Publikum, Veranstaltung zum Flächenfraß, 5. Oktober 2023 (c) seemoz

Bauen ohne Flächenfraß – geht das?

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Publikum, Veranstaltung zum Flächenfraß, 5. Oktober 2023 (c) seemoz
Publikum, Veranstaltung zum Flächenfraß, 5. Oktober 2023 (c) seemoz

Unter dem sperrigen Titel „Zero Flächenverbrauch – Innen /vs/ Aussenentwicklung eine Herausforderung“ [sic!] luden NABU und BUND sowie die Bürgergemeinschaft Allmannsdorf-Staad (BAS) in den Speichersaal des Konzils. Wohl 150 Zuhörer:innen hörten dort Vorträge des Stadtplaners Kees Christiaanse und des Architekten Stefan Forster, die sich anschließend den Fragen des Publikums stellten.

Zu Beginn umriss Javid Zimmermann, Geschäftsführer des BUND, die Problematik. Pro Tag (!) werden in Deutschland 60 ha Fläche versiegelt, was etwa 80 Fußballfeldern entspricht. Zwar hat sich die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg zum Ziel gesetzt, den Flächenverbrauch im Ländle bis 2035 auf Netto-Null zu reduzieren, doch fehlt es an konkreten Schritten, Gesetzen, Verordnungen, um dieses Ziel realisieren.

Im Gegenteil: Der Flächenverbrauch nimmt stetig zu, und dies besonders in Konstanz, wo mit dem „Handlungsprogramm Wohnen“ mehr als die dreifache Fläche versiegelt werden soll wie im Landesdurchschnitt. Der Volksantrag „Ländle leben lassen“ [URL www.laendle-leben-lassen.de] will solcherart Flächenfraß mit gesetzlichen Vorgaben entgegenwirken.

Geschosswohnungen statt Einfamilienhäuser

Kees Christiaanse, Veranstaltung zum Flächenfraß, 5. Oktober 2023 (c) seemoz
Kees Christiaanse (c) seemoz

Von Kees Christiaanse, renommierter Stadtplaner und emeritierter Professor an der ETH Zürich, konnte man eigentlich kein Konzept für „Flächenverbrauch Null“ erwarten, war Christiaanses Büro doch Gewinner des Wettbewerbs um den Rahmenplan Hafner, und dies ist nun mal ein Projekt auf der grünen Wiese. Sein vom Blatt abgelesener, auf der Leinwand illustrierter Vortrag mit 13 Thesen über zeitgemäßen Städtebau wäre eine gute Diskussionsgrundlage für ein Seminar des Studiengangs Stadtplanung gewesen.

Für die Nicht-Experten im Publikum war er indes zu gehaltvoll und inhaltsschwer, sodass wohl nur einzelne Bruchstücke hängen blieben. Etwa, dass Einfamilienhäuser nun definitiv out sind, stattdessen Dichte (also Geschosswohnungsbau) angesagt sei; dazu flexibles Bauen, das spätere Nutzungsänderungen erlaube; auch wiederverwendbare Baustoffe und, nicht zu vergessen, Grün- und Wasserkorridore.

Zusammengefasst: Man kann auch auf der grünen Wiese gut bauen, wenn man es richtig macht.

Hauptsache ökologisch

Dieser Meinung war 2019 auch der Konstanzer Gemeinderat, als er fraktionsübergreifend einstimmig dem Rahmenplan Hafner zustimmte. Auch wer die von der BAS kritisierten Bauvorhaben auf den Christiani-Wiesen und dem Acker am Rande der Jungerhalde befürwortet, konnte sich bestätigt finden, soll es doch dort modellhaft etwas kompakter, nachhaltiger und mit weniger Stellplätzen zugehen. So Winfried Kropp, Pressesprecher des Mieterbunds, der in einem emotionalen Redebeitrag der BAS vorwarf, sie behindere hier genau das flächensparende Bauen, das sie auf der anderen Seite fordere.

BAS-Vorsitzender Sven Martin konterte die Philippika mit den Hinweis, ökologisches Bauen auf der grünen Wiese, exemplarisch am Tannenhof, sei in den 1990ern ein großer Fortschritt gewesen, doch heute sei man eben weiter und müsse solche Projekte im Bestand verwirklichen.

Wohnungsbau als Daseinsfürsorge

Stefan Forster, Veranstaltung zum Flächenfraß, 5. Oktober 2023 (c) seemoz
Stefan Forster (c) seemoz

Hier kommt nun Stefan Forster als zweiter Referent ins Spiel. Spezialität seines Architekturbüros ist nämlich die Nachverdichtung im Bestand. Oder vielmehr die Innenentwicklung, wie’s die Baubranche heute lieber nennt, seit „Nachverdichtung“ eher negativ besetzt ist. Für Forster bedeutet Innenentwicklung nicht, noch den letzten lauschigen Innenhof im Paradies zu überbauen. Er setzt stattdessen aufs Aufstocken und den Austausch von Gebäuden.

Besonders die in den Nachkriegsjahren schnell und billig hochgezogenen Geschossbauten seien oft nicht erhaltenswert, sondern gehörten abgerissen und durch neue, kompakte und vor allem höhere Häuser ersetzt. Wenn es nach ihm geht: „Mindestens sieben Geschosse.“ Provokant seine Skepsis gegenüber Bürgerbeteiligung („Wir Architekten sind die Fachleute!“), bekannt das übliche Wettern gegen Bürokratie, interessant sein Plädoyer für Lowtech-Gebäude; geradezu sozialistisch gar sein Statement, man dürfe den Wohnungsbau nicht den Investoren überlassen, er sei vielmehr Aufgabe der öffentlichen Hand. Daseinsfürsorge eben, die sich nicht rechnen muss.

Dies sei auch der Konstanzer Lokalpolitik hinter die Ohren geschrieben: Sündenfälle wie Laubenhof und Siemens-Areal, die man bereitwillig dem Markt überlassen hat, dürfen sich nicht wiederholen.

Text: Ralph R. Braun, Bilder: seemoz

2 Kommentare

  1. André Brömmel

    // am:

    Unstrittig ist, hoffe ich, dass die Probleme auf dem Land andere sind als jene Probleme in der Stadt.

    Versiegelte Flächen sorgen in Dörfern (ich lebe selbst in einem mit 10.000 Einwohnern) seltener für überlaufende Keller, die Dorfkerne heizen sich weniger stark auf, Parkplätze sind es zwar auch dort zu viele, aber Bürgersteige und Radwege gibt es ausreichend. Überwiegend EFH mit Garten lassen Starkregen die Möglichkeit zu versickern … und wird es doch zu viel, läuft es auf das Feld hinter dem Haus. Das alles ist in der Stadt, im urbanen Raum, gänzlich anders.

    Nachverdichtung nach Stefan Forster ist nachhaltig. Und zwar in allen drei Bereichen der Nachhaltigkeit (in der Definition): ökonomisch, ökologisch und sozial. Die Platensiedlung in Frankfurt ist ein gutes Beispiel dafür. Statt weiter zu versiegeln, werden Geschosse aufgesetzt, die Wohnraum schaffen, der anderswo Fläche nötig machen würde (sofern überhaupt vorhanden) und dann „frisst“, um im Bild zu bleiben. Was bei der Aufstockung zuvor Flachdach war, ist heute Wohnraum. Hätte aber auch Gründach (intensiv, extensiv), Energiedach, Retentionsdach oder Freizeitdach werden können.

    Als Werbeagentur, spezialisiert auf Bau, Architektur und Handwerk kennen wir die Thematiken und verfolgen diese seit Jahren. Die Stadt Gladbeck, wo unser Büro ist, hatte dazu aufgrund der hohen jährlichen Kosten zur Behebung von Kanalschäden durch Hochwasser (Stichwort Extremwetter-Ereignisse) einmal Besitzer aufgerufen, die Dächer der Häuser in deren Gärten zu entwässern … sehr unbürokratisch, ohne großen Nachweis, aber unterstützt durch eine kleine Zahlung. Das hat gewirkt. Das war vor unserer Zeit. Wir selbst haben daher 5 Garagen mit einem extensiv begrünten Dach versehen und auf einem Gewerbeteil eine PV-Anlage aufgeständert, Speicher, Ladesäulen installiert etc.

    Um die Frage „Was sollte sich also die nächsten 50 Jahre zum Besseren ändern?“ zu beantworten, könnte ich sagen: „Es hat sich bereits etwas geändert. In den Köpfen, denn dort fängt Veränderung an. Und dann braucht es „nur“ noch das Machen des kleinen Einzelnen, um in der Summe die große Veränderung herbei zu führen.“

    André Brömmel
    Punktmacher GmbH

  2. Wolfgang Daub

    // am:

    Immer wieder die gleichen ideologisch besetzten Positionen!?

    Aha, das Einfamilienhaus ist out? Tatsache ist doch, dass sich dies hierzulande aufgrund der Marktpreise(!) eh kaum jemand mehr leisten kann, weder gemietet und schon gar nicht gekauft!

    Gleichzeitig gibt es aber ernst zu nehmende Wissenschaftler, die in Einfamilienhaussiedlungen mit ihren Gärten letzte Rückzugsgebiete für gefährdete Arten sehen!

    Abreisen von alten Häusern und Wohnungen? Das mag vielleicht mehr Wohnraum schaffen, aber was ist mit der CO2-Bilanz!?

    Und was fast nie angesprochen wird: die Zuwanderung! Nicht nur aus dem Ausland sondern hier in Konstanz auch von Studenten!

    Seit 50 Jahren sind eigentlich die „Grenzen des Wachstums“ fast allen bekannt! Seit 50 Jahren rennt die Welt weiter Richtung Abgrund, auch hier in Konstanz!

    Was sollte sich also die nächsten 50 Jahre zum Besseren ändern?

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