Dass es bei Aktionen der Letzten Generation um mehr geht, als ein einfaches Festkleben, schildert unsere Autorin in mehreren Beiträgen. Sie war nach Berlin gereist, um dort an einer Blockade des Pflegepersonals teilzunehmen – und beschreibt, was um sie herum und in ihr vorging. Ihr letzter Bericht endete mit dem Einsatz der Polizei gegen sie und andere Aktivist:innen.
Oskar ist vom Asphalt gelöst. Zwei Polizisten sprechen leise mit ihm. Er beißt sich auf die Lippe und schüttelt den Kopf. Einer der beiden Polizisten kommt zu uns hinüber und klärt uns mit ruhiger Stimme darüber auf, dass wir uns auf einer nicht angemeldeten Versammlung befinden und jetzt die Chance haben, uns freiwillig auf den Gehweg zu begeben und dort weiterzudemonstrieren. Er sieht uns abwartend an. Marius schüttelt den Kopf. „Wir bleiben.“
Der Polizist teilt uns mit, dass er jetzt noch mal zu unserem Kollegen auf der anderen Straßenseite gehen wird und bittet uns, das als Bedenkzeit zu nutzen. Danach fragt er noch drei weitere Male, ob wir wirklich sicher sind, dass wir bleiben wollen, und ob uns klar ist, dass wir dann durch Zwang geräumt werden. Wir bestätigen jedes Mal, dass wir uns dessen voll bewusst sind, aber nicht eher gehen werden, bis die Klimakatastrophe abgewendet ist.
Oskar wird von drei Polizist:innen an Armen und Füßen von der Straße geschleift und auf dem Gehweg neben Kai abgesetzt.
„Seid ihr euch wirklich sicher?“ fragt der Polizist ein letztes Mal, bevor der Rest der Truppe zu uns hinüberkommt. Wir nicken. Er geht zu seinen Kollegen und sie beratschlagen sich kurz. „Wir werden euch jetzt unter Anwendung von Zwang von der Straße entfernen“, teilt er uns mit. „Wir werden zuerst versuchen, euch zu tragen; aber sollte uns das nicht möglich sein, sehen wir uns gezwungen, Schmerzgriffe anzuwenden. Das kann Ihnen in dem Moment sehr starke Schmerzen bereiten, aber auch noch mehrere Tage danach.“
Wir nicken. Ich schaue Marius an, der über zwei Meter groß ist und versuche, mich innerlich auf die Schmerzgriffe vorzubereiten. Er lächelt mir zu. Aber so wirklich glücklich wirkt er nicht.
Übertriebene Werbung
Ehe ich weiß, wie mir geschieht, werde ich von einer Dame unter den Schultern gepackt, Marius von zwei Polizisten. Zu meinem Erstaunen tragen sie uns ohne Schmerzgriffe bis auf den Gehweg. Ich bin positiv überrascht und frage mich, was ich als Polizistin getan hätte. Ich kann jede:n verstehen, der oder die dem eigenen Rücken zuliebe nicht Tag um Tag Aktivist:innenen von der Straße tragen will.
Zwei Leute werden zu unserer Überwachung abgestellt und fragen nach unseren Personalien. Wir zeigen unsere Ausweise und lassen uns nochmals grob nach Kleber durchsuchen. Dann passiert eine ganze Weile lang nichts. Wir warten mit den Polizisten am Straßenrand, der Einsatzleiter telefoniert herum und die Autos warten mit uns, weil die Polizei die Straße noch nicht freigegeben hat.
Ganz langsam und vorsichtig beginnen wir unsere Hände Stück für Stück in kreisenden Bewegungen voneinander zu lösen. Es ist nicht einfach und tut weh, aber weit entfernt von den ganzen Mythen, die man sich über Sekundenkleber erzählt. Ich dachte lange Zeit auch, dass man sich damit die Finger auf ewig unumkehrbar zusammenkleben kann. Vielleicht ist es nur eine Geschichte, die man mir als Kind erzählt hat, damit ich nicht mit Kleber spiele. Vielleicht war die Werbung der Kleberlobby auch einfach nur zu überzeugend darin, die unbändige Haftkraft von Sekundenkleber darzustellen. Wie dem auch sei: Ich kann mittlerweile aus eigener Erfahrung sagen, ganz sooo gut klebt Sekundenkleber nicht. Ich habe noch beide Hände, alle zehn Finger und meine Haut habe ich auch komplett behalten.
„Ich habe leider eine schlechte Nachricht“
Nach mehreren Minuten kommt ein junger Polizist auf mich zu. „Ich habe leider schlechte Nachrichten für Sie. Unser Vorgesetzter will, dass wir Sie und Herrn Haiser (Kai) zur erkennungsdienstlichen Behandlung mit auf die Polizeistation in Tempelhof nehmen. Laut unseren Informationen dürfen Sie danach beide sofort wieder gehen und sollten sich innerhalb der nächsten Stunde wieder in Freiheit befinden.“
Marius umarmt mich zum Abschied, legt seine Hände auf meine Schultern und sieht mir fest in die Augen: „Wir warten auf euch!“ Max vom Support steht daneben und nickt mir zu. Dann folge ich dem Polizisten auf die andere Straßenseite, wo ein großer grüner Transportwagen auf uns wartet. Wer in die Gefangenensammelstelle kommt, ist reine Willkür. Mal werden die alten Hasen wie Marius und Oskar mitgenommen, mal die neuen Gesichter –so wie heute Kai. Und ich. Bisher war ich noch nie dort und bin ein bisschen aufgeregt. Manchmal hört man ganz gute Geschichten darüber, andere sind ziemlich heftig. Aber dazu im nächsten Teil mehr.
Text: Eileen Blum
Foto oben: © Jonas Gehring/Letzte Generation. Es zeigt die Festnahme von Eileen Blum.
Die bisherigen Asphaltgeschichten:
27.06.2023 | Asphaltgeschichten (1). Die Anreise
03.07.2023 | Asphaltgeschichten (2). Auf der falschen Blockade
10.07.2023 | Asphaltgeschichten (3). „Verknacken Sie diese Arschgeigen!“
31.07.2023 | Asphaltgeschichten (4). „Nicht ganz so allein, wie man sich manchmal fühlt“
03.08.2023 | Asphaltgeschichten (5). „Hoffnung ist Handarbeit“
06.09.2023 | Asphaltgeschichten (6): Das „Weiter so“ bringt uns um
14.09.2023 | Asphaltgeschichten (7): Der Blick in die Augen
30.10.2023 | Asphaltgeschichten (8): Die ungestellte Frage
07.11.2023 | Asphaltgeschichten (9): Im Transporter
10.11.2024 | Asphaltgeschichten (10): Vorgeführt und eingeschlossen
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