Die Gerüchteküche brodelt seit Wochen, und spätestens seit Bürgermeister Andreas Osner öffentlich den Schwur tat, er sei gegen eine zwanzigprozentige Kürzung der Zuschüsse der Stadt an das Orchester, ist klar, dass es um die Existenz dieser Kulturinstitution geht. Wenn es hart auf hart kommt, lässt die Stadt die Philharmonie wohl über die Klinge springen.
Während es zahlreiche Aufrufe zur Rettung des Konstanzer Theaters vor der als Rotstift getarnten Abrissbirne gibt, ist es um die Philharmonie, abgesehen von der erwähnten Podiumsdiskussion mit dem Schwur (seemoz berichtete), erstaunlich ruhig geblieben. Niemand weiß derzeit genau, welches Schicksal die Stadtspitze ihr zugedacht hat. Die Verwaltung jedenfalls arbeitet dem Vernehmen nach alle möglichen Szenarien aus, die sie dem Gemeinderat Ende des Monats vorlegen will.
Die Orchestermusik ist in Deutschlands allseits gelobter Orchester-„Landschaft“, in der rund die Hälfte der Berufsorchester der Erde beheimatet sein soll, vom Verhungern und langfristigen Aussterben bedroht. Nach der Zusammenlegung von zwei SWR-Orchestern, die vor einigen Jahren viel zu reden gab und auch zu Protesten von Musiker*innen auf offener Bühne führte, tobt derzeit gerade der Kampf um die Musik in Lüneburg: „Ein von der Kommunalpolitik beauftragtes Gutachten der Firma Actori sieht in drei Szenarien einzig in einer Verkleinerung des Orchesters um ein Drittel, seiner kompletten Auflösung, oder der Schließung der Sparte Musiktheater genügend Einsparpotenzial […]“, wie die zuständige Gewerkschaft unisono mitteilt.
Werden schon die Messer gewetzt?
In Konstanz, so darf vermutet werden, geht man hinter den Kulissen mit ähnlich radikalen Ideen schwanger. Dass Andreas Osner den Schwur gegen die zwangzigprozentige Kürzung tat, heißt noch lange nicht, dass er nicht überstimmt wird oder sich vom OB eines Anderen belehren lässt.
20% des städtischen Zuschusses hören sich erst mal nach nicht viel an. Das Orchester hat in diesem Jahr laut Wirtschaftsplan einen Etat von 7,2 Millionen Euro. Davon spielt es eine Million selbst ein, die anderen 6,2 Millionen schießen Stadt und Land zu, die Stadt ist mit 3,4 Millionen, das Land mit 2,7 Millionen dabei.
Eine Kürzung von 20% des städtischen Zuschusses bedeutete eine Ersparnis von etwa 680.000 Euro. Das hört sich bei einem Gesamtetat von 7,2 Millionen erst einmal nicht so mörderisch an. Allerdings ist die Orchesterleitung finanziell wenig flexibel, denn der Löwenanteil dieser Kosten besteht bei diesem städtischen Eigenbetrieb aus zumeist tarifvertraglich festgelegten Personalaufwendungen von etwa 5,9 Millionen, an denen sich nicht so schnell rütteln lässt. Auch der Rest ist nicht etwa frei verfügbares Klimpergeld: Wer ein Konzert veranstalten will, muss nun mal einen Saal mieten, muss Plakate drucken und aufhängen, muss Solist*innen anheuern usw. Da ist schon der bisherige Etat klar auf Kante genäht.
Weniger soll mehr sein?
Also bleiben der Verwaltung nicht allzu viele Möglichkeiten, aus der Philharmonie die geforderten Mittel herauszuholen. Ein Versuch, die Musiker*innen schlechter zu entlohnen als bisher, dürfte zum Scheitern verurteilt sein. Kommunen und Institutionen wie Rundfunkanstalten im ganzen Land warten nur darauf, dass die Gewerkschaft auch nur an einem Ort nachgibt, um dann von allen Seiten über sie herzufallen und bundesweit eine schlechtere Bezahlung der Musiker*innen durchzusetzen, die allein schon aufgrund ihrer geringen Zahl (etwa 9.000 in ca. 120 Berufsorchestern) eine weniger kampfstarke Truppe sind als andere Angestellte im öffentlichen Dienst.
Es bleiben also nur wenige Auswege: Die Einnahmen des Orchesters zu erhöhen wäre einer davon. Allerdings werden schon seit Jahrzehnten jeweils in Zeiten knapper Kassen landauf, landab Ideen präsentiert, wie sich etwa mehr Spenden und Sponsorengelder akquirieren ließen, die bisher bei der Südwestdeutschen Philharmonie nur als Nasenwasser hereintröpfeln (ca. 5.000 Euro pro Jahr). Unsere Wirtschaft ist in Sachen Kultur ziemlich harthörig: Nix gibt’s, solange die Truppe nicht etwa mit einem blinkenden Firmenlogo auf der Stradivari des Solisten auftritt oder Werbeeinblendungen eines Supermarktes das Konzerterlebnis optisch-geistig vertiefen („Sauft Euch toll und voll wie Beethoven – mit erlesenen Süßweinen von Edeka!“).
Auch die Idee, weitere Partner ins Boot zu holen, verbietet sich von selbst, denn warum sollte sich etwa eine schweizerische Stadt an einem notorisch klammen Zuschussgeschäft „Deutsch-Schweizerische Bodenseephilharmonie“ beteiligen, wo es doch in Winterthur, Zürich und Basel ein hochkarätiges Musikleben gibt und das Konstanzer Orchester zudem wohlfeil für einzelne Konzerte engagiert werden kann?
Vielleicht könnte das Orchester ja auch ein paar Konzerte mehr spielen oder seine Eintrittspreise erhöhen: Der große Befreiungsschlag wäre all das nicht, sondern eher Peanuts. Ähnliche Ideen und auch die meisten neuen Formate stellten sich schon in der Vergangenheit schnell als (zumindest finanzielle) Luftnummern heraus.
Schmeißt sie raus
Gangbar für Einsparungen der geforderten Größenordnung erscheint also nur ein Weg, der langfristig das Ende des Orchesters einläuten dürfte: Der Rausschmiss von Musiker*innen. Nun lässt sich nun einmal schlecht auf den Dirigenten verzichten, und ohne Pauke geht es auch nicht. Aber wer braucht schon vier Kontrabässe, acht Celli und elf erste Geigen, mögen sich die musikalisch unbedarften Sparfüchse in der Verwaltung denken. Davon kann doch die Hälfte anderweitig um ihr Dasein kämpfen oder – fehlende pädagogische Ausbildung hin oder her – nebenher an der Musikschule oder in Gymnasien unterrichten, wie das bei der Podiumsdiskussion antönte.
Ganz so einfach ist das aber nicht: Wenn das Orchester ein breites und damit publikumswirksames Repertoire, – also auch gewichtige Werke, die nach etwa 1800 entstanden sind, – aufführen will, ist schon die derzeitige Truppe eher eine Minimalbesetzung. Schumann mit sechs ersten Geigen wäre bestenfalls eine Lachnummer. Ein derart zusammengestrichenes Orchester würde recht schnell an Attraktivität verlieren, die besten jüngeren Musiker*innen würden sich nach anderen Anstellungen umsehen, und das Interesse von Publikum und externen Veranstaltern würde einbrechen. (Von der für Vollblutmusiker*innen, die ja jahrzehntelang geübt und studiert haben, teils abschreckenden Vorstellung einer Zwangsverpflichtung zu ungelernter pädagogischer Arbeit ganz zu schweigen.)
Kultur für umme geht nicht
Alle Spardebatten tun so, als sei Kultur eine Verfügungsmasse, die sich finanziell beliebig skalieren lasse. Das ist sie aber nicht. Ein Bekenntnis etwa zum Orchester heißt, auch in Zukunft deftige Zuschüsse geben zu wollen. Hoffnungen in den finanziellen Zauberstab einer neuen Intendanz, sinkende Musiker*innenlöhne oder rapide steigende Einnahmen zu setzen, ist Traumtänzerei, wie die Debatten um die Orchesterfinanzierung seit Jahren zeigen. Damit kann man sich nur einige Zeit lang in die eigene Tasche lügen, bis vielleicht bessere Zeiten anbrechen, aber nach ein paar Jahren geht das alles dann wieder von vorn los.
Gefragt sind jetzt Musiker*innen, die öffentlichkeitswirksam und entschlossen um ihre Jobs kämpfen. Gefragt ist aber auch ein Gemeinderat, der klare Prioritäten setzt und bereit ist, etwa das Bodenseeforum oder Smart Green City über Bord zu werfen, um die so gesparten Gelder in Philharmonie und Theater zu investieren.
Den nötigen Druck für die Rettung der bedrohten Konstanzer Kulturinstitutionen kann die interessierte Öffentlichkeit gerade jetzt im Vorfeld der Gemeinderatswahlen von 2024 schnell aufbauen. Und so manche unserer Stadtväter und -mütter warten vielleicht auch nur auf ein paar kleine Tritte, um sich den nötigen inneren Schubs zu geben.
Also: Auf geht’s. Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!
Text: Harald Borges
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