Letztegen Berlin 230523 Eileenblum ©jonasgehring

Asphaltgeschichten: Der Blick in die Augen

Ein Kommentar

LetzteGen_Berlin_230523_EileenBlum_©JonasGehring

Berlin, Wedding. Eine Gruppe von Beschäftigten aus dem Gesundheitsbereich hat sich aufgemacht und blockiert die Voltastraße. „Unser Job ist Leben retten“, steht auf einem Plakat, das die Pflegekräfte in die Höhe halten. Aber was jetzt? Das schildert Eileen Blum von Letzte Generation in der siebten Folge ihrer Asphaltgeschichten.

Kaum dass die Autos in der ersten Reihe realisieren, dass sie mitten in einer Blockadeaktion der Letzten Generation gelandet sind, beginnt der große Unmut. Der eine startet ein wahres Hupkonzert und sein Sohn schlägt im Takt dazu auf das Amaturenbrett. Das Auto, das mir und Marius gegenüber steht, fährt ganz langsam auf uns zu. Es ist ein großer schwarzer Wagen, dessen Motorhaube mir fast bis zur Brust geht. Noch kaum einen Arm lang, dann hat er uns erreicht.

Aber wir sind fest entschlossen, stehen zu bleiben, uns dem tödlichen Weiter-So in den Weg zu stellen. Ich halte den Atem an und versuche, den Autofahrer direkt anzuschauen. Was aber gar nicht so einfach ist, weil die Scheibe ziemlich spiegelt. Wenn die Leute immer vor Augen haben, dass wir Menschen sind, kommt es erfahrungsgemäß weniger zur Eskalation. Deshalb versuchen wir, den Fahrer:innenn nach Möglichkeit in die Augen zu schauen.

Wir sind heute in Wedding. Ein Stadtteil der nicht unbedingt für zivilisierte Autofahrer und verständnisvolle Passant:innen bekannt ist. Ungefähr zwei Handbreit bevor er uns erreicht, hält der Autofahrer dann doch an. Sein Nachbar hupt immer energischer weiter, während der Sohn immer weniger enthusiastisch auf das Amaturenbrett detscht. 

Begeisterte Radfahrer:innen

„Geht arbeiten, ihr Arschlöcher!“, ruft uns einer der Passanten zu. Erst jetzt merke ich, dass sich eine kleine Menschentraube zu beiden Seiten der Ampel gebildet hat und uns teils neugierig, teils angewidert mustert. 

„Wir sind nicht hier, weil wir keine Arbeit haben, sondern weil wir arbeiten. Wir sind Pflegekräfte. Die Klimakrise tötet. Unser Job ist es, Leben und Gesundheit zu schützen!“, ruft Marius. Doch der Passant läuft weiter, ohne uns zu beachten. Anscheinend wollte er nur seinen Frust loswerden oder die Erklärung war mal wieder zu lange und zu kompliziert. 

Eine Frau, die auf dem Fahrrad vorbeikommt, hält an und fragt, ob sie uns fotografieren darf. Sie findet es super wichtig und richtig, was wir machen und würde das Bild dann auf ihrem Instagram-Profil mit mehreren tausend Followern teilen. Marius erzählt, warum wir uns heute als Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen offen zur Letzten Generation bekennen und lädt sie zum nächsten Protestmarsch am Mittwoch ein. „Kommst du langsam mal? Sonst ist die Polizei da und die Straße nicht mehr frei,“ witzelt ihr Mann, der ein paar Meter weiter vorne gehalten hat. Dann radeln beide über die nun freie Straße in der Berliner Innenstadt davon. Die Autos bleiben hingegen vor uns im Stau stehen. Es ist nicht das erste Mal, dass Fahrradfahrer sehr begeistert von unseren Blockaden und vor allem den freien Straßen dahinter sind.

Was ist das Wichtigste im Leben?

Ein Pressevertreter nutzt die Gunst der Stunde und kommt auf uns zu, bevor wir wieder in ein weiteres Gespräch verwickelt werden. Er fragt, wer wir sind und was wir hier machen. „Ich bin Marius“, sagt mein Sitznachbar. „Heilerziehungspfleger. Ich kümmere mich um schwerbehinderte Menschen. Leute, die zu den hilflosesten Mitgliedern unserer Gesellschaft zählen und als Erste unter den Folgen der Klimakatastrophe leiden. Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal sind mehrere Menschen in einem Heim ertrunken, weil keiner kam, um sie zu retten und weil keiner schon früher aufgestanden ist, um etwas gegen die Klimakrise zu tun.“

Der Pressevertreter nickt und wendet sich mir zu: „Wer bist du und was machst du hier?“ 

Ich schlucke und nehme mir kurz  Zeit. Jetzt ist der Moment, eine Botschaft an all die anonymen Zuschauer:innen da draußen zu senden. Es sind Augenblicke wie diese, für die wir den ganzen Aufwand überhaupt machen. Ich schaue auf, direkt in die Kamera. Normalerweise wird einem immer erzählt, dass man das nicht machen soll, sondern lieber mit dem Interviewer reden. Aber dieses Mal ist die Botschaft genau für das Publikum bestimmt: „Überlegt euch mal, was euch im Leben am Wichtigsten ist?“ Ich mache eine kurze Pause.

„Ich arbeite im Krankenhaus und betreue schwerkranke Menschen. Man sagt, dass nichts eine gute Gesundheit ersetzt und unser Leben der wertvollste Besitz ist, den wir haben. Nicht umsonst heißt es in Artikel 2 in unserem Grundgesetz ‚Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit‘. Als Gesellschaft haben wir uns darauf geeinigt, dass Menschenleben das Schützenswerteste sind, was es gibt.“ Ich schaue wieder direkt in die Kamera. „Denkt mal an euren Bekanntenkreis. Kennt ihr alte Leute? Schwangere und Kinder? Leute mit Erkrankungen von Herz oder Nieren? Passt ihr eventuell selber in eine von diesen Kategorien?“

Wieder eine kurze Denkpause. „Das sind nur ein paar Beispiele für Leute, die besonders gefährdet bei Hitzewellen sind, wie wir sie immer heftiger erleben. Die Klimakrise ist hier. Heute. Jetzt. Und sie tötet. Es wäre an uns – und damit meine ich an jedem von uns –, sie aufzuhalten. Wir sind jetzt alle an dem Punkt, an dem wir uns überlegen müssen, was für Menschen wir sein wollen. Ich habe für mich entschieden, dass ich nicht zusehen werde, wie wir diese Welt und uns selbst mit jedem Tag weiter zerstören. Du?“

Der Journalist setzt zu einer weiteren Frage an, als plötzlich jemand „Polizei!“ ruft.

Der Trick beim Kleben

Irgendwo will ich mich dann immer umdrehen und schauen, wo sie ist. Aber das würde bedeuten, wertvolle Sekunden zu verlieren. Den Fehler hatte ich im Februar gemacht, als ich hier in Konstanz beim Lago das erste Mal kleben wollte. Mit klopfendem Herzen krame ich in meiner Hosentasche nach dem Kleber und kippe ihn großzügig auf meine Hand, bevor ich die Finger fest mit denen von Marius verschränke. Das ist unser Trick, damit wir immer schnell eine Rettungsgasse aufmachen können, aber die Polizei uns nicht einfach von der Straße tragen kann und die Autos durch die Rettungsgasse durchlässt. Zwei zusammengeklebte Menschen, von denen einer zusätzlich am Asphalt klebt sind viel effektiver.

Letzte Generstion Berlin.
Letzte Generation Berlin.

Es zieht an der Haut, als der Kleber innerhalb weniger Sekunden aushärtet. Das ist nicht super angenehm, aber wirklich weh tut es nicht. Zumindest nicht, solange man die Hand ruhig hält. Wenn der Nachbar sich zu viel bewegt, zieht es manchmal schon recht ordentlich. 

Ich höre Bremsgeräusche hinter mir und drehe gerade rechtzeitig den Kopf, um zu sehen, wie eine Handvoll Polizisten aus blau-weißen Wagen springen und auf Kai und Oskar zu rennen, die neben uns sitzen. Ein Passant hält Kai am Rucksack gepackt und versucht, ihn von der Straße zu schleifen. Eine junge Polizistin hält schnurstracks auf ihn zu und bittet ihn, Kai loszulassen und von der Straße zu gehen. „Ich darf das! Ich verhindere hier eine Straftat!“, hält der Passant ihr energisch entgegen. „Die Zeitung hat gesagt, ich darf das!“ 

„Welche Zeitung?“, fragt Marius leise neben mir. „Die BILD?“

Der Schulsozialarbeiter

„Entfernen Sie sich von der Straße! Das ist immer noch mein Job. Und glauben Sie nicht alles, was in der Zeitung steht“, sagt die junge Polizistin ruhig, aber bestimmt. Schon allein wegen diesem Satz mag ich sie sofort. Unsanft lässt der Passant Kai zu Boden fallen, leistet der Anweisung aber zähneknirschend Folge. „Darf ich die dann wenigstens vom Gehweg aus mit Pups-Spray einsprühen?“ Die Polististin zieht sichtlich genervt beide Augenbrauen zusammen und schüttelt den Kopf. Dann gibt sie ihrem Kollegen ein Zeichen und gemeinsam tragen sie Kai von der Straße.

Derweil klebt Oskar, der neben ihm sitzt, mit einer zweiten Tube nach. Später erzählt er, dass der Passant ihn plötzlich von hinten gepackt hatte, als er mit Kleben anfangen wollte. Sein Glück war, dass er für den Mann deutlich zu groß und zu schwer war, weshalb dieser von ihm abließ und stattdessen den deutlich zierlicheren Kai ins Visier nahm. Es ist schon immer wieder erstaunlich, was man bei Blockaden alles nicht mitbekommt, wenn man auf der Straße sitzt. Es gab zum Beispiel auch einen Passanten, der sich lautstark darüber ausgelassen hat, dass wir die Zukunft unschuldiger Kinder zerstören würden, weil wir durch unsere Blockadeaktionen angeblich verhinderten, dass sie rechtzeitig zur Schule kämen. Der Mann war laut eigener Aussage Sozialarbeiter an einem Gymnasium und der festen Überzeugung, im Gegensatz zu uns Pflegekräften zu wissen, „wie das wirkliche Leben läuft.“

Ein junger Polizist mit blonden Haaren kommt auf uns zu und sieht uns fragend an. „Wir kleben schon“, sagt Marius. Der Polizist nickt. Sonderlich begeistert wirkt er nicht. Bleibt aber respektvoll und professionell. Die Truppe, die wir abbekommen haben, scheint wirklich gut zu sein. Der blonde Polizist geht uns der Reihe nach ab und beschlagnahmt die restlichen Klebetuben. Seine Kollegin hält Kais Hand immer noch in die Höhe, bis der Kleber komplett getrocknet ist. Ein weiterer Kollege nimmt die Personalien des Passanten auf, der uns von der Straße ziehen und mit Pups-Spray einsprühen wollte, was dieser, wie es scheint, gar nicht nachvollziehen kann. Der Sozialarbeiter fragt sogleich eifrig nach, ob er als Zeuge auch seine Personalien dalassen könnte. Er würde, wenn gewünscht, gerne gegen uns aussagen.

Die schwarze Motorhaube

Ein Polizist beginnt zusammen mit zwei Kolleginnen, Oskar mit sehr viel Öl von der Straße zu lösen. Wir sind vermutlich in wenigen Minuten auch dran. „Wie stehst du zum Thema Schmerzgriffe?“, frage ich Marius. „Willst du freiwillig gehen oder nicht?“ 

Da wir beide zusammengeklebt sind und Marius sehr groß und somit entsprechend schwer ist, schätze ich die Chancen, dass wir Schmerzgriffe abbekommen, als eher hoch ein. „Ich gehe erst, wenn wir die Klimakrise im Griff haben,“ antwortet er gefasst. „Und du?“ Ich überlege einen Moment. „Ich hab noch keine Erfahrung mit Schmerzgriffen, das wird heute eventuell das erste Mal.“

Globaler_Klimastreik_2023-09-15
Klimastreik auch in Konstanz, Beginn: 13:30 Uhr im Herosé-Park

Als der Autofahrer im großen schwarzen SUV vor uns sieht, dass die Polizei anderweitig beschäftigt ist, nutzt er die Gelegenheit, um circa einen halben Meter zurückzusetzen, nur um dann nochmals langsam auf uns zuzurollen. Ich hoffe nicht, dass er so dumm ist, uns vor den Augen der Polizei umzufahren. Trotzdem ist es noch einmal eine ganze Spur unheimlicher, ein Auto auf sich zufahren zu sehen, wenn man sitzt. Die Motorhaube ist höher als unsere Köpfe, die Scheinwerfer blenden hell in unsere Augen. Wir wissen alle drei, dass Marius und ich dieses Mal nicht werden ausweichen können. Selbst wenn wir wollten. Wenige Zentimeter bevor er uns erreicht, tritt er die Bremse durch. Ich kann den Geruch von Hitze, Plastik und Metall überdeutlich wahrnehmen.

Fortsetzung folgt.

Hinweis: Ich habe auch mit Blick auf eventuelle Prozesse gegen uns aus rechtlichen Gründen ein paar Details geändert beziehungsweise mit Ereignissen bei anderen Blockaden vermischt. Trotzdem beruht alles auf wahren Erlebnissen von mir oder sehr nahestehenden Aktivist*innen. Der größte Teil des obigen Berichts ist bei der geschilderten Aktion genau so passiert. 

Text: Eileen Blum von der Klimablog-Redaktion.
Foto oben: © Jonas Gehring/Letzte Generation.

Die bisherigen Asphaltgeschichten:

27.06.2023 | Asphaltgeschichten (1). Die Anreise
03.07.2023 | Asphaltgeschichten (2). Auf der falschen Blockade
10.07.2023 | Asphaltgeschichten (3). „Verknacken Sie diese Arschgeigen!“
31.07.2023 | Asphaltgeschichten (4). „Nicht ganz so allein, wie man sich manchmal fühlt“
03.08.2023 | Asphaltgeschichten (5). „Hoffnung ist Handarbeit“
06.09.2023 | Asphaltgeschichten (6): Das „Weiter so“ bringt uns um

Ein Kommentar

  1. Dr. Peter Krause

    // am:

    Aktuelle Ergänzung:
    Wie heute (17.09.2023) gemeldet wurde, haben heute Mitglieder der Gruppe „Letzte Generation“ das Brandenburger Tor in Berlin großflächig mit Farbe besprüht. Angeblich, so ist Medien zu entnehmen, sei diese Straftat Teil einer Aktion „Wendepunkt“.
    Das Brandenburger Tor hat schon vieles gesehen und sehen müssen. Vieles war viel schlimmer, manches war durchaus freudig, diese aktuelle Aktion ist sicher eine der dümmsten.
    Ich hoffe, dass die verantwortlichen Personen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden und vollumfänglich Schadenersatz leisten müssen.

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