Wenn Leute etwas über die Letzte Generation wissen wollen, geht es meistens um die Straßenproteste an sich. Kaum jemand fragt, was mit den Aktivist:innen danach passiert. Für unsere Autorin Eileen Blum war die Blockade des Gesundheitspersonals, zu der sie eigens nach Berlin gereist war, jedenfalls nur der Anfang eines sehr langen und sehr anstrengenden Tages.
Ich werde als erste in den Gefangenentransporter hineingebeten und bin alleine mit der jungen blonden Polizistin. Die Türen sind alle zu. Kai wartet draußen, bewacht von zwei weiteren Polizisten. Die ganze Situation ist so absurd, dass sie mir fast ein bisschen unwirklich vorkommt. Die junge Frau sieht mich an und man merkt deutlich, wie sehr ihr die ganze Situation missfällt.
„Ich muss Sie jetzt durchsuchen. Ich mache das nicht gerne und glaube nicht, dass Sie gefährliche Gegenstände bei sich tragen. Aber das Protokoll und meine Vorgesetzten wollen das so.“ Ich nicke. Dann muss ich meine Dienstkleidung ausziehen, T-Shirt und Unterhose darf ich anbehalten. „Tut mir leid“, sagt sie leise, als sie oberflächlich meine Brüste abtastet um sicherzugehen, dass ich nichts in meinem BH-versteckt habe.
„Schon okay“, sage ich. „Ich bin Pflegekraft. Ich muss auch oft Dinge tun, die nicht so angenehm sind. Ich weiß wie das ist.“ Für einen Moment schauen wir uns an. Dann nickt sie langsam. Es wirkt erleichtert. Ich überlege, ob ich sie fragen soll, wie sie zur Klimakrise und der Letzten Generation steht und ob sie sich vorstellen kann, auch Aktivistin zu werden. Aber irgendwie kann ich mich nicht richtig dazu durchringen. Stattdessen sehe ich ihr zu, wie sie meine Beine abtastet und anschließend die Kästchen auf dem Durchsuchungsprotokoll ausfüllt. Ruhig. Konzentriert. Ich will sie nicht stören.
Geräuschvoll klappt sie ihre Kladde zu, öffnet die Autotür und winkt ihrem Kollegen.
In der Einzelzelle
Ich werde höflich gebeten, mich in eine der Einzelzellen zu setzen, während Kai meinen Platz einnimmt. Es ist ein schmaler Sitz in einer kleinen Plastikzelle. Ich werde darauf hingewiesen, dass ich mich jederzeit melden kann, wenn ich etwas brauche. Dann schließt der braunhaarige Polizist das kaum zwei Hand große Sichtfenster, damit Kai in Ruhe durchsucht werden kann.
Sofort verschwindet jegliches Licht in der Zelle. Ich atme tief ein, um mich zu sortieren. Es riecht nach Plastik, Straßenstaub und Schweiß. Letzteres ist ziemlich sicher von mir. Heilige Scheiße, ich hätte echt nie gedacht, dass ich mal in einer Zelle landen würde. Aber ich bereue nicht, hier zu sein. Von draußen dringt das Geräusch raschelnder Kleidung und einige halb undeutliche Sätze. „Bitte ziehen Sie das auch aus.“ Stille. Jemand bewegt sich. Irgend etwas hartes wird auf dem Boden abgelegt. Wieder Rascheln. „Das würde ich gerne konfiszieren. Sie dürfen es in ein paar Tagen zusammen mit dem Rest, der im Beschlagnahmungsprotokoll vermerkt ist, abholen.“ Wieder Stille. Dann erneut Bewegung.
Hoffentlich geht es Kai gut. Für ihn ist es heute ebenfalls die erste Blockade und ich fühle mich irgendwie ein bisschen verantwortlich, auch wenn ich weiß, dass ich nichts machen kann. Nicht solange ich in der Einzelzelle feststecke.
Sekundenkleber im Hintern?
Ich muss an René denken. Bei meinem letzten Berlinaufenthalt im Winter haben wir zusammen in einer Unterkunft gewohnt. Er ist schon deutlich öfter auf der Straße gewesen als viele andere. Einmal hatte René das Pech, in Polizeigewahrsam komplett durchsucht zu werden. Und mit „komplett“ meine ich komplett. Dass sich Leute bei Durchsuchungen ganz nackt ausziehen müssen, kommt immer wieder mal vor. Wenn auch selten. Bei ihm ging es damals aber noch deutlich weiter. Ein, laut seiner Aussage, nicht sonderlich vorsichtiger Polizist hatte erst eine gefühlte Ewigkeit in seinen Haaren herumgewühlt, danach seinen Intimbereich genauestens inspiziert und schlussendlich seinen Anus von innen abgetastet.
So absurd das erstmal klingen mag: Ich kann mir schon vorstellen, dass eine solche Durchsuchung in gewissen Fällen Sinn ergibt. Ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass Leute – speziell Suchtkranke in der Psychiatrie – sehr kreativ werden können, wenn es darum geht, Dinge unerlaubt hinaus oder hinein zu schmuggeln. Wenn die Gefahr besteht, dass diese Leute sich selbst oder andere verletzen, ist Vorsicht immer gut.
Was ich mir allerdings nicht vorstellen kann ist, dass das in Renés Fall in irgendeiner Weise gerechtfertigt gewesen war. Was Gemeingefährliches hätte er denn in seinen Haaren oder im Hintern verstecken sollen? Sekundenkleber? Um sich damit auf der Toilette festzukleben? Das glauben die doch selber nicht.
Angeschnallt im Stau
Mit einem leisen Knirschen öffnet sich das Sichtfenster wieder; Licht flutet in den kleinen Raum. Ich kneife die Augen zusammen. „Wir fahren jetzt los. Ich gehe davon aus, Sie sind angeschnallt?“ sagt eine männliche Stimme. Ich nicke.
Wenig später fährt der große Transporter mit einem gewaltigen Ruck an. Die blonde Polizistin ist hinten mit uns im Gefangenenraum geblieben und füllt Protokolle aus. Wir stoppen abrupt, stehen einige Minuten, fahren weiter und stehen wenig später wieder für eine halbe Ewigkeit im Stau. Dann beginnt das ganze Spiel von vorne. Gut möglich, dass andere Straßenblockaden unsere Weiterfahrt verzögern. Ich grinse leise vor mich hin. Während ich die junge Frau durch das vergitterte Fenster beim Ausfüllen der Protokolle beobachte, suche ich nach einer Gelegenheit, sie doch noch auf den Klimawandel anzusprechen. Wirklich trauen tue ich mich dann aber nicht. Sie sieht sehr beschäftigt aus, und ich will nicht unhöflich sein. Zumal ihr Kollege durch ein weiteres vergittertes Fenster alles mitbekommt, was im hinteren Wagenteil passiert.
Fortsetzung folgt.
Text: Eileen Blum
Fotos: © Jonas Gehring/Letzte Generation. Das Bild oben zeigt den Aktivisten Marius beim Interview, links neben ihm Eileen Blum.
Die bisherigen Asphaltgeschichten:
27.06.2023 | Asphaltgeschichten (1). Die Anreise
03.07.2023 | Asphaltgeschichten (2). Auf der falschen Blockade
10.07.2023 | Asphaltgeschichten (3). „Verknacken Sie diese Arschgeigen!“
31.07.2023 | Asphaltgeschichten (4). „Nicht ganz so allein, wie man sich manchmal fühlt“
03.08.2023 | Asphaltgeschichten (5). „Hoffnung ist Handarbeit“
06.09.2023 | Asphaltgeschichten (6): Das „Weiter so“ bringt uns um
14.09.2023 | Asphaltgeschichten (7): Der Blick in die Augen
30.10.2023 | Asphaltgeschichten (8): Die ungestellte Frage
07.11.2023 | Asphaltgeschichten (9): Im Transporter
10.11.2024 | Asphaltgeschichten (10): Vorgeführt und eingeschlossen
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