Lg Gesundheitsblockade Berlin 230523 ©jonas Gehring Lg Gemeinfrei

Asphaltgeschichten: Das „Weiter so“ bringt uns um

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Eine Schwimmblockade, eine Klebeaktion, eine Mahnwache – nur wenige ahnen, wie viel Vorbereitung selbst scheinbar einfache Proteste benötigen. Und was den Aktivist*innen so alles durch den Kopf geht. Vor allem dann, wenn sie aus dem Gesundheitsbereich kommen und – wie unsere Autorin – mit Kolleg*innen in blau-weißer Arbeitskleidung auf die Straße gehen. Hier der siebte Teil ihrer Protestgeschichte, die sich in Berlin abspielt.

5:30 Uhr. Der Wecker klingelt. Ich drücke auf Snooze, wohlwissend, dass ich das später bereuen werde. Das tue ich auch schon eine Viertelstunde danach, als ich mich hastig angezogen hatte, auf dem Weg zum Treffpunkt kurz auf der Toilette vorbeischauen wollte und feststellte, dass ich meine Tage bekommen habe. Toll. 

Drei Minuten zu spät, aber dafür mit mehreren Tampons bewaffnet, tauche ich am vereinbarten Ort auf. Doch Oskar ist schon weg. Scheiße, denke ich mir und sprinte los in Richtung S-Bahn. Oder zumindest dahin, wo ich die Mitstreiter*innen vermute. Mein Orientierungsvermögen in öffentlichen Verkehrsnetzen hat sich mittlerweile bei der Letzten Generation herumgesprochen. Ich will aber nicht schon wieder eine Aktion verpassen, nur weil ich nicht damit klar komme, dass es mehr als einen Zug in jede Richtung gibt. Nachdem ich zweimal falsch gelaufen bin, finde ich endlich den Eingang zur Station, hechte zwischen den anderen Leuten hindurch und renne die Rolltreppe hinunter – in weißer Hose, blauem Kittel sowie einer Warnweste und schmutzig grüner Jacke in der Hand. Auffälliger geht’s kaum. Zum Glück ist gerade keine Polizei auf Streife unterwegs.

Unten auf den Metallgitterbänken sehe ich Oskar in blauem Kittel sitzen. Mit „Sorry, hab meine Tage gekriegt“ setze ich mich neben ihn. Er nickt und sein blondes Haar leuchtet in der Morgensonne. „Kleber, Banner und Organspendeausweis dabei?“ Ich nicke.

Einer fehlt

Es fühlt sich jedes Mal komisch an, wenn man vor Protesten den Organspendeausweis einsteckt. Auch wenn ich nicht wirklich damit rechne, bei unseren Protesten zu sterben, ist es besser, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Schweigend warten wir auf die Bahn. Oskar steigt ein. Ich folge ihm möglichst unauffällig. Aus den Augenwinkeln immer auf der Hut vor einer Polizeistreife.

Am Treffpunkt müssen wir erst einmal eine Weile warten. Ein Teilnehmer ist immer noch nicht aufgetaucht. Da wir alle keine Handys dabeihaben, kann keiner sagen, ob er noch auftauchen wird oder nicht. Es gibt viele Möglichkeiten. Vielleicht hat die Bahn Verspätung, vielleicht filzt ihn gerade die Polizei und nimmt ihn fest. Wir beschließen zu warten.

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Demo gegen die Kriminalisierung der Letzten Generation in Konstanz, Mai 2023

Fast zwanzig Minuten zu spät taucht er wie aus dem Nichts auf. Die Aktivistin neben mir steht auf und wechselt leise einige Worte mit ihm. Dann nickte sie uns zu und deutet zum Ausgang. Was auch immer passiert ist – wir können los.

Denken wie eine Pflegekraft

An der Ampel warten wir als blau-weißer Pulk. Ich hoffe inständig, dass die Polizei nicht auf Streife hier vorbeikommt. Seit mehreren Tagen überwachen sie großflächig die ganze Stadt und warten an täglich wechselnden Kreuzungen. Soli-Blockaden aus dem Gesundheitswesen gab es allerdings bisher noch nicht so häufig und ich denke nicht, dass man uns sofort als Letzte Generation erkennt. Aber wir ziehen auch so schon die Aufmerksamkeit einiger Passant*innen auf uns. Zumal wir als Gruppe für kreativen Protest bekannt sind. Was durchaus ein Grund wäre, die Gruppe blau-weiß gekleideter Leute, die an einer Ampel steht, näher im Auge zu behalten.

Aber vielleicht bin ich mit der Zeit auch einfach nur etwas paranoid geworden – wie so viele Aktivist*innen, die länger dabei sind. Wir haben Pressebegleitung und bekämen zumindest ein paar Schlagzeilen im Sinne von „Polizei nimmt Pflegekräfte fest – bevor sie eine Straße blockieren konnten.“ Das wäre immerhin was. In meinem inneren Ohr höre ich Renate ihren üblichen Spruch sagen: „Ihr müsst denken wie eine Pflegekraft auf der Intensivstation. Solange keiner stirbt, is ja nix.“

Nichts ist mehr normal

Während wir darauf warten, dass es endlich grün wird, schaue ich in die Gesichter der Autofahrer*innen, die an uns vorbeifahren. Eine Mutter mit Kind. Ein älterer Herr, der telefoniert. Noch ein Mann, um die vierzig, der so laut Musik hört, dass das ganze Auto zu vibrieren scheint … Das ist in der Regel der Moment, in dem mir nochmals kurz Zweifel an dem hochkommen, was wir hier tun. Das sind doch eigentlich normale Leute, die ihrem Alltag nachgehen …

Dabei ist im Grunde gar nichts mehr normal. Ich stecke die Hand in meine Hosentasche, umfasse die Klebetube und denke an die Bilder von Waldbränden aus Nordamerika. New York in den Rauch toter Bäume und Tiere gehüllt. Häuser, die lichterloh in Flammen stehen. Ich denke an die Dürre in Afrika, die durch den Klimawandel so extrem wurde, dass die Menschen damit nicht mehr klar kommen. Kleine Kinder, die kaum mehr sind als Haut, die schlaff von den Knochen hängt. Verdurstete Elefanten, Zebras und Giraffen, die vor sich hinverwesen. Fluten in Pakistan. Wasser so weit das Auge reicht. Eine ideale Brutstätte für Krankheitserreger.

Ohne den Klimawandel hätte auch dieses Unglück im vergangenen Jahr nicht so viele Opfer gefordert. Dabei ist das erst der Anfang. Laut Wissenschaft befinden wir uns aktuell noch in der sicheren Zone, sind aber auf dem besten Weg, diese zu verlassen, in die unsichere oder, wenn wir so weitermachen, in die tödliche zu kommen. Ich will nicht wissen, wie unsere Erde dann aussehen wird.

Verantwortlich auch für das, was wir nicht tun

Das Schlimme ist ja: Alle wissen das. Auch die Leute in den Autos. Trotzdem gehen sie einfach weiter ihrem Alltag nach. So als würde die Welt nicht brennen. Als wären sie nicht betroffen und hätten keinen Anteil daran. Es ist dieses „Weiter so“, das uns umbringt. Wir wissen alle, dass der Klimawandel gefährlich ist. Wir wissen auch, was wir tun müssen, um ihn aufzuhalten. Aber keiner macht was, weil alle lieber ihrem Alltag nachgehen, als würden wir in einer heilen Welt leben – und nicht in einer, die uns demnächst um die Ohren fliegt. Jemand muss das aufhalten.

Molière hat seinerzeit sehr passend erkannt: Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun. Darüber sollten sich vielleicht mal ein paar mehr Leute Gedanken machen. 

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Schwimmaktion im Seerhein, Konstanz im August 2023

Derweil wummern die Bässe aus dem Auto weiter, werden aber immer leiser, je mehr sich der Wagen entfernt. Mir hat vor ein paar Tagen jemand erzählt, dass er mal auf der Straße saß und irgendwo aus einem geöffneten Fenster Tim Benzko lautstark „Ich muss nur noch kurz die Welt retten“ sang. Wäre das ein Film, würde jetzt ziemlich sicher dramatische Musik einsetzen.

Aber so dramatisch sind unsere Blockaden selten. Tatsächlich fühlt es sich – abgesehen von den eigenen Gedanken – gar nicht so spektakulär an. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem man die Warnweste anzieht, als Letzte Generation erkennbar wird und alles eskaliert. Das ist einer der Momente, vor denen ich bei Blockaden am meisten Respekt habe, denn dort zeigt sich, mit welchen Menschen wir es zu tun haben und wie unangenehm die nächsten Minuten bis Stunden voraussichtlich werden. Aber wir haben keine Wahl, wenn wir nicht zulassen wollen, dass die Welt vor unseren Augen niederbrennt. 

Die Ampel springt auf Grün und wir betreten mit klopfenden Herzen die Straße, ziehen unsere orangenen Westen an und entrollen unsere Banner: „Unser Job ist Leben retten“ und „Die aktuelle Politik hat tödliche Folgen!“

Fortsetzung folgt.

Hinweis: Ich habe auch mit Blick auf eventuelle Prozesse gegen uns aus rechtlichen Gründen ein paar Details geändert beziehungsweise mit Ereignissen bei anderen Blockaden vermischt. Trotzdem beruht alles auf wahren Erlebnissen von mir oder sehr nahestehenden Aktivist*innen. Der größte Teil des obigen Berichts ist bei der geschilderten Aktion genau so passiert. 

Text: Eileen Blum von der Klimablog-Redaktion.
Foto oben: © Jonas Gehring/Letzte Generation. Folgende Bilder: © Pit Wuhrer

Die bisherigen Asphaltgeschichten:

(Die Links führen auf unsere Archiv-Seite!)

27.06.2023 | Asphaltgeschichten (1). Die Anreise
03.07.2023 | Asphaltgeschichten (2). Auf der falschen Blockade
10.07.2023 | Asphaltgeschichten (3). „Verknacken Sie diese Arschgeigen!“
31.07.2023 | Asphaltgeschichten (4). „Nicht ganz so allein, wie man sich manchmal fühlt“
03.08.2023 | Asphaltgeschichten (5). „Hoffnung ist Handarbeit“

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