Sie wissen, dass Konstanz einst Teil des römischen Imperiums war? Dass sowohl Kaiser Barbarossa als auch zwei Päpste aus Italien hier weilten? Wohl schon … Aber was hat das Konstanzer Bahnhofsgebäude mit dem Palazzo Vecchio in Florenz zu tun? Und was hat es mit Sonderschiffen für italienische Durchreisende nach Bregenz im August 1914 oder dem „Antifaschistenflug“ von 1931 auf sich?
„Konstanz, der Bodensee und Italien, das ist ein schier unendliches Themenfeld und vor allem eines, das bislang in der stadtgeschichtlichen Forschung systematisch nicht angegangen worden ist“, hält Jürgen Klöckler, Stadtarchivar und Herausgeber des jüngst erschienenen Bandes „Konstanz und Italien. Transalpine Beziehungen durch die Jahrhunderte“ einleitend fest. 19 Autorinnen und Autoren beleuchten mit insgesamt 22 Beiträgen aus verschiedenen Blickwinkeln unterschiedlichste transalpine Beziehungen der Bodenseestadt zum „Land, wo die Zitronen blühn“.
Handel und Politik in Antike und Mittelalter, Architektur und Kunst, Reisen in der Neuzeit und Arbeitsmigration sowie Entwicklungen und Ereignisse vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart sind die vier Themenbereiche, in die das Buch untergliedert ist. Erzählt werden stadthistorische Begebenheiten, von denen etliche zumindest in Umrissen bekannt sind, andere zwar im Raum sichtbar, aber vielen Menschen nicht bewusst sind oder weitere, die möglicherweise einen angemesseneren Platz im historischen Gedächtnis der Stadt verdient hätten.
Sichtbare Hinterlassenschaften im Stadtbild
Auf Zeugnisse der (Spät)-Antike und des Mittelalters stößt man in der Stadt vielfach. Schon der Ortsname Konstanz weist auf die römische Gründung hin. Ob nun Kaiser Constantius I. oder dessen Enkel Constantius II. Namensgeber war, darüber ist sich die Forschung noch uneins. Die unter der Glaspyramide zu besichtigende massive Wall-Graben-Anlage auf dem Münsterhügel und die im Münster aufbewahrten Reliquien antiker Heiliger (ein florierender Handelszweig im Mittelalter), sind nur zwei Beispiele für das sichtbare Nachleben jener Epochen. Nicht nur für Einheimische und Historiker:innen interessant, sondern auch touristisch gut zu vermarkten (Ralph Röber: Konstanz und das Imperium Romanum).
Kaiser Friedrich I. Barbarossa kann weder von Einheimischen noch von Besucher:innen der Stadt übersehen werden: Sein Konterfei grüßt uns am Kaiserbrunnen, am Hotel Barbarossa, auf einem Wandgemälde im Konzil. Mehrfach besuchte er die Stadt, der eine zentrale Rolle als Aushandlungsort für seine Italienpolitik zukam (Lukas-Daniel Barwitzki: Konstanz als Aushandlungsort der Italienpolitik Friedrich I. Barbarossas).
Weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist besonders das heute nur „Konzil“ genannte Konstanzer Kaufhaus. Weniger bekannt ist aber vielleicht, dass seine Errichtung im 14. Jahrhundert auf die Initiative italienischer Kaufleute zurückging. Gebraucht wurde ein Lagerhaus, nahe am Bodenseeufer, um Ware – vor allem die hochwertige Leinwand mit dem Konstanzer Gütesiegel (tela di Costanza) – auf Schiffe zu verladen und über den See ins Rheintal, über den Septimerpass weiter nach Norditalien zu transportieren (Jürgen Klöckler: Gebaut auf Initiative italienischer Kaufleute undSimon Götz: Die tela di Costanza).
Weitere Autor:innen zum Themenfeld „Antike und Mittelalter“ sind Daniela Frey: Ein zweites Rom am Bodensee und Jürgen Klöckler: Zwei Päpste aus Italien auf dem Konstanzer Konzil (1414–1418).
Florenz in Konstanz und Konstanz in Florenz
Was das 1863 errichtete Empfangsgebäude des Konstanzer Bahnhofs mit dem Palazzo Vecchio zu tun hat, erklärt sich beim Vergleich der beiden Türme: Vorbild für Konstanz war der florentinische Renaissancebau. Die Eisenbahn als modernster Verkehrsträger im Großherzogtum Baden sollte im Rahmen eines raumübergreifenden Landesprogramms angemessen repräsentiert werden (Frank Mienhardt: Das Haus „Zur Katz“ und das Empfangsgebäude des Bahnhofs).
Zurück zum Palazzo Vecchio: In seinem Innenhof ist als Waldgemälde eine der frühesten Stadtansichten (Vedute aus der Mitte des 16. Jhs.) von Konstanz zu sehen. Ilse Friedrich hat die Geschichte ihrer Entstehung, ihrer fast völligen Auflösung durch Umwelteinflüsse im Laufe der Jahrhunderte und ihrer Restaurierungsphasen fachkundig aufbereitet (Konstanz in Florenz).
Das Schicksal des Konstanzer Hauses „Zur Leiter“ (Zollernstraße 26) zeichnet Daniel Gross nach: ein frühes Zeugnis der Renaissance-Architektur im Profanbau, das sich heute im Gewand eines gründerzeitliches Baus präsentiert.
Es wurde gereist
Wunderschöne Landschaft, ein glasklarer See, gutes Essen, köstlicher Wein, hübsche Frauen … das lobten italienische Reisende in ihren Briefen in die Heimat. Aber oft beschwert wurde sich über das trübe und launische Wetter. Über solche Befindlichkeiten hinaus jedoch geben diese Berichte Zeugnis vom schleichenden kulturellen und politischen Niedergang der Stadt nach dem europäischen Großereignis des Konzils. (Moritz Mayer: Auch Venus, die Mutter des Aeneas, würde diese Stadt geliebt haben).
In Gegenrichtung über die Alpen in den Süden begaben sich männliche Adlige seit der Renaissance auf „Kavalierstour“. Künstler, Maler, Dichter folgten ihnen ins Mutterland der Künste. Darunter Heinrich von Wessenberg, Friedrich Mosbrugger und – als eine der wenigen Frauen – die Malerin Marie Ellenrieder (Barbara Stark: Auf nach Rom! und Michael Trenkle „Blüthen aus Italien“ – Dornen aus dem Vatikan).
Die boomende Industrialisierung machte das Kaiserreich im ausgehenden 19. Jahrhundert vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland. Das Großherzogtum Baden war eines der Zentren. Etwa 2.400 Industriearbeiter wurden 1911 für den Bezirk Konstanz geschätzt. Die Einbürgerung von Arbeitsmigranten aus dem Königreich Italien in Konstanz 1871 – 1918 ist auch mit Blick auf immer wieder erhitzte Debatten zum Thema Staatsbürgerschaft ein erkenntnisreiches Kapitel, verfasst von Oliver Trevisiol.
Lücken im historischen Gedächtnis der Stadt
Kriegseintritt und Mobilmachung im August 1914: Eine große Rückreisewelle von Italienerinnen und Italienern setzte ein. Konstanz lag auf ihrer Route: Von dort sollte es per Schiff via Bregenz zurück nach Italien gehen. Als Bregenz (da die Stadt den Zustrom nicht bewältigen konnte) bereits am 2. August ein Schiff mit über 500 Personen nach Konstanz zurückwies, saßen rund 6.000 Italienerinnen und Italiener in der Grenzstadt fest. Erst nachdem die Schweiz – zu ihren Bedingungen – die Durchreise genehmigte und auch Bregenz die Ankunft weiterer Schiffe wieder ermöglichte, entspannte sich die Lage. Insgesamt sollen in der ersten Augusthälfte 21.780 Italiener:innen in Konstanz, das zu jener Zeit rund 28.000 Einwohner:innen zählte, eingetroffen sein. Beherbergung und Versorgung stellten für Verwaltung und Gesellschaft eine große Herausforderung dar. Doch es gelang: dank politisch klugem und umsichtigem Handeln von Bürgermeister und Stadtrat sowie großer Solidarität der Konstanzer:innen. Ein durchaus zum Nachdenken anregender Beitrag: Solidarität trotz Kriegsbeginn von Thomas Weidle.
Keinerlei Solidarität hingegen seitens Behörden und bürgerlicher Presse wurde zwei Gegnern Mussolinis entgegengebracht, die im November 1931 mit ihrem Flugzeug nach einem Zwischenstopp in Konstanz weiter nach Norditalien wollten. Als Fracht an Bord hatten sie 350.000 Flugblätter, die über Mailand und Turin abgeworfen werden sollten, um zum Widerstand gegen Mussolinis faschistisches Herrschaftsregime aufzurufen. Doch der Start der Maschine auf dem nach tagelangen Regen durchnässten Boden misslang. Die Maschine wurde beschädigt, der Weiterflug vereitelt, die beiden Insassen verhaftet. Ebenfalls verhaftet – in Freiburg – wurden zwei weitere Italiener, welche die Flugblätter per Auto via Frankreich nach Italien bringen sollten. Auf Anordnung des Auswärtigen Amtes mussten alle Flugblätter sofort vernichtet werden. Vor dem Landgericht Konstanz kam es zum Prozess gegen die vier Widerstandskämpfer. Ihre Verteidigung hatten die Rechtsanwälte Hans und Martin Venedey sowie Eduard Frank übernommen. Und welches war die Reaktion der Öffentlichkeit auf diesen Akt demokratischen Widerstands? „Antifaschistenflug“ lautete der despektierliche Begriff in der bürgerlichen Konstanzer Presse. „Hochverratsversuch gegenüber Italien“ urteilte die katholische „Deutsche Bodensee Zeitung“. Für Werner Trapp (Schwieriges Terrain für die Gegner Mussolinis) ist der „Konstanzer Antifaschistenflug“ eine „[…] sehr aussagekräftige Momentaufnahme vom Prozess der Demontage und Selbstaufgabe einer Demokratie, der wenig später in der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus mündete“. Nach 1945 blieb dieses international Aufsehen erregende Ereignis lange vergessen. Es hätte „möglicherweise einen anderen Platz im historischen Gedächtnis der Stadt verdient“.
Über weitere Konstanz-italienische Beziehungen informieren: Franz Hofmann zur Familie Pampanin: Wie sich Konstanz für das Eis erwärmte; Manfred Bosch zu Konstanzer Autor:innen und ihrer Sehnsucht nach Italien: „daß ich nächst meinem eigenen das italiänische Volk am meisten von allen liebe“; Jürgen Klöckler zu Willi Hermann: Ein schweres Kriegsverbrechen an Italienern; zu Arbeiten und Leben in Konstanz Daniela Schilhab: Italienische „Gastarbeiterfamilien“; ein Zeitzeugenbericht von Alberto Crivellari: Eine unbeabsichtigte Einwanderung; Winfried Humpert über Luigi Pesaros „Old Mary’s Pub“: Guinness und Pizza und abschließend Claus–Dieter Hirt über Die italienische Partnerstadt Lodi in der Lombardei.
Jürgen Klöckler (Hg.)
Konstanz und Italien
Transalpine Beziehungen durch die Jahrhunderte
UVK Verlag, 427 Seiten, 24,00 €
Kleine Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz. Band 23
Weitere Informationen
Kleine Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz
„Die kleine Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz“ ist seit ihrem Entstehen vor über zwanzig Jahren groß geworden: 23 Bände umfasst sie mittlerweile. Und mit stolzen 427 Seiten präsentiert sich der neueste Band auch ziemlich korpulent. Alle Bände bieten fundiertes, verständlich aufbereitetes Wissen zu oft noch wenig systematisch erforschten Themen der Stadtgeschichte. Übrigens hat der „Konstanz-Italien-Band“ ein „französisches“ Pendant: Die Beziehungen der Bodenseestadt zu Frankreich untersuchten Daniela Frey und Claus-Dieter Hirt in Band 11 „Französische Spuren in Konstanz“.
Text: Uta Preimesser
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