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Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (42)

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Der lasterhafte Philosoph

Seine Spur verliert sich 1463. Kein Augen- oder Ohrenzeuge, kein Aktenvermerk, kein Gedicht, das auf ein Weiterleben schließen ließe. Gründe zu sterben gab es damals allerdings mehr als genug. Der gerade beendete Hundertjährige Krieg mit England hatte in Frankreich ein Chaos hinterlassen, und dann vernichtete auch noch eine Eiszeit die Ernten: Die Winter waren bitterkalt und lang, die Sommer verregnet, Hunger und Seuchen grassierten. Ob er aber wirklich schon mit (vermutlich) 33 Jahren gestorben ist? Wir wissen es nicht.

Der Magister Artium hatte zwar rund dreitausend höchst eindrückliche Verse hinterlassen, über sein Leben erfahren wir aber nur wenig Gesichertes (das meiste stammt aus Gerichtsakten): 1449 hatte er sich an der Pariser Faculté des arts eingeschrieben und war drei Jahre später Doktor der Philosophie. Danach geriet er in eine Schlägerei, die einen Priester das Leben kostete, floh aus Paris, kehrte 1456 jedoch mit einer Begnadigungsurkunde zurück, nach der er in Notwehr gehandelt hatte. Brach noch im selben Jahr mit vier Kumpanen in ein Universitätskolleg ein und verschwand mit 500 erbeuteten Goldtalern. Wurde verpfiffen, landete im Gefängnis und kam gegen ein Bußgeld wieder frei (man vermutet, auf Fürsprache seines Pflegevaters). Nach einer weiteren Schlägerei, bei der ein päpstlicher Notar verletzt wurde, drohte ihm dann der Strang. Gegen das Todesurteil legte er mit Erfolg Berufung ein, doch wegen seines „schlimmen Lebenswandels“ schickte man ihn für zehn Jahre in Verbannung: 1463 verließ er Paris. Und ward nie mehr gesehen.

Der französische Schriftsteller François Rabelais ließ den lasterhaften Philosophen jedoch weitervagabundieren. Jemand, dessen Gedichte so prall voll Leben waren, der die Pfaffen, Fürsten, Folterknechte so wortgewaltig verhöhnte und die dicke Margot und all die anderen Huren so leidenschaftlich liebte – so jemand konnte doch nicht einfach gestorben sein! Und ein deutscher Übersetzer fühlte sich dem „Augenblicksvielfraß“ so nah, dass er ihm aus dürren Fakten und den kraftvollen Balladen die Biografie eines stolz revoltierenden Künstlers wob. Zudem schob er ihm fremde Verse unter (nämlich seine eigenen), was dem verschollenen Dichter – auch dank Klaus Kinskis unvergesslicher „Erdbeermund“-Interpretation – zu großem Nachruhm verhalf.

Wie heißt der Gauner und Volkspoet, dessen Werk Bert Brecht heimlich für die „Dreigroschenoper“ ausbeutete und der sich bei Wolf Biermann saufend im Kleiderschrank versteckt?

Text: Brigitte Matern

Auflösung des Rätsels

Wir fragten nach dem französischen Dichter François Villon (* vermutlich 1431, † nach 1463). Er kam als François de Montcorbier bei Paris zur Welt, wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und wurde von Guillaume de Villon, dessen Namen er später trug, in Obhut genommen. Rabelais erzählt im Romanzyklus „Gargantua und Pantagruel“ (veröffentlicht ab 1532) zwei Episoden aus Villons vermeintlichen alten Tagen. Bei dem deutschen Übersetzer handelt es sich um den Schriftsteller und Lyriker Paul Zech (1881–1946), dessen umstrittene Nachdichtungen – verewigt im dtv-Band „Die lasterhaften Balladen und Lieder des François Villon“ – den spätmittelalterlichen Poeten im deutschen Sprachraum berühmt machten. Von Zech stammt unter anderem „Eine verliebte Ballade für ein Mädchen namens Yssabeau“, besser bekannt als „Erdbeermund“-Ballade („Kinski spricht Villon“). 1986 widmete Wolf Biermann „seinem großen Bruder“ die „Ballade auf den Dichter François Villon“. brm

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