Baden-Württemberg hat die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9) beschlossen, derzeit läuft auf Landesebene die Anhörung der Verbände zur entsprechenden Schulgesetzänderung. Die Schülerzahl an den Gymnasien wird durch das hinzugefügte Schuljahr naturgemäß ansteigen, dieser Effekt wird jedoch erst in einigen Jahren eintreten.
Das Land muss zusätzliches Personal finanzieren, die Kommunen sind für den erhöhten Raumbedarf zuständig. In der derzeit laufenden kommunalen Haushaltsberatung wird die Erweiterung des Suso-Gymnasiums in Frage gestellt. Die Stadt Konstanz ist offenbar absehbar nicht in der Lage, ausreichend Schulraum an den Gymnasien zu schaffen. Für die Erweiterung des Suso-Gymnasiums und den Bau einer neuen Sporthalle hat die Stadtverwaltung im März 2022 einen Zeitplan vorgelegt: Der Baubeginn wurde für Sommer 2025 avisiert, die Fertigstellung dann im Jahr 2028. Dieser Zeitplan ist Makulatur. Im Rahmen der Beratungen des Gemeinderats für den Doppelhaushalt 2025/2026 teilt die Stadt mit, dass „aufgrund der finanziellen und personellen Rahmenbedingungen“ der Baubeginn erst 2032 erfolgen soll, die Fertigstellung zum Schuljahr 2035/2036.
Die Stadtverwaltung hat im Zusammenhang mit dem neuen Zeitplan vorgeschlagen, Containerräume aufzustellen und die Kosten hierfür wiederum in den Haushalt eingestellt. Der Planungsprozess ist eigentlich weit fortgeschritten, im Juli 2024 wurde der Siegerentwurf für das Bauprojekt der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Stadtverwaltung hat nun gegenüber dem Gemeinderat beantragt, 750.000 € für die Fortsetzung der Planung bis zur „Genehmigungsfähigkeit“ im Haushaltsjahr 2025 bereitzustellen. Im Bildungs- und Sportausschuss kam es am 8. Januar zu einer kontroversen Debatte. Einerseits wurde der neue Zeitplan kritisiert und gefordert, das Bauprojekt nach vorne zu ziehen, andererseits aber die Einstellung der notwendigen Planungsmittel in Frage gestellt.
Engpässe am Suso-Gymnasium
Das Regierungspräsidium Freiburg als zuständige Schulaufsichtsbehörde hat das Raumdefizit am Suso-Gymnasium auf Grundlage objektiver Kriterien festgestellt. Patrick Hartleitner, Schulleiter des Suso-Gymnasiums, macht im Gespräch mit seemoz die praktischen Folgen dieses Raumdefizits deutlich: Für die Fächer Bildende Kunst und Musik gibt es jeweils nur einen Fachraum. Daher können Leistungskurse in beiden Fächern nur eingeschränkt angeboten werden, obwohl es genug Schüler*innen gäbe, die diese Kurse belegen möchten. Auch für Praktika in den naturwissenschaftlichen Fächern fehlen entsprechende Fachräume. Für die Lehrkräfte gibt es nur das traditionelle enge Lehrerzimmer, die eigentlich im Zusammenhang mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz vorgesehenen Rückzugsmöglichkeiten fehlen. Dabei geht es nicht um Büros für Lehrkräfte, sondern um einen gemeinsamen Lehrer-Arbeitsraum, in dem ruhiges Arbeiten möglich ist – was im Lehrerzimmer als Kommunikationszentrum erfahrungsgemäß nicht funktioniert.
Patrick Hartleitner ist natürlich über die schwierige Haushaltslage der Stadt informiert, er zeigt sich gleichwohl enttäuscht über die Verzögerungen und sagt: „Ich nehme nicht zum städtischen Haushalt Stellung. Die Räte müssen selbst entscheiden, wo sie Prioritäten setzen“. Am 13. Februar wird es ernst, wenn der Haupt-, Finanz- und Klimaausschuss beraten und über das Investitionsprogramm der Stadt entscheiden wird. Dann wird deutlich werden, welchen Stellenwert Investitionen im Bildungsbereich für den Gemeinderat tatsächlich haben.
Kritisches Schuljahr 2032/2033
Die frustrierende Debatte um die Erweiterung des Suso-Gymnasiums, das bereits für G8 ein Raumdefizit ausweist, lässt Schlimmes erahnen, wenn durch die Umstellung auf G9 Raumdefizite an allen Konstanzer Gymnasien entstehen werden. Der Prozess der Umstellung wird einige Jahre dauern, die jetzigen Fünftklässler*innen sollen das Abitur erst nach neun Jahren ablegen. Das bedeutet, dass es ab dem Schuljahr 2032/2033 an den Gymnasien praktisch eine zusätzliche Klassenstufe geben wird. Die vorgesehene Option, Züge für das achtjährige Gymnasium einzurichten, wird in der Praxis kaum eine Rolle spielen.
Die Konstanzer Gymnasien waren natürlich bereits früher neunjährige Gymnasien. Eine Rückkehr ist für die Schulen jedoch nicht einfach, da im „alten G9“ andere Bildungspläne und Rahmenbedingungen galten. Ein Ganztagsangebot gab es kaum, Praktika haben im naturwissenschaftlichen Unterricht eine viel geringere Rolle gespielt, das praxisorientierte Profilfach „Naturwissenschaft und Technik“ (NWT) existierte noch nicht. Wenn also ein „neues G9“ entsteht, dann löst dies zusätzlichen Raumbedarf aus.
Herausforderungen für die Konstanzer Gymnasien
Patrick Hartleitner hat in seiner Funktion als Geschäftsführender Schulleiter für die Gymnasien nicht nur die eigene Schule im Blick, sondern die Konstanzer Gymnasien insgesamt. Er verweist auf das Ellenrieder- und das Humboldt-Gymnasium in der Innenstadt. Dort bestehe aktuell schon eine hohe Auslastung, so dass die Umsetzung von G9 eine besonders große Herausforderung darstellen wird.
Die Stadtverwaltung mag dieses heiße Eisen lieber gar nicht erst anfassen, in einer Vorlage zu den Haushaltsberatungen heißt es lapidar: „Der Schulraum an den Konstanzer Gymnasien ist aktuell nur auf G8 ausgelegt. Zusätzlich erforderlicher Schulraum wird im Rahmen kommender Haushaltsplanungen zu berücksichtigen sein“. Vor dem Hintergrund der aktuellen massiven zeitlichen Verzögerungen bei der Erweiterung des Suso-Gymnasiums, für die Pläne ja bereits vorliegen, muss man aus meiner Sicht leider daren zweifeln, dass Investitionen rechtzeitig zur Vergrößerung der Schülerzahl an den Gymnasien erfolgen werden – zumal hier zunächst Planungen entwickelt werden müssen.
Es wird deutlich, dass der geplante Schulverbund aus Gymnasium und Gemeinschaftsschule im Hafner dringend und ohne Verzögerung realisiert werden muss. Diese neue Schule ist auch notwendig, um gesamtstädtische Defizite auszugleichen. Das Konzept des Schulverbunds erweist sich als vorteilhaft, da Räumlichkeiten flexibel für beide Schularten genutzt werden können.
Personalplanung des Landes und Eltern als Lobbygruppe
Eine Schule braucht nicht nur ausreichend Räume, sondern auch genug Personal. Das Land ist dafür zuständig, rechtzeitig neue Lehrerstellen zu schaffen. In anderen Bundesländern, die die Rückkehr zu G9 bereits hinter sich haben, gab es massive Probleme. So musste dort teilweise Pflichtunterricht ausfallen, da die vielen neuen Lehrerstellen nicht besetzt werden können. Baden-Württemberg will daher bereits vor dem kritischen Schuljahr 2032/2033 zusätzliche Lehrkräfte einstellen, diese dann an anderen Schularten „parken“, so dass sie 2032 an ein Gymnasium wechseln können. Diese Idee ist aber nicht im Landeshaushalt abgesichert, auch hier verweist man auf zukünftige Haushaltsplanungen.
Der politische Beschluss zur Rückkehr zu G9 geht auf eine höchst erfolgreiche Elterninitiative zurück, die die Landespolitik unter Druck gesetzt hat, schließlich geht es hier um eine wichtige Wählergruppe. Doch sind „die Eltern“ natürlich keine homogene Gruppe, hier gibt es widersprüchliche Interessen. Viele Eltern legen Wert auf eine gute Nachmittagsbetreuung ihrer Schulkinder, oft ist die Berufstätigkeit beider Elternteile selbstverständlich. Nun wird aber der Nachmittagsunterricht an den Gymnasien reduziert.
Dies wird schon im Schuljahr 2025/2026 relevant: Bisher haben an den meisten Gymnasien die Sechstklässler*innen an einem Nachmittag Unterricht, in Zukunft sind für diese Klassenstufe weniger Unterrichtsstunden vorgesehen, die vollständig in den Vormittag integriert werden können. Die Gymnasien sind gefordert, statt des Pflichtunterrichts am Nachmittag für die Unterstufe verstärkt Förderangebote und Arbeitsgemeinschaften anzubieten, hier entsteht also ein zusätzlicher Bedarf. Dafür wird das Land jedoch keine Ressourcen bereitstellen, weil diese ja bereits für das zusätzliche Schuljahr gebraucht werden.
Modernisierung des Gymnasiums
Für Konstanz verweist Patrick Hartleitner auf das „solide Angebot“ der Gymnasien am Nachmittag. Die Schulen bieten Arbeitsgemeinschaften und eine Hausaufgabenbetreuung an, die von studentischen Hilfskräften und Oberstufenschüler*innen gestaltet wird. Aus seiner Sicht müssen diese Angebote künftig ausgeweitet und professionalisiert werden. Es geht also nicht nur um zusätzliche Räume, sondern auch um eine inhaltliche Modernisierung. Eine Rückkehr zu den „alten Zeiten“ mit einem Gymnasium als Vormittagsschule kommt jedenfalls nicht in Frage. Daraus ergeben sich bildungspolitische Herausforderungen, die uns die nächsten Jahre weiter beschäftigen werden.
Text: Till Seiler (Lehrer und aktives Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft). Foto: Patrick Hartleitner
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