Anfang der Woche warf sich die Kreis-CDU mit einen Antrag gegen zivilgesellschaftliche Initiativen zur Seenotrettung in die Arme der Migrationsgegner:innen. Doch ihr Schuss ging eher nach hinten los – wie auch eine wenig durchdachte Erklärung des Konstanzer Oberbürgermeisters zeigt.
Montagabend, Kreistagssitzung im Landratsamt Konstanz. Beim Tagesordnungspunkt 26 („Beratung und Beschluss über den Haushalt 2025“), zeigte die regionale AfD mal wieder, was in ihr steckt. Ihr Kreisvorsitzender Steffen Jahnke beschimpfte alle, die nicht seiner Meinung sind, als „linksideologisch“, forderte Einschränkungen bei der Sozialbetreuung von Flüchtlingen und lobte „unsere Tugenden“. Entsprechend reagierte das Bündnis „Konstanz für Demokratie – klare Kante gegen rechts in Stadt und Landkreis“ in einer Pressemitteilung.
Für mehr Furore sorgte freilich der Tagesordnungspunkt 16 auf der Kreistagssitzung. Wie von seemoz berichtet, hatte die Kreis-CDU einen Antrag angekündigt, demzufolge sie ihre Zustimmung zur weiteren Förderung der Seenotrettung davon abhängig mache, „dass die Organisatoren dem Landkreis bestätigen, dass sie die aus Seenot aufgegriffenen Menschen zurück zu ihrem Ursprung/-Abfahrtsort, die afrikanische Küste bzw. gegebenenfalls die türkische Küste bringen“.
Hat die CDU damit ihre „Unmenschlichkeit“ gezeigt, wie Die Linke in einem Statement schrieb, nur um der „AfD Stimmen abzuluchsen, indem man sich einfach selbst ihrer Themen und ihres Vokabulars bedient“? Und sich damit „aus der demokratischen Mitte verabschiedet“, wie es in einer Pressemitteilung der Kreistagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen heißt? Jedenfalls führte der Antrag zu viel empörten Stellungnahmen, zu eindeutigen Schlagzeilen (unter anderem in der Süddeutschen Zeitung mit dem Titel: „Was die CDU da fordert, ist krass völkerrechtswidrig“) und zu energischem Protest der seebrücke Konstanz (siehe ihre Stellungnahme hier). Außerdem versammelten sich vor der Sitzung und später im Kreistagssaal mehrere Dutzend Demonstrant:innen mit ihren Bannern.
Der braune Dreck in der Hose
Also vertagte die CDU-Fraktion ihren Antrag – den unter anderen die Bürgermeister von Konstanz, Singen, Radolfzell, Allensbach, Stockach sowie der frühere Konstanzer Caritas-Sprecher Andreas Hoffmann unterzeichnet hatten – zu Sitzungsbeginn. Man ziehe den Antrag nicht zurück, wolle ihn aber nochmals diskutieren, sagte Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler, der noch im Januar auf der Singener Kundgebung gegen Rechtsextremismus vor „dem braunen Dreck in der Hose“ gewarnt hatte.
Offenbar war einigen CDU-Mitgliedern aufgefallen, dass sie sich mit ihrem Antrag vergaloppiert hatten. Das hinderte einen Teil der Fraktion jedoch nicht daran, gemeinsam mit der AfD gegen den Antrag der Kreisverwaltung zu stimmen. Diese hatte, wie schon zuvor, dafür plädiert, der zivilgesellschaftlichen Seenotrettung 10.000 Euro zukommen zu lassen. Den Antrag zugunsten der Organisation Sea-Eye abgelehnt hat übrigens auch eine Mehrheit der FDP-Mitglieder im Rat – mit der rühmlichen Ausnahme von Manfred Hensler. Das CDU-Papier sei „unsäglich“, sagte der Leiter des Radolfzeller Abendgymnasiums in einem Gespräch mit dem Südkurier.
Die Mehrheit im 75-köpfigen Kreistag sah dies ähnlich – und bewilligte den Zuschuss.
„Nichts ist gut in der Seenotrettung“
Die Resonanz auf ihr Vorgehen war manchen christlich-konservativen Kreisräten wohl nicht ganz geheuer. Und so meldete sich zwei Tage später einer der Mitunterzeichnenden schriftlich zu Wort: der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt. In einem ausführlichen Statement mit dem Titel „Nichts ist gut in der Seenotrettung und wenig in der Migration“ bekräftigte er darin seine frühere Position: „Wir können nicht Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen“, berichtete von der großen Last für die Gemeinden („Seit fast 10 Jahren sind erhebliche Ressourcen meiner Konstanzer Stadtverwaltung wie auch der Landkreis-Verwaltung damit beschäftigt, irgendwie die Flüchtlingsunterbringung zu organisieren“) und lobte sich selber („Wir haben unseren Job gemacht“).
Diesen allgemeinen Aussagen folgte jedoch eine Klage an die Adresse der Kritiker:innen. „Jetzt aber auf uns Kommunen zu zeigen, die sehr gute Arbeit in der Flüchtlingsunterbringung und in der Integration leisten und hier sehr viele Ressourcen investieren, das finde ich nicht fair“, schrieb er (als hätte jemand auf die Kommunen „gezeigt“). Und wiederholte eine längst widerlegte Aussage: „Diese Form der privaten Seenotrettung“ sei „mitverantwortlich für das Entstehen von kriminellen Schlepper-Strukturen“. Dass sich Burchardt dabei auf SPD-Kanzler Olaf Scholz berief, macht die Behauptung auch nicht wahrer.
Die Frage übrigens, ob der Konstanzer OB mit seinem parteipolitischen Statement nicht gegen die Neutralitätspflicht als Verwaltungschef verstoßen habe – gestellt von Niklas Becker (Grüne) –, konnte (oder wollte) Burchardt auf der gestrigen Konstanzer Gemeinderatssitzung nicht beantworten. Er werde das prüfen lassen, sagte er.
Und der CDU-Antrag? Vielleicht legt ihn die Partei – wie angekündigt – bei der nächsten Sozialausschusssitzung am 10. Februar wieder vor, vielleicht auch nicht. Denn dann ist der aktuelle Bundestagswahlkampf schon fast vorbei. Obwohl: Anschließend beginnen die Vorbereitungen für den baden-württembergischen Landtagswahlkampf. Und auch dabei wird die CDU auf der Überholspur rechtsaußen an den Fakten vorbeibrettern wollen.
Text: Pit Wuhrer / Foto: seebrücke Konstanz, veröffentlicht auf Instagram
PS: Die Zahl der Kritiker:innen wächst
Nach Veröffentlichung dieses Beitrag erreichten weitere Stellungnahmen die seemoz-Redaktion – Presseerklärungen des Sprecherrats der Helferkrise im Landkreis Konstanz und des Kreisverbands der Jusos.
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