Vera hemm 2024

Her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen!

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Vera hemm 2024

Vera Hemm lebt nicht mehr, die engagierte Gewerkschafterin und ehemalige Konstanzer Stadträtin ist im Alter von 89 Jahren am 1. März verstorben. Sie war in Konstanz allseits bekannt und beliebt. 2005 kam Vera für die Linke Liste Konstanz (LLK) in den Gemeinderat und wurde 2009 mit einem hohen Stimmenanteil wiedergewählt. 2014 trat sie auf eigenen Wunsch nicht mehr zur Wahl an.

Vera wurde am 23. Oktober 1935 geboren und verbrachte ihre Kindheit, wie sie selbst schreibt, „trotz Kriegs- und Nachkriegszeit wohlbehütet im Ortsteil Paradies“ bei ihren Eltern, beide überzeugte Kommunist:innen (daher ihr Name, der auf die russische Revolutionärin Vera Figener zurückgeht). Sie besuchte die Wallgutschule, später das Ellenrieder-Gymnasium und engagierte sich schon früh in der Kinder- und Jugendgruppe der Naturfreunde Konstanz. Nach dem Abitur 1955 absolvierte sie eine Lehre als Chemielaborantin und arbeitete seit den 1960er Jahren bei Byk Gulden.

Dgbfrauen 2009
Die DGB-Frauengruppe im Jahr 2009

„Die rote Vera“, wie sie wegen ihres Einsatzes für soziale Gerechtigkeit und ihrer Mitgliedschaft bei der DKP genannt wurde, brachte sich seit den 70er Jahren bei der Gewerkschaft IG Chemie und beim Konstanzer DGB tatkräftig ein. Hier engagierte sich Vera insbesondere für die gewerkschaftliche Frauenarbeit und war fast 20 Jahre Vorsitzende der DGB-Frauen im Kreis Konstanz. Besonders hervorzuheben ist ihre Kulturarbeit dort – für die Gruppe „Menschen – zufällig weiblich“ war sie 30 Jahre lang eine zentrale Figur, erarbeitete Kabarettprogramme, sang und spielte Klavier. Vor allem zum Internationalen Frauentag am 8. März, den wir dieses Jahr sechs Tage nach ihrem Tod ohne sie verbringen mussten, aber bei der zentralen Veranstaltung im Wolkensteinsaal ihrer mit einer Schweigeminute gedachten.

Für Vera war es immer ein Ziel, sich wie ihre Mutter Johanna Hemm im Konstanzer Gemeinderat zu engagieren. Bereits 1962 kandidierte sie für die Deutsche Friedens-Union (DFU) bei den Gemeinderatswahlen, später auch für andere linke Gruppierungen wie die Alternative Liste und die DKP, doch für ein Mandat reichte es nie. 1999 schaffte Michael Venedey für die PDS/Linke Liste den Einzug in den Konstanzer Gemeinderat, musste aber 2005 aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten und Vera zog, zunächst als Einzelkämpferin, für fast zehn Jahre in den Gemeinderat ein. Vera verpasste keine Sitzung und nahm ihre Verantwortung für die Stadt sehr ernst.

Ihre Schwerpunkte lagen im Bereich der Sozialpolitik, sie setzte sich konsequent für die Interessen der Menschen ein, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen: Obdachlose, Arbeitslose, Geflüchtete und Frauen in Not konnten stets auf ihre Unterstützung zählen. Immer wieder wies sie auch auf die Wohnungsnot in Konstanz hin und forderte Konzepte für den sozialen Wohnungsbau. Und auch nach ihrer Zeit im Gemeinderat blieb sie politisch: man traf sie regelmäßig bei Kundgebungen zum 1. Mai oder verschiedenen Veranstaltungen, wie beispielsweise der Linken oder der Stolpersteine Konstanz.

Bis zu ihrem Tod setzte sich Vera für soziale Gerechtigkeit und die Stärkung der Rechte der „kleinen Leute“ ein – als Gewerkschafterin, als Stadträtin und als Gründungsmitglied von Pro Familia. Wie sie in ihrer beizeiten selbst verfassten Todesanzeige schreibt, bittet sie daher statt Blumen um eine Spende für Pro Familia e.V. (IBAN DE09 6005 0101 7486 5004 40, Stichwort Vera Hemm). Die Trauerfeier für Vera Hemm findet am Donnerstag, den 13. März, um 15:00 Uhr auf dem Hauptfriedhof Konstanz statt.

Mit diesen Zeilen aus einem Gedicht von Louis Fürnberg (Jeder Traum „Was ich singe, sing ich den Genossen“), mit denen ihre Traueranzeige überschrieben war, will ich diesen Text schließen:

„Jeder Traum, an den ich mich verschwendet,
Jeder Kampf, wo ich mich nicht geschont,
Jeder Sonnenstrahl, der mich geblendet –
Alles hat am Ende sich gelohnt.“

Text: Anke Schwede, Bilder: privat

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Vera Hemm stand öfters im Zentrum von seemoz-Artikeln. Zum Beispiel: „Kritisch, widerborstig, links-diplomatisch“. Oder: „Närrische Ehrung für Vera Hemm“. Oder: „Wie Vera Hemm für Flüchtlinge kämpft“.

5 Kommentare

  1. Bernd Hüttner

    // am:

    Wieder ein Todesfall. Der auch darauf verweist, wieviel Zeit vergangen ist, seit ich Konstanz verlassen habe. Mir wurde im persönlichen Umfeld von 1988 bis 1991 sehr viel von der DGB-Frauenkulturgruppe erzählt.
    Und da es bisher nicht erwähnt wurde, es gibt mit dem Buch „Im Zeichen der roten Nelke: Mutter und Tochter – zwei politisch engagierte Frauen im 20. Jahrhundert“ (Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2002) eine Publikation über Vera und ihre Mutter.

  2. Christoph Nix

    // am:

    Als ich nach Konstanz kam und im Gemeinderat über Theater und Finanzen sprechen musste, gingen nach dem Ende der Sitzung Frau von Waldthausen und Vera Hemm Arm in Arm nebeneinander einträchtig daher und sprachen über Gott und die Welt. Um es präziser zu formulieren, sie sprachen über das Theater und die Idee der Gleichheit. Ich war sprachlos. Ich meinte im Himmel von Don Camillo und Pepone, im Geist von Clara Zetkin und Elisabeth Selbert mich zu bewegen, mich bewegen zu dürfen. Wo war ich gelandet? Im Paradies, hatte hier die Idee eines historischen Kompromisses, lange nach Aldo Moro, eine Heimat gefunden? Ja, ich war glücklich und dachte es ginge immer so weiter, es wäre der Diskurs von „Brot und Rosen“, endlos gesucht. Vera verwirklichte die alte Idee eines Kommunismus mit menschlichem Antlitz, jeden Tag, ein Wärmestrom von Empathie und Zuneigung. So lebte sie, zwar alleine, aber immer in Verbundenheit mit ihren Mitmenschen, auch als sie nicht mehr im Gemeinderat, als sie später mit Rolli durchs Paradies zog, war sie nie verbittert, im Gegenteil: großzügig und zugewandt. Gegen Ihre Menschenliebe wirkten die Debatten über kommunale Politik inhaltsleer, es fehlte oft das Anliegen, warum gibt es uns? Warum sind wir hier? Veras Lesungen im Theater aus ihrem biographischen Roman, waren Sternstunden der Menschheit. Jetzt lässt sie uns einsam zurück, in der Kälte der Pragmatiker und Selbstdarsteller und wir wissen, dass sie eine Leere hinterlässt, die wir nicht zu füllen wissen: Wacht auf Verdammte dieser Erde….

  3. Harald Schuster

    // am:

    Lieber Anselm Venedey,

    welch ein berührender Rückblick und auf den Punkt alles vereinend auf eine der größten Frauen der Stadtgeschichte in der Neuzeit.

    Ein mutiges, auch erst lernend selbstbestimmtes, aber auch immer neugieriges und auch humorvolles Leben ist zu Ende gegangen. Danke für die zugewandeten Worte von Dir und die posthume Ehrung von Vera, Chapeau!

  4. Thomas Uhrmann

    // am:

    Was für ein schöner, wunderbarer Nachruf von Anselm Venedey auf diese grosse Konstanzerin!

  5. Anselm Venedey

    // am:

    Vera war eine wunderbare Frau!
    Sie vereinte in sich, wonach die meisten anderen empathiebegabten Menschen suchen: Mut, Kraft, Bestimmtheit und Liebenswürdigkeit. Wenn Vera im Gemeinderat das Wort erhob, dann hörten alle zu. Auch jene, die nicht ihrer Meinung waren – und das war ja die überwiegende Mehrheit im Rat. Veras Reden waren kämpferisch, aber nie verletzend. Ihr Ton wurde nie aufbrausend, gleichwohl merkte man immer, wann ihr etwas besonders wichtig war. Einfach auch etwas zu sagen, weil ja alle Fraktionen ihren Senf zu allem dazugeben müssen – das war ihre Sache nicht. Aber wenn es um Ungerechtigkeiten ging, um Frauenrechte, um Arbeitnehmer:innen, um die Belange der schwächeren Menschen, dann nahm sich Vera die Zeit und trug wohlvorbereitete Reden vor. Dem war in aller Regel nichts hinzuzufügen. Sie hatte einfach recht. Die Vertreter der konservativen Fraktionen, also der CDU, der Freien Wähler, der FDP, des Jungen Forums, der SPD und der Grünen, blickten nach Veras Worten meist verlegen nach unten und erwiderten nichts mehr – und das hing nicht nur mit der Redner:innenliste zusammen an deren Ende eben immer die kleinen Fraktionen standen. Nein, man konnte eigentlich nur schlecht aussehen, wenn man ihr widersprach. Sachlich und menschlich! Alle mochten Vera. Sie war nie eine Aussenseiterin, nur weil sie bei der Linken Liste kandidiert hatte und aus ihren politischen Überzeugungen kein Geheimnis machte. Sie ging mit uns nach den Sitzungen selbstverständlich noch ein Bier trinken. Und wenn sie etwas später zu dieser Runde dazustiess, dann bot ihr selbst der konservativste Vertreter (an dieser Stelle muss einmal nicht gegendert werden) des Gremiums freundlich den Stuhl neben sich an und Vera nahm Platz beim Klassenfeind, um ins freundliche Plaudern zu kommen. Beirren in ihrer Haltung liess sie sich dadurch aber natürlich nicht. Und wie oft zielten die Angriffe der Ratsmehrheit gegen die von ihr vertretene Politik und ihre unverrückbare Überzeugung. Nur ganz selten erlebte man, dass sie persönlich getroffen war. Das tat dann nicht nur ihr weh. Meistens nahm sie es aber mit Humor. Und davon hatte sie eine Unmenge. Als ich sie ein paar Tage vor ihrem Tod im Pflegeheim besuchte, da antwortete sie auf meine Frage, wie es ihr gehe, mit „an die Kremlmauer will ich noch nicht!“ und spielte damit schelmisch an eine der witzigsten Situationen unserer gemeinsamen Zeit im Gemeinderat an. Es wurde im Ratssaal über die Friedhofsgebühren debattiert. Immer wieder kam und kommt dieses leidige Thema auf und wir wussten alle, dass Vera sich vehement gegen eine Verteuerung des Sterbens aussprechen würde. Also ergriff der ebenfalls humorbegabte Walter Pilz von den Freien Wählern das Wort vor Beginn der Debatte und stellte einen Antrag gegen Vera wegen Befangenheit in dieser Angelegenheit. Dabei sah er sie freundlich an. „Ich stelle einen Antrag wegen Befangenheit gegen Frau Hemm und begründe ihn damit, dass Frau Hemm dereinst ehrenhalber ohnehin an der Kremlmauer beerdigt werden wird. Deshalb darf sie hier nicht über die hiesigen Gebühren abstimmen und debattieren!“ Grosses Gelächter unter allen Anwesenden im Saal. Und Vera? Sie klatschte sich vor Vergnügen auf die Schenkel und dankte Walter Pilz nach der Sitzung für diese grossartige Pointe.
    Nun ist Vera nicht mehr unter uns. Und die Zeiten, wo eine aufrechte Linke an der Kremlmauer beigesetzt würde, sind längst vorüber. Wir treffen uns um sie zu verabschieden nun doch auf dem Hauptfriedhof…
    Vera fehlt mir jetzt schon- und sicher nicht nur mir.

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