Heute ist der internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen und Flintas. Der Tag soll für
das Thema sensibilisieren, aufklären und eine Einschätzung zur aktuellen Lage geben. Die Bilanz fällt erschreckend aus: weltweit nimmt die Gewalt an Frauen und Flintas zu und Frauenrechte nehmen ab, auch in Deutschland.
Mit dem Satz: „Die Scham muss die Seite wechseln“ hat Gisèle Pelicot den pervertierten gesellschaftlichen Umgang mit Gewalt gegen Frauen auf den Punkt gebracht. Gewalt an Frauen ist ein gesellschaftlicher Normalfall, selten wird sie ernst genommen, skandalisiert, juristisch verfolgt oder gar politisch oder soziokulturell bekämpft. Vielmehr erleben Frauen nach sexualisierten Gewalterfahrungen eine gesellschaftliche Gewalterfahrung: ihre Gewalterfahrung wird bagatellisiert und verharmlost, ihnen wird nicht geglaubt oder eine Mitschuld unterstellt.
Dieser Umgang mit Gewalterfahrungen von Frauen ist systemisch, er ist gesellschaftlich tradiert, er ist vielschichtig perfide und wird auch von vielen Frauen getragen. Das Thema bleibt schambelastet für die Opfer, und in der Regel erleben sie eine starke gesellschaftliche Isolation. Viele Opfer haben nicht die Kraft, diesen re-traumatisierenden Weg zu gehen, sie erstatten keine Anzeige, schweigen über die erlebte Gewalt und suchen stille Hilfe in Therapien.
Pelicot hat unbeschreibliche Gewalt erfahren und einen anderen Weg gewählt. Sie wurde über Jahre von ihrem Mann betäubt, vergewaltigt und per Internet an andere Männer verkauft, die sich an ihrem betäubten Körper vergriffen. Dabei filmte ihr Ehemann die Vergewaltigungen. Sie forderte eine öffentliche Gerichtsverhandlung gegen ihre Vergewaltiger, bestand darauf, die Vergewaltigungsvideos zu zeigen, gibt Interviews und spricht darüber, was ihr passiert ist. Mit ihrem offensiven Umgang zwingt sie die Gesellschaft, hinzusehen und die eigene Vergewaltigungskultur zu überdenken.
In Frankreich gilt eine Vergewaltigung als solche, wenn sich eine Frau offensichtlich dagegen wehrt. Erst dieses Jahr blockierte unser entlassener Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) – schamlos – eine für die EU geltende Definition von Vergewaltigung als Straftat nach dem Prinzip der Zustimmung (nur Ja, heißt Ja), mit der Befürchtung, Frauen könnten dies missbräuchlich nutzen.
„Your Body, my Choice“ – die Schamlosigkeit der „Bro-Culture“
Donald Trump macht sich für die Schamlosigkeit einer aggressiv frauenverachtenden Dominanzkultur, der sogenannten Bro-Culture, stark. Mit Erfolg. Trotz seines offen frauenfeindlichen Wahlkampfs und mindestens 26 angelasteten Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen wird er bald wieder der mächtigste Mann der Welt. Eine Woche nach seinem Wahlerfolg sollen Hassnachrichten gegen Frauen im Netz um das Viertausendfache gestiegen sein.
So hat der 26-jährige Nicholas J. Fuentes, fanatischer Trump-Anhänger, stolzer Rassist und Holocaustleugner, mit einem Video, in dem er frenetisch „hey Bitches, your body, my choice“ (hey Schlampen, euer Körper, meine Wahl) ausruft, eine Hasswelle mit Vergewaltigungsdrohungen ausgelöst. Das Video wurde millionenfach verbreitet. Trumps Vize, J. D. Vance, sieht die Rolle der Frau so: „Frauen müssen der weißen christlichen Nation Kinder gebären und sie dann großziehen“. Völkischer Größenwahn gepaart mit Frauenverachtung ist in den USA eine neue politische Zielmarke.
Diese populistische Welle, frauenverachtende Gesellschaftskritik und Politik, ist auch in Deutschland angekommen. Nicht nur mit dem Erstarken der AfD. Friedrich Merz feiert sich schon als nächsten Bundeskanzler. Ein Mann, der sich lautstark gegen die gesetzliche Verankerung von Vergewaltigung in der Ehe als Straftat stark machte. Und sich erst jüngst über die Abschaffung des § 218 mokierte – my body, CDU’s choice? Eine Abschaffung des § 218 vor den Neuwahlen bezeichnet er als „skandalös“, er ist sogar „entsetzt“ und fordert für so eine Entscheidung „Zeit und Gutachten“, nicht etwa die Entscheidungen von Frauen! Die Abschaffung des Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen sei, so Merz, gar „ein Affront gegen die Mehrheit der Bevölkerung“.
Frauen haben in Deutschland noch immer keinen sicheren medizinischen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und können noch immer nicht selbst darüber entscheiden, was mit ihrem Körper und ihrem Leben passiert. Merz‘ Parteigenosse Gundolf Siebeke setzte noch eins drauf mit der Idee, das Frauenwahlrecht auch anzweifeln zu dürfen, da Frauen doch zu emotionalen Entscheidungen neigen könnten.
Die CDU wirbt mit einer rückwärtsgerichteten Programmatik für Deutschland, das aber würde auch Frauen und Frauenrechte zurückwerfen. Reaktionäre Gesellschaftskritik eignet sich prima als Wahlkampfthema, man denke nur an die „Gendergaga-Debatte“ der CDU und den anschließenden Genderverboten in den CDU-geführten Bundesländern. Ist es nicht absurd, dass eine Partei, die politische Korrektheit und „cancel culture“ fürchtete wie der Teufel das Weihwasser, nun Menschen – insbesondere Frauen und Flintas – eine inklusive Sprache verbietet?
Zahlen des Grauens
Weltweit steigt ein frauenfeindliches Klima und die Gewalt gegen Frauen und Flinta-Personen, in allen Lebensbereichen. Hier die Zahlen aus Deutschland, aus dem aktuellen Lagebericht des Bundeskriminalamts zu „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ aus dem Jahr 2023, soweit bekannt, die Dunkelziffer ist weit höher:
– Femizide: 360 Mädchen und Frauen wurden getötet
– Femizide: 578 Mädchen und Frauen haben einen Tötungsversuch überlebt.
– 52.330 Frauen und Mädchen wurden Opfer von Sexualstraftaten, die Hälfte war minderjährig.
– 17.193 Frauen und Mädchen wurden Opfer digitaler Gewalt, wie Cyberstalking.
– 180.715 Frauen und Mädchen erlebten häusliche Gewalt.
– 591 Frauen und Mädchen wurden Opfer von Menschenhandel.
– 322 Straftaten gegen Frauen aus politischen Motiven wurden gezählt.
Wichtige Anmerkungen: Die überwiegende Zahl der Opfer und der Täter haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Der größte Teil der Straftaten findet im direkten Umfeld – z. B. in der Familie, der Partnerschaft, der WG – der Frauen statt. Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau getötet, nur weil sie eine Frau ist. Noch vor zwei Jahren war es jeder dritte Tag. Und es gibt keinen Aufschrei!
Man stelle sich vor, dass jeden Tag ein Mann von einer Frau getötet würde, nur weil er ein Mann ist. Das wäre doch das politische Topthema und würde einen massiven Maßnahmenkatalog gegen Frauen nach sich ziehen. Ja, wir brauchen mehr sichere Orte für Frauen und Flintas und wir brauchen mehr Frauenhäuser. Vor allem aber brauchen wir andere Männer und Maßnahmen gegen diesen Frauenhass von Männern und gegen die gesellschaftlich tolerierte Frauenverachtung.
Femizide, Vergewaltigungen, sexueller Missbrauch und Belästigung, Stalking etc. pp. fallen nicht vom Himmel. Sie sind eingebettet in ein frauenfeindliches Klima, das Gewalt gegen Frauen normalisiert und verharmlost. Immer noch werden Täter nicht belangt, sie können ihr Leben ohne einschneidende Konsequenz weiterführen, während Frauen ihre Lebensräume verlassen oder meiden müssen und Isolation und Beschämung erleben.
Wir haben eine kleine Wahl bei der Wahl?
Weltweit ist die Lage von Frauen und Flintas desaströs. 2024 ist ein düsteres Jahr für Frauenrechte. Neben Kriegen und Krisen verpestet der globale Rechtsruck das politische, soziale und kulturelle Klima, fördert misogyne Gewalt und belebt rückwärtsgewandte Vorstellungen von Geschlechterrollen. In Deutschland träumt längst nicht mehr nur die AfD von alten Rollenbildern und männlicher Dominanzkultur.
Der Weg einer offensiven Schamlosigkeit von Alphamännern findet hier generationsübergreifend großen Zuspruch. Und auch der kommende Wahlkampf verspricht in populistische Bahnen zu geraten. Seien wir achtsam und überlegen uns gut, ob Merz bei der Bundestagswahl im Februar oder März nicht der größte politische Rückschritt für Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland bedeuten würde. Und vergessen wir nicht, dass alle politischen Entscheidungen immer auch das Leben von Frauen beeinträchtigen.
So wurde, aufgrund der aktuellen Asylverschärfungen, diesen Monat eine geflüchtete Frau mit ihren zwei Kindern aus einem Hamburger Frauenhaus heraus, in dem sie Schutz vor Gewalt suchte, in die Türkei abgeschoben. Die Scham muss dringend und definitiv die Seite wechseln.
Text: Abla Chaya, Bilder: privat
Siehe auch:
Konstanzer FDP gegen Frauentaxis
Was toxische Männlichkeit kostet
Weil sie es können …
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