Abenteuerliche Tage: Unsere Autorin fährt kurz entschlossen nach Berlin, um dort gegen die Inaktivität der Regierung in Sachen Klimaschutz zu protestieren. Dabei lernt sie neue Mitstreiter:innen kennen, unterstützt eine Klebeaktion, beteiligt sich (noch am selben Tag) an einer Demo – und soll nun dort auch noch eine Rede halten. Hier der fünfte Teil ihres Aktionstagebuchs.
Cai scheint fast noch überraschter zu sein als ich, als ich zusage. Der ursprünglich vorgesehene Redner sei leider kurzfristig abgesprungen, erzählt er, und er habe jetzt seit einer halben Stunde erfolglos rumfragt und nicht mehr damit gerechnet, noch Ersatz zu finden.
Wir stoppen in einem kleinen Park. In der beginnenden Sommerhitze ist der Schatten der großen Kastanien eine willkommene Abwechslung.
Wenige Meter entfernt ist ein kleiner Spielplatz und die meisten Kinder halten inne, als plötzlich so viele Menschen um die Ecke biegen. Ein wenige Jahre alter Junge zeigt auf uns und sagt ganz laut: „Da!“, während ein Mädchen mit blondem Lockenschopf erstmal zu ihrem Vater rennt. Der junge Mann nimmt seine kleine Tochter in den Arm, spricht leise mit ihr und schaut dabei immer wieder zu uns herüber. Ich überlege, in was für einer Welt die Kleine groß werden wird und wie es sein wird, wenn sie selbst Kinder bekommt. Oder wenn sie alt ist. Falls sie überhaupt jemals alt wird. Cai gibt mir das Zeichen, dass es Zeit für die Rede ist. Ich weiß immer noch nicht ganz genau, was ich sagen will, aber der Gedanke eben hat mich auf eine Idee gebracht.
„Mike-Check!“ rufe ich. „Mike-Check!“ ertönt es laut von der Menge zurück.
„Mike-Check!“ Jetzt scheine ich die Aufmerksamkeit aller zu haben. Der junge Vater nimmt seine Tochter an der Hand und langsam laufen die beiden auf uns zu und stellen sich in den Kreis.
„Jedes Leben ist schützenswert“
„Ihr seid klasse“, sage ich, „und ich würde diese Gelegenheit hier gerne nutzen, ‚Danke‘ zu sagen. Danke, dass ihr hier seid. Dass ihr euch entschieden habt, in den Widerstand zu gehen. Danke, dass ihr die Stimme derjenigen seid, die hierzulande in der Debatte viel zu oft vergessen werden. Die Kinder – zum Teil noch ungeboren – müssen am längsten in der Welt leben, die wir heute zerstören. Die Mütter in Afrika, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen, jetzt da mehrere Regenzeiten in Folge ausgefallen sind, die Früchte auf den Feldern verdorren und das Wasser im Brunnen fast versiegt. Die Stimme der Flutopfer in Pakistan, im Ahrtal. Oder die Stimme all der Tiere und Pflanzen, die in Australiens Wäldern verbrennen, die verdursten, vertrieben werden und ausgerottet, ohne jegliche Möglichkeit, gegen dieses Unrecht aufzustehen.
Danke, dass ihr euch in den Weg stellt und sagt: Mit uns nicht! Danke, dass ihr nach dem Prinzip lebt, dass jedes Leben schützenswert ist.
Ich weiß nicht mehr genau, wo ich es gehört habe, aber eine sehr weise Person hat einmal gesagt: Hoffnung fällt nicht vom Himmel, sie wird gemacht. Hoffnung ist Handarbeit.
Danke, dass ihr euch entschieden habt, Teil dieser Hoffnung zu sein. Danke, dass ihr mir Hoffnung gebt.
Ich möchte euch gerne einladen, zu teilen, was euch Hoffnung gibt. Was euch motiviert und durch schwere Zeiten trägt.“
„Wie die Made im Speck“
Es dauert ein paar Minuten, dann meldet sich ein um die vierzigjähriger Herr zu Wort: „Gerechtigkeit. Ich will meinen Kindern nicht nur verbrannte Erde hinterlassen. Ich will, dass die nachfolgenden Generationen es mindestens genauso gut haben wie wir. Ich find es total schlimm, dass wir hier wie die Made im Speck leben – und nach uns die Sinnflut! Deswegen habe ich mich euch angeschlossen. Ich bin heute zum ersten Mal hier und muss sagen, wirklich stark.“
Applaus der Umstehenden.
Ein Rentner, der nur so vor Energie zu strotzen scheint, ergänzt: „Wir stehen hier, umgeben von Kindern und jedes Kinderlachen ist es wert, gehört zu werden. Ich habe selber Enkel und ich gehe auf die Straße, damit sie auch morgen noch lachen können.“
Applaus der Umstehenden.
„Ich bin hier, weil ich die Natur liebe“, sagt eine blonde Frau mit samtig-ruhiger Stimme. „Ich möchte mich dafür einsetzen, dass die Natur – unser Zuhause – erhalten bleibt. Für alle Lebewesen auf der Erde. Und für die nächsten Generationen. Was ist das hier? Wir sind hier nur zu Gast und wir sollten uns als Gäste benehmen.“
Wieder applaudieren die Leute. Mehrere machen Anstalten, sich auch zu Wort zu melden, doch die Polizei unterbricht und redet kurz mit einigen Aktivist:innen noch bevor wir uns einigen konnten, wer als nächstes dran ist. Wir müssen die Versammlung auflösen, bevor es zu politisch wird. Beziehungsweise weil die Polizei will, dass wir unsere Kundgebung beenden und nicht zu Straftaten aufrufen oder andere dazu verleiten.
Wir wollen friedlich bleiben. Und entscheiden uns zu gehen.
Fortsetzung folgt.
PS: Bei der Letzten Generation stehen wir mit Namen und Gesicht für unseren Protest. Da diese Geschichte allerdings zum Teil Bezug auf persönlichere Themen nimmt und ich nicht von allen erwähnten Leuten ein Einverständnis einholen kann, habe ich mich entschieden, die Namen zu ändern.
Alles andere stimmt jedoch mit den tatsächlichen Gegebenheiten (beziehungsweise meiner Erinnerung) daran überein.
Text: Eileen Blum von der Konstanzer Klimablog-Redaktion
Fotos von der Rednerin Blum beim Protest gegen die Kriminalisierung der Letzten Generation am 27. Mai 2023: Pit Wuhrer
Folgende Links führen auf unsere Archiv-Seite!
06.06.2023 | „Die Regierung entmachtet sich gerade selber“
07.06.2023 | „Für wie beschränkt halten die uns eigentlich?“
Und hier das Aktionstagebuch von Eileen Blum von der Konstanzer Gruppe der Letzten Generation:
27.06.2023 | Asphaltgeschichten. Die Anreise
03.07.2023 | Asphaltgeschichten. Auf der falschen Blockade
10.07.2023 | Asphaltgeschichten. „Verknacken Sie diese Arschgeigen!“
31.07.2023 | Asphaltgeschichten. „Nicht ganz so allein, wie man sich manchmal fühlt“
03.08.2023 | Asphaltgeschichten. „Hoffnung ist Handarbeit“
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