
Eigentlich hätte die Friedensinitiative Konstanz Mitveranstalterin sein sollen – doch nur Tage vor der geplanten Veranstaltung zum russischen Krieg in der Ukraine lud das Theater Konstanz die Referentin aus. Nun wollen die Friedensaktivisten wissen, warum. Und haben der Intendantin Karin Becker einen offenen Brief geschrieben, den seemoz hier abdruckt.
„Sehr geehrte Frau Becker,
das Stadttheater Konstanz hat den im Oktober 2024 abgeschlossenen Vertrag mit Frau Prof. Dr. Krone-Schmalz zu einem Vortrag „Russland – und wie weiter?“ am 6. März 2025 gekündigt, aus zunächst nicht spezifizierten „inhaltlichen Gründen“.
Als Mitveranstalterin beunruhigt die Konstanzer Friedensinitiative diese Absage zutiefst. Zum einen, weil wir den außerordentlichen Einsatz des Stadttheaters für Menschenrechte, Demokratie und auch für die Ukraine sehr schätzen, wozu diese Absage nicht passt; zum anderen, weil trotz mehrfacher Nachfragen diese „inhaltlichen Gründe“ für uns nicht zu erfahren waren. Wir erfuhren davon erst aus dem Bericht des Südkurier vom 8. März.
Der russische Einmarsch ist durch nichts zu rechtfertigen
Frau Krone-Schmalz vertritt eine kritische Position zur derzeitigen Außenpolitik der Bundesregierung und positioniert sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie tritt für eine möglichst zeitnahe Verhandlungslösung ein – aber sie vertritt weder rassistische noch in irgendeiner Weise die Menschenrechte in Frage stellende Positionen – und dies wären unserer Ansicht nach die einzig wirklich legitimen Gründe für eine Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Frau Krone-Schmalz verurteilt entschieden und öffentlich den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine: „Der russische Einmarsch in die Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen.“
Und ja, wir wissen, dass sie bis zuletzt glaubte, Russland würde nicht in die Ukraine einmarschieren (wie übrigens auch sämtliche US-Geheimdienste). Und sie stand mit ihrer zunächst zu positiven Einschätzung weiß Gott nicht alleine da – der deutsche Bundestag hat 2001 dem russischen Präsidenten Putin stehend applaudiert. Es wäre doch skurril, allen damaligen Bundestagsabgeordneten heute „aus inhaltlichen Gründen“ das Wort zu verbieten.
Demokratie und Freiheit verteidigen
Auch wir, die Konstanzer Friedensinitiative, sind mit aller Entschiedenheit dafür, Demokratie und Freiheit zu verteidigen gegen jeden Versuch, eine Diktatur zu errichten.
Aber muss es nicht erlaubt bleiben zu fragen, wie man auf diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg reagiert? Muss es nicht erlaubt bleiben zu fragen, ob und wie sinnvoll es ist, Demokratie und Freiheit in der Ukraine – oder anderswo – mit militärischen Mitteln zu verteidigen? Muss es nicht erlaubt bleiben, öffentlich zu sagen, dass man Demokratie und Freiheit ohne militärische Gewalt erkämpfen muss und kann.
Die westlichen Staaten haben in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern (Somalia, Irak, Libyen, Syrien, Afghanistan) versucht, Demokratie und Freiheit mit militärischen Mitteln zu verteidigen – und sind dabei gescheitert. Muss man heute im Nachhinein den Krieg in Afghanistan nicht sinnlos nennen? Und wie soll man nach diesem Desaster, bei dem am Ende in Afghanistan dieselben despotischen und demokratie- und frauenfeindlichen Taliban eine Terrorherrschaft ausüben, die Opfer an Menschenleben, das unsägliche Leid und die Vergeudung von Milliarden und Abermilliarden US-Dollar rechtfertigen?
Und wenn westliche Experten wie zum Beispiel der Chef des US-Generalstabs, Mark Milley, erklärten, dass der Ukraine-Krieg wohl für keine der beiden Seiten militärisch zu gewinnen sei und nur durch eine Verhandlungslösung beendet werden könne, droht dann nicht die Wiederholung? Müssen wir denn dann nicht befürchten, am Ende des Ukrainekrieges wieder vor so einem Scherbenhaufen zu stehen?
Frau Krone-Schmalz erklärt in ihren Vorträgen immer wieder, dass man die Gegenwart nicht verstehen kann, wenn man die Vergangenheit außer Acht lässt.
Ist das inhaltlich zu beanstanden?
Unmittelbar nach dem russischen Überfall haben noch alle Parteien – von den Grünen bis zur CDU – Waffenlieferungen mit der Begründung abgelehnt, dass man sich in diesen Krieg nicht hineinziehen lassen dürfe. Also, als die Ukraine in allergrößter Not war, hat eine große Mehrheit in Deutschland deren Unterstützung noch abgelehnt. In der falschen Annahme, Russland würde die Ukraine im Handstreich erobern.
Frieden durch Verhandlungen
Schon vier Wochen nach dem russischen Überfall fanden Ende März 2022 in Istanbul Friedensverhandlungen statt, auf Vermittlung von Naftali Bennett, früher israelischer Ministerpräsident. Der Vorschlag der Ukraine umfasste im Kern:
- Neutralitätsstatus der Ukraine
- Keine ausländischen Militäreinrichtungen auf ukrainischem Territorium.
- Verlässliche Sicherheitsgarantien durch mehrere Staaten.
- Einfrieren des Konflikts um die Krim für bis zu 15 Jahre und in dieser Zeit Verhandlungen über die Krim mit Russland.
- Direkte Verhandlungen zwischen Selenskyj und Putin über die umstrittenen Gebiete im Donbass.
Die russische Seite bezeichnete diesen Vorschlag als „konstruktiv“.
Die Ukraine ihrerseits wusste, dass sie sich — trotz anfänglicher militärischer Erfolge — ohne westliche Waffen in einem längeren Krieg nicht würde behaupten können. Wohl auch deshalb verhandelte die Ukraine mit Russland und hätte auch einen bitteren Waffenstillstand akzeptiert. Die Stimmung im Westen änderte sich unter dem Einfluss der ukrainischen militärischen Erfolge und der bestialischen Ereignisse in Butscha zugunsten von mehr Waffenlieferungen an die Ukraine. (1)
Ist es denn illegitim, an diese geschichtlichen Entwicklungen zu erinnern?
Und ist es illegitim, die Vorgeschichte dieses Konflikts zu betrachten und zu fragen, ob der Westen mit der Ausweitung der NATO in den Osten nicht auch einen Beitrag zur Entwicklung dieses Konflikts geliefert hat? Darf man daran erinnern, dass „der Westen“ Gorbatschow wiederholt versprach, die NATO nicht in den Osten zu erweitern und mit diesen Versprechen die deutsche Wiedervereinigung und die Mitgliedschaft in der NATO ermöglichte? (2)
Das Vertreten der Position, dass militärische Gewalt nicht sinnvoll ist, dass man die Waffenlieferungen einstellen sollte, müsste in einer Demokratie eine Selbstverständlichkeit sein und bleiben. Das darf man nicht „aus inhaltlichen Gründen“ ablehnen.
Dänemark verteidigen?
Und ganz aktuell: Wenn der IS-amerikanische Präsident seine Drohung wahrmacht und das unabhängige Dänemark angreift, indem er Grönland besetzt, dann werden wir doch hoffentlich nicht an Dänemarks Seite in den Krieg gegen die USA ziehen wollen, auch wenn dies in Analogie der Argumentation dann schlüssig wäre.
Dann gibt es doch genug Gründe darauf zu setzen, dass die Menschen in Grönland und in Dänemark – und in den USA – ihre Freiheit und die Demokratie ohne Waffen zurückerobern. Ein solcher Krieg hätte in noch höherem Maße das Potenzial, den nächsten und dann wahrscheinlich letzten Weltkrieg auszulösen.
Sonderfall Konstanz?
In zahlreichen Städten (unter anderen Frankfurt, Saarbrücken, Görlitz und Engen) hält Frau Krone-Schmalz Vorträge. Dort scheint die gute alte demokratische Tradition, dass divergierende Meinungen vertreten werden können, noch selbstverständlich zu sein.
Wer Vorträge von Frau Krone-Schmalz hört oder ihre Bücher liest, kann nicht ernsthaft behaupten, sie sei „gegen die Ukraine und für Russland“, oder sie gar als „Putin-Propagandistin“ diffamieren.
Laut Südkurier hatten Sie bei einem Vortrag von Frau Krone Schmalz Sorge um „die Ausgewogenheit“. Nun haben die Medien – und auch der Südkurier – in den letzten Monaten in Hunderten von Artikeln, Stellungnahmen und Kommentaren die Waffenlieferungen an die Ukraine, eine weitere Hochrüstung und eine massive Erhöhung der Rüstungsausgaben gefordert – allermeist ohne eine pazifistische Gegenposition zu Wort kommen zu lassen. Selbst wenn Frau Krone Schmalz monatlich einen kritischen Vortrag zur neuen Hochrüstung und zu den Waffenlieferungen halten würde, wäre die veröffentlichte Meinung zu diesen Themen noch längst nicht ausgewogen.
Wir bitten Sie sehr, Ihre Entscheidung zu überdenken und weiter dafür einzustehen, dass unangepasste Positionen vertreten werden können, denn die eigentliche Freiheit bleibt weiterhin die Freiheit der Andersdenkenden.
Wir hoffen sehr, dass Sie sich zu einer Korrektur durchringen können und es wagen, Frau Krone Schmalz doch noch einzuladen, auch wenn deren Position nicht dem Mainstream entspricht.
Solidarität mit der Ukraine! Waffenstillstand sofort!
Mit freundlichen Grüßen
für die Konstanzer Friedensinitiative: Thomas Jonasson, Helmut Luz, Roland Didra, Dr. Maik Schluroff
Fussnoten:
(1) Der Westen, vor allem Großbritannien, war gegen einen „voreiligen“ Waffenstillstand. Die britische Außenministerin Liz Truss: „Wir werden immer weiter und immer schneller vorgehen, um Russland aus der gesamten Ukraine zu vertreiben.“
Der damalige Premier Boris Johnson sagte zu Selenskyj: „Putin ist ein Kriegsverbrecher, man darf nicht mit ihm verhandeln, sondern muss ihn unter Druck setzen.“
Der ehemalige israelische Premier Naftali Bennett, der von beiden Kriegsparteien als Vermittler anerkannt war, sagte in einem ausführlichen Interview (leider nur auf Ivrit / Hebräisch): „Ich behaupte, dass es eine gute Chance auf einen Waffenstillstand gab, wenn sie [der Westen] ihn nicht verhindert hätten.“ (Siehe auch den Beitrag im US-Magazin Jacobin.) Und 2023: Beide Seiten (!) hätten einen Waffenstillstand gewollt. Die Chancen dafür hätten bei 50:50 gelegen, aber die westlichen Unterstützer der Ukraine hätten den „Deal“ gestoppt.
(2) Die immer wieder vorgebrachte Behauptung, es habe das Versprechen „Keine NATO-Osterweiterung“ nicht gegeben oder sei nicht fest vereinbart worden, ist spätestens 2017 mit der umfangreichen Veröffentlichung der Verhandlungsdokumente inklusive handschriftlicher Vermerke durch das US-amerikanische Nationalarchiv endgültig widerlegt.
Text: Konstanzer Friedensinitiative / Foto: privat
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