Wenn ein neuer Stadtteil wie der Hafner entsteht, führt das zwangsläufig zu Eingriffen in den Lebensraum, zu Flächenversiegelung, Landschaftsverbrauch oder Baumfällungen. Biotope und deren Bewohner*innen verschwinden dabei oft für immer. Deshalb muss und will die Stadt Ausgleichsmaßnahmen ergreifen und Ökopunkte erwerben. Ein Verfahren, dessen Nutzen nicht unumstritten ist.
„Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!“ Das ist der über 500 Jahre alte, wohl bekannteste Spruch zum Ablasshandel. Und so ähnlich geht es aus Sicht vieler naturbewegter Menschen und Verbände noch immer zu, nämlich beim Handel mit Ökopunkten, wie ihn der Technische und Umweltausschuss des Konstanzer Gemeinderates dieser Tage in Sachen Hafner zur Kenntnis nehmen will. Der Gemeinderat soll diesen Deal noch in diesem Monat endgültig beschließen.
Die Idee dahinter ist auf den ersten Blick umweltfreundlich: Beim Bau eines neuen Stadtteils wird ja viel Landschaft verbraucht und massenhaft Fläche versiegelt, da ist es nur recht und billig, wenn dafür an anderer Stelle ein Ausgleich geschaffen wird. Auch dass der Landschaftsverbraucher, in diesem Fall die Stadt Konstanz, dafür zur Kasse gebeten wird, erscheint gerecht. Am Ende soll die negative Ökobilanz der Maßnahme dann durch gute Taten anderswo ausgeglichen werden.
Pro Punkt ein Euro
Die Stadt Konstanz hat nach Angaben der Verwaltung „in den nächsten Jahren einen Ausgleichsbedarf von rund 1,5 Mio. Ökopunkten. Bedarf gibt es aufgrund verschiedener städtebaulicher Entwicklungsplanungen (Jungerhalde-West, Gerstäcker, Feuerwehrhaus Litzelstetten, Sportplatz Höllbart, Freiflächen-Photovoltaikanlagen und natürlich für den neuen Stadtteil Hafner).“ Im jetzt zu behandelnden Fall „sollen für den 1. Bauabschnitt des neuen Stadtteils Hafner 355.086 Ökopunkte „eines Landwirtschaftsbetriebes auf der Gemarkung Konstanz zu 1 EUR je Punkt zzgl. 19 % MwSt. erworben werden. In Summe sind dies Kosten in Höhe von 422.552,34 EUR“.
Diese 355.086 Punkte kommen von einem Landwirtschaftsbetrieb in Konstanz, und Konstanz hat es sich ja zum Ziel gesetzt, Ausgleichsmaßnahmen in der eigenen Gemarkung zu bevorzugen. „Auf insgesamt 5 städtischen, vom Betrieb gepachteten Flächen auf der Gemarkung Dettingen wurden naturschutzfachliche Aufwertungsmaßnahmen (Umwandlung von Äckern in Magerwiesen und Erhöhung der Strukturvielfalt um Dettingen) geplant“ und bereits von der Naturschutzbehörde genehmigt. Nach Angaben der Verwaltung handelt es sich um „sinnvolle ökologische Verbesserungen auf Konstanzer Gemarkung mit insgesamt positiven Auswirkungen auf die Biotop- und Landschaftsentwicklung des Bodanrücks“.
Eine Win-win-Situation? Auf dem Hafner gehen wichtige Schutzgüter wie Biotope, Boden oder Wasser verloren bzw. werden verschlechtert, und etwas weiter auf dem Bodanrück wird die Umwelt verbessert. Die Stadt Konstanz will mit ihrem Ökokonto, das der Gemeinderat vor zwei Jahren beschlossen hat, also eindeutig Gutes tun.
Ein Feigenblatt?
Das Instrument der Ökokonten, auf die gute Taten in Form von Ökopunkten gebucht werden, und des Handels mit diesen Punkten wurde in Baden-Württemberg 2005 eingeführt. Ökopunkte werden von Naturschutzbehörden vergeben und inzwischen sogar über spezialisierte Agenturen und sogar Ebay vertrieben, Kritiker*innen sprechen von einer regelrechten „Ökopunkte-Industrie“.
Dieses System wird vor allem von Naturschutzverbänden aus verschiedenen Gründen scharf kritisiert. Eines der Grundprobleme war wohl auch den Machern der Regelung bewusst, denn es heißt in einem von der Landesanstalt für Umweltschutz in Auftrag gegebenen Papier: „Die Eigenart und Vielfalt der Landschaft kann nicht mit einfachen, klar umrissenen Zielvorgaben wie etwa beim Umweltschutz (möglichst sauberes Wasser, möglichst saubere Luft etc.) umschrieben werden. Vielmehr sind für sie mehrere bis viele und im Einzelfall durchaus auch verschiedene wertbestimmende Gesichtspunkte verantwortlich.“(1)
Es ist also ziemlich schwierig, den Wert eines Biotops überhaupt irgendwie zu messen und so „objektiv“ festzustellen, welchen (auch finanziellen) Wert eine naturschützerische Maßnahme hat und ob diese tatsächlich ausreicht, die Schäden durch ein Bauvorhaben an anderer Stelle zu heilen.
Dieses Ausgleichsverfahren kritisieren Naturschützer*innen aber auch ganz grundsätzlich: „Echter Ausgleich, zum Beispiel eine Entsiegelung von Flächen an anderer Stelle, findet so gut wie nie statt. Dass so nicht nur wertvoller Boden, sondern auch Lebensräume verloren gehen und der Artenschwund vorangetrieben wird, scheinen die Gemeinderäte landauf, landab überwiegend ohne Bedauern hinzunehmen.“(2) Diese Kritik trifft auch den Hafner, denn die Flächenversiegelung nimmt trotz der Ausgleichsmaßnahme, Äcker zu Wiesen zu ertüchtigen, erheblich zu, auch wenn der Begriff „Ausgleich“ etwas anderes suggeriert.
Was kostet Natur?
Außerdem wird bemängelt, dass es oft ein Missverhältnis zwischen dem Eingriff und dem Ausgleich gebe: Hier ein neuer Stadtteil oder ein neues Industriegebiet, dafür ein paar neue Wiesen oder eine Fischtreppe, das hört sich nach einem Missverhältnis an, bei dem der „Ausgleich“ in keiner sinnvollen Relation zum angerichteten Schaden steht. Viele Ausgleichsmaßnahmen werden nach Meinung von Ökologen absichtlich viel zu hoch bewertet. Und zu allem Überdruss würden als Bauland ohnehin untaugliche Flächen plötzlich als Ausgleichsflächen ausgewiesen, ohne dass überhaupt etwas geschehe.
Nicolas Schoof, der Ausgleichsmaßnahmen wissenschaftlich untersucht hat, stellte fest, dass 30% der Maßnahmen nur auf dem Papier standen, also niemals umgesetzt wurden, während andere Maßnahmen so halbherzig verwirklicht wurden, dass ihr Nutzen weit hinter den Versprechungen zurückblieb.(3) Zum selben Ergebnis kam auch der bayerische Landesbund für Vogelschutz (LBV): „Nach Schätzung des Verbands wird nur ein Viertel der Ausgleichsmaßnahmen wirklich so verwirklicht, wie bei der Baugenehmigung vorgesehen. Ungefähr die Hälfte wird vernachlässigt, und ein Viertel der Ausgleichsmaßnahmen sogar von Anfang an nicht umgesetzt.“(4)
Mit anderen Worten: Nach Meinung der Naturschutzverbände ist der Handel mit Ökopunkten prinzipiell eine Augenwischerei, weil er den Flächenverbrauch prinzipiell nicht stoppt, sondern lediglich geringfügig verteuert. Dass die Ausgleichsmaßnahmen zudem noch oft schlampig oder gar nicht umgesetzt werden, macht das System dann endgültig zur Farce.
Auf den ersten Blick also eine gute Idee, auf den zweiten Blick aber unwirksam? Axel Mayer vom BUND brachte seine Kritik so auf den Punkt: „Irgendwann ist Deutschland dann zugebaut, aber ausgeglichen“ – ein für den allseits vollmundig beschworenen Umweltschutz nicht untypischer Papiertiger also.
Quellen
Beschlussvorlage ö – 2024-0128, Wikipedia
(1) Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg, Bewertung der Biotoptypen Baden-Württembergs zur Bestimmung des Kompensationsbedarfs in der Eingriffsregelung, Abgestimmte Fassung, August 2005: https://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/documents/10184/389490/bewertungsempfehlungen_schutzgut_biotope.pdf
(2) BUND, Umweltzentrum Ortenau, Presseservice vom 23.10.2020: https://www.bund-ortenau.de/fileadmin/ortenau/dokumente/pm/20/pm_oekopunkte_kritik_201023.pdf
(3) Video: Die Ökopunkte-Lüge – wie mit der Natur Kasse gemacht wird [eine gut verständliche Erklärung des Handels mit Ökopunkten und der Kritik daran]: https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/report-mainz/videosextern/die-oekopunkte-luege-wie-mit-der-natur-kasse-gemacht-wird-102.html
(4) https://www.mitwelt.org/oekopunkte-ausgleichsmassnahmen-oekokonto-betrug.html
Text: O. Pugliese
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