Bauwernkrieg 1525 Forderungen2 Museum Hilzingen © Pit Wuhrer

Aufruhr in Hilzingen – was geht’s uns heute an?

Ein Kommentar

Bauwernkrieg 1525 Forderungen2 Museum Hilzingen © Pit Wuhrer
Sechs der zwölf Forderungen der rebellischen Bauern (Bauernkriegsmuseum Hilzingen)

Vor 500 Jahren begann mit der Hilzinger Kirchweih der Bauernkrieg im Hegau. Mit einem Bühnenstück und einem theatralischen Umzug erinnert Hilzingen an das Ereignis. Im Dorfmuseum, wo eine ganze Abteilung dem Bauernkrieg gewidmet ist, veranschaulicht ein bespielbares Diorama mit Playmobil®-Figuren das Geschehen für Kinder und Jugendliche.

Von vereinzelten Erhebungen entwickelte sich der Aufstand schnell zu einem Flächenbrand, der von Tirol bis zum Harz, vom Elsass bis Thüringen reichte und vom Landvolk auch auf städtische Unterschichten übersprang. Nach den Kreuzzügen war dies die zweite große Massenbewegung im Römischen Reich deutscher Nation. Erstmals wurden universale Freiheitsrechte gefordert und eine allgemeine Gleichheit aller Menschen postuliert. „Ein Blick auf das Jahr 1524/25“, weiß Winfried Kretschmann, „eröffnet deshalb auch in der Gegenwart Perspektiven. Mitbestimmung und der Wunsch nach demokratischen Entscheidungsprozessen haben nichts von ihrer Aktualität verloren.“

Sammelt Schneckenhäuser! Nur eine bauernschlaue Metapher?

Sommer 1524. Hagelstürme setzen den Bauern zu, doch die Grundherren erhöhen die Abgaben. In Stühlingen beginnt die Revolte. Gräfin Clementia, so die Überlieferung, habe den Bauern angeblich mitten in der Erntezeit befohlen, Schneckenhäuser zu sammeln, damit ihre Mägde Garn darauf winden könnten. Doch anstatt Schnecken zu sammeln, ziehen die Bauern vor das Schloss derer von Lupfen und verlangen, die Abgaben und Frondienste zu senken. Auch wollen sie frei jagen und fischen dürfen.

Landgraf Siegmund ist nicht zu Hause, sondern in habsburgischem Auftrag unterwegs im Elsass. Sein Vogt schickt ihm Nachricht von der Rebellion. Da die Landgrafschaft Stühlingen unter „Schutz und Schirm“ des Hauses Habsburg steht und von diesem Beistand erwartet, wird auch die vorderösterreichische Verwaltung in Waldshut informiert.

Unter deren Leitung treffen sich alsbald in Ehingen wohl sechzig Adlige und beraten, wie man Graf Siegmund unterstützen und vor allem die Ausbreitung des Aufstands in die Nachbardörfer verhindern kann. Derweil verhandeln in Tiengen Abgesandte des Grafen und Vertreter nicht mehr nur der Bauern, sondern aller Untertanen des Landgrafen. Zwei habsburgische Räte, die Ritter Hans Jakob von Landau und Ulrich von Habsberg, sollen schlichten. Doch ihr Schiedsspruch, wir ahnen es, ist parteiisch zugunsten des Grafen.

Die Aufständischen erkennen den Spruch nicht an, sondern ziehen mit 600 Mann nach Waldshut. Mit Hans Müller, Beiname von Bulgenbach, haben sie inzwischen einen fähigen Anführer, der gut reden kann und als früherer Landsknecht auch das Kriegshandwerk beherrscht. Die mit ihren habsburgischen Stadtherrn im Streit liegenden Waldshuter Bürger:innen öffnen bereitwillig ihre Tore und bewirten die Rebellen.

Aufrüstung: Die einen mit Gott, die andern mit Kanonen

Spätestens bei ihrem Besuch in Waldshut kommen die Rebellen auch mit der Reformation in Kontakt, wirkt dort doch mit dem Stadtpfarrer Balthasar Hubmaier ein Anhänger des Zürcher Reformators Zwingli. Die Habsburger und der Landadel müssen nun fürchten, die aufständischen Stühlinger könnten mit den Waldshutern zusammenspannen und ihre Forderungen auch auf die Bibel stützen, damit neue Anhänger gewinnen und umso bedrohlicher zu werden.

Im zu Österreich gehörenden Radolfzell wird ein ständiger Ausschuss eingerichtet, um das Vorgehen der Herrschaften gegen die Aufrührer zu koordinieren. Die vorderösterreichische Regierung stellt einen in Euro umgerechnet hohen sechsstelligen Betrag zur Verfügung, um Söldner anzuwerben. Auch Geschütze und Munition müssen gekauft werden, um den Aufruhr niederzuschlagen. Parallel zu dieser Aufrüstung nehmen Gesandte des Grafen von Lupfen und Vertreter der Stühlinger Untertanen auf Einladung der Stadt Schaffhausen einen neuen Anlauf, den Konflikt friedlich beizulegen.

Ein fauler Kompromiss spaltet die Bewegung

Tatsächlich lassen sich 22 Delegierte der Untertanen auf einen Kompromiss ein: Der Landgraf garantiert ihre althergebrachten Rechte und Pflichten. Die Bauern sollen im Gegenzug ihre Waffen und ihre Fahne abgeben, dazu auf einem Feld nahe dem Schloss vor der Herrschaft auf Knien bekennen, dass sie Unrecht getan hätten, und um Gnade bitten. Dann würde niemand bestraft.

Vertreter der Stadt Stühlingen gehören indes nicht zu den Unterzeichnern. Hans Müller hat erst gar nicht an den Verhandlungen teilgenommen. Und so nimmt es nicht Wunder, dass eine Minderheit der Untertanen den Vertrag nicht akzeptiert. Doch die Aufrührer sind nun gespalten: Hier die kompromissbereiten „Ehrbaren“, wie der herrschaftliche Ausschuss sie nennt, dort die „Radikalen“, die den Aufstand weitertragen.

Hilzinger Kirchweih und Riedheimer Anlass

Es ist Oktober geworden. Von alters her trifft man sich am ersten Wochenende in Hilzingen zur Kirchweih. Mit vermutlich mehr als 400 Einwohnern zählt Hilzingen zu den größeren Dörfern im Hegau. Aus nah und fern kommen Bauern und Städter zusammen, auch die Grundherren feiern mit. Doch dieses Jahr soll das Fest ausfallen. Aus Furcht vor Zusammenrottungen hat der Adel alle Kirchweih-Feste im Hegau verboten.

Die Hilzinger indes halten sich nicht daran. Mit dem Läuten der Sturmglocke rufen sie am Kirchweihtag die Dörfler der Umgebung zusammen. An die 800 Bauern kommen und verbünden sich zu einer Eidgenossenschaft. Sie marschieren in den Folgetagen in umliegende Gemeinden, um ihre Kriegsbereitschaft zu demonstrieren und weitere Bauern anzuwerben. So werden etwa die Mühlhauser mehr genötigt als überzeugt, sich den Aufrührern anzuschließen.

Die Radikalen wollen sofort gegen die Herren losschlagen, doch wie in Stühlingen setzt auch im Hegau die Mehrheit zunächst auf Verhandlungen. Die Forderungen sind gemäßigt. Es geht nicht um den Systemwechsel, nämlich die Abschaffung der feudalen Ordnung, sondern um die Rückkehr zu althergebrachtem Recht und Brauch, also gegen Willkür und die verschärfte Ausbeutung, mit der die Grund- und Landesherren die Bauern auszuplündern versuchen.

Der Adel spielt auf Zeit. Auf die Schnelle gelingt es nicht, genügend Söldner gegen die Bauern aufzubieten. Die Kriegsknechte sind alle noch im kaiserlichen Dienst in Italien verpflichtet. So treffen sich im Bauernlager bei Riedheim Abgesandte des Adels und der verbündeten Stadt Überlingen mit den Aufständischen und handeln mit dem „Riedheimer Anlass“ (Riedheimer Vertrag) am 10. Oktober einen Waffenstillstand aus. Das Stockacher Landgericht, so die Übereinkunft, soll die Beschwerden der Bauern verhandeln.

Das Kulturbüro „500 Jahre Hilzinger Aufstand“ verdichtet das Geschehen vom Kirchweihtag bis zum Riedheimer Anlass zu einem theatralischen Reenactment unter der Regie der Hilzinger Schauspielerin Manuela Trapani. Das Spiel beginnt am Sonntag, 6. Oktober, 14 Uhr auf dem Hilzinger Dorfplatz. Ob kostümiert oder im Alltagsdress, alle Besucher:innen sind eingeladen, sich dem anschließenden Zug nach Riedheim anzuschließen. Unterwegs und am Ziel erinnern szenische Einspielungen an die Ereignisse vor 500 Jahren.

„So voll Krieg, dass sie oben übergehen“

Der Fortgang der Geschichte ist schnell erzählt. Das Stockacher Landgericht, das einen Vergleich zwischen dem Hegauer Adel und den Bauern herbeiführen soll, ist mit habsburgischen Kommissären besetzt und urteilt entsprechend parteiisch zugunsten der Herren. Die Bauern nehmen den Schiedsspruch nicht an, auch die Gemäßigten radikalisieren sich zunehmend.

Die Ziele werden nun höher gesteckt: Entlastung der Unterschichten von bisherigen Pflichten und Teilhabe an der Herrschaftsausübung. Klöster und Burgen werden geplündert und zerstört, Geistliche und Adelige als Geiseln genommen und erpresst. Über die im Oktober noch so zögerlichen Mühlhauser urteilt Jörg Truchsess von Waldburg, genannt Bauernjörg und oberster Feldhauptmann des gegen die Bauern aufgebotenen Fürstenheeres, sie „stecken so voll Krieg, dass sie oben übergehen.“

Im April und Mai 1525 kontrollieren die Aufständischen mit Ausnahme weniger Städte den gesamten Südwesten. Doch die Herren geben sich nicht geschlagen. Mit dem finalen Sieg der Kaiserlichen in der Schlacht von Pavia (Februar 1525) werden die in Italien engagierten Söldnerheere abgerüstet. Damit gibt es endlich genug kriegserprobte Landsknechte für den Feldzug gegen die Bauern. Ende April rückt der Bauernjörg (dessen Nachfahren von Waldburg-Zeil in Oberschwaben über Kurkliniken, Grundbesitz und zum Teil Medien wie der Schwäbischen Zeitung verfügen) mit einem frisch angeworbenen, 12.000 Mann starken Heer gegen den Hegauer Haufen vor, der gerade Radolfzell belagert. Die Schlacht scheint unausweichlich, doch im letzten Moment erhalten die Landsknechte Befehl, zunächst die württembergischen Rebellen und dann den fränkischen Haufen niederzuwerfen.

Die Rache der Sieger

Mit dem Weingartener Vertrag strecken die oberschwäbischen und die Bodenseebauern ihre Waffen. Württemberger und Franken unterliegen auf dem Schlachtfeld. Das nimmt vielen Hegauer Bauern den Mut und sie schließen Ende Mai in Steißlingen einen Unterwerfungsfrieden mit dem Hegauer Adel. Nur der harte Kern der Aufständischen um Hans Müller – Österreichs Erzherzog Ferdinand schimpft ihn „ainen radlfuerer und aufwigler aller aufruern“ – belagert weiter Radolfzell, muss dann aber vor dem aus Überlingen anrückenden Heer des Söldnerführers Marx Sittich von Ems weichen.

An der Hilzinger Steige zu Füßen des Hohentwiels kommt es zum letzten Gefecht. Wer sich nicht in die nahe Schweiz retten kann, wird erbarmungslos getötet. Auf seinem Rachefeldzug durch den Hegau lässt der Emser, auch Bauernschlächter genannt, zwei Dutzend Dörfer plündern und niederbrennen. Der Hilzinger Vertrag vom 25. Juli besiegelt die Unterwerfung der Bauern. Sie müssen ihre Waffen abgeben, Entschädigungen zahlen und den Herren Treue und Gehorsam schwören. Rädelsführer werden geköpft. Rathäuser und Glockentürme, so nicht bereits zerstört, sind abzureißen und die Glocken abzugeben. Sie werden geschmolzen und zu Kanonen verarbeitet. 

Wie die Emser Chronik berichtet, lässt Marx Sittich von Ems die Hilzinger Sturmglocke von fünfzig Bauern an den See bringen und nach Bregenz verschiffen. Nach getaner Arbeit enden die Überbringer der Glocke reihenweise an den „Henker-Eichen“ entlang der Leiblach.

Passion der Freiheit

An diese Episode knüpft das zum Jubiläum des Hilzinger Aufstands konzipierte Theaterstück „Passion der Freiheit“ an, eine Produktion des GEMS-Theaters. Geschrieben wurde das eindrückliche, unbedingt sehenswerte Schauspiel vom Autorengespann Gerhard Zahner und Johannes Stürner, in Szene gesetzt von Mark Zurmühle, Schauspieler, Regisseur und unter Christoph Nix Schauspieldirektor am Theater Konstanz.

Marie, eine als Mann verkleidete Waise und Hauptfigur des Stücks, verkörpert vor dem Hintergrund (männlicher) Gräueltaten den gewaltlosen Widerstand und den Glauben an die Freiheit. Sie begleitet in zwölf Bildern die Glocke auf ihrem Kreuzweg von der Gießerei zur Kirche, über den Ruf zu widerständiger Versammlung bis zur Metamorphose in eine Kanone.

Auch die anderen Rollen sind mit Frauen in Männerkleidung besetzt. „Noch ist es so, dass Marie nur in Männerkleidung in der Lage ist, die männlich dominierte Welt aufzuweichen. Meine Hoffnung ist aber, dass es in Zukunft eine Welt geben könnte, in der Männer weiblicher regieren und die Frau ihren ebenso dominanten Platz in der Gesellschaft so nutzen kann, das wir weniger Kriege und Gewalt erleben müssen“, so Markus Zurmühle im Interview mit dem Südkurier. „Das Projekt soll getragen werden von der Hoffnung, dass Frauen eine grundlegend andere Welt denken würden: Ohne Kriege! Vielleicht mit einem leisen Lied der Freiheit auf den Lippen.“

Was bleibt

„Es ist nun einmal so: Die Geschichte wird immer vom Sieger geschrieben, und alle diese früheren Anläufe auf eine freiheitliche Ordnung in Deutschland sind eben nicht durchgebrochen”, bemerkte der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann. Jedoch: Trotz der Niederschlagung blieb der Bauernkrieg im kollektiven Gedächtnis verankert. Eine Utopie war in der Welt, inspirierte spätere Revolutionen in ganz Europa und wirkt bis heute nach. Und wirft Fragen auf: Was lernen wir aus der Geschichte? Worin erkennen wir uns wieder? Was treibt Menschen dazu an, sich zu erheben?

Text: Ralph-Raymond Braun. Vielen Dank an Wolfang Panzer vom Kulturbüro „500 Jahre Hilzinger Aufstand“ für die Einführung ins Thema.
Abbildungen: Die Forderungen der Bauern im Museum Hilzingen (© Pit Wuhrer), Foto von einer Probe des Stücks „Passion der Freiheit“ (© Gems Singen), die übrigen Abbildungen: commons wikimedia

Events:

„Passion der Freiheit“ in der Remise des Museums Hilzingen. Karten gibt es noch für die Aufführungen am 14., 19. 20. und 21. September, jeweils um 19 Uhr, 15.9. 11 Uhr. Vorverkauf bei der Gems, auch online.

Buchtaufe, Casimir Bumillers „Der Bauernkrieg im Hegau 1524/25“ wird vorgestellt. 2. Oktober 19 Uhr, Museum Hilzingen.

„Freiheitszug“, historischer Zug mit theatralischen Szenen und Tanz von Hilzingen zur Riedheimer Burg. So, 6.Oktober, 14 Uhr.

Museum Hilzingen, So 14–17 Uhr, Führung durch die Bauernkriegsausstellungen

Literatur:
Peter Blickle: „Der Bauernkrieg. Die Revolution des gemeinen Mannes“. 2018, C.H.Beck-Verlag
Friedrich Engels: „Der deutsche Bauernkrieg“. 2017, Edition Holzinger
Casimir Bumiller: „Der Bauernkrieg im Hegau 1524/25. Rekonstruktion einer revolutionären Bewegung“. 2024, Gmeiner Verlag

Ein Kommentar

  1. Wolfgang Panzer

    // am:

    Guten Tag Herr Braun, da haben Sie eine gut lesbare und verlässlich recherchierte Einführung ins Thema geschrieben. Ich werde sie mal Herrn Dr. Bumiller schicken. Ein Artikel, wie man ihn heute in den einstigen Kulturblättern FAZ, Zeit, Süddeutsche usw. leider nicht mehr findet. Eine absolute Empfehlung für Seemoz!

    Beste Grüße,

    Wolfgang Panzer

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