Die rabiate Republikanerin
Frank Wedekind verknallte sich in sie, da war sie über siebzig, er Ende zwanzig. Der Schriftsteller besprach mit ihr seine Manuskripte, ließ sich mit Datteln verwöhnen und aus ihrem skandalösen Leben erzählen. „Wie schade, dass man ein solches Wesen nicht mehr heiraten kann“, soll er einmal gesagt haben, „sie wäre die Richtige für mich.“
Die faszinierende alte Dame, die damals verarmt in einer Pariser Mansarde wohnte, Zigarren rauchte und fluchen konnte wie ein Pferdekutscher, war 1817 in Berlin geboren. Als Tochter eines reichen Seidenwarenhändlers gehörte sie eigentlich zur Hautevolee; Diplomaten, Gräfinnen, Hofbeamte, KünstlerInnen gingen bei ihren Eltern ein und aus. Doch sie kam um vor Langeweile inmitten dieser „Speichellecker“ und „Windbeutel“. Heiratsanträge schlug sie aus. Sie wollte einen Demokraten, der wie sie an Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit glaubte, keine dieser „Zwitternaturen, halb liberal, halb royal, diese echten Schmarotzerpflanzen“, die heute auf die Freiheit Polens und morgen auf den Zaren anstießen. Mit 25 fand sie ihren Traummann, formulierte den Antrag gleich selbst und war binnen acht Tagen verlobt. Ihr Zukünftiger, ein kurz darauf aus Preußen ausgewiesener Dichter, jubelte: „Das Mädchen ist noch rabiater als ich und ein Republikaner von der ersten Sorte.“
Sie folgte ihm ins Schweizer Exil, dann nach Paris, wo sich in ihrem Salon bald russische, deutsche, polnische und italienische Flüchtlinge trafen. Als im Februar 1848 der französische König verjagt wurde und eine Aufstandswelle über Europa hinwegrollte, war sie nicht zu halten: An der Seite ihres Mannes zog sie mit 850 Freiwilligen – der „deutschen demokratischen Legion“ – los, um die badische Freiheitsarmee zu unterstützen, und fungierte als Kontaktfrau zu deren Anführer Friedrich Hecker (in dessen Pläne die „Franzosen“ allerdings nicht so recht passten).
Die Expedition – wie letztlich auch die Revolution – endete im Desaster; dem „verfluchten Weib“ samt Gatten gelang nur knapp die Flucht. Dennoch blieb sie ihren Freiheitsidealen treu. Rastlos organisierte und warb sie – nun von Zürich aus und längst enterbt – für den Unabhängigkeitskampf Garibaldis; sie verhalf auch Felice Orsini, dem späteren Attentäter auf Napoleon III., mit in Buchdeckeln versteckten Feilen zu einem spektakulären Gefängnisausbruch.
Wer war die 1904 in Liestal bestattete Revoluzzerin, die sich in Paris geweigert hatte, mit dem frisch vermählten Ehepaar Karl und Jenny Marx eine WG zu gründen?
Text: Brigitte Matern
Auflösung des Rätsels
Wir fragten nach der deutschen Revolutionärin Emma Herwegh (1817–1904). Nachdem ihrem Mann Georg Herwegh 1843 in Zürich die Aufnahme verweigert worden war, durften die beiden im aargauischen Baden heiraten (mit Michael Bakunin als Trauzeugen). „Wir freuen uns“, vermeldete die Aargauer Behörde, „durch diese Bewilligung den Beweis geben zu können, dass noch nicht alle Kantone der Schweiz der Spießerei verfallen sind.“ Die Gemeinde Augst im Kanton Baselland verlieh ihnen das Bürgerrecht.
Emma Herweghs 1849 verfasste und sofort verbotene „Geschichte der deutschen demokratischen Legion aus Paris“ ist in der unzensierten Version nachzulesen bei Horst Brandstätter (Hg.): „Emma Herwegh. Im Interesse der Freiheit“. Libelle Verlag. Lengwil 1998.
Des Weiteren: Barbara Rettenmund, Jeannette Voirol: „Emma Herwegh. Die größte und die beste Heldin der Liebe“. Limmat Verlag. Zürich 2000. Dirk Kurbjuweit: „Die Freiheit der Emma Herwegh“. Roman. Carl Hanser Verlag. München 2017.
Informationen über die damalige revolutionäre Stimmung in den einzelnen südbadischen Orten wie Engen, Markelfingen, Allensbach und Konstanz (samt Wandertipps) enthält die von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg herausgegebene Schrift „Wege der Revolutionäre“. brm
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