
Die in diesen Tagen bei CDU/CSU zu beobachtenden Konfliktlinien und personellen Schachzüge können auch als Vorbereitungen der künftigen Kanzler-Partei gelesen werden, politisch die Option auf eine thematisch begrenzte Kooperation mit der AfD möglich zu machen.
Thomas Weber hat auf vor Wochen schon auf die Gefahr aufmerksam gemacht, dass die SPD zum Steigbügelhalter eines Kanzler Merz wird, der in der sogenannten politischen Not — um nationale Notfälle zu konstruieren, reichen, wie wir seit dem vergangenen Wahlkampf wissen, zwei bis drei messermordende Geflüchtete — auch mit der AfD kooperiert. Und: Allein die glaubwürdige Drohung damit wird ihm in den kommenden vier Jahre erlauben, seinen offiziellen Koalitionspartner SPD dauerhaft über die Maßen zu domestizieren. Das jüngste Verhalten von Julia Klöckner, die Positionierungen von Jens Spahn, Carsten Linnemann und Markus Söder deuten daraufhin: Diese Option wird nicht ausgeschlossen, sie wird bewusst offengehalten.
Zunächst noch einmal der Hinweis auf die politisch-strategische Besonderheit der künftigen Regierungskoalition Merz/Klingbeil: Diese avisierte kleine Großkoalition aus Union und SPD unterscheidet sich an einer dramatischen Stelle grundlegend von allen bisherigen bundesdeutschen Regierungskoalitionen: Mit der Wahl von Friedrich Merz gibt der rechtsstaatlich-demokratisch orientierte Bundestag (also minus AfD) seine Macht aus der Hand und übergibt sie dem Bundeskanzler. Denn von dem Moment an liegen Macht und Richtlinienkompetenz allein bei CDU/CSU und Merz. Hat doch der rechtsstaatlich-demokratisch orientierte Bundestag keine Möglichkeit, diesen Kanzler legal zu stürzen oder mit einem Misstrauensvotum beispielsweise Neuwahlen zu erzwingen – eben weil allein Union und AfD zusammen die Mehrheit im Bundestag haben.
Es kann sehr schnell gehen
Vor diesem Hintergrund können das Verhalten von Merz und die jüngsten Entwicklungen in der CDU/CSU gelesen werden. Welche politischen Indizien gibt es?
Friedrich Merz hat bereits hinreichend belegt, im politisch Guten wie Bösem, dass er unglaubwürdig ist. Noch im Wahlkampf probte er im Bundestag — entgegen seiner ausdrücklichen Versprechen — die Kooperation mit der AfD. Unter derem Jubel und mit dem unschuldigen Gesicht: Aber ich kooperiere doch gar nicht mit denen, denn ich will mit denen doch gar nicht zusammenarbeiten, vielmehr will ich die doch kleinkriegen, und wenn das so ist, dann kann doch auch eine gemeinsame Abstimmung gar keine Zusammenarbeit sein. Eben!
Und direkt nach der Wahl organisierte er mit der alten Bundestags-Mehrheit Änderungen des Grundgesetzes, um 500 Milliarden Euro für Infrastruktur-Investitionen und faktisch unbegrenzte Finanzmittel für die Bundeswehr-Aufrüstung zu beschaffen. Bis kurz vor dem Urnengang hatte er mit seinen Leuten zigfach das Gegenteil behauptet: Wir werden Steuern senken, wir werden unbedingt an der Schuldenbremse festhalten, wir werden eisern sparen.
Der Vorsitzende der Linken, Jan van Aken, meinte jüngst dazu: „Das ist ja so eine verlogene Partei. Und ich glaube, dieses Hoch der AfD hat ganz viel auch mit der CDU zu tun.“ Also: Was sollte diesen Kanzler nach einem Jahr mühsamen Regierens mit der SPD daran hindern festzuhalten: Ihr von der SPD wollt immer noch die Erhöhung des Mindestlohns, mit euch ist die Wirtschaftswende nicht zu schaffen, die Geflüchteten-Wende auch nicht, und erneut haben wir wieder Messerstechereien, ich bin gezwungen, Gesetzentwürfe in den Bundestag einzubringen, und wenn die AfD denen zustimmt, tja, wo ist das Problem? Vielleicht würde sich ein liberaler Flügel von der CDU dann abspalten, aber niemand könnte diesen Kanzler an dieser Kooperation hindern oder Neuwahlen erzwingen. Wie wir seit jenen Tagen Ende Februar wissen: Das alles kann sehr schnell gehen.
Was Klöckner, Spahn, Linnemann, Söder nicht tun
Und was macht in diesen Tagen die CDU-Politikerin Julia Klöckner? Julia Klöckner wirft sich als neu gewählte Bundestagspräsidentin, eigentlich zur Überparteilichkeit angehalten, mit Verve in den ursprünglich von der AfD angezettelten Kulturkampf. Und kritisiert die christlichen Kirchen, sie mischten sich ständig in politische Debatten ein, forderten beispielsweise ein Tempolimit, und sollten sich doch viel eher auf die grundsätzlichen Themen von Tod und Leben konzentrieren; was die Kirchen vielleicht mit der von Klöckner so kritisierten Forderung nach einem Tempolimit mehr tun, als sie wahrzunehmen vermag. Dafür, so Klöckner, zahle sie doch keine Kirchensteuer. Den Beifall der AfD hat sie sich damit gesichert.
Und was macht in diesen Tagen Jens Spahn? Er arbeitet an der sogenannten Normalisierung der AfD: Ihr sollten doch wie anderen Bundestags-Fraktionen auch Ausschuss-Positionen zugebilligt werden. Findet er. Nein, damit betreibe er ganz und gar keine Normalisierung der AfD, verteidigt er sich. Ganz im Gegenteil. Und? Bis zum nächsten Mal.
Und was macht CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann? Er befördert jetzt schon alle möglichen Streitereien über die Auslegung des Koalitionsvertrages, und ob es Steuersenkungen für mittlere und kleinere Einkommen überhaupt geben wird und/oder den Mindestlohn von 15 Euro. So schafft er jetzt schon die entscheidenden Grundlagen für die Deutung: Aus dieser Koalition kann nichts werden, fängt die doch schon so an wie die Ampel-Koalition schmählich endete. Der erste wichtige Schritt um später einen nationalen Notstand zu konstruieren.
Kennt Not kein Gebot?
Und was machen Carsten Linnemann, Jens Spahn und Markus Söder nicht? Sie alle drei begeben sich nicht in die Pflicht und Disziplin der künftigen Koalitionsregierung. Sie bleiben draußen. Drei inhaltlich sehr wohl kompetente, mächtige, in politischen Intrigen erfahrene und energiegeladene rechts-konservative Politiker, die zum richtigen Zeitpunkt — frei von jeder Kabinettsdisziplin — in der Lage wären, die Debatten in CDU und CSU, in den Medien, ja, die Volksmeinung im Sinne eines Notstandes so zu orchestrieren, dass am Ende (fast) alle ergeben sagen, na ja, jetzt bleibt dem armen Merz wirklich nur noch die Zusammenarbeit mit der AfD, weil die ausrangierte Sozialdemokratie es wirklich nicht mehr bringt; die dazu passende Norm lautet: Not kennt kein Gebot.
Vor diesem Hintergrund gibt Thomas Weber, siehe oben, der SPD diesen Rat: „Diese vertrackte Lage der Regierungsbildung, entstanden aufgrund der schwarz-blauen Mehrheit in Verbindung mit der Unglaubwürdigkeit des Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz, könnte ‚geheilt‘ werden, würde der bereits im Bundestag diskutierte AfD-Verbotsantrag noch vor der Kanzlerwahl auf den Weg gebracht. Der auch von der Union mitzubeschließende Antrag auf Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ob die AfD verfassungswidrig oder von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen ist, könnte so etwas wie eine Glaubwürdigkeitsversicherung darstellen, dass ein Unionskanzler, solange die Prüfung des Gerichtes andauert, nicht von der schwarz-blauen Mehrheit Gebrauch macht.“ Vermutlich ist die SPD-Führung zu überfordert, dieser guten Idee nachzugehen.
Text: Wolfgang Storz; der Beitrag erschien zuerst auf dem Blog Bruchstücke
Bild: Sandro Halank / Wikimedia commons
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