
Am 5. Mai ist Internationaler Hebammentag. Zwei Tage später läuft eine im Februar gestartete Petition an den Deutschen Bundestag aus, die die Sicherung einer 1:1 Betreuung von Gebärenden durch Hebammen fordert. Worum geht’s und warum sollte man diese Petition unterstützen?
„Traumatisiert, alleingelassen, bevormundet“ – mit drei drastischen Worten beginnt die Petition „Frauen zahlen den Preis“ des Deutschen Hebammenverbands. Der Text nutzt sie, um das Empfinden jeder dritten (!) Frau während und nach der Geburt zu beschreiben. Frauen erfahren unter der Geburt Gewalt. Seit 2011 legen Betroffene am Roses Revolution Day, dem 25. November, vor Kreißsälen, in denen sie entwürdigende Geburtserfahrungen erfahren haben, Rosen nieder und posten Bilder davon über die sozialen Medien.
Die Weltgesundheitsorganisation macht seit 2015 auf Missstände in der Geburtshilfe aufmerksam. In einer Situation maximaler Verletzlichkeit und Sorge können Stress, verbale, physische und psychische Übergriffigkeit und Grobheit besonders leicht das Gebären zu einer verletzenden und herabwürdigenden Erfahrung werden lassen. „Gewalt ist jede Handlung, die die Autonomie der Frau beeinträchtigt“, definiert Prof. Dr. Julia Leinweber, Leiterin des Instituts für Hebammenwissenschaft an der Charité Berlin. Also zum Beispiel auch die Ausübung psychischen Drucks – „Sie wollen doch Ihrem Kind nicht schaden?!“ –, um eine medizinische Maßnahme gegen den erklärten Willen einer Gebärenden durchzusetzen. Aber eben auch handfeste Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit ohne Zustimmung. Auf dem Fact Sheet der Kampagne werden die Ergebnisse einer Studie zur geburtshilflichen Situation in Deutschland aus dem Jahr 2021 zusammengefasst: „42,8 Prozent der Frauen berichten in einer quantitativen Umfrage von Ein- und Übergriffen die OHNE ihr Einverständnis durchgeführt wurden. Das sind Dammschnitte, vaginale Untersuchungen, Fruchtblaseneröffnungen oder Injektionen eines Medikaments, denen sie nicht zugestimmt haben.“
Diese Situation ist weniger in individuellem Fehlverhalten einzelner, eine Geburt unterstützender Personen begründet als in einem massiven Systemproblem. Dabei gilt es eine längere historische Entwicklung, bei der seit dem 18. Jahrhundert immer mehr männliche Ärzte den ursprünglich rein Frauen vorbehaltenen Raum der Frauenheilkunde, Schwangerschaftsunterstützung und Geburtshilfe besetzten und dominierten, von einer jüngeren neoliberalen Ruinierung unserer Gesundheitssysteme zu unterscheiden.

Beide Entwicklungen sind umkehrbar! So arbeiten Hebammen seit 2011 im hebammenwissenschaftlichen akademischen Rahmen an wissenschaftlich validen Belegen für das, was anderenfalls als ‚bloße‘ Erfahrung oder gar schlichter ‚Glaubenssatz‘ verunglimpft wurde. Zur Geschichte der Verunglimpfungen des Hebammenstandes siehe den kurzen Text „Medizingeschichte: Hebammen und ihr jahrhundertelanger Kampf um Anerkennung“. Die Schubumkehr im Gesundheitswesen – weg von Kennziffern, Belegzahlen, Zentralisierungen und Gewinnausschüttungen – ist gesamtgesellschaftlich zu leisten und politisch immer wieder einzufordern. Teil einer solche Schubumkehr ist die Petition „Frauen zahlen den Preis“.
Die Petition fordert an erster Stelle eine deutliche Verbesserung des Stellenschlüssels für Hebammen in Kliniken, um eine Betreuungssituation von 1:1 jederzeit gewährleisten zu können. Derzeit muss eine Hebamme oft auch mehr als eine Geburt – manchmal auch vier – gleichzeitig betreuen, was bedeutet, dass sie nicht allen Gebärenden mit gleicher Aufmerksamkeit beistehen kann, sondern immer dorthin läuft, wo es grad am nötigsten zu sein scheint. Genauso wie man aber eine Feuerwehr, die eben nicht jeden Tag ausrückt, um einen Brand zu löschen, vorhält, damit sie eben dauerhaft Brandschutz gewährleistet, muss man auch Hebammen in ausreichender Zahl in Kreißsälen und ambulant vorhalten. Dafür setzt sich auch das Bündnis gute Geburt, das 2022 von verschiedenen Verbänden gegründet wurde, ein.
Der sogenannte Kaiserschnitt, also die operative Entbindung, sollte eine Notfalloperation bleiben. Sie ist aber planbarer und für Kliniken einträglicher als die vaginale Geburt. Eben deshalb wird sie auch oft verharmlost. Deutschland hat „mit 31,8 Prozent eine überdurchschnittlich hohe Kaiserschnittrate“, sagt die Weltgesundheitsorganisation. Wer es nachlesen möchte, wird von der Petition auf den Originaltext der Studie „Trends in caesarean section rates in Europe from 2015 to 2019“ verwiesen.
Eine 1:1-Betreuung von gebärenden Frauen durch Hebammen macht viele Kaiserschnitte überflüssig und kommt den Bedürfnissen der Gebärenden in angemessener Form nach. Eine gute Geburt ist ein wichtiger Schritt nicht nur im Leben der Mütter, sondern auch der auf diese Weise zur Welt kommenden Kinder und, infolgedessen, der Familien. Jede Gesellschaft sollte daran ein vitales Interesse haben.
Noch bis zum 7. Mai können auch Sie die Forderungen der Hebammen unterstützen.
Text: Albert Kümmel-Schnur, Symbolbild: PublicDomainPictures from Pixabay
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