Podiumsdiskussion zur Zukunft der Südwestdeutschen Philharmonie im Konzil am 13.9. 2023, Gabriel Venzago, Beat Fehlmann, Kristin Thielemann (vorn), Marc Grandmontagne, Birgit Schneider-Bönninger (hinten, Bildschirme) (c) Holger Reile

Wo soll das alles nur enden?

Podiumsdiskussion zur Zukunft der Südwestdeutschen Philharmonie am  13.9. 2023, Gabriel Vernzago, Beat Fehlmann, Kristin Thielemann (vorne), Marc Grandmontagne, Birgit Schneider-Bönninger (Bildschirme) (c) Holger Reile
Gabriel Venzago, Beat Fehlmann, Kristin Thielemann (vorn), Marc Grandmontagne, Birgit Schneider-Bönninger (hinten, Bildschirme)

In einer Expert*innenrunde wurde am Mittwochabend im Konzil ausgiebig über die „Zukunft der Orchester in Deutschland – Impulse für Konstanz“ debattiert. Was bedeuten die geplanten massiven Mittelkürzungen für die Kultur, welche Zukunft haben die deutschen Orchester und das in Konstanz im Besonderen angesichts gerade wieder ganz besonders leerer öffentlicher Kassen zu erwarten?

Wenn der in seiner Gesetzestreue niemals wankende CDU-Ex-Grande Wolfgang Müller-Fehrenbach, nur mit einem Regenschirm getarnt und vor Ungeduld von einem Bein aufs andere trippelnd, erst ordnungswidrig über eine rote Ampel witscht und dann gar, mit besagtem Schirm im Anschlag einen Radler in die Flucht schlagend, auf dem handtuchbreiten Radstreifen dem Konzil entgegenstürmt, muss das Gemeinwesen schon in allerallerhöchster Gefahr sein.

Genau so war es denn auch, wie sich vorgestern in einer zumeist kurzweiligen Diskussion herausstellte, die der Freundeskreis Philharmonie e.V. organisiert hatte. Das Ergebnis, so viel sei für Ungeduldige vorweg verraten, war eindeutig: Nicht nur das Konstanzer Orchester, ebenso wie das hiesige Theater von einer 20%igen Mittelkürzung bedroht, liegt in Todesbanden. Nein, Orchester in ganz Deutschland werden von ahnungslosen Politiker*innen kaputtgespart. Genau damit aber kratzen sie den letzten Kitt, der diese morsche Gesellschaft noch zusammenhält, aus den Fugen des bröckelnden Staatsgebäudes – zumindest wenn man den Diskutierenden auf der Bühne des bestens besuchten großen Konzilsaals Glauben schenken will.

Kultur – da wird manchen übel

Auf das Thema des Abends stimmte der unvergessene Ex-Intendant unserer Südwestdeutschen Philharmonie, Beat Fehlmann, mit einem Impulsreferat ein, das es in sich hatte und selbst den im Publikum sitzenden Bürgermeister Andreas Osner sichtlich beeindruckte. Fehlmann hatte sich gründlich eingelesen und viele verschiedene Kraftfelder ausgemacht, zwischen denen sich die Orchesterkultur künftig bewegen und die sie ihrerseits befruchten muss.

Dem zukunftsInstitut des beliebten Sehers Matthias Horx folgend erkannte er als globalen Megatrend den Wandel vom Ich zum Wir, der sich vor allem in Ökonomie, Ökologie und Ethik niederschlagen soll. Einer Forsa-Befragung entnahm er, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen für eine weitere Unterstützung der Kulturinstitutionen durch die öffentlichen Hände plädiert, auch wenn sehr viele Menschen diesen Institutionen lieber fernbleiben. Folgerichtig verwies er auf den wichtigsten Sekundärnutzen der Kultur, die Menschen nun einmal zusammenbringe und damit den Schritt vom Ich zum Wir, der unsere Welt ja umprägen soll, befördere. Kulturpolitik, so forderte der beliebte Tausendsassa, muss sich darüber klar sein, dass dieser Sekundärnutzen zentral für eine funktionierende Gesellschaft ist.

Natürlich zuckt man erst einmal zusammen, wenn solche Thesen wie die des globalen Ich-zum-Wir in den Raum gestellt werden: Individueller wie Gruppen-Egoismus sind gesellschaftlicher Alltag, das Geld und seine Raubtierethik regieren offenkundig unser irdisches Jammertal, und die Horxsche Prognose scheint so evidenzbasiert zu sein wie der Glaube an die Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi in der heiligen Messe. Das alles soll sich bald in das Paradies auf Erden verwandeln, das sich ja nicht anders als kommunistisch denken lässt?

Man möchte angesichts einer Wirklichkeit voller Kriege und der allüberall aus ihren Löchern kriechenden Faschist*innen an dieser Prognose zweifeln, aber wer wäre schon so vermessen, gegen einen Altmeister der Science-Faction wie Matthias Horx anstinken zu wollen? Also sei es so.

Damit war das Thema gesetzt: Der hohe ideelle und soziale Wert der Musik spielt ihre (relativ bescheidenen) Kosten allemal wieder ein.

Podiumsdiskussion zur Zukunft der Südwestdeutschen Philharmonie im Konzil am 13.9. 2023 (c) Harald Borges
Das Konzil war gut besucht

Alle paar Jahre wieder

Gabriel Venzago, Chefdirigent der Philharmonie, griff auf Anregung der souveränen Moderatorin Susanne Benda gleich die praktische Seite auf, denn natürlich ist es für Orchester existenzbedrohlich, wenn breite Bevölkerungsschichten ihnen zwar wohlwollend gegenüberstehen, aber den Konzerten fernbleiben, was ein altes Thema dieser – wie die Untoten regelmäßig wiederkehrenden – Debatten um die Finanzierung von Orchestern ist. Er betonte, dass seine Musiker*innen von sich aus nach „außen“ gehen, in Schulen, an ungewöhnliche Spielorte – „normale“ Menschen müssten demnach also keine Schwellenangst haben, wenn sie in den Konzertsaal treten, sondern die Musik komme immer öfter auf sie zu, auf den Marktplatz in der Mitte der Gesellschaft.

Die Musikerin, Fachbuchautorin und Pädagogin Kristin Thielemann brachte in diesem Zusammenhang das Konzept der Community Music ins Spiel, das die Teilhabe aller Menschen an der Musik ermöglichen will (Einzelheiten dazu hier). Und Marc Grandmontagne, Kulturberater und Herausgeber, forderte, Musikinstitutionen mit Bildungs- und Jugendeinrichtungen zu verzahnen. Er verwies wie auch andere Teilnehmer*innen auf die Notwendigkeit, neue Formate zu entwickeln und neue Spielstätten zu erschließen, um größere Anteile der Bevölkerung für die Orchester zu gewinnen.

Damit hat er recht, aber davon ist schon seit Jahrzehnten die Rede, und Generationen von Intendant*innen haben sich die Zähne daran ausgebissen, das hartleibige Publikum der Musikbanausen und Kulturabstinenzlerinnen mit Filmmusik, Pop- und Walzerseligkeit in Schwimmbäder, Stadien, Gärten, Turnhallen oder an andere arteigene Biotope zu locken. Ich glaube mich sogar zu entsinnen, vor Jahrzehnten der Uraufführung eines komplexen Kammermusikwerkes in einem aufgelassenen Puff in Belgien beigewohnt zu haben, wo ich etwa 50% des Publikums ausmachte.

Wirklich nachhaltig war das alles bisher kaum, auch wenn sich die Auslastungsquote klassischer Konzerte vielerorts durchaus sehen lassen kann.

Kulturschutzgebiete

Ob Ulknudel oder rheinische Frohnatur – bei Birgit Schneider-Bönninger, der Sport- und Kulturdezernentin der Stadt Bonn, fällt es schwer, zwischen beidem zu unterscheiden, so eng scheint es in ihrem Naturell miteinander verwachsen. Natürlich hatte sie daher trotz des ernsten Themas immer wieder die Lacher auf ihrer Seite, als sie etwa zur allgemeinen Begeisterung forderte, die Orchester zu „Kulturschutzgebieten“ zu ernennen. Elemente eines zukunftsfähigen Orchesters in Konstanz sind für sie eine bessere Präsentation des musikkulturellen Erbes, die engere Zusammenarbeit mit der Talentschmiede Musikschule, das Konzil als Raum für Debatten und Gesprächskonzerte sowie die Nutzung des Wassers etwa durch Konzerte auf Schiffen.

Podiumsdiskussion zur Zukunft der Südwestdeutschen Philharmonie im Konzil am 13.9. 2023 (c) Harald Borges
Es gab auch Musik …

Die Forderung nach einer eigenen Konzerthalle für die Philharmonie wurde überhaupt immer wieder laut: Wenn die Politik ein solches Ding baue, würden die Leute auch in die Konzerte strömen (so dass der Bau sich ideell wie finanziell amortisieren könnte). Gabriel Venzago hingegen ging weiter und forderte statt eines reinen Konzerthauses gleich ein Kulturhaus, in dem alle, auch die freie Szene und die Musikschule, zusammenkommen können, und Beat Fehlmann träumte gar von einem Konzertsaal-Schiff, das in den Häfen rund um den See anlegt und so Verbindungen schafft, wo der See heute trennt. Warum sollte man die Südwestdeutsche Philharmonie eigentlich nicht als das Orchester schlechthin des gesamten Vierländer-Ecks verstehen?

Kurzum, da waren sich etliche Debattant*innen einig, mit Investitionen statt der angedrohten Einsparungen kann sich Konstanz „die Philharmonie der Zukunft“ gönnen. Zumindest brauche das Orchester, so der Fuchs Fehlmann, eine Karenzzeit und Gnadenfrist, in der es zeigt, was es in dieser Stadt bewirken kann. Kürzungen hingegen würden den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Konstanz gefährden.

Argumente gab es an diesem Abend viele, gerade dafür, dass Orchestermusiker*innen ja auch in der Schule den daniederliegenden Musikunterricht aufpeppen können, wofür dann nicht der Kultur-, sondern der Bildungsetat angezapft werden müsste, wie Schneider-Bönninger verschmitzt anmerkte, die Orchester als Kraftwerke und Impulsgeber der Gesellschaft anpries. Die Grenzen zwischen Argument, Zukunftsvision und Wolkenschieberei verschwammen immer wieder an diesem Abend.

Die Lokalpolitik zeigt sich beeindruckt

Nach der Debatte wurden Mikros im Saal verteilt, um des Volkes Stimme einzufangen und hörbar zu machen, und das Volk nutze diese Gelegenheit ausgiebig. Bürgermeister Andreas Osner, in Konstanz für Kultur, Sport und so ziemlich alles andere zuständig, wofür niemand anders zuständig ist, rief dazu auf, die positive Energie dieses Abends in die Finanzdebatte des Gemeinderates mit einzubringen. Er sei es leid, Orchester und Theater ständig verteidigen zu müssen und versprach: „Wir stehen zu diesem Haus, weil es die Gesellschaft zusammenhält.“ Wen er mit „Wir“ meinte, blieb leider offen.

Doch dann kam es zum Schwur: Peter Müller-Neff (FGL) fragte Osner, ob er für oder gegen die 20%ige Kürzung sei. Osner holte kurz Luft und rief mit dem Brustton der Überzeugung lauthals „Gegen!“ in den Saal.

Und so wurde er denn zumindest für diesen einen Moment zum Bürgermeister der Herzen …

Text: Harald Borges, Bilder: Holger Reile, Harald Borges

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