Kollektiv in Teilzeit für den Betrieb – im Gegensatz zu den Anfängen verdienen sie halbwegs anständig, 6000 Franken auf eine Vollzeitstelle. Saiten finanziert sich zu zwei Dritteln aus Inserateeinnahmen, ein Drittel steuern die 2000 Abonnent:innen bei. So ist das Magazin entgegen dem allgemeinen Trend in der Medienbranche stabil unterwegs.

Nicht geschrumpft

Doch damit hat es sich auch schon mit der Feierlaune. Während die Kulturangebote in den vergangenen Jahrzehnten enorm zugenommen haben, zerfiel die mediale Kulturvermittlung. Hatten die grossen Zeitungen einst eigene Kulturbünde, ist das geschrumpfte Angebot mittlerweile nahezu versteckt.

Stellvertretend für diese Entwicklung steht die grosse Regionalzeitung St. Galler Tagblatt. Sie hatte lange einen eigenständigen und umfangreichen Kulturteil, ab den nuller Jahren sogar ein eigenes Ressort „Stadtkultur“. Vor zehn Jahren ging beides in einem „Focus“-Bund auf, das Tagblatt baute Stellen ab und schrumpfte wegen sinkender Inserateeinnahmen von einer Vier- zu einer Zweibundzeitung. Damit wuchs auch die Bedeutung von Saiten. Das Kulturmagazin schrumpfte nicht, es blieb konstant.

Neue Stelle, neuer Newsletter

Aus Anlass des Jubiläums luden die Saiten-Macher:innen zu einem Kongress mit dem Thema Kulturjournalismus der Zukunft. Dort diskutierten unter anderen Vertreter:innen der Branche; Leser:innen konnten ihre Perspektiven in einem Workshop einbringen. Sie sind Corinne Riedener, die seit elf Jahren und damit am längsten auf der Saiten-Redaktion ist, wichtig: „Alle Medien sind auch auf Nutzer:innen angewiesen, die bereit sind, für Kulturberichterstattung zu bezahlen. Und die Journalist:innen müssen herausfinden, wofür diese ihren Geldbeutel öffnen.“

Saiten diskutiert nicht nur, es handelt auch. Ende Oktober wird die neue Website aufgeschaltet, es läuft ein Crowdfunding für eine weitere Redaktionsstelle. Die neue Person wird für einen neuen, wöchentlichen Kulturnewsletter zuständig sein. Außerdem wird der Veranstaltungskalender technisch verbessert.

Das alles kostet. 350.000 Franken investiert Saiten in seine Zukunft. Ohne Hilfe aus dem kantonalen Lotteriefonds, von Stiftungen, der Stadt St. Gallen und der St. Galler Gemeinden wäre das nicht zu stemmen.

Und noch etwas anderes wurde vor kurzem in der St. Galler Kulturszene gefeiert: Die Grabenhalle lud zu ihrem 40. Geburtstag zu einem zweitägigen Fest in den Stadtpark. Saiten war natürlich dabei.

Text: Andreas Fagetti. Dieser Beitrag erschien zuerst am 18. September in der Wochenzeitung WOZ.
Illustration: Screenshot der Saiten-Website

Printausgaben des Kulturmagazins Saiten sind im Konstanzer Buchladen Zur Schwarzen Geiß erhältlich.

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