In Hilzingen wurde er bereits ausgiebig gefeiert, demnächst folgen Gedenkanlässe auf der anderen Seeseite: Der Bauernaufstand vor 500 Jahren bewegt wieder die Gemüter. Nun ist auch ein Buch über die Ereignisse in Oberschwaben und rund um Lindau erschienen.
Von 1518 bis 1523 folgte im Schwarzwald und in Oberschwaben ein lokaler Bauernaufstand auf den andern, ab Frühjahr 1524 hätten diese Aufstände dann einen systematischen Charakter angenommen: „Bereits im April 1524 verweigerten die Bauern der Abtei Marchthal (bei Zwiefalten) die Frondienste und Leistungen; im Mai verweigerten die Sankt-Blasier Bauern die Leibeigenschaftsgebühren; im Juni erklärten die Bauern von Steinheim bei Memmingen, weder Zehnten noch sonstige Gebühren zahlen zu wollen; im Juli und August standen die Thurgauer Bauern auf und wurden teils durch die Vermittlung der Zürcher, teils durch die Brutalität der Eidgenossenschaft, die mehrere hinrichten ließ, wieder zur Ruhe gebracht.“
Und dann, so formulierte es Friedrich Engels in seinem Werk „Der deutsche Bauernkrieg“, erfolgte endlich „in der Landgrafschaft Stühlingen ein entschiedener Aufstand, der als der unmittelbare Anfang des Bauernkriegs gelten kann.“
Seine Studie hatte Engels nicht zufällig im Sommer 1850 verfasst. Im Jahr zuvor war der Kampf für demokratische Verhältnisse, der im Frühjahr 1848 begann, mit einer krachenden Niederlage zu Ende gegangen. Und so wollte er Mut machen: „Auch das deutsche Volk“, schrieb er, „hat seine revolutionäre Tradition“.
Aber zurück zu Stühlingen. Wie seemoz-Leser:innen wissen (siehe „Der Bauernkrieg im Hegau – Rekonstruktion einer revolutionären Bewegung“) ging die Revolte von dort aus weiter: Sie erreichte bald Waldshut, dann den Hegau, den Linzgau, Oberschwaben, das Allgäu …
Haufenweise Rebellion
Die Gründe für den Aufstand sind bekannt. Überall gehörte der weit überwiegende Teil der Ländereien wenigen Grundherrn; die große Mehrheit der Menschen – rund 80 Prozent der Gesamtbevölkerung – befand sich in Leibeigenschaft von klösterlichen und weltlichen Herrschaften und zahlte hohe Abgaben.
Zudem waren sie weitgehend rechtlos, denn die Gerichtsbarkeit oblag den Fürsten und reichen Bürgern. Im östlichen Teil des Bodenseeraums, so beschreibt es das Buch „Der große Bauernkrieg 1525/26 in Stadt und Landkreis Lindau“ von Charly Schweizer und Johannes C. Wolfart, waren das die Grafen von Montfort, die Reichsstadt Lindau und die Landvögte der österreichischen Habsburger.
Und so waren ab dem Jahreswechsel 1524/25 gleich mehrere „Haufen“ unterwegs, die – auch angetrieben von katastrophalen Missernten und meist miserabel bewaffnet – die verheerenden Verhältnisse umstürzen wollten: der Hegauer Haufen, der Seehaufen, der Baltringer Haufen (im nördlichen Oberschwaben), der Allgäuer Haufen.
Am 21. Februar trafen sich beispielsweise 8000 Bauern aus der Region nördlich von Lindau auf einem Hügel oberhalb der Argen – allesamt Untertanen der Montfort-Grafen in Tettnang und Langenargen und des Lindauer Heilig-Geist-Spitals. Nur drei Tage später gründete sich der Seehaufen, dem 12.000 Mann angehörten (und der aufgrund seiner Größe zweigeteilt wurde – in den Bermatinger und den Rappertsweiler Haufen).
Bei all diesen Versammlungen diskutierten die bitterarmen Untertanen ihre Forderungen. Anfang März schließlich setzten sich rund fünfzig Vertreter der verschiedenen Haufen in Memmingen zusammen und verabschiedeten zwei Wochen später die Zwölf Artikel der Bauernschaft.
Taktische Manöver
Mit ihnen verlangten die Entrechteten nichts weniger als die Aufhebung des Feudalsystems und die Abschaffung der Leibeigenschaft. Konkret forderten sie in den einzelnen Artikeln – die dank der gerade entwickelten Gutenbergschen Drucktechnik in der sagenhaft hohen Auflage von 25.000 Flugschriften rasch Verbreitung fanden – unter anderem eine Wahl der Pfarrer durch die Gemeinden, die Reduzierung der Abgaben, Freiheit für alle, Jagdrecht und die Nutzung der Wälder, Einschränkung der Frontdienste …
Ein Affront für die Herrschenden, die von der Arbeit der Bauern und deren Familien lebten und sich im 1488 gegründeten Schwäbischen Bund des hohen Adels, der Territorialfürsten und der Prälaten zusammengeschlossen hatten. Sie hatten sich als militärischen Anführer den Truchsess Georg III. von Waldburg ausgesucht – steckten aber in einem Dilemma.
Denn ein Großteil ihrer Truppen war in Italien unterwegs, wo sie auf Seiten der Habsburger unter Karl V. gegen Frankreich kämpften. Erst nach der (siegreichen) Schlacht bei Pavia Ende Februar 1525 kehrten ihre Landsknechte und Söldner allmählich zurück. Bis dahin griffen die Mächtigen zu einem Trick, der auch heute noch häufig eingesetzt wird: Sie signalisierten Einlenken, boten Verhandlungen an und versprachen Zugeständnisse.
Anführer mit eigenen Interessen
Diesem politischen Manöver waren die Bauern, die nur selten das von ihnen bearbeitete Land verlassen konnten und spätestens zur Ernte zurückkehren mussten, nicht gewachsen. Zudem hatten sie sich oft Anführer ausgesucht, die aus wohlhabenderen Schichten kamen, dem niederen Landadel angehörten, der städtischen Mittelschicht zuzurechnen waren – also eigene Interessen verfolgten und (wie das Buch an Beispielen belegt) entsprechend kompromissbereit waren.
Und so kam, was zur damaligen Zeit wohl unausweichlich war: Sobald die Italien-Veteranen verfügbar waren, rückte der auch als „Bauernjörg“ bekannte Waldburger von Norden an. Anfang April besiegten 7000 Landsknechte und 1500 Reiter bei Ulm die 6000 Kämpfer des Baltringer Haufens und zogen anschließend Richtung Bodensee weiter.
Kurz danach folgte die Entscheidung bei Weingarten, wo sich 9000 Soldaten des Schwäbischen Bunds und bis zu 15.000 Bauern gegenüberstanden. Ein militärischer Erfolg der Rebellen schien in Reichweite, zumal 4000 Bauern aus dem Hegau und 8000 aus dem Allgäu im Anmarsch waren. Doch dann trafen sich Unterhändler von beiden Seiten. Und handelten – wie beim Riedheimer Vertrag im Oktober 1524 – einen Abkommen aus, das unter anderem von den Städten Meesburg und Tettnang sowie dem Kloster Weingarten unterzeichnet wurde: Die Bauern geben ihre Waffen ab, und kehren heim, dafür gehen sie straffrei aus und bekommen die Chance, bei Streitigkeiten mit den Feudalherren vor ein unabhängiges Schiedsgericht zu ziehen.
„Zerschmeißen, würgen, stechen“
Die Hegauer waren angesichts eigener Erfahrungen mit diesem faulen Frieden nicht einverstanden, die Allgäuer ebenfalls nicht. Aber der Seehaufen löste sich auf, es gab keine Koordination mehr, so blieb auch den anderen nur der Rückzug. Es kam zwar immer wieder zu Scharmützeln, etwa als Leibeigene des Klosters Sankt Gallen in der Region Neuravensburg die dortige Burg stürmten und abfackelten. Doch das konnte den Siegeszug des Bauernjörgs nicht stoppen, der Richtung Hegau weiterzog, überall isolierte Bauernfamilien niedermetzeln ließ und später (im Mai 1525) bei Böblingen eine weitere Schlacht gewann. Wer hätte ihn auch noch aufhalten sollen?
Viel Unterstützung erfuhren die Bauern ja ohnehin nicht, schon gar nicht vom damals großen Kritiker der katholischen Hierarchie. Die „mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“, schrieb seinerzeit Martin Luther, solle „zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“
Zehntausende Tote
Rund 75.000 Menschen, so schätzen Historiker:innen, starben im Bauernkrieg, die meisten massakriert unter dem Kommando von Georg III. von Waldburg. Dessen Dynastie wurde danach – zum Dank für seinen mörderischen Einsatz – zum größten Grundbesitzer Oberschwabens.
Und heute noch gehören seinen Nachfahren, dem Adelsgeschlecht der von Waldburg, zahlreiche Burgen und Schlösser, Anteile an Medien (wie der Schwäbischen Zeitung und der Augsburger Allgemeine, die die Mehrheit des Südkurier besitzt) sowie rund ein Dutzend Klinken. Die Folgen der großen Bauernrebellion vor einem halben Jahrtausend sind also noch präsent.
Rebellische Nachfahren
Viel von dem, was hier geschildert wurde, entstammt dem Buch von Charly Schweizer. Allerdings herrscht dort ein gehöriges Durcheinander an Fakten; eine Abfolge der Ereignisse oder eine Struktur sind leider nur schwer erkennbar. Es bietet also keine leichte Kost. Aber wer sich in das Thema hineinknien will, wer herausfinden möchte, wer wo was in Oberschwaben und rund um Lindau getan oder unterlassen hat, findet jede Menge spannender Details.
Und am Ende gibt der Band noch einen aktuellen und überaus wichtigen Hinweis. Auch wenn sich da und dort (beispielsweise auf einer Kundgebung in Konstanz) Rechtsextreme die Bauernproteste von 2024 mit dem Aufstand 1525 in Verbindung brachten: Mit der freiheitlichen Erhebung damals hatten die konservativen Aufmärsche und Straßenblockaden vor einem Jahr nichts zu tun. Bei diesen ging es vor allem um die Verteidigung großbäuerlicher Privilegien – und um die Aufweichung des Umweltschutzes.
Nicht der Bauernverband steht also in der Tradition der Aufstände vor einem halben Jahrtausend. Sondern die Anfang der 1970er Jahre gegründete Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft AbL, die sich in vielfacher Weise politisch einmischt und für eine nachhaltige Landwirtschaft stark macht – also die Interessen die Kleinbäuer:innen vertritt und die herrschende Agrarpolitik zugunsten der Großkonzerne ablehnt.
Karl Schweizer/Johannes C. Wolfart: „Der Bauernkrieg 1525/25 in Stadt und Landkreis Lindau. Aus den Tagen der frühbürgerlichen Revolution des ‚Gemeinen Mannes‘ – ein Überblick“. Edition Inseltor Lindau, 2024. 120 Seiten, 77 Bilder. 19 Euro.
Text: Pit Wuhrer
Illustrationen: Jacob Murer, geboren in Konstanz, ehemaliger Abt des Klosters Weißenau. Seine Zeichnungen zeigen die Belagerung des Klosters durch Bauern 1525 und die Flucht des Klosterpersonals nach Ravensburg (links mit Mehlsack und Veitsburg). Fürstlich Waldburg-Zeil’sches Gesamtarchiv, alle Illustrationen im public domain / Foto: Pit Wuhrer
Sehenswertes zum Thema:
Bis zum 4. Mai zeigt das Landesmuseum Württemberg die Ausstellung „PROTEST! Von der Wut zur Bewegung“. Der Blick auf 1524/25 eröffne Perspektiven von geradezu erstaunlicher Aktualität, heißt es auf einer Website zur Landesausstellung.
Im Kloster Schussenried, das im März 1525 von aufständischen Bauern geplündert und verwüstet wurde, ist dann vom 6. April bis 5. Oktober 2025 die Ausstellung „UFFRUR! Utopie und Widerstand im Bauernkrieg 1524/25“ zu sehen.
Erinnerungsstätte des „Baltringer Haufens“ [https://baltringer-haufen.de/erinnerungsstaette/] im Rathaus von Baltringen, Baltringer Hauptstraße 19, 88487 Mietingen.
Noch immer sehenswert ist der Film „Lond it luck“ von Klaus Gietinger (1979, Westallgäuer Filmproduktion) über die Allgäuer Bauern 1525.
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