
Zu den Preisträger*innen, die gerade mit dem Landesnaturschutzpreis 2024 ausgezeichnet wurden, zählen Anke Klaaßen und Albert Kümmel-Schnur aus Konstanz. Ihr Projekt „Der Wald kommt in die Stadt“ bringt Kindern und deren Eltern bei unterhaltsamen Spaziergängen durch die Konzilstadt das Leben und Sterben der Bäume märchenhaft näher.
Für den zwanzigsten Geburtstag des Waldkindergartens 2019 entstand eine ausgefallene Idee, wie sich ein tieferes Bewusstsein für die Bäume in der Stadt Konstanz wecken lässt. Die Autorin Anke Klaaßen und der Literaturwissenschaftler Albert Kümmel-Schnur (der unseren Leser:innen durch zahlreiche seemoz-Beiträge bestens bekannt ist) entwickelten einen Baum- und Erzählpfad zwischen Sea Life und Zähringerplatz. „Uns reichte es nicht, einfach nur Bäume zu pflanzen und ein Schild dranzuhängen, ‚dies ist eine Esche‘. Wir wollten vielmehr eine Geschichte erzählen, die Kinder anspricht und mitnimmt.“
Zur Person
Anke Klaaßen ist Drehbuch- und Buchautorin, Journalistin, Naturpädagogin und Leiterin von Film-Workshops. Sie hat unter anderem zwei Kinderbücher veröffentlicht, und aus einem dieser Bücher ist ihr „Federwaldtheater“ als mobiles Fahrradtheater entstanden. Sie ist von der Kraft und Vielfalt des Geschichtenerzählens fasziniert. Ihre Erfahrungen als Drehbuchautorin gibt sie in Drehbuch- und Trickfilm-Workshops weiter. Als Naturpädagogin bietet sie Erlebnisse u.a. zu den Themen Tag- und Nachtfalter, Streuobstwiese, Wald und Artenvielfalt an.
http://www.federwald.de
Albert Kümmel-Schnur, Literatur- und Medienwissenschaftler, engagiert sich an der Universität Konstanz seit vielen Jahren für neue Formate in der Lehre. Insbesondere Projekte mit Praxisbezug stehen im Zentrum seiner Arbeit mit Studierenden. Als Mitarbeiter im Team Transfer Lehre gibt er diese Erfahrungen gern weiter und berät Projekte, die akademische und außerakademische Institutionen und Personen gemeinsam durchführen möchten, konzeptionell, organisatorisch, finanziell und gestalterisch.
https://de.wikipedia.org
Zwei Wichte verschlägt es in die Stadt
Gemeinsam schrieben sie ein Märchenbuch rund um die zwölf eigens angepflanzten Bäume des vom Sea Life durch das Paradies bis hin zum Zähringerplatz verlaufenden Pfades. Dieses Märchen erzählt von den beiden Wurzelwichten Mats und Mara, deren Wohnbaum im Wald aus Trockenstress zusammenbricht, und die es in die Stadt Konstanz verschlägt. In diesem völlig anderen Biotop, das ihnen zunächst als eine einzige Schotterwüste erscheint, haben sie große Mühe, sich zurechtzufinden. Zum Glück helfen ihnen jedoch Bäume, Tiere und auch Menschen, die sie auf ihrer Reise durch die Stadt kennenlernen.

Bei einem – oder angesichts der Länge von rund sechs Kilometern wohl eher mehreren – Spaziergängen finden Kinder an jedem dieser Bäume ein Schild und können dann anhand des Buches oder über einen QR-Code erfahren, wie die Geschichte weitergeht. Sie und ihre (vorlesenden) Eltern erfahren auf diesem unterhaltsamen Weg viel über Klimawandel, Luftverschmutzung und Müll – aber auch über Wildbienen, Kulturfolger wie den Fuchs und warum die Stadt für manche Tiere Rückzugsorte bietet, während draußen vor den Toren die industrielle Landwirtschaft deren hergebrachten Lebensraum vernichtet. Gerade kleinere Kinder sind erfahrungsgemäß auch daran höchst interessiert, „warum Tauben so schrecklich viel kacken und Nachtfalter um Laternen kreisen, oder dass man Zieräpfel essen und welche Spiele man mit Walnüssen spielen kann“, haben die Autor:innen inzwischen festgestellt.
Ohne Schweiß kein Baum
Natürlich war die Einrichtung eines solchen Pfades ein Geduldsspiel, denn es mussten in einem dicht bebauten urbanen Raum Grundstücke und Sponsor:innen gefunden werden. „Bäume in der Stadt zu pflanzen, überschreitet die finanziellen Möglichkeiten eines Kindergartens bei weitem. Nach längeren Verhandlungen wurde es dann dank der Kooperationsbereitschaft von Stadt, WOBAK und Spar- und Bauverein möglich, zwölf Bäume zu pflanzen. Der erste Baum, eine Winterlinde, erhielt einen prominenten Platz, nämlich vor dem Sea Life. Christoph Stocker, der oberste Konstanzer Baumpfleger, hat uns sehr geholfen und diesen Baum zusammen mit den Kindern gepflanzt. Eine Pflanzung an dieser Stelle ist besonders schwierig, weil der Untergrund die ehemalige Konstanzer Müllkippe ist. Die TBK haben dort mit einem Bagger für diesen einen Baum 23 Kubikmeter Abraum ausgehoben und für ihn ein richtiges Pflanzquartier eingerichtet. Das alles wurde dann auch noch verständlich und fachkundig erklärt. Die Kinder waren ungeheuer begeistert, standen mit ihren Schäufelchen um den Baum herum und durften helfen und ihn gießen.“
Eine unendliche Geschichte
Anke Klaaßen und Albert Kümmel-Schnur wünschen sich, dass ihr Projekt weiter wächst, und das tut es: Dank einer Förderung durch die Baden-Württemberg-Stiftung und der Unterstützung des Kulturamtes sowie der BUND-Gruppe Konstanz gibt es inzwischen außer dem eigentlichen Pfad und dem Buch eine Website, Bilder, bald wohl auch noch ein Hörbuch und einen Kurzfilm, bei dem Volker Scherle, ein Marionettenspieler aus Pforzheim, mitgewirkt hat.
„Außerdem wollen wir in Kindereinrichtungen Workshops veranstalten“, berichtet Anke Klaaßen. „In der Anschlussunterkunft Zergle haben wir, unterstützt von der WOBAK-Gärtnerei, zusammen mit den Kindern zwei Apfelbäumchen gepflanzt. Kinder haben uns später erzählt, dass sie jetzt jeden Tag zu ihrem Baum hingehen und schauen, wie er wächst. Wir haben ihnen auch gesagt, dass sie den Baum gern aus ihrer Trinkflasche begießen dürfen, und das tun sie jetzt auch eifrig.“

„Natürlich war es auch naheliegend, das alles mit dem Bodensee-Naturmuseum zu verbinden, das ja im selben Gebäude wie das Sea Life untergebracht ist und viele Exponate wie eine Eule oder einen Fuchs, die auch in unserem Buch eine Rolle spielen, präsentiert.“ Kümmel-Schnur nutzt dafür seine Lehrtätigkeit an der Universität: Im Museum beginnt jetzt ein auf ein Jahr angelegtes Projekt mit Studierenden, bei dem ein Museumsspiel direkt im Museum und während des laufenden Betriebs entwickelt werden soll.
Museumsspiele wegen Neugierde
Erfahrungen mit solchen Vorhaben gibt es bereits mit dem interaktiven Detektivspiel SherLOOK 2.0 im Rosgartenmuseum, das von Studierenden der Universität unter Leitung des Kunstwissenschaftlers Steffen Bogen realisiert wurde. Kümmel-Schnur verweist bei der Frage nach Museumsspielen auch auf das – nach Meinung seiner Kinder, und auf die kommt es schließlich an – sehr gelungene „analoge“ Museumsspiel im Seemuseum in Kreuzlingen, ein Leiterlispiel zur Geschichte der Kursschifffahrt auf dem Bodensee. „Das ist ganz schön mutig, denn es wird mit großen Schaumstoffwürfeln gespielt, die von Kindern auch gern mal im Museum herumgeworfen werden.“
Die Entwicklung des Spiels im Naturmuseum an Klein Venedig geschieht bewusst vor Ort, denn auch die Atmosphäre und die ganz speziellen Bedingungen des Museums wollen bei der Entwicklung des Spiels berücksichtigt werden. „Das Bodensee-Naturmuseum richtet sich besonders an Familien. Hier dürfen Kinder auch mal laut sein und durch das Museum rennen, wenn sie die Begeisterung für die ausgestellten Tiere und anderen Objekte packt. Diese Freude am Entdecken muss natürlich bei einem Spiel sinnvoll kanalisiert werden – das ist eine der Herausforderungen!“ Die Beteiligten sind schon gespannt, welche Ideen die Studierenden für das Museum entwickeln werden.
Das Schönste für die Preisträger:innen wäre es, da sind sich die beiden einig, wenn sich das Projekt verselbständigt und immer mehr Einrichtungen es für sich anpassen und nutzen, um Kindern dazu zu verhelfen, sich mit einem Stück Natur zu identifizieren.

Fragen bitte an diese Mailadresse.
Das Buch
Anke Klaaßen (Text) und Albert Kümmel-Schnur (Illustrationen):
Der Wald kommt in die Stadt, Stuttgart: Verlag Regionalkultur 2024. 19,90 Euro, ISBN 978-3-95505-455-7.
Dazu gibt es einen Flyer mit einem Stadtplan, anhand dessen sich der Baumerzählpfad Station für Station erwandern lässt.
Text: Harald Borges
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