Dem Bauernkrieg 1524/25 gingen zahlreiche Unruhen, Aufstände und Revolten voraus. Das neue Buch von Gerd Schwerhoff „Auf dem Weg zum Bauernkrieg“ gibt einen Überblick über diese zumeist lokalen Bewegungen. Es hinterfragt deren jeweilige tatsächliche Bedeutung und geht auf die Rolle der Reformation ein, die den fragmentierten sozialen Protesten schließlich eine gemeinsame Richtung gab.
Die Vielzahl von Unruhen und Revolten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation seit Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts werden in den meisten historischen Darstellungen als Vorboten einer sich verdichtenden Krise interpretiert, die sich schließlich in einer großen „Revolution“ – dem Bauernkrieg von 1525 – entladen habe.
Ein neues Buch des Dresdner Historikers Gerd Schwerhoff „Auf dem Weg zum Bauernkrieg. Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts“ nimmt solche überwiegend lokal begrenzten Voraufstände genauer in den Blick und zeigt die jeweilige Quellenlage sowie den gegenwärtigen Forschungsstand auf. Kontinuitäten und Zäsuren, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen „Voraufständen“ und dem Bauernkrieg gelte es, sichtbar zu machen, so Schwerhoff.
Nach einer Skizzierung der sozialen und politischen Situation im Reich um 1500 („Epochenumbruch oder Kontinuität?“, Ständegesellschaft, Herrschaftsverdichtung, Reformdruck auf Kirche und Klerus) folgt ein komprimierter Rundumblick auf die zahlreichen spätmittelalterlichen Aufstände im Europa des Spätmittelalters. In den anschließenden Kapiteln werden die unterschiedlichen „Voraufstände“ in Land und Stadt, von Bauern, Bürgern und Rittern näher analysiert.
Bundschuh-Konspirationen „bisweilen grotesk überbewertet“
Lange galten die Bundschuh-Aufstände zwischen 1493 und 1517 in der Geschichtsforschung als Vorläufer des Bauernkriegs. Gerd Schwerhoff hinterfragt einige alte Narrative kritisch und stellt sie neueren quellenkritischen Überlegungen gegenüber.
Die Quellen für die Bundschuh-Aufstände von 1493 nahe der elsässischen Reichshauptstadt Schlettstadt (Sélestat), 1502 bei Bruchsal und 1513 bei Freiburg seien ziemlich dünn. Ob sie wirklich unter dem Banner des göttlichen Rechts „fundamentale und revolutionäre Ziele verfolgten“ lasse sich nicht sicher belegen. Die Faktenlage zum Bundschuh am Oberrhein von 1517, der angeblich ein Höhepunkt der Verschwörungen und eine Brücke zum Bauernkrieg gewesen sein soll, sei gar so desolat, dass er auch als „obrigkeitlich konstruierten Konspirationsmythos“ ausgelegt werden könne.
Gemeinsam sei aber all diesen Aufstandsversuchen, dass sie „territorial begrenzte, konspirative Bewegungen mit eigenständigem Charakter“ gewesen seien, mit selbsternannten Führern, die einen kleinen Kreis entschlossener Anhänger um sich zu scharen versuchten. Keine der Erhebungen hatte Erfolg, alle wurden jeweils vorzeitig verraten und von der Obrigkeit niedergeschlagen.
Feindbild „landschädliche Verschwörer“
Mag der Bundschuh für den „gemeinen Mann“ ein Symbol für die „gemeinsame und gerechte Sache“ gewesen sein, so galt er fortan als der „böse Bundschuh“, als Schreckenssymbol für die süddeutsche Obrigkeit bis in die Frühphase des Bauernkriegs. Und aus dieser beabsichtigten Übertreibung des tatsächlichen Geschehens resultiere auch seine Überbewertung in der älteren Forschung.
Das heraufbeschworene düstere Feindbild der „landschädlichen Verschwörer“ – ähnlich wie man heute bisweilen die „letzte Generation“ als „kriminelle Vereinigung“ verunglimpft – habe sich verfestigt und konnte im Bauernkrieg einfach abgerufen werden. Darin bestehe auch der Kontinuitätsfaktor mit dem Bauernkrieg, so Schwerhoffs Fazit zur Einordung der Bedeutung der Bundschuh-Aufstände.
Der Hegauer Bundschuh
Ein erster schriftlicher Beleg für einen Bundschuh-Aufstand stammt aus dem Jahre 1460, und zwar aus dem Hegau. 18 dort ansässige Adlige hatten sich an den Bischof von Konstanz gewandt, mit der dringenden Bitte um Hilfe gegen ihre aufständischen Bauern. Diese seien nach Schaffhausen gezogen, hätten dort ein „Fähnlein aufgesteckt, worauf ein Pflug und ein Bundschuh“ (Widerstands-Symbol, das bei Aufständen andernorts dann immer wieder auftauchte) und sich selbst als „der Bundschuh“ bezeichnet. Damit sollen sie versucht haben, die Stadt Schaffhausen und die Eidgenossenschaft für ihre Anliegen zu gewinnen.
Diese waren: Nicht mehr als die „herkömmlich gebräuchlichen Frondienste zu leisten, Strafen nicht willkürlich, sondern nur „mit Recht“ zu verhängen und die Erbschaft nicht mit der Abgabe des Todfalls zu belasten. Sehr konkrete, aber keinesfalls revolutionäre Forderungen, die in krassem Kontrast zum Hilferuf der Adligen standen. Diese warnten vor einem großen Umsturz der sozialen Ordnung, der mit der Unterdrückung und Vertreibung aller deutscher Fürsten, ja der gesamten Christenheit enden könne.
Tatsächlich aber war diese Revolte sehr viel kleiner, als die Adligen mit ihrem Brief vorgaben. Es war ein Aufstand von Untertanen gegen die Grafen von Lupfen in der Herrschaft Hewen – einem Kleinstterritorium, zu dem die Stadt Engen gehörte. Die Grafen von Lupfen wiederum waren als habsburgische Gefolgsleute in kriegerische Auseinandersetzungen mit den Eidgenossen verstrickt, sodass dieser „Bundschuh“ de facto auch als Konflikt zwischen den beiden regionalen Vormächten Habsburg und Eidgenossenschaft gewertet werden könnte. Die Forderungen der Bauern aber wiesen bereits in die Zukunft und wurden auch bei späteren Geschehen wieder erhoben. So auch 64 Jahre später, als auf der Kirchweih in Hilzingen der Bauernkrieg im Hegau begann.
Literatur: Rolf Köhn: Der Hegauer Bundschuh (Oktober 1460) – ein Aufstandsversuch in der Herrschaft Hewen gegen die Grafen von Lupfen, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 138 (1990), S. 99-141 sowie bei Gerd Schwerhoff, Auf dem Weg zum Bauernkrieg, S. 61 f.
Der „Arme Konrad“ – eine erste Massenbewegung
Als „wesentlich konkreter greifbar“ ordnet Schwerhoff den „Armen Konrad“ (so die Selbstbezeichnung der Bewegung, womöglich um sich vom „Bundschuh“ abzusetzen) von 1514 ein. Anders als die Bundschuh-Bewegung habe dieser Aufstand – konzentriert auf ein einziges, allerdings recht großes Territorium, nämlich dem Herzogtum Württemberg – eine Massenbasis gewinnen können, und zwar die größte im Reich vor dem Bauernkrieg. Der „Arme Konrad“ sei zudem kein reiner Bauernaufstand gewesen, da zahlreiche Anhänger und Wortführer auch aus den Amtsstädten gekommen seien.
Die Forderungen lauteten Ausweitung der Mitbestimmung, Bekämpfung von Korruption und Wiederherstellung des „alten Herkommens“. Als „Bundschuh“ hingegen, mit dem Ziel die feudale Ordnung nicht nur im Herzogtum, sondern auch in den benachbarten Herrschaften zu stürzen, charakterisierte Herzog Ulrich den „Armen Konrad“ in seinem Brief an Kaiser Maximilian. Die Aufstandsängste manifestierten sich auch hier. Immerhin habe diese Bewegung einen „öffentlichen Reformdruck“ ausüben und mit dem Tübinger Vertrag vom 8. Juli 1514 einen Reformprozess anstoßen können, von dem aber die Hauptakteure der Bewegung und die Bauern nicht profitierten.
Städtische Protestkultur und Fehdelust des Niederadels
Die zahlreichen innerstädtischen Unruhen im gesamten Reich und die ritterliche Fehdelust in Zeiten des Landfriedens werden in drei weiteren Kapiteln ausführlicher betrachtet:
Eine regelrechte „städtische Protestkonjunktur“ habe in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts eingesetzt. Politisch unterprivilegierte Bürger wollten mehr Teilhabe, wehrten sich gegen zunehmend finanzielle Belastungen, prangerten Misswirtschaft, Korruption und vielfach auch die Privilegien des Klerus an. Alles Motive, die bis zum Bauernkrieg immer wieder auftauchten. Noch aber sei die Bedeutung der Städte für den Bauernkrieg von der Forschung viel zu wenig beachtet, konstatiert Gerd Schwerhoff.
Auch ritterliche Fehden nahmen um 1500 zu: Reichsritter als Angehörige des Niederadels sahen sich aufgrund des „Ewigen Landfriedens“ (1495) in ihren Rechten und ihren Möglichkeiten zur Selbsthilfe beschnitten. Mit diesem Gesetzeserlass war ihnen untersagt worden, einem vermeintlichen Gegner einfach den „Fehde-Handschuh“ hinzuwerfen und selbst gegen ihn vorzugehen. Stattdessen waren sie verpflichtet, den von den Obrigkeiten vorgeschriebenen Rechtsweg zu beschreiten und ein Gericht anzurufen.
Widerstand gegen diese „beginnende Aufstandsgesetzgebung“, die sich auch als Reaktion auf die Furcht der Obrigkeit vor „Aufruhr und Empörung“ konkretisiert habe, sei infolgedessen – trotz der ständischen Kluft – das verbindende Element zwischen Bauern und Niederadel gewesen. So gehörten im Bauernkrieg 1525 auch Kleinadlige zu den aufständischen Hauptleuten. Der bis heute bekannteste Protagonist war Götz von Berlichingen.
„Reformation als Katalysator sozialer Proteste“
Des Weiteren wird der Forschungsstand zur Frage nach der „revolutionären Qualität“ der Reformation thematisiert. Bis heute sei in der Historiographie zum Bauernkrieg der Stellenwert der Reformation noch immer umstritten. Während in der marxistischen DDR-Forschung Bauernkrieg und Reformation als „frühbürgerliche Revolution“ interpretiert worden seien – ein Ansatz, dem sich Peter Blickle in seinem Werk „Der Bauernkrieg. Revolution des Gemeinen Mannes“ (München 1998) anschloss – sei in der neueren Reformationsforschung der „Lutherdekade“ sozialer Protest kaum behandelt worden.
Aus Sicht der Unruhe- und Protestforschung hingegen – so Schwerhoffs Argumentation – sei die Bedeutung des Reformationsgeschehens jedoch zentral: So sei es die Auslegung der evangelischen Botschaft des Wittenberger Reformators gewesen, die bei allen sozialen Gruppen ihren Widerhall gefunden und schließlich das (vormals räumlich fragmentierte, ländliche und städtische) Protestpotential zusammengeführt und verstärkt habe.
Gerd Schwerhoffs Intention, mit dieser – wie er selbst schreibt – „längeren essayistischen Zwischenbilanz“ zur komplexen Vorgeschichte des Bauernkriegs einen Anstoß zu weiteren, vergleichenden Detailforschungen zu geben, ist ganz sicher gelungen. Zugleich ist das Buch aber auch eine gut verständliche und profunde Wissensquelle für alle, die sich im Rahmen von bereits stattfindenden oder 2025 kommenden „fünfhundertjährigen Bauernkriegs-Gedenkveranstaltungen“ umfassender informieren möchten.
Zum Autor
Gerd Schwerhoff ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Technischen Universität Dresden. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Kriminalitätsgeschichte. Zeitgleich zu seinem hier vorgestellten Buch ist auch sein 700 Seiten umfassendes Werk „Der Bauernkrieg. Eine wilde Handlung“ (C.H. Beck, München 2024) erschienen.
Text: Uta Preimesser / Fotos aus dem Bauernkriegsmuseum Hilzingen: Pit Wuhrer / Abbildung: Aufständische Bauern mit Bundschuhfahne umzingeln einen Ritter. Holzschnitt des sog. Petrarcameisters aus dem Trostspiegel, 1539 (wikimedia public domain)
Gerd Schwerhoff: „Auf dem Weg zum Bauernkrieg. Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts“. UVK Verlag, Tübingen 2024, 243 Seiten, gebunden, mit Personen- und Ortsregister sowie zehn SW- und Farbabbildungen, 44 Euro. Auch als e-Book erhältlich.
Band 43 der Reihe Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven
Aufruhr in Hilzingen – was geht’s uns heute an?
Der Bauernkrieg im Hegau – Rekonstruktion einer revolutionären Bewegung
Bauernkrieg 1525: Die Revolution der kleinen Leute
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