
Nun ist also die Antwort auf die „kleine Anfrage“ der CDU/CSU eingetroffen, die zu einer schon lange nicht mehr gehörten Attacke auf zivilgesellschaftliche Organisationen geblasen hatte. Die Stellungnahme der noch amtierenden Regierung ist eindeutig. Aber was sagt eigentlich der hiesige CDU-Abgeordnete Andreas Jung zum Vorstoß von Merz und Konsorten?
Finanziert der Staat Vereine und Organisationen, die mit anderen gegen die Zusammenarbeit von AfD und Union demonstriert hatten? Das wollte die CDU-CSU-Fraktion über eine Anfrage herausfinden, die sie kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 stellte. Ein bisschen Nachdenken hätte zwar genügt – aber darum ging es ja nicht, überhaupt ging es nicht um Fakten. Sondern um Stimmung.
Und die hatten Figuren wie der Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg im Sinn, als er drohte, eine neue Regierung würde gemeinnützigen Organisationen, die sich Anfang Februar an vermeintlichen „parteipolitischen Aktionen“ gegen die Union beteiligten, die „Staatsgelder“ entziehen. Sein Chef Friedrich Merz, ehemals Lobbyist und Banker, stieß ins selbe Horn, als er am Tag vor der Wahl versicherte, dass seine Regierung keine Politik „für irgendwelche grünen und linken Spinner“ machen werde, sondern für eine Mehrheit, die noch „alle Tassen im Schrank“ habe.
Die Anfrage der CDU/CSU-Fraktion enthält 551 Fragen, die sich gezielt auf 17 zivilgesellschaftliche Organisationen und Medien bezogen, von denen die Christlich-Konservativen annahmen, dass sie zu den Massendemonstrationen gegen die beiden Parteien aufgerufen hatten, gemeinsam die vielbeschworene „Brandmauer gegen rechts“ eingerissen hatten. Am 29. Januar, kurz nachdem der Bundestag in einer Gedenkstunde an die Gräuel des NS-Regimes erinnert hatte, stimmten CDU/CSU und AfD geneinsam für einen Antrag zur massiven Beschränkung von Migration und Menschenrechten.
Die Fake-Annahmen der Rechten
„Staatlich finanzierte Organisationen müssen ihre politische Neutralität wahren“, heißt es in der Unions-Anfrage, die ganz offen ausspricht, worum es eigentlich geht: „Hintergrund sind Proteste gegen die CDU Deutschlands, die teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden.“ Daher müsse der „Gemeinnützigkeitsstatus“ dieser Gruppen überprüft werden, da der Staat ja jenen, die diesen Organisationen Geld spenden, Steuervorteile gewähre.

Zu den attackierten Vereinen und Initiativen gehören unter anderem Campact, Attac, Amadeu Antonio Stiftung, Animal Rights Watch, Foodwatch, Dezernat Zukunft, Deutsche Umwelthilfe, Agora Agrar GmbH, Greenpeace, BUND, Correctiv, das Netzwerk Recherche – und die in Österreich entstandenen Omas gegen Rechts, die immer mehr Zulauf erfahren.
Der offenkundige Versuch, Umweltorganisationen, Verbraucherschutzinitiativen, Menschenrechtsgruppen und Bündnisse kritischer Medienschaffender zu diskreditieren, rief enormen Protest hervor. In Freiburg zum Beispiel gingen kurz nach Bekanntwerden der Unionsanfrage Hunderte auf die Straße. Bei der Kundgebung rückte Christoph Lienkamp in Namen des kapitalkritischen Netzwerks Attac die Fake-Annahmen im CDU/CSU-Schreiben zurecht (Attac wurde schon vor Jahren das Label „gemeinnützig“ entzogen). Und verwies auf Fragen, die an „Betätigungsverbote zivilgesellschaftlicher Organisationen durch autoritäre und diktatorische Regimes“ erinnern (hier die ganze Rede).
Breite Gegenwehr
Auch an den Universitäten regte sich Widerspruch. In einem Offenen Brief kritisieren über 2000 Wissenschaftler:innen, dass „Organisationen, die sich kritisch gegenüber rechtspopulistischen oder demokratiefeindlichen Strömungen äußern, einer besonderen Prüfung unterzogen werden sollen“ und fordern staatlichen Respekt für die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft. Unterschrieben haben den Brief auch 16 Lehrende und Forschende der Uni Konstanz, darunter Aleida Assmann und Albert Kümmel-Schnur.

Petitionen finden ebenfalls großen Zuspruch. Die Kampagne „,Omas gegen Rechts‘ lassen sich nicht einschüchtern“ verzeichnet bisher 190.000 Unterschriften. Und die Lebensmittel-NGO foodwatch hat für ihre Petition „Merz gegen uns alle“ über eine halbe Millionen Menschen mobilisieren können.
Beunruhigt sind auch die Medien. „Ist es Zufall, dass ausgerechnet diejenigen, die sich für Demokratie, Faktenchecks, Umwelt und Nachhaltigkeit einsetzen, unter die Lupe genommen werden sollen?“, fragte beispielsweise der Deutsche Journalistenverband unter der Überschrift „551 Messerstiche ins Herz der Demokratie“. Damit werde der gemeinnützige, also der nicht profitorientierte Journalismus direkt angegriffen.
Dies hat übrigens auch mal die AfD versucht: Alice Weidel, Tino Chrupalla und Fraktion stellten 2022 ebenfalls eine „Kleine Anfrage“, um zu erfahren, welche Organisationen aus Bundesmitteln gefördert werden. Die AfD-Liste umfasste 45 Vereine und Gruppierungen, darunter Amnesty International, Sea-Eye, Pro Asyl, Transparency International – und Medienorganisationen wie Reporter ohne Grenzen, Correctiv, Neue deutsche Medienmacher, Volksverpetzer und Global Investigative Journalism. Die CDU kam also nicht mal selber auf die Idee, sondern hat sie einfach von rechtaußen übernommen.
„Bereicherndes Engagement“
Dass die Organisation „Omas gegen Rechts“ ins Visier der CDU-Spitze geriet, ist kein Zufall. Vielerorts, auch in Konstanz, haben die aktiven Rentner:innen die Demos für Demokratie mit organisiert; an der Konstanzer Aktion „Gemeinsam für Demokratie“, die am 8. Februar stattfand, beteiligten sich rund 12.000 Menschen aus dem ganzen Landkreis. Unter ihnen war auch der inzwischen wieder gewählte CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Jung.
Wie bewertet er „den Frontalangriff“ seiner Fraktion „auf die Organisatorinnen“ einer Demo, an der er selber mitlief? Und wie komme er als Mitunterzeichner der „Kleinen Anfrage“ „auf den absurden Gedanken, die ‚Omas gegen Rechts‘ arbeiteten mit der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung zusammen?“ (so steht es in Frage 55 des CDU-Papiers). Das wollen seemoz von Jung wissen und schickt ihm eine Mail. Die Antwort kam fast postwendend.

Er habe an der Konstanzer Demo teilgenommen, schrieb Jung, „weil die Organisatoren alle demokratischen Kräfte aufgerufen haben, für Demokratie und gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren“ (seine ganze Antwort finden Sie hier) und „mich zur Teilnahme ermuntert haben.“ Das gelte auch für „Omas gegen Rechts“. Und weiter: „Deren Engagement für unsere Demokratie schätze ich.“ Ganz grundsätzlich sei „das vielfältige bürgerschaftliche Engagement für Demokratie und für wichtige Anliegen wie Umwelt- und Naturschutz eine Bereicherung. Das gilt natürlich auch dann, wenn kritische Positionen vertreten werden.“
Ging es nur um Transparenz?
Natürlich dürfe „auf Grundlage unserer demokratischen Ordnung auch gegen die CDU demonstriert werden, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen zur Folge hat“, schrieb MdB Jung weiter; allerdings sei eine Linie „dann überschritten, wenn aufgrund ihrer Gemeinnützigkeit mit Steuermitteln geförderte Organisationen mit diesen öffentlichen Mitteln einseitig parteipolitisch agieren“. Und nur das habe die Union mit ihrer „Kleinen Anfrage“ herauszufinden versucht. Sie wollte „Transparenz herstellen“, mehr nicht. Bedauerlich sei lediglich, „dass durch die Formulierung der ‚Kleinen Anfrage‘ Missverständnisse entstanden sind.“
Missverständnisse? Das sehen die 17 von der Union anvisierten Organisationen ganz anders. Und auch die Bundesregierung reagierte jetzt eher kategorisch. Zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung „zählt auch die aktive und passive Förderung bürgerschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Engagements“, steht in der Antwort des Finanzministeriums, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Auf alle Details ging die Behörde nicht ein – schließlich seien die meisten Antworten auf die 551 Fragen längst bekannt, man müsse nur im Lobbyregister des Bundestags nachschauen. Außerdem hätten nur 6 der 17 Organisationen zuletzt Bundesmittel bekommen – für Projekte, Schulungen, Forschungsvorhaben.
Und so verweist das Schreiben auf Grundsätzliches. Dass nämlich „das Grundgesetz ein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit garantiert“. Und dass die Bundesregierung „nicht befugt“ sei, „Zuwendungsempfängern in Hinblick auf die Veranstaltung von Demonstrationen Vorgaben zu machen“. Da hat offenbar jemand verstanden, um was es der CDU ging: um Einschüchterung. Es sei nicht Aufgabe der Regierung, „allgemeine Informationen über die Aktivitäten und Kontakte von Organisationen zu sammeln, zu überwachen oder zu bewerten“, heißt es dann auch in der Stellungnahme der Noch-Regierung. Ob sich das unter einem Kanzler Merz wohl ändert?
Text: Pit Wuhrer
Fotos von der Konstanzer Demokratie-Demo am 8. Februar: Anna Blank
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