Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sowie eine Vielzahl weiterer Organisationen riefen am 1. September zu einer Kundgebung und einem Friedensspaziergang in Friedrichshafen auf. Unter dem Motto „Wir stehen zusammen: für Solidarität, für Gerechtigkeit, für Freiheit und für Frieden – jetzt!“ versammelten sich knapp 100 Friedensfreundinnen und -freunde am Antoniusplatz und zogen zur Musikmuschel an der Uferpromenade weiter, wo Ex-Oberbürgermeister Josef Büchelmeier in einer bemerkenswerten Rede „die zwei Gesichter der Stadt Friedrichshafen“ beleuchtete.
Sein Redebeitrag mit dem Titel „Friedrichshafen und der Krieg: Zwei Gesichter einer Stadt“ zeigt, dass die Stadt am Bodensee als ein gutes Beispiel für die Sinnlosigkeit von Kriegen und die damit verbundene Grausamkeit dienen kann. Leicht sichtbar in der Rolle als Opfer, aber auch in der Rolle als Täter und Profiteur. Hier seine Rede in voller Länge:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
der heutige Antikriegstag erinnert vom Datum her an den Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen im Jahre 1939. In diesem Jahr erinnern wir uns auch an die Machtergreifung der Nazis 1933 vor 90 Jahren. Was hat das mit Friedrichshafen zu tun? Was hat das mit uns persönlich zu tun? Ich glaube sehr viel. Friedrichshafen ohne die beiden Kriege, ohne Zeppelin und dessen „Erbschaft“, wäre eine andere Stadt.
Zumindest für mich gibt es einige Bezüge zur Friedrichshafener Geschichte: Mein Großvater war seit 1920 Frisör in Friedrichshafen, mein Vater ging hier zur Schule – in die Horst-Wessel-Schule, wie sie in der Nazizeit genannt wurde. Und ich selbst war von 2001 bis 2009 Oberbürgermeister meiner Heimatstadt. Schon davor und bis heute interessiere ich mich sehr für die jüngere Geschichte von Friedrichshafen im 20. Jahrhundert, vor allem für die Zeppelingeschichte und den Zweiten Weltkrieg. Für heute habe ich mir einige Gedanken gemacht, die ich Ihnen vortragen möchte.
Es gibt wohl nur wenige Städte unserer Größe in Deutschland, die wegen ihrer damals zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon hochmodernen Industriebetriebe so eng in die Kriegs und Rüstungsindustrie der Nazis eingebunden waren. Friedrichshafen und seine Betriebe, ja auch indirekt die Zeppelinstiftung, haben davon viele Jahre profitiert. Von 1933 an stiegen die Umsätze und Gewinne der großen Betriebe sprunghaft in die Höhe.
In vielen Erinnerungen an die Kriege des 20. Jahrhunderts wird vor allem die Zerstörung der Stadt im grausamen Bombenhagel der Alliierten 1944 beklagt. Die Stadt wird als Opfer des Krieges gesehen, den sie selbst mit vielen Produkten ihrer Industrie erst möglich machte. Das Gedenken an die schlimme Zerstörung der Stadt trug dazu bei, dass jahrzehntelang die andere Seite der Medaille ausgeblendet wurde, nämlich die Ursprünge der Rüstungs- und Kriegsindustrie schon beim Grafen Zeppelin und später in den von ihm angestoßenen Firmen: Zeppelin, Maybach, Zahnradfabrik, Dornier, um nur die bekanntesten zu nennen. Diese Spannung müssen wir in Friedrichshafen sehen und aushalten. Manche Fragen müssen neu gestellt werden.
Zeppelins Erben
So lautet der eingängige Titel eines Buches über die unglaubliche Entwicklung unserer Stadt als frühen Standort von Hightech, von Ingenieurskunst und von modernsten Produkten bis in die heutige Zeit. Dieser Graf von Zeppelin wird heute oft als liebevoll lächelnder Großvater-Typ dargestellt. Da möchte man gerne Erbe sein.
Aber – und nochmals aber! Wir sollten endlich Schluss machen mit der romantischen Verklärung des Grafen und zumindest die dunkle Realität in seinem Leben nicht ausblenden: Zeppelin war kein Ingenieur, kein wirklicher Erfinder, nicht der romantische Alte mit dem Schnurrbart – er war durch und durch ein Militarist und seine Luftschiffe wurden im ersten Weltkrieg von Heer und Marine für die Bombardierung der Zivilbevölkerung eingesetzt. Auch der Ursprung der Zeppelinstiftung nach der Katastrophe von Echterdingen 1908 hat einen militärischen Hintergrund. Graf Zeppelin wollte damals den Militärs in Berlin beweisen, dass sein Luftschiff 24 Stunden in der Luft bleiben konnte. Als das Luftschiff unglücklicherweise bei Echterdingen verbrannt war, kam es zur großen Spendenaktion in Deutschland und danach zur Gründung der Zeppelinstiftung als Industriestiftung – mit dem Ziel, das Kapital zusammenzuhalten. Eine Stiftung kann man nicht einfach auflösen.
Für mich ist deutlich: Das militärische Element stand bei Graf Zeppelin immer schon über dem der zivilen Luftschifffahrt. Insgesamt 88 Kriegsluftschiffe wurden im 1. Weltkrieg gebaut, um viele heimtückische nächtliche Angriffe zum Beispiel auf London oder Antwerpen zu unternehmen. Dort wollte man nicht Soldaten angreifen, sondern durch Bombenterror die Zivilbevölkerung mit Frauen und Kindern „mürbe“ machen. Graf Zeppelin veranlasste im Verlauf dieses Krieges auch den Bau von Riesenbombern für denselben Zweck. Es gab natürlich im „Städtchen am See“ durch die Rüstungsindustrie Tausende neue Arbeitsplätze. Und auch Profit. So viel zu der Verwicklung in Krieg und Rüstungsindustrie seit den Anfängen des modernen Friedrichshafen im 20. Jahrhundert.
Der Nachfolger von Zeppelin im Konzern war ab 1917 Hugo Eckener, ein liberaler und pazifistisch denkender Mann. Es gibt Hinweise darauf, dass er einmal als Reichspräsident vorgeschlagen werden sollte. Als Adolf Hitler auf seiner Wahlkampfreise am 29. Juli 1932 die große Luftschiffhalle in Friedrichshafen für einen Auftritt nutzen wollte, hat Hugo Eckener ihm dies verweigert. Wütend soll Hitler auf die Rede in Friedrichshafen verzichtet haben und fuhr nach Radolfzell weiter.
Nazis übernehmen die Macht vor 90 Jahren
Bereits im Juli 1923 hatte sich eine Ortsgruppe der NSDAP in Friedrichshafen gegründet. Zehn Jahre später wurden die demokratischen Strukturen in Friedrichshafen von den Nazis dann über den Haufen geworfen. Ich möchte nun ein wenig die Ereignisse zu Beginn des Jahres 1933 beleuchten. Noch in den Novemberwahlen 1932 erreichte die NSDAP nur 21 Prozent der Stimmen. Doch bei der Wahl am 5. März 1933 lag sie bei fast 32 Prozent in Friedrichshafen. In manchen Wahlbezirken, zum Beispiel im roten Zeppelindorf überrundete die NSDAP klar die SPD. Stärkste Kraft war wie vielerorts im katholischen Oberschwaben so auch in FN immer noch die Zentrumspartei mit 38 Prozent geblieben. Sie hatte nochmals 350 Stimmen dazu gewonnen.
Seit Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler gemacht hatte überstürzten sich die Ereignisse auch in Friedrichshafen. Am 5. Februar 1933 – wenige Tage nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler – marschierten die Nazis mit einem großen Fackelzug durch die Stadt Friedrichshafen und hielten vor dem Rathaus eine Kundgebung ab. Dort sprach der Vorsitzende Hans Seibold über das Programm der Nazis. Mit dabei waren SA, SS und andere Gruppierungen der Nazis aus der Region.
Der Wahlkampf im Frühjahr 1933 wurde immer leidenschaftlicher. Am 3. März – zwei Tage vor der Wahl zum Reichstag – sprach in Friedrichshafen noch der württembergische Staatspräsident Eugen Bolz im „Hirschen“. Wenige Tage später wurde er in Stuttgart abgesetzt und verhaftet. Eugen Bolz warnte schon lange deutlich vor den Nazis. Auch der damalige Leiter der Gewerbeschule und Vorsitzende der örtlichen Zentrumspartei, Josef Mauch, verschickte Flugblätter mit der Warnung: „Nationalsozialismus bedeutet Krieg“. Und noch ein Vorfall in Friedrichshafen: Am Vorabend der Reichstagswahl, am 4. März 1933 floh der bereits abgesetzte preußische Ministerpräsident Otto Braun – ein kämpferischer Sozialdemokrat – heimlich von Friedrichshafen aus mit dem Schiff ins Exil in die Schweiz.
Kaum war in Friedrichshafen die Wahl am 5. März vorbei (NSDAP rund 32 % und Zentrum 38 %), bereitete sich die Stadt Friedrichshafen auf die Einweihung des neuen Hafenbahnhofs am 7. März vor. Das war ein großes Ereignis für das ganze Land. Es gibt in Geschichtsbüchern interessante Berichte darüber, dass die Nazis versuchten, an diesem Tag schon früh am Morgen auf dem Hafenbahnhof die Hakenkreuzfahne zu hissen. Glaubt man den Berichten, war es ein totales Durcheinander mal mit, mal ohne Fahne. Als die Feier dann zu Ende war, wehte wieder, dank dem Betriebsleiter Biehlmeier, die schwarzrotgoldene Fahne über dem Hafenbahnhof. Eugen Bolz, der eigentlich auch zur Einweihung kommen sollte, wurde inzwischen in Stuttgart festgesetzt.
Nachdem in Stuttgart die Regierung gestürzt war, hissten die Nazis am 8. März in Friedrichshafen die Hakenkreuzfahnen – trotz Protesten – ungehindert auf der Polizeidirektion und auf dem Rathaus. Bürgermeister Hans Schnitzler, der dagegen protestierte, es aber nicht verhindern konnte, zog kurzerhand in das Verwaltungsgebäude der Stadtwerke in der Charlottenstraße um. Erst am 11. März 1933, als die Nazifahne entfernt war, kam Schnitzler ins Rathaus zurück. Übrigens wurde er dann im November 1933 von den Nazis zwangspensioniert.
Etliche Mitglieder der KP wurden in den folgenden Wochen aus Friedrichshafen ins Lager „Heuberg“ abgeholt. Der 1. Mai war dann ein weiterer Höhepunkt der Inszenierung der neuen Machthaber: Ein SA-Musikzug weckte die Bevölkerung um 6 Uhr morgens. Es gab Gottesdienste beider Konfessionen und am Nachmittag einen Festzug durch die Stadt zum Schulplatz. Alle Mitarbeiter der großen Betriebe sowie der Behörden waren zur Teilnahme verpflichtet. Die freien Gewerkschaften und die christlichen Gewerkschaften wurden schon tags darauf in die „Deutsche Arbeitsfront“ eingegliedert – es war das Ende der Gewerkschaftsarbeit in Friedrichshafen.
Profiteur der Aufrüstung
Friedrichshafen wurde danach wie viele andere Städte in Deutschland „gleichgeschaltet“. Aber zusätzlich auch aufgerüstet für den kommenden Krieg. Die Technologie vom Bodensee wurde von den Nazis für ihren Wahnsinnskrieg quer durch Europa gebraucht. Die V2 war ebenso eine Waffe mit Friedrichshafener Beteiligung wie die Torpedos, Flugzeuge, Panzermotoren, Radaranlagen und Fahrzeuggetriebe der Häfler Betriebe, eben „Zeppelins Erben“. Die große Bedeutung von Friedrichshafen als Standort der deutschen Aufrüstung nach 1933 lässt sich an einigen Beobachtungen festmachen. Plötzlich entstanden nach und nach mehrere Siedlungen für die hier benötigten Arbeitskräfte: Löwentalsiedlung, Schmitthenner Siedlung, Dorniersiedlung, die alle in die Zeit der Aufrüstung fallen.
Seit 1942 entstanden dann zahlreiche Barackensiedlungen für die rund 12.000 Fremd- und Zwangsarbeiter sowie KZ-Häftlinge, die in den Rüstungsbetrieben gebraucht wurden. Und noch eine Beobachtung zeigt die Bedeutung Friedrichshafens in der NS-Zeit: Es gab Widerstandsgruppen, die Informationen über die Aufrüstung aus den Betrieben ins Ausland schmuggelten. Bekannt ist der Eisenbahngewerkschafter Fridolin Endraß, nach dem ein Platz benannt wurde. Ich nenne auch die Mitglieder der Kommunistischen Partei Liselotte Herrmann, Josef Steidle, Josef Lovasz und Artur Göritz: Sie bezahlten ihren Widerstand mit dem Leben. Sie wollten den Krieg verhindern, wie auch Georg Elser, der für kurze Zeit in Kluftern gewohnt hat.
Friedrichshafen als Kriegsopfer
Und nun zum zweiten Aspekt, zum zweiten Gesicht der Kriegserfahrung Friedrichshafens. Waren es bisher andere Menschen in fernen Gebieten, die mit den Rüstungsprodukten aus Friedrichshafen in einem nie dagewesen Krieg angegriffen und getötet wurden, deren Häuser zerstört wurden, so kam plötzlich im Jahre 1944 die Zerstörung, der Tod, der Bombenangriff auch nach Friedrichshafen. Die Bilder der zerstörten Stadt, die oft gezeigt werden, um die Grausamkeit der Alliierten und ihrer Angriffe zu unterstreichen, die Auflistung der Opfer rund ihrer Namen darf nicht zum Ausblenden der anderen Wirklichkeit unserer Stadt dienen. Diese Bilder der Zerstörung aus Friedrichshafen kennen wir ebenso von Städten aus England, Polen, Weißrussland, Griechenland, Frankreich.
So sehe ich Friedrichshafen als ein gutes Beispiel dafür, dass Waffen in den Händen von Aggressoren am Ende immer in Sinnlosigkeit, Grausamkeit, Tod und Leid enden. Einerseits sind es höchste Ingenieursleistungen, Präzision, Technologie, die immer auch eine persönliche Zufriedenheit und einen „Stolz“ auslösen, die Arbeitsplätze schaffen – vom Zeppelin des 1. Weltkriegs bis zur V2. Andererseits erlebte diese Stadt 1944 die tiefe Trauer der Familien über die getöteten Freunde, Mütter, Verwandten im Bombenhagel. Es gab Evakuierungen und schlimme Not. So musste das „stolze“ Friedrichshafen sich als Verlierer erleben. Es tat weh. Die Idylle des Lebens am See, die tollen Erfolge der Ingenieure und Arbeiter wurden plötzlich vernichtet. Und eine sinnlose Wunde blieb mit der natürlichen Frage nach der Schuld und Verantwortung.
Daher ist der bekannte Aufruf auch heute wichtig: Nie wieder Krieg und voller Einsatz für eine Welt in Frieden.
Erlauben Sie mir noch eine persönliche Anmerkung. Der aktuelle Krieg in der Ukraine hat viele in Deutschland und Europa innerlich gespalten – wie soll die deutsche Politik sinnvollerweise reagieren? Da ist einerseits mit Russland ein Aggressor, der uns sehr irritiert hat. Auf der anderen Seite ein Land, das sich mit aller Macht militärisch gegen den Aggressor verteidigen will und muss. Klar ist aber auch: Am Ende bleiben auf allen Seiten Opfer, Zerstörung, Tod und Grausamkeit. Es bleiben sinnlose Wunden.
Daher ist der Appell noch wichtiger: Nie wieder Krieg und voller Einsatz für eine Welt in Frieden.“
Josef Büchelmeier
Bild: Privat
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