Der Gemeinderat ist nicht zu beneiden: Er muss am nächsten Wochenende in öffentlicher Sitzung über das Schicksal zumindest einiger Orchestermusiker*innen befinden, denen aus Kostengründen der Rauswurf droht. Aber es gibt eine Alternative.
Die Rahmenbedingungen sind bekannt: Die Stadt Konstanz hat geprüft, wie sich massenhaft Geld einsparen lässt. Während das Bodenseeforum, das in diesem Jahr wieder 2,34 Millionen minus machen soll (Einzelheiten finden Sie hier), von vornherein von dieser Prüfung ausgenommen wurde, wurden Theater und Orchester offenkundig sehr ergebnisoffen untersucht, auch auf die Gefahr hin, sie finanziell zu erledigen.
Was die Philharmonie anbelangt, ging schon seit geraumer Zeit das Gerücht, dass die Verwaltung den Rausschmiss verdienter Musiker*innen nicht ausschließen wollte (seemoz berichtete hier). Sie hat dem Gemeinderat jetzt mehrere mögliche Szenarien vorgelegt, wie eine zwanzigprozentige Kürzung der städtischen Zuschüsse für die Philharmonie denn zu bewerkstelligen wäre oder was sich sonst so tun ließe. Da das Land in diesem Fall die Zuschüsse an das Orchester dann seinerseits kürzen dürfte, kann dies durchaus das Ende des Orchesters – zumindest in seiner heutigen Form als Sinfonieorchester –bedeuten.
Darüber soll der Gemeinderat entscheiden
1. 20 Prozent des städtischen Zuschusses zur Südwestdeutschen Philharmonie (SWP) werden gekürzt und so 684.000 Euro gespart. Dafür werden 10 Stellen im Klangkörper abgebaut. Hierzu sind zum nächstmöglichen Zeitpunkt, gegebenenfalls schrittweise, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.
Oder
2. 10 Prozent des städtischen Zuschusses zur Südwestdeutschen Philharmonie (SWP) werden gekürzt und so 342.000 Euro gespart. Dafür werden 5 Stellen im Klangkörper abgebaut. Hierzu sind zum nächstmöglichen Zeitpunkt, gegebenenfalls schrittweise, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.
Oder
3. Das Orchester wird zukunftsgerichtet weiterentwickelt, steigert seine Erträge und liefert ein „erweitertes Leistungsversprechen“: „Dieses beinhaltet zusätzlich auf der Einnahmenseite eine Steigerung der Erlöse der Philharmonischen Konzerte um mindestens 80.000 Euro und eine jährliche Drittmitteleinwerbung von 120.000 Euro.“ Dafür soll die Verwaltung einen neuen Haustarifvertrag aushandeln, „der u.a. eine größere Flexibilität im Einsatz der MusikerInnen und mehr Beiträge des Orchesters kultureller, sozialer und bildungspolitischer Art für die Stadtgesellschaft ermöglicht. Eine Anlehnung an das Modellprojekt der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz ist gewünscht“. (Man erinnert sich, bei der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in Ludwigsburg steht heute der ehemalige Konstanzer Intendant Beat Fehlmann am Ruder.) Es gibt in diesem Fall auch keine Zuschusserhöhungen, „ausgenommen hiervon sind von der SWP nicht beeinflussbare Kostensteigerungen, wie z.B. Tariferhöhungen.“
Das alles soll während der ersten fünf Spielzeiten der neuen Intendanz, die noch gefunden werden muss, gelten. „Dies garantiert der Südwestdeutschen Philharmonie eine angemessene Zeit zur Bewährung und schafft Planungssicherheit für die verantwortlichen Akteure.“
Das könnte dabei herauskommen
Die naheliegende Lösung, das Bodenseeforum dichtzumachen und mit einem Teil der dadurch pro Jahr eingesparten über zwei Millionen Euro die Konstanzer Kultur am Leben zu halten und zu entwickeln, steht ausdrücklich nicht zur Abstimmung.
Deshalb ist die 3. Möglichkeit jene, die am meisten Charme versprüht, setzt sie doch auf das Prinzip Hoffnung und verschiebt einen etwaigen Abend der langen Messer in die Zukunft.
Es gibt aber vermutlich auch Ausnahmen:
- Gestandene Wirtschaftsliberale (die meinen, Kultur sei überflüssig, weil sie keinen Profit bringt);
- konservative Sparfüchse, die immer gern gegen Arbeitnehmer*inneninteressen stimmen,
- sowie bürgerliche Kulturbolschewiken (die ihre Abo-Konzerte nur unter Aufwendung aller Willenskraft und unter den strengen Blicken ihrer Partnerin absitzen und daher insgeheim auf ein schnelles Ende des Konzertlebens hoffen)
könnten hingegen aus Prinzipientreue bzw. Selbstverteidigung für die Vorschläge 1. und 2. stimmen.
Allerdings werden bei der öffentlichen Sitzung im Ratssaal am nächsten Donnerstag auch zahlreiche Musiker*innen anwesend sein, und so manche Rät*innen werden sich scheuen, Aug‘ in Aug‘ mit den potenziellen Opfern für deren Rausschmiss zu stimmen.
Natürlich hat sich auch im Rat herumgesprochen, dass es für Musiker*innen insbesondere jenseits der 35 Jahre kaum mehr möglich ist, noch irgendwo auf der Welt, geschweige denn in der Nähe von Konstanz überhaupt eine neue Stelle zu finden, weshalb eine Kündigung katastrophale soziale Folgen haben kann. Ebenso wie klar ist, dass derartige Stellenstreichungen (die sinnigerweise nur die Streicher, vor allem die Geigen, treffen können) nicht spurlos am Orchester vorbeigehen werden: Das wäre wie als Fußballmannschaft nur mit 9 Spieler*innen aufzulaufen und bedeutete eine Amputation vor allem am klassisch-romantischen Repertoire, das bis heute eine Cashcow unserer Orchester ist.
Die Arschkarte hat der/die neue Intendant*in, und man darf gespannt sein, welche erfahrene Kraft angesichts dieser Rahmenvorgaben ihren Hut in Konstanz in den Ring werfen mag. Es geht ja um nichts anderes, als – immer mit der Kündigungsdrohung im Hintergrund – eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Musiker*innen durchzudrücken und zusätzlich mit dem Hut in der Hand bei möglichen Sponsoren die Runde zu machen. Beides ist gleichermaßen beliebt – nämlich etwa so wie Pest und Cholera – und daher nicht gerade ein Pluspunkt bei der Bewerbung. Wohlgemerkt: Nicht etwa bei der Bewerbung von Intendant*innen um diese Stelle in Konstanz, sondern bei der Bewerbung der Stadt Konstanz bei erfahrenen Intendant*innen, denen zuzutrauen ist, dass sie das Orchester sicher durch die Turbulenzen der nächsten Jahre bringen werden.
Quelle: Beschlussvorlage HSK, Vorberatung nö – 2023-3472, Prüfauftrag Reduzierung des Zuschussbedarfs für die Südwestdeutsche Philharmonie um 20%.
Text: O. Pugliese, Foto: Harald Borges
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