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Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (2)

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Die Schlachtschiff-Kapitänin

1913 kündigte sie ihrer Mutter die Gefolgschaft. Sie mochte nicht länger Schaufenster einwerfen, Landsitze anzünden und Sicherungskästen in die Luft jagen. Solange die Frauenrechtsvereinigung machtvolle Demonstrationen organisierte und Wahlkampfveranstaltungen der Männer aufmischte, diente sie der Bewegung mit Leib und Seele; dafür nahm sie auch mehrere Gefängnisaufenthalte und Hungerstreiks auf sich. Doch mit zunehmender Militanz der Stimmrechtlerinnen – Politiker verstehen nur die Sprache der Gewalt, meinte ihre Mutter – verlor sie das Verständnis für diese Aktionen, zumal keine weiterführende politische Idee dahinterstand. Und so gründete sie eine eigene, sozialistische Stimmrechtsbewegung und kümmerte sich – statt bornierte Mittelstandsdamen (und –herren) wachzurütteln – lieber um die Arbeiterinnen im Londoner East End.

Das verelendete Quartier kannte die 1882 in Manchester geborene Rechtsanwaltstochter bereits von gemeinsamen Besuchen mit ihrem Vater. „Wenn du dich nicht für andere engagierst, war es nicht wert, dich aufzuziehen“, hatte der Sozialist einmal zu ihr gesagt. Da war sie noch jung und wollte Künstlerin werden. Doch sie folgte seiner Spur, organisierte Spenden, baute Sozialzentren auf und berichtete über die in Londons Unterschicht herrschende Not in einer Zeitung, die sie „Schlachtschiff der Frau“ nannte.

Den sozialistischen Ideen und der Forderung nach einem umfassenden Frauenstimmrecht blieb sie auch dann noch treu, als unter dem Eindruck des Weltkriegs die ehemaligen Mitstreiterinnen auf einen nationalpatriotischen Kurs einschwenkten (auch ihre militante Mutter, die später sogar den konservativen Tories beitrat). Als Pazifistin stand sie selbst nun aufseiten der KriegsgegnerInnen und rief zur Wehrdienstverweigerung auf, während sie erfolgreich Gelder für Mutter-Kind-Kliniken organisierte, um die enorm hohe Kindersterblichkeit zu stoppen.

Nach dem Krieg kümmerte sie sich um politische Gefangene im faschistischen Italien, unterstützte die RepublikanerInnen im Spanischen Bürgerkrieg, half jüdischen Flüchtlingen und versuchte, als Benito Mussolini 1935 Äthiopien – „die letzte freie Bastion des schwarzen Mannes“ – besetzen ließ, die britische Regierung zu härteren Sanktionen zu bewegen.

Wer war die fast lebenslang vom britischen Geheimdienst überwachte Internationalistin und Sozialaktivistin, der Kaiser Haile Selassie 1960 in Äthiopien ein Staatsbegräbnis ausrichten ließ?

Text: Brigitte Matern


Auflösung des Rätsels

In unserem Rätsel fragten wir nach der englischen Frauenrechtlerin und Publizistin Sylvia Pankhurst (1882–1960). Ihre eng mit der Labour Party verbundene Organisation hieß East London Federation of Suffragettes (später Worker’s Suffrage Federation). Sie selbst schrieb Artikel und Bücher (unter anderem eine Kulturgeschichte Äthiopiens) und gab insgesamt vier viel beachtete Zeitungen heraus, unter anderem „The Woman’s Dreadnought“ („das Schlachtschiff der Frau“), später umbenannt in „Workers’ Dreadnought“, und die „New Times and Ethiopia News“. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie auf Einladung Haile Selassies in Äthiopien. 

Ihre Mutter war die berühmte Emmeline Pankhurst, die gemeinsam mit Tochter Christabel die militante Frauenrechtsgruppierung Women’s Social and Political Union führte. Ihr Vater war der Rechtsanwalt Richard Pankhurst, der seine Frau und die Töchter in ihrem Stimmrechtskampf unterstützte. Sylvias jüngere Schwester Adela war Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Australiens. 1918 erhielten Britinnen über dreißig das Wahlrecht für Parlamentswahlen; ein allgemeines, gleichberechtigtes Wahlrecht wurde erst 1928 eingeführt. (brm)

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