Haben Sie schon was vor für die Zeit zwischen den Feiertagen? Falls nicht: Wie wär’s mit zwei Museumsbesuchen? Oder zumindest mit einem? In Zürich und Ravensburg sind bis Mitte Januar beziehungsweise bis Mitte Februar zwei Ausstellungen zu sehen, die Sie nicht versäumen wollen.
Eine Kolonialausstellung in der Schweiz, also jenem Land, das vieles war und ist – aber kein Kolonialstaat? Ja, die gibt es – und zwar eine sehr gute. Denn nicht nur Staaten unterdrücken, versklaven, beuten aus – auch Privatleute tun das, mit weitreichende Folgen bis heute.
Im Zürcher Landesmuseum ist momentan (und noch bis 19. Januar) die Ausstellung „kolonial“ zu sehen, die in elf Kapiteln auf einem hohen Niveau und multimedial exzellent die Ursprünge der Schweizer Kolonialgeschichte und deren Auswirkungen darlegt.
Es beginnt mit dem St. Galler Hieronymus Sailer, „dem wohl ersten Schweizer, der mit versklavten Menschen handelt“, wie es auf einer Screen heißt. Er war nicht allein: 1528 hatte der spanische König ihm, aber auch dem Konstanzer Ulrich Ehinger eine Lizenz verkauft, die beiden das Recht garantierte, „4000 Menschen aus Westafrika in die Karibik zu verschleppen“. Möglich gemacht hatte dies den beiden Kaufleuten aus St. Gallen und Konstanz ihre gute Vernetzung mit den europäischen Höfen.
Schweizer Regimente und Brigaden
Es gab natürlich andere, auch solche, deren Namen man heute noch kennt: Die Gebrüder Salomon und Johann Georg Volkart aus Winterthur zum Beispiel, die 1851 in Bombay eine Handelsfirma gründeten, die von dort Kaffee, Gewürze und vor allem Rohbaumwolle exportierte und zu einem der größten Baumwollhandelskonzerne der Welt aufstieg..
Oder den Thurgauer Wilhelm Heinrich Diethelm, der in den 1860er Jahren nach Singapur auswanderte und dort dank guter Verbindungen zur Kolonialregierung von Niederländisch-Indien ein auch heute noch bestehenden Rohstoffkonzern aufbauen konnte.
Sie waren nicht die Einzigen, die die elenden Kolonialstrukturen nutzten – oder ihnen dienten. Es gab auch jede Menge Söldner schweizerischer Herkunft. Etwa den Neuenburger Charles-Daniel de Meuron, der 1791 ein Schweizer Regiment gründete, das für die Niederländische Ostindien-Kompanie unter anderem in Südafrika und Sri Lanka operierte. Oder Hans Christoffel aus Graubünden, der Anfang des letzten Jahrhunderts mit einer eigenen Brigade, der „Tigerkolonne“, „autoritär und skrupellos“ (wie es in der Ausstellung heißt) im heutigen Indonesien Menschen massakrierte .
Rohstoffhandel eines rohstoffarmen Lands
Thematisiert werden jedoch nicht nur außerhalb der Schweiz agierende Kolonialisten. In der Abteilung „Kolonialer Blick“ sind Bilder aus Schweizer Zeitschriften zu sehen, die dem heimischen Publikum zeigen sollten, wie die „Civilisation“ in den globalen Süden gebracht wurde: Fotos, die den herrschaftlichen Lebensstil Schweizer Plantagenbesitzer dokumentieren, darunter auch solche, die einen Eindruck von der Herrschaft über sexuell ausgebeutete Sklavinnen und Hausangestellten vermitteln.
Vielfältig, anschaulich, umfassend faktenreich sind auch die anderen Kapitel. Zum Beispiel das über die Basler Mission, die ab 1828 Missionare nach Afrika und Indien schickte (später auch Missionar:innen). Oder die ausführliche Darlegung der Ausbeutung der Natur: 2021 gab es in der Schweiz circa „960 Rohstoffhandelsfirmen, die ein Viertel des globalen Rohstoffhandels abwickeln“ heißt es auf einer Tafel. Und weiter:„Noch immer fließen die Gewinne in den globalen Norden, während die Ursprungsländer die großen Lasten der Umweltschäden tragen oder den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind“. Vom Rohstoffreichtum ihrer Länder profitiere die Bevölkerung kaum: „Sind die Rohstofffirmen die neuen Kolonialherrschaften?“
Das ist eine der vielen Stärken der vier-sprachigen Ausstellung: Sie behandelt nicht nur die Vergangenheit – sie stellt auch die richtigen Fragen zu den alltäglichen, gegenwärtigen Ausbeutungsstrukturen. Und spart auch nicht mit Kritik, zum Beispiel an der Haltung der Schweizer Regierung und den Schweizer Unternehmen gegenüber dem südafrikanischen Apartheid-Regime.
Die sehenswerte Ausstellung ist unbedingt die kurze Zugfahrt nach Zürich wert!
„Walk this way“ in Ravensburg
Etwas näher liegt das Kunstmuseum Ravensburg, dessen moderner, fast fensterloser Bau der baulichen Ergänzung des Zürcher Landesmuseum ähnelt – und das derzeit mit „Walk this Way“ ein Erlebnis ganz anderer Art bietet. Die aktuelle Ausstellung dort schlägt mit ihren 24 Exponaten, vor allem Videos, einen Bogen von den 1960er Jahren bis heute: Sie zeigt die Werke von Künstler:innen, die im urbanen Raum „spielerisch bis provokativ ihre eigenen Wege der Erkundung, Aneignung, Umdeutung und Neubesetzung beschreiten“ (so der Ausstellungsprospekt).
Und beginnt mit Antworten auf eine Frage, die sich wohl viele schon mal gestellt haben: Wie lange dauert es eigentlich, bis man durch so ein Museum durch ist? Das hat Florian Slotawa ausprobiert, der 2001 zahlreiche deutsche Museen besuchte und sich dabei filmen ließ. Die Erkenntnis: Es kann überraschend schnell gehen.
Gar so rasch wie der Sprinter ist man durch diese Ausstellung allerdings nicht. Für manche Videos sollte man sich Zeit lassen. Zum Beispiel für das von Regina José Galindo, die darlegt, wie frauenfeindlich und rückwärtsgewandt die Verhältnisse in Guatemala noch immer sind. In „The Great Return“ marschiert sie mit einer Blaskapelle durch die Hauptstadt – aber rückwärts.
Straßenszenen mal anders
Ebenfalls in lateinamerikanischem Kontext wollte der Künstler Francis Alÿs Im Jahr 2000 mal herausfinden, wie lange es in Mexiko-Stadt dauert, bis jemand verhaftet wird, der mit offener Pistole in der Hand durch die Straßen läuft. Er hat es selber ausprobiert.
Auf die Straße schickte auch Pipilotti Rist 1997 eine Frau in hellblauem Kleid und mit roten Schuhen. Nur spaziert sie, mit einer riesigen, schlagfesten Blume in der Hand, einen Gehweg entlang, an dessen Rand Autos parken. Was die Dame dort zunehmend begeistert anstellt, macht Freude.
Nachahmenswerter (weil weniger sanktionsbehaftet) ist hingegen eine Aktion von Gerhard Lang, der auf seine Weise einst die Rückeroberung der Stadt propagierte: 1993 organisierte er eine Demo durch Kassel, bei der sich die Teilnehmer:innen mit transportablen, auslegefähigen Zebrastreifen einen Weg bahnten.
Vor Google über eine Brücke
Wie bewegen sich Menschen, welche Form könnten mobile Obdachlosenvehikel annehmen, was wären menschenfreundlichere Modelle für die zunehmend kommerzialisierten Großbahnhöfe? Die Ausstellung vermittelt Ideen, Aspekte und Aktionsideen.
Eine Aktion beeindruckt besonders. 2020 lud Simon Weckert in Berlin 99 eingeschaltete Smartphones in einen Kinder-Rollerwagen und zog damit über die Ebertbrücke am Hauptquartier von Google Maps vorbei. Die Handys sandten Standortsignale aus, die von zahllosen Navi-Geräten registriert wurden.
Was dabei in der vielbefahrenen Berliner Innenstadt herauskam („Achtung: Stau!“), kann man sich gut vorstellen. Viel besser aber ist, das mal zu sehen. Sehr schön auch das Fazit in der Museumsbroschüre: „Googles Darstellung der Realität sollte man nicht glauben, dem schelmischen Künstler dagegen schon.“
Übrigens: Auch Ravensburg liegt nicht allzu weit weg.
Text und Fotos: Pit Wuhrer
Landesmuseum Zürich: Sonderausstellung „kolonial. Globale Verflechtung der Schweiz“, bis 19. Januar 2025. Das Museum ist auch an den Feiertagen (also auch an Weihnachten und Neujahr) geöffnet, siehe hier die Uhrzeiten.
Kunstmuseum Ravensburg: Sonderausstellung „Walk this Way“ (bis 23. Februar 2025). Öffnungszeit während der Feiertage: fast immer, außer Heiligabend und 31. Dezember, siehe Website.
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