Das mit viel Elan gestartete Konstanzer Online-Magazin „Karla“ ist gescheitert. Am Ende fehlte das Geld. Das ist ein Verlust für Konstanz, aber auch ein Warnsignal für den Non-Profit-Journalismus. Meint das Stuttgarter Magazin „kontext“ in einem Nachruf, den wir in leicht gekürzter Form unseren Leser:innen zur Verfügung stellen.
Konstanz, die Stadt am See, hat es gut, wie es scheint. Ihre 86.000 Einwohner werden von einem CDU-Oberbürgermeister regiert und der örtliche Monopolist, die Tageszeitung „Südkurier“, achtet darauf, dass das auch so bleibt. Das war 2020 so, als der Stuttgarter Linke Luigi Pantisano gegen Amtsinhaber Uli Burchardt angetreten war und es so aussah, als könnte er gewinnen. Mit einer Roten-Socken-Kampagne konnte das nochmals verhindert und Konstanz als bürgerliches Gemeinwesen erhalten werden.
Aber es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn sich unzufriedene Nachbarn zusammentun und glauben, sie müssten die Ruhe stören. Es waren vor allem jüngere Menschen, die sich mehr Bewegung wünschten in dem Habitat, das sich dem Fortschritt nahe wähnte, wenn im Rathaus die Klimaneutralität 2035 ausgerufen wurde.
Vorneweg war das der Journalist Michael Lünstroth, 46, der schon beim „Südkurier“ als kritischer Kopf aufgefallen und dort folgerichtig ausgeschieden war. Gemeinsam mit sieben weiteren Mitstreiter:innen gründete er das Online-Magazin „Karla“, ausgestattet mit einem Spendenkapital von 100.000 Euro und viel gutem Willen. Eine Plattform für einen neuen Lokaljournalismus sollte es sein. Offen, hintergründig, konstruktiv, lebendig, gemeinnützig. Sie wollten die „Stadtgesellschaft besser machen“, sagte Lünstroth, „jenseits von Ideologien“. Am 22. November 2022 war es so weit. „Karla“ ging auf Sendung.
Auch Josef Hader mochte „Karla“
Das passte in die Zeit. Das Lokale, abgemagert bis auf die Knochen trotz gegenteiliger Beteuerungen der Verlage (Demokratie, ganz wichtig!), hatte am Bodensee einen Ort gefunden, an dem neues publizistisches Leben studiert werden konnte. Nicht nur schriftlich, auch zum Hören (Podcasts) und Sehen (Videos) und zum Mitmachen („Karla Wohnzimmer“). Darüber hinaus war es ein weiteres Beispiel für den gemeinnützigen Journalismus, der sich als dritte Säule neben der Verlegerpresse und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu etablieren beginnt. Das hat Aufmerksamkeit erregt. Die „Karlas“ fanden sich auf Podien und Kongressen wieder, in ausführlichen Beiträgen beim „Deutschlandfunk“, beim SWR und der Gewerkschaft Verdi, bis hin zum österreichischen Kabarettisten Josef Hader, der die „Atemluft der Demokratie“ im Wesentlichen bei den „freien Medien“ verortet. Das war clever gemacht und hat gut geklappt – aber nicht gereicht.
Nach nur einem Jahr, am 24. November 2023, fast auf den Tag genau, verkündet „Karla“ das Aus. Sie hätte in dem „Wahnsinns-Jahr“ alles gegeben, schreibt die Redaktion, jetzt sei sie „traurig, enttäuscht und ein Stück weit auch wütend“.
Das ist nachvollziehbar, hatte sie doch geschafft wie die Brunnenputzer, alles reingeschmissen was da war an Ideen, Energie, Zeit und Leidenschaft. „Isch over“, bilanziert Lünstroth. Er wird sich wieder seinem Schweizer Portal „Thurgaukultur“ widmen. Seine Kollegin Anna Kulp, 45, beklagt einen „plötzlichen Kindstod“.
Das Gespräch mit den beiden findet zwei Tage später statt. Im Co-Working-Space hinter dem Tresen des Café Doppio, wo die Redaktion noch kurz zuvor die Köpfe zusammengesteckt hat. Es gibt Kräutertee. Der Schmerz hat etwas nachgelassen, die Wut nicht. Sie gilt den Stiftungen (Schöpflin, Hertie, Augstein, Böll), von denen sie gefördert worden sind, die jetzt aber nicht mehr wollen beziehungsweise nur noch wollen, wenn die anderen auch wollen. Und die meisten wollen nicht. Aus „Karla-Sicht“ ein blödes Spiel, business as usual bei den Wohltätern. Sie sehen sich nicht als Dauerfinanziers eines Projekts, sie wollen Modellcharakter und ihre Wege sind oft unergründlich lang. Zu lang für journalistische Start-ups.
Faire Löhne? Schön wär’s!
Ironie der Geschichte: Die Augstein-Stiftung war dabei, einen Förderantrag zu bewilligen, berichtet Geschäftsführerin Stephanie Reuter, aber das habe sich ja nun zerschlagen. Ein „Jammer“, schreibt sie an Kontext, bei so viel Begeisterung und Engagement, umso mehr, als lokale Projekte derzeit kaum Aussicht auf Förderung hätten. Gelernt habe sie wieder einmal, dass man den Stiftungen „noch viel deutlicher“ machen müsse, weshalb Journalismus Demokratieförderung sei.
„Karla“ war damit nicht mehr geholfen, der Plan perdu, mit Stiftungsgeld das zweite Jahr zu überleben. Obendrauf auf die rund 900 Abonnent:innen, die monatlich im Schnitt zehn Euro überweisen. Das sei womöglich „blauäugig“ gewesen, meint Lünstroth. Oder ein Rechenfehler bei Einnahmen und Ausgaben, würde man jetzt bei der Kontext:Wochenzeitung – mit zwölf Jahren Erfahrung im Non-Profit-Journalismus – entgegnen. Er beginnt bei der (energisch vorgetragenen) Aussage, auf keinen Fall „Selbstausbeutung“ betreiben, sondern „faire Löhne“ für professionellen Journalismus bezahlen zu wollen. Das ist aller Ehren wert, jederzeit zu unterstützen und aus voller Gewerkschaftsbrust zu intonieren. Aber womit bezahlen und zu welchem Preis?
Kalle Ruch, der weitsichtige frühere Geschäftsführer der taz, hat ihn einst so beziffert: Wenn ihr Tarifgehälter wollt, könnt ihr sie haben. Nur nicht von der taz. Die gibt es dann nicht mehr. Die „Karla“-Redaktion zieht daraus den Schluss, dass unabhängiger Journalismus unter dem wirtschaftlichen Druck und ohne engagierte Stiftungen „immer unmöglicher“ werde. Also sein lassen? Bereits nach einem Jahr?
Kontext hätte mehr Geduld empfohlen
Bei Kontext würde man jetzt, auch nach zwölf Jahren, sagen: nein. Mehr revolutionäre Geduld und darüber nachdenken, was falsch gelaufen ist, was besser zu machen ist. Zarte Ansätze sind erkennbar, wenn die Geschäftsführerin Kulp, von Haus aus Journalistin, einräumt, eine Fachkraft in Betriebswirtschaft wäre auch nicht schlecht gewesen. Oder Lünstroth bekennt, bisweilen könnte eine „zu große Klappe“ im Spiel, etwas mehr „Bescheidenheit“ angeraten gewesen sein. (Wobei er das nicht monetär meint. Er hat in dem ganzen Jahr tausend Euro von „Karla“ bekommen.)
Mehr Wirklichkeit, weniger Versprechen. Auch das hätte helfen können. Wenn ein Redaktionsteam, das aus einer Handvoll Journalist:innen besteht, und seien sie noch so eifrig, drei bis vier sauber recherchierte, womöglich investigative Geschichten pro Woche in Aussicht stellt, dann ist das Zauberei. Von den Auftritten bei den anderen multimedialen Bühnen gar nicht zu reden. Aber „Karla“ war nicht Zirkus. Zu oft, meint Lünstroth, hätten sie den Leuten sagen müssen: Das geht nicht.
Vielleicht hätte auch ein Besuch bei Holger Reile Erkenntnisgewinn erbracht. Der stadtbekannte Journalist betreibt seit 17 Jahren das Portal „seemoz“ (Slogan: „kritisch – widerborstig – informativ“) und versichert glaubhaft, keinerlei Häme zu verspüren ob des frühen Ablebens. Er hätte sich mehr Biss und mehr Profil gewünscht. Wenn der OB, also der eingangs erwähnte CDU-Burchardt, unter den „Karla“-Spender:innen auftauche, kritisiert der 69-Jährige, dann sei das ein falsches Signal. Nun muss man dazu wissen, dass Reile auch noch Stadtrat der Linken Liste ist und so manchen Strauß mit dem Rathauschef ausgefochten hat, aber journalistisch betrachtet hat er recht.
Lünstroth kontert den Vorwurf mit dem Argument, sie hätten dem Verdacht, ein „Pantisano-Fanclub“ zu sein, entgegentreten wollen. Konstanz sei nun mal eine sehr bürgerliche Stadt und man habe kein Lager bedienen wollen. Stattdessen Mainstream und Mitte? Dort hat sich schon lange der „Südkurier“ gemütlich eingerichtet – und kupfert derweil tapfer von „Karla“ ab. Seit Neuem gibt’s längere Geschichten und Veranstaltungen, ohne dass Wahlkampf ist.
Ein kleiner Trost ist’s, aber nicht der eigentliche Sinn der Übung. Das wird auch in den Reaktionen aus der Community deutlich. Von Correctiv über Rums und Riffreporter bis zum Journalistinnenbund herrscht Trauer. Neben vielen Herzchen, viel Lob für den mutigen Kampf und Ermunterung, den Kopf nicht hängen zu lassen, wird betont, wie wichtig es war, es wenigstens versucht zu haben. Vorwürfe hätten sich die Kolleginnen und Kollegen nur zu machen, hätten sie es nicht getan.
Text: Josef-Otto Freudenreich. Sein Beitrag erschien zuerst auf www.kontextwochenzeitung.de
Bild: Karla/Kontext
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