Pro Asyl fordert anlässlich der heute endenden Innenminister*innenkonferenz angesichts der dramatischen Entwicklungen in Syrien einen sofortigen Abschiebestopp in das Land. Werden Menschen in die Kriegshandlungen in Syrien abgeschoben, drohen ihnen Verfolgung, Folter, unmenschliche Bestrafung oder sogar Gefahr für Leib und Leben.
„Spätestens jetzt müssen die Innenminister*innen von Bund und Ländern einen bundesweiten Abschiebestopp nach Syrien beschließen. Die letzten Tage haben gezeigt, dass von Stabilität in Syrien nicht geredet werden kann und darf. Kriegshandlungen, Menschenrechtsverletzungen und Tötungen sind an der Tagesordnung, Syrien ist nicht sicher“, sagt der flüchtlingspolitische Sprecher von Pro Asyl Tareq Alaows.
In Deutschland lebt rund eine Millionen Syrer*innen, die meisten mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis (über 600.00), die sie zum Teil alle ein bis drei Jahre verlängern müssen.
Besonders Minderheiten sind in Gefahr
Mehrere bewaffnete Gruppen, darunter islamistische Milizen, angeführt von der dschihadistischen Vereinigung Hayat Tahrir al-Sham (HTS), haben innerhalb von 72 Stunden Aleppo eingenommen. Die syrische Armee ist stark geschwächt, viele Soldaten ergeben sich, fliehen oder laufen zu den Dschihadisten über. Gleichzeitig bombardieren das Assad-Regime und Russland Orte und Städte ohne Rücksicht auf Zivilist*innen. 440 Menschen wurden innerhalb von fünf Tagen nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte getötet.
Ein Großteil der syrischen Bevölkerung hat Angst vor Unruhen, Gewalt und Versorgungsengpässen. Besonders gefährdet sind religiöse Minderheiten wie zum Beispiel Christ*innen und Drus*innen sowie ethnische Bevölkerungsgruppen wie die Kurd*innen. Sie fürchten Verfolgung bei der Machtübernahme durch islamistische Kräfte. Das Schicksal der Kurd*innen in Aleppo ist völlig ungewiss. Minderheiten verlassen Aleppo aus Angst.
Die dschihadistische Vereinigung Hayat Tahrir al-Sham (HTS) mit engen Verbindungen zu Al-Qaida gibt sich in den sozialen Medien als moderat. Es muss aber auch damit gerechnet werden, dass sie nach der Etablierung ihrer Macht eine islamistisch-totalitäre Herrschaft anstrebt. Das zeigt der Blick nach Idlib im Nordwesten Syriens, der Stadt, die die Gruppe seit 2017 besetzt hält: Dort wird die Zivilbevölkerung stark unterdrückt, es gibt Angriffe gegen kritische Journalist*innen, Zerschlagung von Demonstrationen, und Frauenrechte werden missachtet.
Absolutes Folterverbot verbietet Abschiebungen nach Syrien
Die Europäische Menschenrechtskonvention und die EU-Grundrechtecharta stellen klar fest: Niemand darf abgeschoben werden, wenn nach der Abschiebung Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen (Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 4 der EU-Grundrechtecharta). Das gilt uneingeschränkt für alle Menschen. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt im Bericht von März 2024 zu dem Fazit, dass „aufgrund der desolaten Sicherheitslage und der vielerorts prekären humanitären Lage in Syrien und Afghanistan […] Art. 3 EMRK etwaigen Abschiebungen in diese Staaten regelmäßig entgegenstehen [wird]“.
Deutschland darf nicht mit dem Folterstaat kooperieren
Seit Jahren lässt Machthaber Assad Menschen systematisch foltern, rechtswidrig inhaftieren, töten oder verschwinden – mehr als 100.000 Menschen gelten als vermisst. Rückkehrende werden oft als Verräter behandelt und erfahren brutale Sanktionen durch das Regime. Auch jetzt reagiert das Assad-Regime mit Unterdrückung: Gruppen in Syrien berichten, dass in den vergangenen Tagen mehr als 200 Menschen verhaftet und zwangsweise in die Armee eingezogen wurden.
Zudem spielen Abschiebungen nach Syrien dem dortigen Regime bei dem Versuch in die Hände, sich international Anerkennung zu verschaffen. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte Ende Mai 2024, dass die Bedingungen für eine sichere und würdige Rückkehr nach Syrien nicht gegeben sind: Denn Abschiebungen nach Syrien bedeuten eine Kooperation mit dem Assad-Regime, was die Sanktionspolitik untergräbt und das Regime rehabilitiert, das eigentlich für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden muss.
Weitere Forderungen von Pro Asyl an die Innenminister*innen
Pro Asyl appelliert an die Innenminister*innen, zu einer menschenrechtsachtenden Flüchtlingspolitik zurückzukehren und auf weitere Restriktionen und verschärfte Abschieberegeln zu verzichten.
Insbesondere verbieten sich Abschiebungen besonders gefährdeter Gruppen und Abschiebungen in Länder, in denen Gefahr droht. Längst überfällig ist der Abschiebestopp in den Irak für Jesid*innen als Überlebende eines Völkermords sowie der Abschiebestopp in den Iran, in dem nach wie vor regimekritische Menschen inhaftiert, gefoltert und ermordet werden.
Die vulnerablen Gruppen unter den Geflüchteten müssen identifiziert und geschützt werden – besonders geflüchtete Kinder brauchen mehr Schutz und Unterstützung.
Nötig sind endlich menschenwürdige Aufnahmebedingungen und ein Ausbau der Teilhabemöglichkeiten für Flüchtlinge vom ersten Tag an (zum Beispiel Abschaffung aller Arbeitsverbote).
Eine menschenwürdige Versorgung von Geflüchteten ist unerlässlich, denn ein menschenwürdiges Existenzminimum muss für alle in Deutschland gleich gelten – gruppendiskriminierende Maßnahmen wie die Bezahlkarte und Sozialleistungskürzungen müssen zurückgenommen werden.
Bei der Umsetzung der ohnehin flüchtlingsfeindlichen GEAS-Reform muss möglichst auf massive Einschnitte in Grund- und Freiheitsrechte verzichtet werden, die nach derzeitigen Plänen sogar die Inhaftierung von Kindern vorsehen. Die stationären Grenzkontrollen und die oft gewaltvolle Zurückweisungspraxis an den deutschen Grenzen müssen beendet werden.
Text: Pro Asyl, Bild: isaacjaeho sinn auf Pixabay
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