Sylva Ceta Demo 2018 ©kn Bündnis Welthandel

Begeistern und bewegen. Aber wen oder was? Und wofür?

Sylva Ceta Demo 2018 ©kn Bündnis Welthandel
Sylva Heinzler (links) beim Aktionstag 2018 gegen das EU-Kanada-Freihandelsabkommen CETA

Zehn Jahre prägte sie das Konstanzer Netzwerk Bürgerengagement – und hat nun, nach zahllosen Aktionen, Gesprächen und Verhandlungen mit der Stadt, gemeinsam mit Renate Sandmann ihren Abschied erklärt. Warum sie das gesellschaftliche Miteinander so wichtig findet und was sie vom Engagement der Verwaltungsspitze hält, erläutert Sylva Heinzler im seemoz-Interview.

seemoz: Vor kurzem fand die Jahreshauptversammlung des Netzwerks Bürgerengagement statt, für das du jahrelang ehrenamtlich tätig warst. In welcher Funktion hast du dich da gesehen?

Sylva Heinzler: Als Ideengeberin. Ich war diejenige, die immer wieder gedacht hat: Das müsste man jetzt so machen. Oder: Wie wär’s denn, wenn wir das jetzt mal ganz anders angehen …? 

Als treibende Kraft, als Spiritus Rector?

Ja, das kann man so sagen.

Bevor wir über deine Arbeit sprechen: Was ist das Netzwerk überhaupt [https://www.netzwerk-be.de/]?

Das ist nicht einfach zu beantworten. Im Grund genommen ist es ein Verbund von verschiedenen Vereinigungen, Initiativen, Gruppierungen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen. 

Mitmachtag Konstanz Sylva Heinzler 151017 © Kn Bündnis Welthandel
Bei den „Mitmach“-Tagen 2015

Was heißt das konkret? 

Der Begriff ist komplex, lässt sich aber vielleicht so auf den Nenner bringen: Gemeinwohl umfasst alles, das dazu beiträgt, dass es sowohl unserer Generation als auch den kommenden Generationen gut geht.

Wird das in etwa von den 17 Nachhaltigkeitszielen der Uno zusammengefasst, auf die sich das Netzwerk beruft?

Das ist die Klammer, die alle Aspekte gut umfasst. Unter diesen 17 Zielen kann man vieles einordnen. Das haben die Mitmacherinnen und Mitmacher gerne aufgegriffen, weil sie sich da einerseits mit ihrem Engagement präsentieren und andererseits zeigen können: Wir gehören alle zusammen.

Zusammengefasst: Das Netzwerk steht für eine faire, eine ökologische, eine soziale Welt. Und ist international aufgestellt.

Ja, genau. 

Steht das Netzwerk also links?

Es fällt mir schwer, uns in ein politisches Lager einzuordnen. Ich halte die Einordnung rechts – links – Mitte – konservativ – reformistisch oder wie auch immer für schwierig. Das Netzwerk besteht aus ganz vielen verschiedenen Gruppierungen unterschiedlicher Orientierung, die aber versuchen, aus individuellen Interessen heraus zu einem Gesamtinteresse zu kommen. Das ist schwierig, aber heutzutage enorm wichtig. Und wir schaffen das leider viel zu selten.

Sylva Heinzler

Sylva Heinzler, als Tochter von Flüchtlingen 1947 geboren und aufgewachsen in Konstanz, besuchte anfangs einen französischen Kindergarten und danach zwei Jahre lang eine französische Grundschule. Später ging das Kind einfacher Eltern (die Mutter war Schneiderin, der Vater Oberkellner, bevor er nacheinander die Gaststätten Dischinger, Staader Fährehaus und Hussenstein führte) zum Erstaunen der Lehrer:innen aufs Suso-Gymnasium. 

Sie studierte Pädagogik an der PH Lörrach, arbeitete als Hauptschullehrerin in Singen und Konstanz, absolvierte danach ein Zusatzstudium in Sonderpädagogik in Heidelberg und ging für ein Praktikum nach Wien – wo sie heiratete, zwei Kinder auf die Welt brachte und die nächsten zehn Jahre blieb.  

Danach kehrte sie an den Bodensee zurück. Sie arbeitete neun Jahre als Rektorin an der Sonderschule Stockach und engagierte sich nach ihrer Pensionierung im Verein Füreinander-Miteinander, in der Konstanzer Tatenbörse, im Netzwerk Bürger Engagement und im Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel.

Aber gibt es nicht zahllose Initiativen, die ohnehin alle ansprechen wollen?

Oft fehlt da die die Gemeinsamkeit. Ich bekomme zum Beispiel täglich viele Newsletter, Aufrufe, Spendenaufrufe von Organisationen, die sich alle mit wichtigen Teilgebieten beschäftigen. Aber warum konzentrieren die sich nicht hin und wieder auf ein zentrales Thema? Das hätte viel mehr Gewicht. Die Vereinzelung bringt doch nicht viel, auch nicht auf lokaler Ebene.

Kannst du das konkretisieren?

Die größte Gruppierung innerhalb des Netzwerks sind – vereinfacht gesagt – sozial eingestellt. Es gibt auch ein paar Initiativen, die politische Ziele verfolgen und entsprechend argumentieren. Das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel zum Beispiel ist eine der wenigen Gruppen, die politisch arbeiten. Das mögen aber die meisten nicht, obwohl man durch politische Aktionen und Informationen sehr gut zeigen kann, was getan werden sollte und wofür man sich einsetzen kann. Dann gibt es natürlich auch kulturell interessierte Gruppen, die ich total wichtig finde.

Protest Gegen Kretschmann Konzil Konstanz 160112 © Pit Wuhrer©
Protest gegen den Freihandelsbefürworter Winfried Kretschmann, Januar 2016 im Konzil

Warum?

Weil man nicht alles nur nach sachlichen und fachlichen Aspekten vermitteln kann und sollte. Wenn man Inhalte über die kulturelle Schiene transportiert, hat dies meist mehr Wirkung, weil auch Emotionen angesprochen werden. Leute zum Überlegen und dann auch noch zum Handeln zu bringen, geht meistens nicht nur über den Kopf. Da spielen kulturelle Angebote eine wichtige Rolle.

Gibt es solche Angebote im Netzwerk?

Leider nicht. Fasnachtsgruppen wären eine gute Möglichkeit, aber die haben sich leider für uns nicht interessiert. Sie haben irgendwie nicht das Gefühl, da reinzupassen. Ich hingegen hätte es zum Beispiel auch sehr gern gesehen, wenn sich Musik- und Theatergruppen dem Netzwerk angeschlossen hätten.

Dem Netzwerk, dem rund 180 Gruppen und Einzelpersonen angehören, fehlt also einerseits die gesellschaftliche Breite? Und andererseits mangelt es den Mitgliedern am gemeinsamen Interesse?

Ein Beispiel: Vor kurzem hatten wir einen „Markt der Möglichkeiten“ organisiert, auf dem alle ihre Projekte vorstellen konnten. Und da tauchte während der Vorbereitungen die Frage auf, ob beispielsweise  Pro Familia dazugehört, ob Angebote wie Brustselbstuntersuchungen ins Programm passen.

Und? Passen sie dazu?

Natürlich. Wir haben sofort gesagt: Das ist ein Gesundheitsaspekt, und Gesundheit gehört zu den 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung, die die Vereinten Nationen verabschiedet haben. Wir müssen lernen, Dinge zusammen zu denken. Und zusammen handeln.

Hat das an dem Septembernachmittag im Bürgersaal geklappt?

Das ist lustigerweise tatsächlich passiert, obwohl wir leider nicht viel Publikumsverkehr hatten. Das hat uns zwar traurig gemacht, aber dazu geführt, dass die Leute von den dort präsenten 15 Infoständen aufeinander neugierig geworden sind: Was macht ihr denn da, erzählt doch mal! Das Miteinanderreden hat eine so gute Stimmung gebracht, einen solchen Spirit erzeugt, dass hinterher alle gemeinsam die schweren Pinwände wegschafften und so gut aufräumten, dass selbst der Hausmeister staunte.

Ein Einzelfall?

Nein. Ich hätte mir ein solches Miteinander zwar öfters gewünscht. Aber es ist jedes Jahr vorgekommen. Leider weiß ich nicht, wie man eine solche Stimmung konservieren, verlängern oder gar steigern kann.

Kurz ein Blick zurück: Wann ist eigentlich das Netzwerk entstanden? 

Die Idee gab es schon länger. In der Tatenbörse, für die ich mich engagiert hatte,  bieten ja viele Gruppierungen und Vereine eine Möglichkeit für ein Engagement an. Heute geht das nur noch online. Damals haben wir in Präsenz gearbeitet, uns gut verstanden, ab und zu kleine Aktionen miteinander gemacht – und so kam der Gedanke an ein Netzwerk und eine Koordinierungsstelle auf. Gleichzeitig gab es in Baden-Württemberg den Wechsel von der CDU zu den Grünen, es herrschte Aufbruchstimmung, in der damaligen Landesregierung war die Rede von mehr Bürgerbeteiligung, es gab die Hoffnung, dass in Zukunft etwas Positives entstehen könnte. Und dann meldeten sich die Regionauten und schlugen ein Theaterstück vor.

Ein Theaterstück?

Ja. Heinke Hartmann und Hilde Schneider hatten die Idee, das Thema Demokratie auf die Bühne zu bringen – und zwar mit Beteiligung der Bevölkerung als Ideengeber und Schauspieler. Sie haben uns und andere interviewt, auf dieser Basis das Theaterstück mit dem Titel „Bürgerbeteiligung“ entwickelt, uns zugehört, uns einbezogen; das hat unheimlich viel Spaß gemacht. 

Chronik des Netzwerks

– 2013: Stadt schafft die Stelle eines Beauftragten für bürgerschaftliches Engagement

– 2015: Gründung des Netzwerks, erste „Mach-Mit“-Aktionen

– 2016: Aktionstage „Engagement ist bunt“

– 2018: Aktionstage „Säulen der Gesellschaft“

– 2019: „Konstanz engagiert sich“, ein buntes Programm im Rahmen der bundesweiten Woche  des Engagements

– 2020: Aktionen zum „Nachhaltigen Konsum“ (inkl. Handy- und Brillensammlung). Es erscheint die erste Auflage der Broschüre „Tauschen – Schenken – Teilen“

– 2021: Im Juli die Veranstaltungsreihe „17 Ziele für Konstanz“ mit rund hundert Events. Kooperation mit ähnlichen Foren und Allianzen in Dornbirn und Liechtenstein

– 2022: Wegen weiterer Pandemie-Regelungen nur ein Info- Stand und eine Handy-/Brillen-Sammelaktion

– 2023: „Konstanz engagiert sich für Nachhaltigkeit“, Woche des bürgerschaftlichen Engagements vom 8.–17.September
– 2024: „Wandel – Wege – Gehen – Verstehen – in Handeln umsetzen“, Aktionen und Events vom 10. September bis 19. Oktober.

Logo Netzwerk Be

Und daraus ist dann das Netzwerk entstanden?

Es war Teil des Aufbruchs. Zuvor hatte ein Teil der Landesregierung Konstanz besucht, auf Seminaren erläuterten Expert:innen aus anderen Städten, wie so ein Netzwerk aussehen könnte, es fanden Workshops statt. Und zu all den Reden, Debatten und Finanzzusagen gab es obendrauf, als Bonbon sozusagen, das Theaterstück.

Gab es da die Koordinationsstelle schon? 

Die gab es da noch nicht. Aber der Oberbürgermeister Uli Burchardt sprach sich dafür aus. Er wolle das auf jeden Fall durchbringen, hat er gesagt. Es wurde eine Expert:innengruppe gebildet, an der auch Manfred Winter und ich beteiligt waren, die eine Stellenbeschreibung entwarf. Der Job wurde ausgeschrieben und heraus kam Martin Schröpel, der ziemlich genau dem entsprach, was wir uns gewünscht hatten. Genau so sollte einer sein, der die Koordinierungsstelle inne hat.

Ein guter Anfang.

Leider lief es gleich schief. Wir wollten festgehalten haben, was sich die Stadt Konstanz eigentlich genau unter bürgerschaftlichem Engagement vorstellt. Und da sind wir immer vertröstet worden. Später wurde uns klar, dass der OB als erstes die Bürgerbeteiligung unter Dach und Fach bringen und die Frage geklärt haben wollte: Wer hat das Sagen?

Und wer hat das Sagen?

Nicht die Bürger und Bürgerinnen, sondern der Gemeinderat und der OB. Wir haben ein Vorschlagsrecht, aber kein Mitspracherecht. Und damit daran kein Zweifel besteht, wurde das schriftlich festgezurrt

Und das sollte auch für das Bürgerengagement gelten? 

Ja. Wir wollten von Anfang das Konzept mitentwickeln. Was ist bürgerschaftliches Engagement, wie wird es von der Stadt unterstützt, was gibt es da für Regeln? So wurde anfangs beschlossen, dass sogenannte Stakeholdergruppen das Netzwerk unterstützen. Aber das ist nie passiert. 

Ihr habt nicht reklamiert?

Wir waren nicht genügend fokussiert und haben uns immer ablenken lassen. Andererseits sind wir ja schnell von Krisen überrollt worden: 2015 die Massenflucht aus Syrien und Afghanistan, danach die Pandemie, darauf der Ukraine-Krieg. In der Flüchtlingshilfe haben sich viele Leute unheimlich engagiert, das war beeindruckend. Andererseits wurde erkennbar, wie die Stadt das sieht: Engagement hat einfach zu funktionieren, wenn man es braucht. Und da das alles freiwillig und ehrenamtlich ist, musste man sich nicht drum kümmern. Aber immerhin  wurde in diesen Jahren das Bürgerbudget eingeführt, eine gute Sache. Auch  der Bürger:innenrat ist eine sehr sinnvolle Einrichtung, andererseits hat das aber auch vielleicht eine Alibi-Funktion, denn die Regeln hierfür bilden hohe Hürden. 

Bekam das Netzwerk jemals Geld, über das es frei verfügen konnte?

Unsere Arbeit war immer ehrenamtlich, immer gratis. Aber Martin Schröpel, der uns wirklich wohlgesonnen war und viel Verständnis hatte, hat uns, so weit wie es ging, mit seinem Etat für Bürgerengagement unterstützt,. Und wir waren auch zufrieden damit – bis auf die letzten zwei Jahre.

Was ist da passiert?

Da hat es gebröckelt. Da wurden längst nicht mehr alle Projekte unterstützt. Aber zuvor haben wir jedes Jahr problemlos unsere Veranstaltungswochen organisieren können. Da konnten wir zeigen, dass man zusammenarbeiten kann. Das ist angesichts der zunehmenden Vereinzelung der Menschen enorm wichtig. Die Leute werden depressiver, trauriger, hoffnungsloser. Umso bedeutsamer ist, dass engagierte Menschen zeigen können, was gemeinsam möglich ist. 

Infostand Obermarkt 2014 03 07 Ttip Sylva Heinzler ©pw
Infostand gegen das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP auf dem Obermarkt

Ist das der Kern eures Netzwerkgedankens: Zu zeigen, dass gemeinsames Handeln etwas bewirkt?

Ja, das ist das Wichtigste: Dass Menschen egal welchen Alters und welcher Couleur merken, dass es noch andere gibt, die ähnlich denken, dass man nicht allein ist und zusammen was erreichen kann. Ich habe schon als Lehrerin und Rektorin erfahren, wie wichtig es ist, dass Kinder die Gelegenheit bekommen, ihre Wünsche zu artikulieren. Dass man schon früh beginnt, demokratische Praktiken einzuüben. Wenn ich heute ehemalige Schülerinnen und Schüler treffe, erinnern die sich immer an das damalige Angebot, mitzumachen und mitzuentscheiden. 

Das ist ja auch in politischer Hinsicht relevant, oder?

Solche Erfahrungen sind Voraussetzung dafür, dass sich eine Demokratie festigen kann. Wenn viele denken, sie hätten nichts zu sagen oder würden nicht gehört – obwohl sie’s Maul groß aufreißen und gar nicht merken, dass es ein Geschenk ist, das Maul überhaupt so weit aufreißen zu dürfen, ohne im Gefängnis zu landen – , also wenn sie nichts begreifen, dann musst du dich nicht wundern, wenn halt wieder ein Hitler oder wie auch immer sie heißen mögen im Kommen sind. 

Nochmals zurück:  Du hast gerade eben erwähnt, dass sich in den letzten Jahren das Verhältnis zur Stadtverwaltung verschlechtert habe. Woran genau hat sich das festgemacht?

Daran, dass weniger Geld da ist. Am Anfang wurden wir ja sehr unterstützt. Unsere erste Aktion wurde in einem Bericht verschriftlicht, uns haben neben Martin Schröpel auch Praktikantinnen unterstützt. Wir hätten allein gar nicht die Struktur des Netzwerks aufbauen können, wir waren ja alles Laien. 

Und dann änderte sich die Weltlage.

Die Flüchtlingswelle 2015 führte zu einem Einbruch, da waren alle überfordert. Und das dauerte ziemlich lange.

Sind die Praktikantinnen, sind das Engagement und das Geld der Stadt dann dorthin gegangen?

Ja. Aber das haben wir auch verstanden. Deswegen haben wir ja nicht gemeckert. Und auch nicht, als die nächsten Krisen kamen. Kaum war die Pandemie einigermaßen überwunden, begann der Ukraine-Krieg …

Solche globalen Entwicklungen kann man der Stadtverwaltung kaum vorwerfen. 

Natürlich nicht. Aber ich habe kein Verständnis, wenn man einfach links liegen gelassen wird. Es ging nicht ums Geld, es ging um den Stil: Wir sind nur wichtig, wenn es brennt. Aber dazu braucht man kein Netzwerk. 

Sondern?

Wenn es in der Stadt brennt, sind immer Leute da, die helfen, egal woher sie kommen. In der Not zeigt sich die Menschlichkeit vieler. Ziel des Netzwerks hingegen ist, dass die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit diese Leute ehrenamtlich arbeiten können. 

Seid ihr nie gelobt worden?

Doch einmal. Da hat man uns ein offizielles Lob angeboten bei einer der jährlichen Vereinsversammlungen mit dem OB. Zu dieser Zeit aber wollten wir eine Broschüre über unsere Arbeit veröffentlichen und brauchten eine Finanzierung. Also haben wir gesagt, dass uns die Broschüre wichtiger ist als ein warmer Händedruck.

Hat das geklappt?

Ja, die Broschüre konnte gestaltet und gedruckt werden. Vielleicht hat aber  unsere Aussage die Runde gemacht, jedenfalls ist seitdem absolut tote Hose (lacht). Ich kann manchmal ziemlich undiplomatisch sein …

Auf der Jahreshauptversammlung im November habt ihr ein Gespräch erwähnt, das ihr im Herbst mit dem OB hattet. Fanden solche Gespräche regelmäßig statt – oder war das eine Ausnahme?

Der OB hat sich eigentlich meist rausgehalten. Er machte auf uns nicht den Eindruck eines wohlwollend-interessierten Ansprechpartners. Aber wir waren vielleicht auch nicht hartnäckig genug und es fehlte uns an politischem Willen.

Ihr wart also zum ersten Mal seit längerem dort?

Ja. Dieses Jahr aber habe ich darauf bestanden: wir müssen! Das gehört zum Pflichtprogramm. Man muss regelmäßig zu so einer „Audienz“ gehen, damit die anderen überhaupt noch wissen, wie man aussieht. Sonst hat man überhaupt keine Chancen. 

Und die anderen wollten nicht?

Von uns wollte eigentlich nie jemand zu solchen Sitzungen; das bringe doch eh nichts. Aber da muss man durch. Nicht weil man dadurch was erreicht, sondern weil die Oberen halt auch hofiert werden wollen. Unsere Leute suchten auch nie den Kontakt zum Gemeinderat oder zu den einzelnen Parteien. Die Leute von unserem Team haben ein unheimlich großes Herz, engagieren sich enorm – sind aber nicht „politisch versiert“. Das müsste sich ändern.

Und bei dem Treffen mit dem OB sollen so schöne Sätze gefallen wie:„Das Leben ist kein  Zuckerschlecken“ und „einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen“.

Naja, das hat er natürlich nicht wörtlich so gesagt. Er hat gesagt: „Das Leben ist kein Wunschkonzert“. Das klingt wesentlich vornehmer, sagt aber im Prinzip das Gleiche. Ich hab seine Aussagen auf unserer Veranstaltung lediglich kabarettistisch etwas zugespitzt.

Und den „nackten Mann“ hat er auch nicht erwähnt?

Nein, hat er nicht – jedenfalls nicht wortwörtlich. Wir wollten wissen, ob er uns für das kommende Jahr 2025 finanzielle Unterstützung zusagen kann. Seine Antwort fiel aber ziemlich vage aus. Und so konnte ich mir den Spruch nicht verkneifen.

Ein OB, der nicht gut auf euch zu sprechen ist, ein mittlerweile mit Zusatzaufgaben überhäufter Beauftragter für bürgerschaftliches Engagement: Ist unter solchen Bedingungen das Netzwerk noch sinnvoll? 

Theoretisch ja, unbedingt. Aber rein praktisch würde ich sagen: Viele haben noch nicht verstanden, was das Netzwerk wirklich bedeutet. Wenn ich immer wieder erklären muss, was der Sinn eines Netzwerks ist, und stets als erstes die Frage auftaucht, was bringt mir das – dann denke ich, sind die Leute noch nicht reif dafür. 

Kommt es also zu spät – oder ist es der Zeit voraus?

Wenn alle nach den Unterschieden suchen statt auf die Gemeinsamkeiten zu achten, ist noch keine Basis da. Und ich weiß nicht, was nötig ist, damit die Menschen begreifen, dass sie zusammengehören. Und dass sie nur zusammen gut leben können. Diese Erkenntnis, dass ich den anderen oder die andere brauche, ist im praktischen Handeln noch nicht gelungen

Offenbar auch nicht bei der Stadtverwaltung.

Wohl wahr.

Würdest du dich mit all deinem jetzigen Wissen nochmals so reinhängen? 

Ich merke meine 77 Jahre. Das Alter kann ich leider nicht mehr so wegwischen wie früher. Aber grundsätzlich werde ich die Finger nicht davon lassen. Wenn ich irgendwo sehe, dass ich was tun kann, werde ich das punktuell auch immer tun.

Interview: Pit Wuhrer / Fotos: Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel, Pit Wuhrer

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